Meeresspiegelanstieg in Nordamerika

Aus Klimawandel
Abb. 1: Änderungen des Meeresspiegels an den Küsten Nordamerikas über 30 Jahre in mm pro Jahr
Abb. 2: Meeresspiegeländerungen vor den US-Küsten 1993-2018 nach Satelliten- und Pegelmessungen (Kreise).

Regionaler Meeresspiegelanstieg an den Küsten Nordamerikas

Regionale Meeresspiegeländerungen unterscheiden sich nicht selten deutlich von Änderungen des globalen Meeresspiegels. An den Küsten Nordamerika ist das besonders der Fall. Abb. 1 zeigt die unterschiedlichen Meeresspiegeländerungen an verschiedenen Pegelstationen seit Beginn der Satellitenbeobachtung 1992. Auffällig ist der Gegensatz zwischen dem absinkenden Meeresspiegelniveau an den Küsten Kanadas und Alaskas und den starken Anstiegen am Golf von Mexiko. Einzelne Pegelstationen an der Südküste von Alaska zeigen ein regionales Absinken des Meeresspiegels um ca. 10 mm/Jahr und an der pazifischen Nordwestküste von Kanada sogar von 15 mm/Jahr und mehr. An der Golfküste der USA sind dagegen Anstiege zwischen 4 und über 9 mm/Jahr zu verzeichnen.[1]

An den Küsten des zusammenhängenden Staatsgebiets der USA (ohne Alaska) ist der Anstieg des Meeresspiegels an der Westküste relativ schwach und liegt unter dem globalen Anstieg von 3,1 mm/Jahr während der Satellitenära 1993-2015. An der Golf- und Atlantikküste liegt der Anstieg dagegen zumeist deutlich über dem globalen Mittel.[2] Hinzu kommen in bestimmten Regionen teilweise auch starke zeitliche Schwankungen. So betrug der Meeresspiegelanstieg der südlichen Atlantikküste zwischen Key West (Florida) und Cape Hatteras (North Carolina) zwischen 2010 und 2015 sogar 25,5 mm/Jahr. Als Folge kam es zu einer verheerenden Sturmflut in Miami im Oktober 2015. Nördlich von Cape Hatteras war in derselben Zeit dagegen ein allgemeines Absinken des Meeresspiegels um 11,6 mm/Jahr zu beobachten.[3]

Ursachen des regionalen Meeresspiegelanstiegs

Abb. 3: Beobachteter Meeresspiegelanstieg und beteiligte Prozesse 1967-2013 an der Nordostküste der USA. Isostasie: s. Text, übrige vertikale Landbewegung: primär durch Grundwasserentnahme; Eisschmelze: Umwandlung von Eis in Meerwasser durch Erwärmung; ozean. u. atmosph. Dynamik: Erwärmung des Meerwassers, Umverteilung von Wassermassen durch Gravitation, Meeresströmungen, Luftdruck und Winde.

An den relativen Änderungen des Meeresspiegels an den Küsten Nordamerikas wirken sehr unterschiedliche Prozesse mit. Im Hinblick auf ihre Folgen lassen sich diese Prozesse in drei Gruppen einteilen:

  1. Prozesse, die direkt das Niveau des Meeresspiegels beeinflussen:
    1. Erwärmung und Ausdehnung des Ozeanwassers durch den Klimawandel (sterischer Meeresspiegelanstieg),
    2. Abschmelzen von Festlandeis, wodurch die Masse des Ozeanwassers zunimmt (eustatischer Meeresspiegelanstieg),
    3. Eine veränderte Gravitation durch das Abschmelzen von Festlandeis, wodurch Wassermassen im Ozean verlagert werden.
  2. Prozesse, die vertikale Landbewegungen verursachen:
    1. Isostatische Ausgleichsbewegung (Isostasie) als Reaktion auf das Abschmelzen des Laurentischen Eisschildes im Norden Nordamerikas am Ende der letzten Eiszeit,
    2. Subsidenz durch Grundwasserentnahme sowie Öl- und Gasförderung.
  3. Dynamische Prozesse des Ozeans und der Atmosphäre:
    1. Veränderungen des Meeresspiegels durch ozeanische Strömungen,
    2. Veränderungen des Meeresspiegels durch atmosphärische Einflüsse wie Luftdruck und Winde.
Abb. 4: Vertikale Änderungen der Landoberfläche durch isostatische Ausgleichsbewegungen. Rot: Heraushebung, blau: Absenkung der Landoberfläche.

Die isostatische Ausgleichsbewegung als Reaktion auf das Abschmelzen von großen Eismassen am Ende der letzten Eiszeit ist an den nördlichen Küsten Nordamerikas auch heute noch die wichtigste Ursache für die die vertikale Landbewegung. Die Entlastung der Erdkruste bewirkt dabei eine Anhebung der ehemals mit Eis bedeckten Gebiete wie der Hudson-Bay, Alaskas und im Nordwesten Kanadas und auf diese Weise ein Absinken des regionalen Meeresspiegels (Abb. 1). So sinkt in der Hudson-Bay der Meeresspiegel um bis zu 5 mm/Jahr. Weiter südlich wie an der nordöstlichen Atlantikküste der USA kommt es durch den Rückfluss des viskosen Erdmantels und den Rückgang der Aufwölbung der Erdkruste vor dem einstigen Eisschild dagegen zu einer Absenkung der Landoberfläche, was mit einem relativen Anstieg des Meeresspiegels verbunden ist (Abb. 4). Wie Abb. 3 zeigt, ist die Isostasie die wichtigste einzelne Ursache des Meeresspiegelanstiegs an der Nordostküste der USA und hat hier 1967-2013 einen relativen Anstieg von über 75 mm bewirkt.[4] Aktuelle Ursachen von vertikalen Landbewegungen sind z.B. Grundwasserentnahmen sowie die Öl- und Gasförderung und haben zur Folge, dass der Meeresspiegel an einigen Pegelstationen der Golfküste der USA am stärksten in ganz Nordamerika steigt (Abb. 1).

Auch das aktuelle Abschmelzen von Eis auf dem Land besitzt Folgen für die Küsten Nordamerikas. Zum einen ändert sich dadurch die Gravitation, die die Eismassen auf das Wasser der Ozeane ausüben. So bewirkt der Massenverlust des Grönländischen Eisschildes unmittelbar, dass durch die nachlassende Gravitation sich die Wassermassen des Ozeans neu verteilen. Allgemein führt der Eisverlust auf dem Land zu einem Absinken des Meeresspiegels in der Nähe des Eisverlusts, zu einem geringen Anstieg in mittlerer und zu einem höheren Anstieg in größerer Entfernung. Das Absinken des Meeresspiegels wirkt sich auch noch vor der relativ nahe gelegenen nordamerikanischen Nordostküste geringfügig aus. Das Abschmelzen des Antarktischen Eisschildes hat jedoch durch denselben Prozess wegen der größeren Entfernung einen Anstieg des Meeresspiegels vor der Atlantikküste der USA zur Folge, der die von Grönland ausgehende Wirkung deutlich übertrifft.[5] Ähnlich wirken sich die Gletscher Alaskas auf die pazifische Küste der USA aus.[2] Die zweite Folge der Eisschmelze ist der eustatische Meeresspiegelanstieg durch die Umwandlung von Eis in Wasser infolge der globalen Erwärmung. Sie macht sich gegenwärtig vor allem durch das Schmelzen von großen Gebirgsgletschern etwa in Alaska bemerkbar, wird aber in den kommenden Jahrzehnten besonders durch die großen Eisschilde bestimmt werden.[2]

Abb. 5: Sterische Meeresspiegeländerungen vor den US-Küsten 1993-2018

Durch den Klimawandel kommt es auch zu einer allgemeinen Erwärmung des Meerwassers und damit zu dessen Ausdehnung und einem Anstieg des Meeresspiegels (Abb. 5). An der Ostküste der USA wird dieser sterische Anstieg auf 2 mm/Jahr geschätzt.[2] Die Temperaturverteilung des Meerwassers unterliegt jedoch ständig den Einflüssen der ozeanischen und atmosphärischen Dynamik, die sie regional verstärken oder abschwächen können. So wird der relativ geringe Meeresspiegelanstieg an der pazifischen Küste der USA durch die Pazifische Dekaden Oszillation (PDO) erklärt, einer langfristigen Schwankung der Meeresoberflächentemperaturen im Nordpazifik, die sich seit der Jahrhundertwende in einer Abkühlungsphase befindet und für relativ kühles Wasser an der Westküste der USA sorgt (Abb. 5).[2]

Umgekehrt waren für den relativ starken Anstieg des Meeresspiegels an der südlichen Atlantikküste der USA zwischen 2010 und 2015 Temperaturschwankungen des Floridastroms zwischen Kuba und Florida ein entscheidender Faktor. Der Meeresstrom transportiert als Teil des Golfstromsystems warmes Wasser vom Golf von Mexiko in den Atlantik. In den 2010er Jahren ging der Floridastrom von einer kühlen in eine warme Phase über, wodurch sich der Meeresspiegel in der Floridastraße um 12,5 cm und vor Miami um 10 cm erhöhte. Als Hintergrund der höheren Temperaturen des Floridastroms wird eine Erwärmung des tropischen Nordatlantiks angenommen, die wiederum durch Fernwirkung des sich langsam aufbauenden pazifischen El Ninos 2015 beeinflusst sein soll. Zur selben Zeit war an der nördlichen Atlantikküste (nördlich von Cape Hatteras) ein leichtes Absinken des Meeresspiegels zu beobachten. Als Gründe werden einerseits ein höherer Luftdruck und ablandige Winde, andererseits ein Transport von relativ kühlem Wasser aus der Labrador See angenommen.[3]

Abb.6: Relative Meeresspiegeländerungen vor den US-Küsten und extreme Tidehochwasser
Abb.7: Sturmfluthöhe während des Hurrikans Sandy im Oktober 2012 vor New York

Extremer Meeresspiegelanstieg

Eines der sichtbarsten Zeichen des Meeresspiegelanstiegs an den Küsten der USA ist die zunehmende Häufigkeit von Extremhochwassern durch Tidehochwasser und Sturmfluten. Bei einem extremen Hochwasser liegt der Meeresspiegel mindestens 0,5 m über dem mittleren Tidehochwasser. Gegenüber dem Beginn der 2000er Jahren hat sich die Anzahl der Tage mit Extremhochwasser pro Jahr und über ca. 100 Pegelstationen gemittelt bis 2020 von 2 auf 4 verdoppelt (Abb. 6). Besonders starke Zunahmen mit bis zu 10 Extremhochwassertagen und mehr verzeichnen einige Stationen an der Golf- und der südlichen Atlantikküste, woran auch eine starke Hurrikan-Saison beteiligt war. Am stärksten betroffen waren 2020 im Mittel die westliche (17 Tage) und die östliche Golfküste (9 Tage), aber auch noch die südöstliche Atlantikküste mit 8 Tagen, während an der südwestlichen Pazifikküste kein Extremhochwasser beobachtet wurde.[6] Auch längerfristige Trends der jüngsten Vergangenheit (2000-2015) zeigen, dass die Golf- und die Atlantikküste der USA die stärksten Steigerungsraten bei der Anzahl der Hochwasserextreme zeigen, während an der Pazifikküste die Tage mit Extremhochwasser nur langsam zunehmen.[7]

Wie hoch eine Sturmflut aufläuft, hängt auch von den aktuellen Wetterlagen und lokalen Gegebenheiten ab. So waren die verheerendsten vier bekannten Überschwemmungen (1788, 1821, 1960 und 2012) in New York alle mit einem tropischen Wirbelsturm verbunden. Den höchsten Wasserstand im New Yorker Hafen in den letzten 300 Jahren verursachte mit 3,40 m über dem mittleren Meeresspiegel der Hurrikan Sandy im Jahr 2012.[8] Hohe Wasserstände in der US-Metropole sind auch durch lokale Küstenformen bedingt, die das Hochwasser im Raum New York zusätzlich verstärken. Die Küsten von Long Island und New Jersey bilden einen nach Osten offenen rechten Winkel (Abb. 7). Dadurch kommt es bei einem sich von Osten nähernden Hurrikan zu Staueffekten, und Sturmfluten laufen Richtung New York City deutlich höher auf.[9] Hurrikan Sandy forderte allein in NYC nicht nur 43 Todesopfer, sondern verursachte auch einen Sachschaden von 19 Mrd. US-Dollar.[10]

Projektionen

Abb.8: Meeresspiegelanstieg an den Küsten Nordamerikas bis 2050 im Vergleich zu 2000 nach einem mittleren bis hohen Szenario.

Der globale Meeresspiegel wird zwischen 2000 und 2050 bei einem mittleren Szenario um 24 cm ansteigen. Der Anstieg des gemittelten Meeresspiegels an den Küsten der zusammenhängenden USA (ohne Alaska und Hawaii) wird bei einem mittleren Szenario bei 38 cm liegen. Bei einem hohen Szenario wird global mit einem Anstieg um 43 cm, in den USA um 52 cm gerechnet. Bis 2100 ist in den Vereinigten Staten mit einem mittleren Meeresspiegelanstieg je nach Szenario von 0,6-2,2 m zu rechnen, bis 2150 mit 0,8-3,9 m. Dabei wird es große Unterschiede zwischen den einzelnen Regionen geben. An der atlantischen Ostküste wird der Meeresspiegel im Vergleich zu 2000 um bis zu 5 cm, an der Golfküste um 10-15 cm stärker ansteigen als im Mittel aller US-Küsten. Der Anstieg an der pazifischen Westküste wird dagegen um 10-15 cm niedriger ausfallen als im Mittel.

Die Ursachen für die regionalen Unterschiede unterscheiden sich nicht stark von den Ursachen für den bisherigen Meeresspiegelanstieg. Die hohen Werte an der Golfküste sind hauptsächlich durch Subsidenz infolge von Grundwasserentnahme und Öl- und Gasförderung bedingt. Bei der Atlantikküste wird weiterhin die isostatische Ausgleichsbewegung eine wichtige Rolle spielen. Und die geringen Anstiegsraten an der Pazifikküste beruhen weitgehend auf der vergleichsweise geringen Erwärmung des Meerwassers.[11]

Einzelnachweise

  1. s. die interaktive Karte von National Oceanic and Atmospheric Administration, NOAA Tides&Currents (o.J.): Sea Level Trends
  2. 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 Harvey, T.C., Hamlington, B.D., Frederikse, T. et al. (2021): Ocean mass, sterodynamic effects, and vertical land motion largely explain US coast relative sea level rise. Commun Earth Environ 2, 233
  3. 3,0 3,1 Domingues, R., Goni, G., Baringer, M., & Volkov, D. (2018): What caused the accelerated sea level changes along the U.S. East Coast during 2010–2015? Geophysical Research Letters, 45, 13,367–13,376. https://doi.org/10.1029/ 2018GL081183
  4. Frederikse, T., K. Simon, C. A. Katsman, and R. Riva (2017), The sea-level budget along the Northwest Atlantic coast: GIA, mass changes, and large-scale ocean dynamics, J. Geophys. Res. Oceans, 122, 5486–5501, doi:10.1002/2017JC012699.
  5. Slangen, A.B.A., M. Carson, C.A. Katsman et al. (2014): Projecting twenty-first century regional sea level changes. Clim. Change. 124, pages 317–332
  6. National Oceanic and Atmospheric Administration, NOAA (2021): 2021 State of High Tide Flooding and Annual Outlook
  7. Sweet, W.V., G. Dusek., J. Obeysekera, J. Marra (2018): Patterns and Projections of High Tide Flooding Along the U.S. Coastline Using a Common Impact Threshold
  8. Orton, P., N. Lin, V. Gornitz, B. Colle, J. Booth, K. Feng, M. Buchanan, M. Oppenheimer, and L. Patrick (2019): New York City Panel on Climate Change 2019 Report Chapter 4: Coastal Flooding. Ann. New York Acad. Sci., 1439, 95-114, doi:10.1111/nyas.14011.
  9. Brandon, C.M., J.D. Woodruff, J.P. Donnelly, and R.M. Sullivan (2014): How Unique was Hurricane Sandy? Sedimentary Reconstructions of Extreme Flooding from New York Harbor, Scientific Reports 4
  10. Depietri, Y., K. Dahal, and T. Mcphearson (2018): Multi-hazard risks in New York City, Nat. Hazards Earth Syst. Sci., 18, 3363-3381
  11. Sweet, W.V., B.D. Hamlington, R.E. Kopp et al. (2022): Global and Regional Sea Level Rise Scenarios for the United States: Up¬dated Mean Projections and Extreme Water Level Probabilities Along U.S. Coastlines, NOAA Technical Report

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