Molière
Molière (eigentlich Jean-Baptiste Poquelin; * vermutlich am 14. Januar 1622 in Paris; getauft am 15. Januar; † 17. Februar 1673 in Paris) war ein französischer Schauspieler, Theaterdirektor und Dramatiker.
Er gilt den Franzosen als einer ihrer großen Klassiker und vielen als ihr größter Autor überhaupt. Seine bahnbrechende Leistung bestand darin, die Komödie zu einer der Tragödie potenziell gleichwertigen Gattung zu machen und das Theater zumindest für einige Jahre zum Diskussionsforum auch für gesellschaftliche Probleme zu erheben.
Biographie
Jugend und Wanderjahre
Molière (wie er sich vermutlich bereits ab 1643, spätestens jedoch ab Juni 1644 nannte) wurde als ältester Sohn eines wohlhabenden Pariser Händlers für Heimtextilien (tapissier), der 1631 das Amt eines Tapissier du Roi kaufte, d. h. eines königlichen Raumausstatters und Dekorateurs, geboren. Mit 10 Jahren verlor er seine Mutter, mit knapp 15 auch seine Stiefmutter, beide im Kindbett. Seine Schulzeit absolvierte er auf dem von Jesuiten geführten Pariser Collège de Clermont, wo er eine solide klassische Bildung erhielt und einige später für ihn interessante Mitschüler hatte. Von seinem Großvater mütterlicherseits, einem Theaternarren, wurde er häufig zu Aufführungen mitgenommen und gewann so erste Einblicke in eine Welt, die ihn offenbar schon früh faszinierte.
Mit knapp 16 legte er den Amtseid als künftiger Nachfolger seines Vaters ab und studierte wenig später Jura in Orléans. Zurück in Paris, erhielt er die Zulassung als Anwalt. Ob er den Beruf je ausgeübt hat, ist nicht bekannt. Um dieselbe Zeit fand er Zugang zum Diskussionskreis um den Naturforscher und Philosophen Pierre Gassendi, was ihm eine gewisse Distanz zu den Dogmen der Kirche vermittelte. Offenbar verfasste er damals eine Übersetzung von De Rerum Natura des römischen Philosophen Lukrez, die aber verlorengegangen ist.
1642, mit 21, lernte er die zwei Jahre ältere Schauspielerin Madeleine Béjart kennen, die ihn in seinem Drang zum ===Theater bestärkte – zweifellos gegen den Willen seines Vaters, von dem er beauftragt wurde, in Ausübung seines Tapissier-Amtes Ludwig XIII. auf einer längeren Reise als Einrichter der wechselnden königlichen Nachtquartiere zu begleiten.
1643 übertrug Molière das ungeliebte Amt auf seinen jüngeren Bruder, ließ sich einen Vorschuss auf das Erbe seiner Mutter auszahlen und gründete zusammen mit den drei Geschwistern Béjart und fünf weiteren Komödianten eine Theatertruppe: L'Illustre Théâtre. Diese ging schon 1645 pleite, wobei Molière, wie er sich inzwischen – eventuell nach einem südfranzösischen Dorf dieses Namens – nannte, vorübergehend in Schuldhaft genommen wurde. Danach schlossen er und die Béjarts sich der Wandertruppe des Schauspielers Charles Dufresne an, die vom Duc d'Épernon protegiert wurde und hauptsächlich in West- und Südfrankreich umherzog.
Relativ schnell arbeitete er sich in der Truppe zum Direktor hoch und gewann 1653 für einige Jahre den Gouverneur der Provinz Languedoc, den ihm aus der Schulzeit bekannten Prince (Fürst) de Conti, als Sponsor. Spezialität der Truppe waren, neben dem gängigen Tragödien-Repertoire, komische Farcen und lustige Stücke im Stil der italienischen Commedia dell'arte. Spätestens 1655 begann Molière, mit der in Versen verfassten Komödie L'Étourdi ou Les Contretemps (Der Tolpatsch oder die Querstreiche), auch eigene Werke ins Programm aufzunehmen.
Rückkehr nach Paris und erste Erfolge
1658, nach 13 Wanderjahren, in denen er Menschen aus allen Schichten begegnet war und von Grund auf sein Handwerk als Schauspieler, Theaterdirektor und schließlich auch Autor gelernt hatte, gastierte er in Rouen und bekam Kontakt zu Herzog Philipp I. d'Orléans, dem jüngeren Bruder von Ludwig XIV. Er wurde von ihm nach Paris eingeladen und spielte vor dem Hof, zuerst mit mäßigem Erfolg die Tragödie Nicomède von Pierre Corneille, dann die eigene Farce Le medecin amoureux (Der verliebte Arzt). Diese gefiel dem jungen, gerade erst 20-jährigen König so sehr, dass er der Truppe erlaubte, im Saal des an den Louvre grenzenden, zum Abriss bestimmten Petit-Bourbon zu spielen. Die Sonntage, Dienstage und Freitage gehörten allerdings schon einer italienischen Truppe um den berühmten Komödianten Scaramouche.
Den Durchbruch erzielte Molière im November 1659 mit seiner in Prosa verfassten KomödieLes précieuses ridicules (Die lächerlichen feinen Damen). In Gestalt der beiden Heldinnen, zweier vornehm und gebildet tuender Bürgermädchen, verspottete er die gekünstelte Sprechweise und die wirklichkeitsfremden Denkweisen der Preziösen (einer Art frühzeitiger Emanzenbewegung). Der Erfolg des Stücks verschaffte ihm erste Neider, das Thema erste Feinde, darunter den Verwaltungschef der königlichen Schlösser, der pünktlich zu Beginn der Spielzeit 1660/61 den Abriss des Petit-Bourbon verfügte. Molière blieb drei Monate ohne Spielstätte, bis er vom König den Saal des Palais-Royal zugewiesen bekam.
Der nächste große Erfolg war Ende 1662 L'École des femmes (Die Schule der Frauen), eine Verskomödie, in der Molière (der soeben die 19-jährige Armande Béjart, eine Schwester oder eher Tochter Madeleines, geheiratet hatte) für eine gemäßigte Emanzipation der jungen Frauen und ihr Recht auf eine Liebesheirat wirbt. Die heftige Kontroverse, die er hiermit auslöste, heizte er 1663 weiter an mit den Prosastücken La Critique de l'École des femmes (Kritik der Schule der Frauen) und L'Impromptu de Versailles (Das Stegreifspiel von Versailles). Dem König scheint dies gefallen zu haben, denn er setzte Molière eine Pension von 1000 Livres jährlich aus und wurde im Januar 1664 sogar Taufpate seines ersten Kindes (das allerdings bald danach starb).
Die schwierigen Jahre 1664–1669
Im Mai 1664 – inzwischen war er zum Vergnügungsdirektor Ludwigs XIV. avanciert – organisierte Molière ein siebentägiges Hoffest im neuangelegten Park von Versailles. Dort spielte er zunächst, mit Balletteinlagen, die sein jüngerer Freund Lully komponiert und choreographiert hatte, die unverfänglichen (eigenen) Komödien La Princesse d'Élide (Die Fürstin von Elis), Le Mariage forcé (Die Zwangsheirat) und Les fâcheux (Die Lästigen). Am sechsten Tag führte er eine neue Verskomödie auf, die zum Politikum wurde: Le Tartuffe. Schon im Vorfeld der Aufführung hatten etliche fromme Leute am Hof gegen dieses Stück um einen scheinbar strenggläubigen, in Wahrheit aber herrschsüchtigen, raffgierigen und lüsternen Schwindler gewettert. Nach der Aufführung brach Empörung beim gesamten „alten Hof“ aus, einer Gruppierung meist älterer Höflinge, die sich um die fromme Königinmutter Anna von Österreich scharten und der Zeit vor 1661 nachtrauerten, wo man unter ihr und ihrem Minister Kardinal Mazarin die Macht gehabt hatte. Der König, dem Molières Attacke auf die Frömmler und damit durchaus auch auf den ihm lästigen „alten Hof“ zunächst sehr recht gewesen war, hielt es nun, unter dem Druck dieser Leute für geraten, das Stück zu verbieten.
Die nächsten Jahre Molières waren bestimmt von seinem Kampf für den Tartuffe, d. h. gegen die Intrigen der Cabale des dévots („Klüngel der Frommen“), die z. T. in einem bigotten Geheimbund organisiert waren, der Compagnie du Saint-Sacrement, der z. B. auch sein ehemaliger Gönner angehörte, der nach einer Syphilisinfektion fromm gewordene Prince de Conti. Immerhin sah sich Molière vom König insofern unterstützt, als er im Sommer 1665 seine Jahrespension von 1000 auf 6000 Pfund erhöht bekam und mit seiner Truppe den Titel troupe du roi annehmen durfte, beides übrigens kurz nach der Geburt seiner Tochter Esprit-Madeleine, die als einziges Kind überleben sollte.
Im Sommer 1667 nahm Molière eine überarbeitete und in L'Imposteur (Der Schwindler) umbetitelte Version des Tartuffe in sein Programm auf, wobei er den Protagonisten in „Panulphe“ umbenannte und nicht mehr priesterähnlich, sondern als Adeligen kostümierte. Doch der Präsident des Pariser Obersten Gerichtshofs (der für den auf einem Feldzug in Flandern befindlichen König die Polizeigewalt ausübte) reagierte sofort mit einem Verbot, der Erzbischof von Paris drohte Molière sogar mit Exkommunikation. Als dieser zwei Schauspieler mit einer Bittschrift zum König schickte, signalisierte der zwar Wohlwollen, tat aber nichts. Immerhin duldete er, dass sein Bruder Philippe und danach der Prince de Condé (der ältere Bruder Contis) 1668 das Stück privat aufführen ließen.
Erst am 5. Februar 1669, als der „alte Hof“ nach Annas Tod 1666 endgültig entmachtet war und Ludwig nach innen- und außenpolitischen Erfolgen fest im Sattel saß und keine Rücksicht mehr auf die frommen Gegner Molières nehmen musste, konnte dieser das nochmals überarbeitete, von 3 auf 5 Akte verlängerte und nun als Tartuffe, ou l'Imposteur betitelte Stück frei aufführen – mit triumphalem Erfolg.
In der Zwischenzeit hatte er übrigens das Thema der Heuchelei weiterverfolgt: Ende 1664, also bald nach dem ersten Verbot des Tartuffe, hatte er Dom Juan verfasst, ein Prosastück über einen hochadligen Heiratsschwindler, Betrüger und Libertin (Freigeist), der, um sich den Nachstellungen empörter Geschädigter zu entziehen, eine Bekehrung zu christlicher Moral und Frömmigkeit vortäuscht, aber schließlich zur Hölle fährt. (Auch dieses Stück wurde nach wenigen Aufführungen verboten, vermutlich wegen der nicht eindeutig negativen Darstellung von Dom Juans Freidenkertum.)
Im Juni 1666 hatte Molière die Verskomödie Le Misanthrope (Der Menschenfeind) herausgebracht, eine Satire auf die geheuchelte Nettigkeit und unehrliche Schmeichelei am Hof sowie in den Pariser Salons. Die ungewöhnlich stark autobiographisch geprägte Figur des Misanthropen Alceste spiegelt sichtlich Molières eigenes Unvermögen und seine Unlust, sich auf dem glatten Parkett der Hofgesellschaft opportunistisch und angepasst zu verhalten. In der enttäuschten Liebe Alcestes zu der koketten jungen Célimène spiegelt sich die Enttäuschung Molières durch seine 21 jüngere Frau Armande, die sich gerade (vorübergehend) von ihm getrennt hatte.
Die letzten Jahre
1668, nach dem Verbot auch der zweiten Tartuffe-Version, hatte Molière in der Verskomödie Amphitryon erstmals leise Kritik an seinem hochmögenden, aber wenig zuverlässigen Gönner Ludwig geübt, der verschlüsselt in der Rolle Jupiters alias Amphitryons ganz ungeniert seinem sexuellen Lustgewinn nachgeht. In Georges Dandin (Prosa, ebenfalls 1668) hatte er bitter die Arroganz gebrandmarkt, mit der Adlige, selbst wenn sie verarmt waren, die gesellschaftlich nützliche Bourgeoisie glaubten verachten und ausbeuten zu dürfen.
Insgesamt aber hatte er sich nach 1667 mehr und mehr auf unverfängliche Themen zu verlegen begonnen und versuchte, durch gefällige Stücke, insbesondere sog. Ballettkomödien mit Musik von Lully, sein Theater zu füllen und den König bei Laune zu halten. Neben etlichen anderen, heute vergessenen Stücken schrieb Molière in diesen Jahren: Iffland als Fegesack und Franz Labes als Pfeil in Molières „Der Geizige“, I. Akt, 3. Auftritt, Lithographie von Friedrich Weise nach einer Berliner Aufführung um 1810 Iffland als Fegesack und Franz Labes als Pfeil in Molières „Der Geizige“, I. Akt, 3. Auftritt, Lithographie von Friedrich Weise nach einer Berliner Aufführung um 1810
1668 L'Avare (Der Geizige), eine Prosakomödie, in der er den Typ des reich gewordenen, aber engstirnig und geizig gebliebenen Bürgers karikiert, der seine lebensfroheren und konsumfreudigeren Kinder fast erstickt.
1669 Monsieur de Pourceaugnac, eine Prosakomödie, in der er einen dümmlichen Provinzler die quasi schon eingekaufte Braut an einen klügeren Rivalen verlieren lässt.
1670 Le Bourgeois gentilhomme (Der Bürger als Edelmann), eine Prosakomödie mit Gesang- und Balletteinlagen, in der Molière die naive Sucht der Bourgeoisie nach Adelstiteln verspottet. (Musik von Lully)
1671 Les fourberies de Scapin (Scapins Schelmenstreiche), eine Prosakomödie, worin er in einer turbulenten Handlung um den pfiffigen Diener Scapin alle Mittel der Situationskomik anwendet, die der Gattung Farce zur Verfügung stehen.
1672 Les femmes savantes (Die gelehrten Frauen), eine Verskomödie, in der er das gewissermaßen falsche Bewusstsein dreier eingebildeter und pseudoemanzipierter Bürgerinnen karikiert.
1673 Le Malade imaginaire (ins Deutsche fälschlicherweise als Der eingebildete Kranke statt „Der eingebildet Kranke“ übersetzt), eine Prosakomödie über ein altes Thema, das Molière auch selbst schon bearbeitet hatte: die naive Medizingläubigkeit reicher Kranker und vor allem die Unfähigkeit der keine Selbstzweifel kennenden Ärzte – eine Unfähigkeit, die der Autor, der selbst häufig krank war, nur zu gut kannte.
Insgesamt verdüsterte sich in diesen Jahren rasch sein Horizont: Der ständige berufliche Stress sowie das lange Hin und Her um den Tartuffe hatten seine Gesundheit zerstört. Häufige Eheschwierigkeiten setzten ihm zu. 1671 kam es bei der Einstudierung der Ballett-Tragödie (!) Psyché zum Bruch mit Partner Lully. Anfang 1672 erkrankte und verstarb seine langjährige Weggefährtin Madeleine Béjart. Ende desselben Jahres starb ein drittes Kind bald nach der Geburt, und er musste erleben, wie Lully zum Rivalen wurde, den der König vorzuziehen begann.
Le Malade imaginaire sollte in bitterer Ironie das letzte Stück Molières bleiben und die Hauptrolle des eingebildet Kranken seine letzte Rolle. Bei der vierten Aufführung am 17. Februar 1673 brach er zusammen und starb noch im Theater. Nur mühsam gelang es seiner Frau Armande, den Widerstand des Gemeindepfarrers zu brechen und über den König beim Erzbischof von Paris zu erreichen, dass eine halbwegs ehrbare Bestattung genehmigt wurde.
Die Truppe Molières blieb unter Armandes Leitung zunächst bestehen, schloss sich aber, als Rivale Lully den Saal des Palais-Royal zugesprochen bekam, der Truppe des Théâtre du Marais an. 1680 verschmolz diese auf Anweisung von Ludwig XIV. mit der Truppe des Hôtel de Bourgogne: Die noch heute bestehende Comédie-Française war geboren.
Werk
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