Klimaentwicklung nach Netto-Null
Netto-Null-Emissionen – und was dann?
Das Jahr 2023 hat der Menschheit besonders deutlich vor Augen geführt, dass das Klima der Erde auf einen neuen Zustand zusteuert. Nie war seit Beginn der Messungen, wahrscheinlich sogar seit 100.000 Jahren, die globale Mitteltemperatur so hoch wie in diesem Jahr, die Ozeane zeigten eine Rekorderwärmung, und Extremereignisse zerstörten rund um den Globus von den verheerenden Waldbränden in Kanada bis zu den extremen Regenfällen in Japan Siedlungen und Menschenleben.[1] An 86 Tagen des Jahres 2023 lagen die globalen Mitteltemperaturen bereits über der Grenze von 1,5 °C über dem vorindustriellen Wert.[2] 1,5 °C sollten nach dem Abkommen auf der UN-Klimakonferenz 2015 in Paris in diesem Jahrhundert über einen längeren Zeitraum nicht überschritten werden, um einen gefährlichen Klimawandel zu vermeiden. Die Ursache der bedrohlichen Klimaentwicklung ist die Emission von Treibhausgasen, besonders von Kohlendioxid durch das Verbrennen fossiler Energieträger. Obwohl die erneuerbaren Energien aus Wind und Sonne auf dem Vormarsch sind, ist der Energieverbrauch aus fossilen Energieträgern immer noch 15mal höher.[1] Die Menge an Treibhausgasen, die die Menschheit noch emittieren darf, um das 1,5-Grad-Ziel nicht zu überschreiten, das sog. „verbleibende Budget“, wird von Jahr zu Jahr geringer (Abb. 1).
Zahlreiche Staaten haben angesichts dieser Situation erklärt, die Nutzung fossiler Energien bis um die Mitte des Jahrhunderts zu beenden.[3] Und die Wissenschaft hält Netto-Null-Emissionen um 2050 für nötig, um wenigstens unter 2 °C, möglichst aber unter 1,5 °C globale Erwärmung zu bleiben.[4] Netto-Null-Emissionen bedeutet dabei nicht, dass es keine Treibhausemissionen mehr geben darf, sondern dass bestimmte, unvermeidbare Emissionen wie z.B. die von Methan aus der Landwirtschaft und die von Kohlendioxid aus industriellen Prozessen durch die Entfernung von Kohlendioxid aus der Atmosphäre ausgeglichen werden müssen. Ob das Ziel von Netto-Null-Emissionen um die Mitte des Jahrhunderts tatsächlich erreicht wird, ist aus heutiger Sicht sehr fraglich. Die aktuelle Klimapolitik steuert auf eine Erwärmung von 2,7 °C zu, die Ziele, die die Staaten sich bis 2030 gesetzt haben, lassen eine Erwärmung von 2,5 °C erwarten, einschließlich weiterer Zielsetzungen und Versprechungen könnte die Erwärmung auf 2,1 °C herabgesetzt werden, nur im besten Falle, wenn alle Ziele und Absichten umgesetzt würden, wären 1,8 °C möglich (s. Abb. 2).[5]
Emissionen – Konzentrationen - Temperaturen
Etliche Darstellungen wie die oben referierte des Climate Action Tracker koppeln die künftigen Emissionen mit bestimmten Temperaturwerten, ohne die Verbindungen zwischen beiden deutlich zu machen. Der Zusammenhang ist jedoch nicht trivial. Falls in Zukunft Netto-Null-Emissionen wirklich erreicht werden, besteht zunächst die Frage, was das für die Konzentration vor allem von CO2 bedeutet. Da die Nicht-CO2-Gase und Aerosole sich in ihrer Wirkung auf das Klima gegenwärtig ungefähr ausgleichenn, geht es bei den Null-Emissionen vor allem um das Kohlendioxid.[6] Bei einem relativ kurzlebigen Treibhausgas wie Methan, das eine Verweilzeit in der Atmosphäre von etwa 9 Jahren besitzt, ist davon auszugehen, dass nach dem Ende der anthropogenen Emissionen die Konzentration abnehmen und nach 10 Jahren von anthropogen Einflüssen unabhängig sein wird. Kohlendioxid ist jedoch ein langlebiges Treibhausgas, das teilweise Jahrhunderte bis Jahrtausende in der Atmosphäre verbleibt.
Die Modellsimulation in Abb. 3 (nach IPCC AR6 WGI, 2021)[7] zeigt allerdings, dass bei einer starken Abnahme der Emissionen (Szenario SSP1-2.6) noch lange nicht das angestrebte Temperaturniveau erreicht wird. Der Temperaturverlauf folgt der atmosphärischen Konzentration von CO2, nicht der Emission. Und die Konzentration steigt bei dem niedrigen Szenario SSP1-2.6 trotz abnehmender Emission über mehrere Jahrzehnte zunächst weiter an, wenn auch gegenüber dem hohen Szenario SSP3-7.0 abgeschwächt. Während die modellierten Emissionen bereits ab 2020 von fast 40 Gt CO2/Jahr kontinuierlich bis gegen Ende des Jahrhunderts auf null zurückgehen, ist der Wendepunkt bei den Konzentrationen erst 30 Jahre später um die Mitte des Jahrhunderts erreicht und liegt 2100 etwas über dem Wert von 2020. Die Temperatur folgt der Konzentration mit einer Verzögerung von nochmals zwei Jahrzehnten, nimmt aber auch dann leicht ab. Der Grund für die verzögerte Reaktion der Konzentration von Kohlendioxid auf die Emission sind die lange Verweilzeit von CO2 in der Atmosphäre und der Austausch von CO2 zwischen Atmosphäre, Landvegetation und Ozean.
Der aktuelle Gehalt an Kohlendioxid in der Atmosphäre beruht einerseits stark auf Emissionen der Vergangenheit und andererseits auf der CO2-Aufnahme von Landvegetation und Ozean. Der CO2-Kreislauf zwischen Atmosphäre, Landvegetation und Ozean sorgt dafür, dass ein Teil des anthropogenen Kohlendioxids unmittelbar von den natürlichen Senken des Ozeans und der Landvegetation aufgenommen und so der Atmosphäre entzogen wird. Diese natürlichen Senken sind auch während der Abnahme der Emissionen und sogar nach deren Ende aktiv, wodurch letztlich auch die atmosphärische Konzentration von Kohlendioxid abnehmen wird. Diese Konzentrationsabnahme hat zunächst einen Abkühlungseffekt. Dieser Abkühlung entgegen wirkt jedoch die sich allmählich abschwächende Wärmeaufnahme des Ozeans, wodurch mehr von der zusätzlichen Wärme, die der Mensch durch die Emission von Treibhausgasen erzeugt, in der Atmosphäre verbleibt. Der Ozean nimmt gegenwärtig nicht nur Kohlendioxid aus der Atmosphäre auf, sondern auch 91% der anthropogenen Erwärmung der Atmosphäre.[6] Nimmt diese Erwärmung weiter zu, nehmen auch die Meere mehr Wärme auf und verteilen sie auf Zeitskalen von Jahrhunderten und mehr bis in die tieferen Wasserschichten. Nimmt die Erwärmung durch weniger Treibhausgase ab, geht auch die Wärmeaufnahme des Ozeans zurück. Dabei stellt sich die Frage, was überwiegt – die Abschwächung der Wärmeaufnahme des Ozeans und damit die Erwärmung der Atmosphäre oder die fortgesetzte, wenn auch weniger werdende CO2-Aufnahme von Landvegetation und Ozean und damit eine gewisse Abkühlung der Atmosphäre.
Computersimulationen haben in den letzten Jahren untersucht, wie sich das globale Klima nach dem Ende der Treibhausgas-, besonders aber der CO2-Emissionen entwickeln wird. So wurden Rechnungen mit 18 Erdsystemmodellen aus zahlreichen Instituten mit dem Ziel durchgeführt, den Strahlungs- und Temperatureffekt durch die verringerte Wärmeaufnahme des Ozeans und die CO2-Aufnahme durch Ozean und Landvegetation zu berechnen. Abb. 4 stellt den Strahlungseffekt 50 Jahre nach dem Eintreten von Netto-Null, und nachdem die Erde sich um 2 °C erwärmt hat, dar. Die Abb.4 zeigt bei den einzelnen Modellen als positive Werte den Strahlungseffekt in W/m2 durch die abnehmende Wärmeaufnahme des Ozeans und als negative Werte den Strahlungseffek durch die abnehmende CO2-Konzentration infolge der fortgesetzten CO2-Aufnahme durch Ozean und Land.[8] Die geringere Wärmeaufnahme durch den Ozean und die weiterhin aktiven natürlichen CO2-Senken gleichen sich in ihrer Wirkung also nahezu aus. Das bedeutet, dass sich durch Netto-Null-Emissionen das Klima der Erde stabilisieren könnte.
Solche Berechnungen sind allerdings mit starken Unsicherheiten behaftet.[6] So sind Feedbackprozesse von Ozean und Landvegetation mit anderen Komponenten des Klimasystems in vielen Fällen schwierig zu simulieren. Dazu gehören z.B. Strahlungsprozesse zwischen Meeresoberflächentemperaturen und tiefen Wolken, die regional und zeitlich sehr unterschiedlich sein können. Außerdem kann die CO2-Aufnahme der terrestrischen Biosphäre durch den schwer vorhersagbaren Mangel an Nährstoffen begrenzt werden. Wie Pflanzenwachstum und Verrottungsprozesse den CO2-Kreislauf an Land beeinflussen, ist ebenfalls schwer einzuschätzen. Da die Modellexperimente bisher auf 100 Jahre begrenzt sind, können erst recht langfristige Prozesse wie die Tiefenzirkulation der Ozeane, von denen die CO2- und die Wärmeaufnahme der Meere entscheidend abhängen, das Abschmelzen der Eisschilde und der Meeresspiegelanstieg, durch die sich die globale Verteilung von Land und Meer erheblich verändern kann, kaum bestimmt werden. Angesichts dieser und weiterer Unsicherheiten könnte die globale Erwärmung nach Einschätzung von Palazzo Corner et al. (2023) auch um 15% höher ausfallen, statt um 2 °C also auch um 2,3 °C.[6]
Einzelnachweise
- ↑ 1,0 1,1 Ripple, W.J., C. Wolf, J.W. Gregg, J. Rockström et al. (2023): The 2023 state of the climate report: Entering uncharted territory, BioScience, biad080
- ↑ United Nations Environment Programme (2023): Emissions Gap Report 2023: Broken Record – Temperatures hit new highs, yet world fails to cut emissions (again). Nairobi.
- ↑ IEA (2023): Net Zero Roadmap: A Global Pathway to Keep the 1.5 °C Goal in Reach, 2023 Update
- ↑ IPCC AR6 WGI (2021): The Physical Science Basis, Box 1.4
- ↑ Climate Action Tracker (2023): The Cat Thermometer explained
- ↑ 6,0 6,1 6,2 6,3 Palazzo Corner, S., M. Siegert, P. Ceppi (2023): The Zero Emissions Commitment and climate stabilization. Front Sci (2023) 1:1170744. doi: 10.3389/fsci.2023.1170744
- ↑ Bild: eigene Darstellung, angelehnt an IPCC AR6 WGI (2021): FAQ 4.2, Figure 1
- ↑ MacDougall, A.H. et al., 2020: Is there warming in the pipeline? A multi-model analysis of the Zero Emissions Commitment from CO2. Biogeosciences, 17(11), 2987–3016, doi:10.5194/bg-17-2987-2020
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