Gletscher im Klimawandel

Aus Klimawandel
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Abb. 1: Räumliche Verteilung der Gletscher der Erde nach vier Bestandsaufnahmen: WGI: World Glacier Inventory, GLIMS: Global Land Ice Monitoring from Space, RGI: Randolph Glacier Inventory v2, VolumeDB: Cogley 2012[1]

Gletscher und Eiskappen

Gletscher und Eiskappen bilden sich in Gebieten, in denen während der kalten und feuchten Jahreszeit gefallener Schnee in der warmen und trockenen Zeit nicht vollständig abschmilzt. Aus abgelagertem Schnee bildet sich Eis (Akkumulation), das unter seinem eigenen Gewicht von höheren in tiefere Lagen fließt und hier wieder abschmilzt (Ablation). Akkumulations- bzw. Nähr- und Ablations- bzw. Zehrgebiete werden durch eine Gleichgewichtslinie getrennt, wo die Differenz zwischen Zu- und Abnahme von Eis genau Null ist. In der englischen Fachsprache wird diese Linie auch als „Equilibrium Line Altitude“ (ELA) bezeichnet. Wo Gletscher in Seen oder im Meer enden, ist der Massenverlust durch das Kalben von Eisbergen oft besonders groß.

Gletscher, die in Gebirgstälern abwärts fließen und daher zumeist eine längliche Form besitzen, werden auch als Talgletscher bezeichnet. Sie finden sich vor allem in Hochgebirgen von den Tropen bis in hohe Breiten. Eiskappen (oder Plateaugletscher) dehnen sich dagegen über flachem Untergrund und breiten sich entsprechend nach allen Seiten aus. Sie finden sich auf vielen Inseln der Arktis und z.B. in Bergländern Norwegens und Islands. An ihren Rändern münden sie häufig in schmale Auslassgletscher, die den Talgletschern gleichen.

Gegenwärtige Ausdehnung und Masse

Abb. 2: Globale Gletscher-Gebiete (dunkelblau). Hellblaue Kreise zeigen die Größe der Gletscherfläche in den Regionen an. Die Ziffern geben den jährlichen Massenverlust der Gletscherregionen zwischen 2000 und 2019 in Gt pro Jahr an.

Die Bestimmung der Fläche der gegenwärtigen Gletscher und ihres Volumens stößt auf zahlreiche Schwierigkeiten. Viele kleine Gletscher sind oft nicht einmal registriert. In einigen Gebieten enden Gletscherzungen in Meerwasser oder Süßwasserseen und sind so der Beobachtung weitgehend entzogen. Schwierig ist es zudem, die Randgletscher von Grönland und der Antarktis eindeutig von dem jeweiligen Eisschild zu unterscheiden, weshalb sie oft auch nicht zu den Gletschern der Erde gezählt werden. Eine genaue Anzahl der Gletscher, ihrer Fläche und ihres Volumens zu bestimmen ist daher nur mit großen Unsicherheiten möglich. Wahrscheinlich gibt es ca. 200 000 Gletscher weltweit;[2] nach Zemp et al. (2020) sind es sogar 215 000.[3] Sie nehmen eine Fläche von etwa 706 000 km2 ein. Ihr Volumen entspricht einem Meeresspiegelanstieg von ca. 40 cm.[4] Ohne die Randgletscher Grönlands und der Antarktis wären es 32 cm, was lediglich 1% der gesamten Eismasse der Erde (d.h. einschließlich der Eisschilde Auf Grönland und der Antarktis) ausmacht, die bei einem totalen Abschmelzen einen Meeresspiegelanstieg von etwa 66 m zur Folge hätte.[5]

Gletscheränderungen bis zum Ende der Kleinen Eiszeit

Auf dem Höhepunkt der letzten Eiszeit vor rund 21 000 Jahren bedeckten Gletscher 30 % der Landoberfläche. Die allgemeine Erwärmung im frühen Holozän vor 10 000 bis 6000 Jahren führten zu einem drastischen Rückgang der Gletscher bis auf die Größenordnungen, wie sie am Ende des 20. Jahrhunderts herrschten. In Europa und Nordamerika, die lange Zeit von großen Eisschilden beeinflusst waren, verzögerte sich dieser Prozess bis 6000-4000 Jahre vh. Während der Kleinen Eiszeit, die vom frühen 14. bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts reichte, wuchsen die Gletscher wieder und erreichten ihre maximale nacheiszeitliche Ausdehnung am Ende der Kleinen Eiszeit.[6]

Gletscheränderungen der letzten Jahrzehnte

Abb. 3: Kumulative Änderung der Masse von Referenzgletschern (mit mindestens 30 Jahren Gletscherbeobachtung) in verschiedenen Gletscherregionen der Erde 1950-2021/22 in m Wasseräquivalent.

Änderungen

Die Feststellung der Gletscherveränderung stößt auf Grenzen. Nur einige hundert der über 200.000 Gletscher der Erde werden vor Ort beobachtet. Die Satellitenbeobachtung ist durch ihre grobe räumliche Auflösung begrenzt, wodurch Veränderungen kleinerer Gletscher nicht immer adäquat abgebildet werden. Sie erfasst aber so gut wie sämtliche Gletscherflächen. Satelliten messen die Höhenänderungen der Gletscher-Oberfläche, woraus dann die Massenänderungen abgeleitet und in Wasser-Äquivalente umgerechnet werden können. Andere Methoden bestehen in Schwerefeldmessungen durch Satelliten.[2]

Die meisten Gletscher und Eiskappen sind nicht im Gleichgewicht mit dem gegenwärtigen Klima. Ein Gletscher befindet sich im Gleichgewicht mit dem lokalen Klima, wenn seine gesamte Akkumulation gleich seiner gesamten Ablation ist. Falls sich das Klima in den nächsten Jahrzehnten nicht mehr ändern würde, würden die weltweiten Gletscher trotzdem noch 32 % ihrer Fläche und 38 % ihrer Masse verlieren und damit einen Meeresspiegelanstieg von 16,3 cm bewirken (bei einer Gesamtmasse, die einem Meeresspiegelanstieg von 43,0 cm entspricht).[7]

Abb. 4: Jährliche globale Massenbilanz von Referenzgletschern mit mindestens 30 Jahren Gletscherbeobachtung 1950-2022 in m Wasseräquivalent bzw. 1000 kg/m2.

Fotos und Satellitenaufnahmen haben eindrücklich den Rückgang der Gletscher seit über 100 Jahren dokumentiert. Die beeindruckenden Bilder ließen im Bewusstsein der Menschen die Gletscher zu Ikonen des Klimawandels werden.[8] Seit der Kleinen Eiszeit befinden sich die Gletscher der Erde mit seltenen und vorübergehenden Ausnahmen auf einem dramatischen Rückzug, besonders seit Mitte der 1980er Jahre. So zeigen dreißig gut untersuchte Referenzgletscher zwischen 1996 und 2005 einen Massenverlust von 58 cm Wasseräquivalenten. Weltweit trugen Gletscher und Eiskappen (ohne die Randgletscher der beiden Eisschilde Grönland und Antarktis) zwischen 1961 und 1990 zum steigenden Meeresspiegel 3,3 mm pro Jahrzehnt bei und verdoppelten diese Rate noch zwischen 1991 und 2004.[6]

2000-2019 betrug der Massenverlust der weltweiten Gletscher (wozu hier auch die Randgletscher Grönlands und der Antarktis zählen) 267 Gt/Jahr, was 21% bzw. 0,74 mm/Jahr des beobachteten Meeresspiegelanstiegs ausmacht (Abb. 2). Nach der thermalen Expansion trugen die Gletscher der Erde in den beiden letzten Jahrzehnten am meisten zum Meeresspiegelanstieg bei. Der Massenverlust hat pro Jahrzehnt um 48 Gt/Jahr zugenommen. Die Gletscherdicke nahm dabei um 36 cm/Jahr im Jahr 2000 ab und verdoppelte sich fast auf 69 cm/Jahr in 2019. Die Gletscher der Erde verlieren gegenwärtig mehr an Masse als jeweils der Grönländische und Antarktische Eisschild. So übertrifft der Massenverlust aller Gletscher den Massenverlust Grönlands um 47% und ist mehr als doppelt so groß wie der der Antarktis.[2]

Drei vergletscherte Regionen stehen für mehr als die Hälfte des globalen Massenverlustes: Alaska mit 25%, die kanadische Arktis mit 20% und die grönländischen Randgletscher mit 13%. Danach folgen mit jeweils 8% die Randgletscher der Antarktis, die asiatischen Hochgebirge und die südlichen Anden. Während der Massenverlust der weltweiten Gletscher insgesamt sich zwischen 2000 und 2019 beschleunigte, nahm er bei den grönländischen und antarktischen Randgletschern leicht ab. Die Randgletschern des östlichen Grönlands hatte in den Jahren 2015-2019 sogar einen Massengewinn zu verzeichnen. Auch auf Island und in Skandinavien nahm das Tempo der Gletscherschmelze zumindest ab. Zusammen mit dem Osten Grönlands lässt sich hier von einer Nordatlantischen Anomalie sprechen, gekennzeichnet durch eine sich abschwächende Abnahme der Gletscherschmelze.[2]

In den anderen Gletschergebieten der Erde nahm die Gletscherschmelze dagegen von 148 Gt/Jahr 2000-2004 auf 247 Gt/Jahr in 2015-2019 zu, und zwar hauptsächlich in Alaska, den Hochgebirgen Asiens, West-Kanada und den USA. Davon war auch die bekannte Karakorum-Anomalie betroffen. Hier zeigten in früheren Zeiten einige Gletscher Massenzunahmen, ab den späten 2010er Jahren dominierten jedoch abnehmende Gletscherdicken. Auch für Neuseeland wurde in 2015-2019 im Vergleich zu 2000-2004 ein starker Rückgang der Gletscherdicke um das Siebenfache festgestellt.[2]

Ursachen

Analysen von Wetterdaten zeigen, dass viele der regionalen Muster der Gletscheränderungen konsistent mit den großräumigen, dekadischen Änderungen von Temperatur und Niederschlag sind. Veränderungen der Niederschläge haben besonders im nordwestlichen Amerika mit Abnahmen im westlichen Kanada und Zunahmen im südwestlichen Alaska, Abnahmen im südwestlichen und Zunahmen im nordöstlichen Grönland sowie Abnahmen in den Anden Nord-Chiles und Zunahmen in Süd-Chile das Schmelzen der Gletscher entweder beschleunigt oder abgeschwächt. Die Nordatlantische Anomalie lässt sich sowohl aus den kühlen als auch feuchten Bedingungen in den 2010er Jahren erklären. Obwohl dekadische Schwankungen der Niederschläge einige regionale Entwicklungen erklären, zeigt sich in der globalen Zunahme der Gletscherschmelze jedoch eindeutig die durch den Menschen bedingte Erwärmung der Atmosphäre. Im globalen Mittel haben die Niederschläge über den vergletscherten Gebieten nur sehr gering, die Temperaturen jedoch deutlich stärke zugenommen. Der Massenverlust der weltweiten Gletscher ist daher primär durch die steigenden Temperaturen bedingt.[2]

Abb. 4: Änderung der globalen Gletschermasse in kg pro m2 und Jahr 2015-2100 nach verschiedenen RCP-Szenarien.

Projektionen

Bis 2100 würden die Gletscher der Erde bei einer Erwärmung von 1,5 °C, dem optimistischen Ziel des Pariser Abkommens, 26% ihrer Masse und bei einer Erwärmung um 4 °C 41% verlieren. Etwa die Hälfte der Gletscher (104.000 von über 200.000) würde selbst bei einer Erwärmung von nur 1,5 °C verschwinden. Die meisten der Gletscher, die nach dieser Projektion noch in diesem Jahrhundert verschwinden würden, sind kleinere Gletscher von weniger als 1 km2 Ausdehnung, die aber dennoch eine wichtige Bedeutung für die lokale Hydrologie, den Tourismus und als kultureller Wert besitzen können. Am Beitrag der Gletscher zum Meeresspiegelanstieg haben diese Gletscher allerdings nur einen Anteil von 2% und bei höheren Temperaturszenarien bis zu 8%. Der Meeresspiegel würde bei einer globalen Erwärmung um 1,5 °C bzw. 4 °C durch das Abschmelzen der Gletscher um 9,0 bzw. 15,4 cm ansteigen.[9]

Regional tragen die Gletscher in Alaska am stärksten zum Meeresspiegelanstieg bei, daneben aber auch die Randgletscher Grönlands und der Antarktis sowie die Gletscher der kanadischen Arktis. Zusammen sind diese vier Regionen mit je nach Szenario 60-65% am globalen Meeresspiegel beteiligt. Da die Gletschermasse in diesen Regionen relativ groß ist, werden sie wahrscheinlich auch nach 2100 noch deutlich an Masse verlieren. Anders sieht es für Regionen mit einem geringeren Gletschervorkommen wie in Mitteleuropa, Skandinavien, Neuseeland, im Westen Kanadas und der USA oder in den Tropen aus. Hier werden 60-100% der Gletschermasse verloren gehen, deren Beitrag zum Meeresspiegelanstieg jedoch recht gering ist. Bei einer globalen Erwärmung um 3 °C wird die Vergletscherung hier nahezu ganz beendet sein.[9]


Einzelnachweise

  1. Cogley, J. G. (2012): The future of the world’s glaciers, in: The Future of the World’s Climate, edited by: Henderson-Sellers, A. and McGuffie, K., Elsevier, chap. 8, 205–218, doi:10.1016/B978-0-12-386917-3.00008-7
  2. 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 2,5 Hugonnet, R., R. McNabb, E. Berthier et al. (2021): Accelerated global glacier mass loss in the early twenty-first century, Nature 592, 726-747
  3. Zemp, M. et al., 2020: Brief communication: Ad hoc estimation of glacier contributions to sea-level rise from the latest glaciological observations. The Cryosphere, 14(3), 1043–1050, doi:10.5194/tc-14-1043-2020.
  4. Zemp, M., Huss, M., Thibert, E., et al. (2019): Global glacier mass changes and their contributions to sea-level rise from 1961 to 2016, Nature, 568, 382–386
  5. Marzeion, B., R. Hock, B. Anderson et al. (2020): Partitioning the uncertainty of ensemble projections of global glacier mass change. Earth's Future. 8, e2019EF001470.
  6. 6,0 6,1 Zemp, M., et al. (2007): Glaciers and ice caps. In: UNEP: Global outlook for ice & snow.
  7. Mernild, S.H., W.H. Lipscomb, D.B. Bahr, V. Radic, and M. Zemp (2013): Global glacier changes: a revised assessment of committed mass losses and sampling uncertainties, The Cryosphere, 7, 1565–1577, doi:10.5194/tc-7-1565-2013
  8. Haeberli, W., C. Huggel, F. Paul, and M. Zemp (2013): Glacial Responses to Climate Change. In: J.F. Shroder et al. (Ed.): Treatise on Geomorphology, Vol 13, Geomorphology of Human Disturbances, Climate Change, and Natural Hazards, San Diego: Academic Press; p.152-175
  9. 9,0 9,1 Rounce, D.R., R. Hock, F. Maussion (2023): Global glacier change in the 21st century: Every increase in temperature matters, Science 379, 78-83


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