Meeresspiegelanstieg in Europa

Aus Klimawandel
Absolute Meeresspiegeländerungen in Europa 1992-2014 nach Satellitendaten
Relative Meeresspiegeländerungen an ausgewählten europäischen Pegelstationen 1970-2014

Aktueller Meeressspiegelanstieg

Nach dem jüngsten Bericht des Weltklimarates ist der globale Meeresspiegel zwischen 1901 und 2015 um 19,5 cm angestiegen, d.h. um 1,7 mm/Jahr. Die Ursache ist zum größten Teil der anthropogene (vom Menschen verursachte) Klimawandel mit den Folgen einer Erwärmung des Meerwassers und eines Abschmelzens von Gletschern und der beiden [Eisschilde] auf Grönland und der Antarktis. Seit Beginn der Satellitenbeobachtungen im Jahr 1993 lag die Anstiegsrate bei ca. 3 mm/Jahr und hat sich somit gegenüber dem Mittelwert im 20. Jahrhundert nahezu verdoppelt.[1]

An den meisten europäischen Küsten weichen die absoluten Änderungen des Meeresspiegels, worunter man den durch Satelliten gemessenen Abstand des Meeresspiegels zum Erdmittelpunkt versteht (geocentric sea level), nur wenig von dem globalen Mittel ab. Satellitenbeobachtungen zwischen 1992 und 2014 zeigen jedoch in Ausnahmefällen auch deutliche Unterschiede nach oben wie nach unten, die sich vor allem im vom Ozean nahezu abgeschlossenen Mittelmeer finden. Verantwortlich dafür könnten Veränderungen des Salzgehalts, von Meeresströmungen oder Windverhältnissen sein.[2]

Wichtiger für die an den Küsten lebende Bevölkerung als die absoluten sind jedoch die relativen Meeresspiegeländerungen, die durch Pegelmessungen bestimmt werden und das Verhältnis des Meeresspiegels zum angrenzenden Land darstellen. Sie unterscheiden sich an den europäischen Küsten infolge von vertikalen Bewegungen der Erdkruste in manchen Regionen deutlich von den absoluten Veränderungen. Besonders auffällig sind die Unterschiede in der nördlichen Ostsee, wo der Meeresspiegel 1970-2014 teilweise um 4 mm/Jahr durch die Anhebung des Landes infolge der Eisentlastung am Ende der letzten Eiszeit gesunken ist. Ansonsten zeigen die Pegelmessungen jedoch fast überall einen Anstieg des Meeresspiegels um 1-3 mm/Jahr, der dem globalen Mittel ungefähr entspricht.[2]

Zukünftiger Meeressspiegelanstieg

Die durch einen Meeresspiegelanstieg am stärksten gefährdeten europäischen Küstengebiete befinden sich im östlichen England, an den Nordseeküsten der Niederlande, Belgiens, Deutschlands und Dänemarks sowie in der Poebene Italiens. Aber auch die südlichen Ostseeküstengebiete sind an zahlreichen Stellen bedroht.

Projektion des relativen Meeresspiegelanstiegs in Europa bis 2081-2100 im Vergleich zu 1986-2005 nach dem Szenario RCP4.5. Für das Schwarze Meer liegen keine Berechnungen vor.

Meeresspiegelanstieg bis 1 m

Aussagen über den zukünftigen Meeresspiegelanstieg, ob global oder in Europa, sind mit großen Unsicherheiten behaftet. Weder kennt man die künftigen Emissionen der Treibhausgase noch weiß man, wie vor allem die großen Eisschilde auf Grönland und der Antarktis auf ein wärmeres Klima bis zum Ende des 21. Jahrhunderts und darüber hinaus reagieren. Der globale Meeresspiegelanstieg der Zukunft wird durch Klimamodelle simuliert. Dabei unterscheidet man zwei Arten von Modellen, prozessbasierte und semi-empirische Modelle. Die prozessbasierten Modelle leiten den Meeresspiegelanstieg aus den Prozessen ab, die ihm zugrunde liegen, vor allem aus der Erwärmung des Meerwassers und dem Abschmelzen von Gletschern und Eisschilden. Die semi-empirischen Modelle, die in der Forschung eine geringere Rolle spielen, berechnen eine statistische Beziehung zwischen globaler Temperaturänderung und Meeresspiegelanstieg in der Vergangenheit und wenden die Ergebnisse auf die Zukunft an. Nach den Ergebnissen des Weltklimarates IPCC, die auf prozessbasierten Modellrechnungen beruhen, wird der globale Meeresspiegelanstieg bis 2100 unter 1 m bleiben. Nach neueren Studien berücksichtigen prozessbasierte Modelle das Schmelzen der Eisschilde jedoch nicht hinreichend, weshalb auch höhere Werte im Bereich des Möglichen liegen.[2]

An den europäischen Küsten wird sich der zukünftige Meeresspiegel wahrscheinlich ähnlich wie der globale Meeresspiegel verändern. Die wichtigste Ausnahme findet sich in der nördlichen Ostsee durch die weiter andauernde Landanhebung infolge der Eisentlastung seit dem Ende der letzten Eiszeit. Nach dem Szenario RCP8.5 wird es bis 2100 zu einer Absenkung des Meeresspiegels um 14 cm bei Luleå in Nordschweden und zu einem Anstieg von 84 cm bei Den Helders in den Niederlanden kommen. Der Meeresspiegel an der niederländischen Küste wird bei einem niedrigen Szenario um 25-75 cm, bei einem hohen Szenario um 50-100 cm ansteigen.[2] Nach Schätzungen sind in Europa bei einem Meeresspiegelanstieg um einen Meter 13 Millionen Menschen betroffen.[3]

Gefahr durch einen künftigen Meeresspiegelanstieg rund um die Nordsee

Meeresspiegelanstieg bis 2 m

Das Gebiet rund um die Nordsee wird seit Jahrhunderten von Sturmfluten heimgesucht. Bekannte Sturmflutkatastrophen fanden in den letzten Jahrzehnten in den Niederlanden 1953 und in der Deutschen Bucht 1962 statt. Die betroffenen Staaten reagierten auf solche Katastrophen durch verbesserten Küstenschutz, der in nächster Zeit für einen Meeresspiegelanstieg um 2 m verbessert werden soll. Wichtig für eine erfolgreiche Anpassung wird nicht nur die Höhe, sondern auch die Geschwindigkeit des künftigen Anstiegs sein. Dabei können nicht alle Küstengebiete durch Deicherhöhungen geschützt werden, was insbesondere für Düneninseln wie z.B. Sylt gilt. Im Fall der nordfriesischen Insel Sylt konnte allerdings gezeigt werden, dass bei einer erwarteten Erhöhung des Meeresspiegels um ca. 50 cm bis 2050 und einer Zunahme der Sturmintensität um 10% im selben Zeitraum mäßige Steigerungen der vorzuspülenden Sandmengen ausreichen, um die Folgen eines erhöhten Meeresspiegels sowie der Extremereignisse durch Sturmfluten auffangen zu können.[4] Der Fall Sylt ist beispielhaft für die europäischen Küstenzonen bei einem Meersspiegelanstieg von unter 1 m bis 2100, wie er von Klimamodellen allgemein projektiert wird: Die europäischen Staaten werden einem Anstieg in dieser Dimension begegnen können, ob durch Deicherhöhungen, Sandvorspülungen oder andere Küstenschutzmaßnahmen. In einigen Gebieten, wie etwa im Rhone-Delta, kann es aber auch schon bei einem mäßigen Meeresspiegelanstieg zur Aufgabe von küstennahen Landflächen kommen, weil sie als wenig schützenswert gelten.[5]

Meeresspiegelanstieg bis 5 m

Gefährdete Küsten bei einem Meeresspiegelanstieg von 1 m bzw. 5 m

Anders ist die Situation bei einem deutlich höheren Anstieg einzuschätzen. In der Klimaforschung werden verschiedene Extremszenarien diskutiert, deren Eintreten zwar sehr unwahrscheinlich ist, die aber mit erheblichen Folgen für natürliche Ökosysteme und die menschliche Gesellschaft verbunden wären. Solche Szenarien sind insbesondere der Zusammenbruch der Thermohalinen Zirkulation im Nordatlantik, die rapide Ausbreitung tropischer Krankheiten, eine starke Zunahme von Wetterextremen und eben ein Meeresspiegelanstieg um 5 m bis 2100 durch den Zerfall des Westantarktischen Eisschildes. Auch wenn das Eintreten eines solchen Ereignisses nach Expertenmeinung nur eine Wahrscheinlichkeit von 5% besitzt, macht es Sinn, dessen Folgen zu untersuchen, da es wegen der lückenhaften Kenntnisse über das Verhalten des Westantarktischen Eisschildes auch nicht ausgeschlossen werden kann.[6]

85% der Küstenzone (gerechnet bis 10 km landeinwärts) der Niederlande und Belgiens, etwa 50% der Küstengebiete Deutschlands, 30% der von Dänemark und 22% derjenigen Polens liegen unterhalb von 5 m über dem Meeresspiegel.[7] Im Einzelnen sind die Folgen eines 5m-Anstiegs für drei europäische Fallbeispiele, das Rheindelta, das Rhonedelta und die Ästuarmündung der Themse, untersucht worden. Das Rheindelta ist das ökonomische und soziale Zentrum der Niederlande und Heimat des größten europäischen Hafens, nämlich Rotterdams. In den Niederlanden ist die Absicherung vor Überflutungen ein über Jahrhunderte altes nationales Anliegen. Experten glauben daher, dass die niederländische Gesellschaft auch einem größeren Meeresspiegelanstieg durch höhere Deiche und andere Schutzmaßnahmen erfolgreich begegnen wird. Offen bleibt jedoch, ob soziale Entwicklungen in den nächsten Jahrzehnten - eine Schwächung des Staates durch wirtschaftliche Globalisierung, eine größere (globale) Mobilität der Eliten und eine stärkere Rolle von Immigranten - den Willen und die Fähigkeit zu einer derartigen nationalen Anstrengung unterminieren könnten.

Die Themse-Mündung ist weit weniger gefährdet als das Rhein-Delta, da sich um sie herum weniger tief liegende Gebiete befinden. Auf der anderen Seite liegt hier mit London eine der größten Städte der Welt, und Großbritannien besitzt weit weniger Erfahrung mit dem Küstenschutz als die Niederlande. Es wird daher durchaus die Möglichkeit gesehen, dass die englische Gesellschaft bei einem schnellen Meeresspiegelanstieg zu spät und zu unzureichend reagieren könnte und die betroffenen Gebiete eher aufgeben als verteidigen würde. Auch im Falle des Rhone-Deltas (Camargue) wird wahrscheinlich ähnlich reagiert. Zwar ist die Camargue seit 1859 eingedeicht, musste jedoch bei weitem nicht in dem Maße wie das Rhein-Delta vor Sturmfluten ständig geschützt werden. Zudem könnte der dünn besiedelte Landstrich als wenig schützenswert eingestuft und aufgegeben werden.

Einzelnachweise

  1. IPCC (2013): Climate Change 2013, Working Group I: The Science of Climate Change, 13.2
  2. 2,0 2,1 2,2 2,3 European Environment Agency (2016): Global and European sea level
  3. Brooks, N., Nicholls, R. und Hall, J. M. (2006): Sea Level Rise: Coastal Impacts and Responses. Externe Expertise für das WBGU-Sondergutachten "Die Zukunft der Meere - zu warm, zu hoch, zu sauer". Berlin:WBGU
  4. Daschkeit, A., H. Sterr (2005): Klimawandel und Küstenschutz: Hat Sylt eine Zukunft?- In: Glaeser, B. (Hrsg.): Küste, Ökologie und Mensch: Integriertes Küstenmanagement als Instrument nachhaltiger Entwicklung.- München, S. 267-291; auch Online
  5. Paskoff, R.P. (2004): Potential Implications of Sea-Level Rise for France, Journal of coastal Research 20, 424-434
  6. Vgl. Tol, R.S.J., M. Bohn, T.E. Downing, M.L. Guillerminet, E. Hizsnyik, R. Kasperson, K. Lonsdale, C. Mays, R. J. Nicholls, A.A. Olsthoorn, G. Pfeifle, M. Poumadere, F.L. Toth, A.T. Vafeidis, P.E. van der Werff, I.H. Yetkiner (2006): Adaptation to Five Metres of Sea Level Rise, Journal of Risk Research 9, 467-482
  7. Brooks, N., Nicholls, R. und Hall, J. M. (2006): Sea Level Rise: Coastal Impacts and Responses, Berlin

Weblinks


Klimadaten zum Thema

Nordsee Meeresspiegel A1B 2071 2100.jpg

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Schülerarbeiten zum Thema

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