Unsere kleine Stadt

Aus Weltliteratur

Unsere Kleine Stadt ist ein episches Theaterstück von Thornton Wilder in drei Akten. 1938 wurde es in den Vereinigten Staaten unter dem Originaltitel Our Town uraufgeführt, die deutsche Erstaufführung konnte erst im August 1945, nach Kriegsende, stattfinden. Das Stück wurde nach der Uraufführung mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet und 1940 verfilmt.


Inhalt

Aufbau und Handlung

Grover’s Corners, eine Kleinstadt in New Hampshire zur Zeit der Jahrhundertwende, wird als heile Welt präsentiert. Jeder kennt jeden, die Kinder sind wohlerzogen, jeden Morgen kommt der Milchmann mit seinem Esel die Straße hinauf. Der größte Skandal ist der ständig betrunkene Kirchenorganist. Jeder der drei Akte spielt zu einer anderen Zeit, und mit jedem Akt sieht der Zuschauer subtile, teilweise augenzwinkernd eingebrachte Veränderungen im Kleinstadtleben. Mit jeder Geburt wächst die Stadt dazu, langsam hält das Automobil Einzug, der elektrische Brutapparat wird erfunden.

Der erste Akt (1901) steht unter dem Motto „Das tägliche Leben“. Es deutet sich eine Romanze zwischen den Nachbarskindern George Gibbs und Emily Webb an. Außerdem wird eine Vielzahl anderer Charaktere eingeführt, so die Eltern und Geschwister der beiden Freunde, Personen des öffentlichen Lebens, wie Pfarrer und Polizist. Eine genaue Inhaltsangabe fällt schwer, da die Handlung im ersten Akt fast gänzlich aus Belanglosigkeiten wie dem täglichen Frühstück, Haushaltsarbeiten oder Schularbeiten, eben dem „täglichen Leben“ besteht.

Im zweiten Akt sind drei Jahre vergangen und Emily und George sind im Begriff, zu heiraten. In einer Rückblende wird dargestellt, wie das Paar auf dem Nachhauseweg in einer Eisbar zueinander gefunden hat. Den Abschluss macht die große Hochzeitsszene. Das Motto dieses Aktes lautet „Liebe und Heirat“.

Der letzte Akt spielt 1913, auf einem Friedhof in Grover’s Corners. Emily ist bei der Geburt ihres zweiten Kindes gestorben und landet nun im Reich der Toten. Sie erhält die Möglichkeit, aus dem Jenseits auf die Lebenden herabzuschauen und will unbedingt ins Leben zurückkehren. Tatsächlich kann sie auch, wie ihr ihre ebenfalls tote Schwiegermutter Mrs. Gibbs erklärt, an einen beliebigen Tag in ihrem Leben zurückgehen und ihn noch einmal, nun aus der Distanz, miterleben. Emily tut dies und reist zurück zu ihrem 12. Geburtstag. Doch hier erkennt sie erstmals, wie nichtig die Dinge sind, mit denen sich die Lebenden befassen. In einer der letzten Szenen versucht Emily regelrecht, ihre Mutter aus ihrem Alltagstrott zu reißen, sie aufzurütteln. Dies bleibt jedoch wirkungslos. Resigniert kehrt Emily ins Totenreich zurück und findet sich mit ihrem Tod ab.


Charaktere

Im Vergleich zu anderen Theaterstücken wartet Unsere Kleine Stadt mit einer Vielzahl verschiedener Charaktere auf.

Der Spielleiter ist die übergeordnete Instanz des Stückes. Er steht außerhalb der Handlung, kennt Ablauf und Ausgang und wendet sich oftmals direkt an das Publikum. Er führt durch den wegen der zahlreichen Rückblenden und Verfremdungseffekte teilweise verwirrenden Ablauf, führt Charaktere ein, kommentiert Szenen und schlüpft manchmal auch in einzelne (Neben-)Rollen, so im zweiten Akt die des Drugstore-Verkäufers Mr. Morgan.

Dr. Frank Gibbs ist der Arzt in Grover’s Corners und Vater von George und Rebekka Gibbs. Er ist in der Stadt sehr geschätzt, nicht nur als Mediziner und Familienvater, sondern auch als historische Kapazität. In der Familie ist er streng, aber gerecht. Das Verhältnis zu seiner Frau ist ambivalent, einerseits scheinen die Rollen klar und ungleich-patriarchalisch verteilt zu sein, andererseits wird auch in vielen Szenen klar, dass Dr. Gibbs seine Frau über alles liebt.

Mrs. Julia Gibbs ist die Frau von Dr. Gibbs und die Mutter von George und Rebekka Gibbs. Sie wird als eher einfältige Frau gezeichnet, die sich seit Jahrzehnten um den Gibbs-Haushalt kümmert, ohne sich zu beschweren. Ihr größter Wunsch ist es, einmal die Stadt Paris zu sehen. Dieser geht jedoch nicht in Erfüllung. Mrs. Gibbs stirbt an Lungenentzündung (was nur vom zeitlos-allwissenden Spielleiter berichtet wird), als sie ihre inzwischen verheiratete Tochter Rebekka besucht. Mrs. Gibbs ist eine tragende Rolle im Stück. Man sieht sie in den charakteristischen Szenen an den Frühstückstischen zu Beginn der ersten beiden Akte. Vor der Hochzeit redet sie ihrem Sohn George ins Gewissen, der einen Rückzieher zu machen droht. Schließlich fungiert sie im dritten Akt neben dem Spielleiter als Orientierung für die im Jenseits „neue“ Emily und warnt sie vor dem, was sie bei einer Rückkehr ins Reich der Lebenden erwartet.

George Gibbs ist Mitschüler und späterer Ehemann von Emily Webb. Er ist ein guter Baseballspieler, was ihn in Emilys Augen etwas eingebildet macht. Sein Traum ist, einmal die Farm seines Onkels zu übernehmen, was ihm nach der Hochzeit mit Emily auch gelingt.

Rebekka Gibbs ist Georges Schwester. Sie übernimmt im Stück eine Nebenrolle, daher erfährt der Zuschauer nur wenig über sie. Im Vergleich mit George ist sie bescheiden, sparsam und naiv. Dies zeigt sich vor allem in einem Gespräch mit ihrem Bruder, in dem sie sie ihm sagt, sie stelle sich vor, „dass der Mond näher und näher kommt, und dann gibt es eine riesige Explosion“. Wie man vom Spielleiter erfährt, heiratet sie nach der Schule einen Versicherungsbeamten in Ohio und zieht zu ihm.

Mr. Webb ist Redakteur einer Lokalzeitung namens „Die Schildwache“ und Vater von Emily und Willy Webb. Im ersten Akt gibt er Einblick in die politisch-soziale Situation in Grover’s Corners. Analog zu Mrs. Gibbs und George macht er Emily an ihrem Hochzeitstag Mut, die plötzlich Panik bekommt. Doch er spricht auch mit George und gibt ihm für seine Ehe den Ratschlag, niemals von anderen Ratschläge anzunehmen.

Mrs. Webb zeichnet sich wie ihre Nachbarin Mrs. Gibbs durch ein konservatives Rollenverständnis aus und lebt ganz für ihren Haushalt. (Zitat: „Was mich anbelangt, so habe ich lieber gesunde Kinder als gescheite.“)

Emily Webb ist eine der, wenn nicht die Hauptperson des Stückes, da ihr Lebensweg durchgehend skizziert wird. Spätestens im dritten Akt fokussiert sich die Handlung auf sie. Emily ist ein sehr intelligentes Mädchen, das in der Schule erfolgreich, bei Mitschülern wie Lehrern beliebt ist. Insbesondere zu ihrem Vater hat Emily ein inniges Verhältnis, ihrer eher einfältigen Mutter steht sie recht distanziert gegenüber.

Willy Webb ist Emilys Bruder und taucht nur im ersten Akt in einer Frühstücksszene auf. Danach spielt er für das Stück keine Rolle mehr, wenngleich man von Emily im dritten Akt erfährt, dass er nach einer Blinddarmentzündung gestorben ist.

Joe Crowell Jr. ist der Zeitungsjunge im ersten Akt.

Howie Newsome ist Grover’s Corners’ Milchmann. Er läutet gewissermaßen jeden Akt ein, da er zu Anfang der einzelnen Akte mit seinem imaginären Esel Bessie über die Bühne läuft.

Professor Willard hält dem Publikum im ersten Akt einen Vortrag über die geografischen Besonderheiten Grover’s Corners. Diese Szene dient eher der Belustigung und Auflockerung, zumal die kleine Stadt alles andere als besonders ist.

Simon Stimson ist der Kirchenorganist und Chorleiter von Grover’s Corners. Die meisten Ehefrauen der Stadt singen bei ihm. Ein offenes Geheimnis und Skandal ist sein Alkoholismus, über den nach der Chorprobe stets gelästert wird. Das Stück lebt insbesondere von den Gesangsszenen, die sich daraus ergeben.

Mrs. Soames wird als etwas überdrehte und schillernde Persönlichkeit dargestellt, naiv und laut, doch stets mit Enthusiasmus. Insbesondere während der Hochzeitsszene fällt sie durch dauernde Unterbrechungen auf, wie sehr sie diese Hochzeit „entzückt“.

Weitere Charaktere sind der Polizist Warren, Si Crowell, Joe Stoddard, Sam Craig und Mr. Carter. Außerdem haben Spieler, die im Publikum sitzen, eigene Mini-Auftritte. Im dritten Akt vervollständigen diverse Statisten als „Tote“ das Bild des Jenseits.


Interpretation

Unsere kleine Stadt ist ein episches Theaterstück und enthält daher einige der Brechtschen Merkmale dieser Theatergattung. So gibt es im Stück keinen Vorhang, der Zuschauer erlebt mit, wie die Bühne umgeräumt wird. Auch die Requisiten und Hilfsmittel fallen minimal aus. Das Pferd des Milchmanns Howie Newsome wird nur durch Gesten angedeutet, das Totenreich lediglich durch eine Ansammlung von Stühlen dargestellt. Typisch ist auch der Verfremdungseffekt in Form der Reise ins Jenseits.

Wie bei jedem epischen Theaterstück steht in Unsere Kleine Stadt ein Lerneffekt vor der bloßen Unterhaltung. In der Banalität des Kleinstadtlebens soll sich das ganze Leben spiegeln, die Romanze von Emily und George wiegt genauso schwer und ist genauso nichtig wie jede Großbürgerhochzeit. Innerhalb des Stückes wiederholen sich die Geschichten: so erinnert sich Emilys Mutter bei ihrer Hochzeit an ihre eigene Heirat, dass „die Welt vollkommen verkehrt eingerichtet ist“ – ohne jedoch auch nur ein Wort des Widerspruchs einzuwerfen. Der Sinn des Lebens wird angesprochen, mal offen vom Spielleiter, mal reflektierend in den Monologen einzelner Charaktere, oder auch einfach gezeigt durch die bloße Handlung. Im ersten Akt berichtet der Spielleiter über den Grundstein der neu gebauten Bank, und was hineingelegt werden soll. Auch hier wird deutlich, dass das Leben höchst banal, „aber wunderbar“ (Zitat Mrs. Soames) ist.

Literatur

Weblinks

  • Romantik der Realität Rezension in Die Zeit aus dem Jahre 1946 (!) über eine Aufführung im Stadttheater Schöneberg mit einer ausführlichen Würdigung des Stückes.


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