Strahlungsantrieb von Aerosolen: Unterschied zwischen den Versionen

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== Der direkte Strahlungsantrieb ==
== Der Strahlungsantrieb durch Aerosole==


Der [[Strahlungsantrieb]] von Aerosolen wird im allgemeinen durch den Unterschied zwischen dem vorindustriellen Zustand und dem gegenwärtigen bestimmt und in der Regel auf die Strahlung an der Obergrenze der Atmosphäre bezogen. Schätzungen der direkten Wirkung von Aerosolen auf den Strahlungshaushalt zeigen eine relativ große Bandbreite und beruhen weitgehend auf Modellstudien, die nicht nur für die [[Industrielle Revolution|vorindustrielle]] Zeit, sondern auch für die Gegenwart schwer zu verifizieren sind. Die Unsicherheiten beruhen zum einen darauf, dass selbst der aktuelle atmosphärische Gehalt einzelner Aerosolarten nicht genau feststeht, zum anderen darauf, dass die Größenverteilung, die chemische Zusammensetzung, die Mischung und die horizontale und vertikale Verteilung der Aerosole nicht genau erfasst werden können.
Der [[Strahlungsantrieb]] von Aerosolen wird im allgemeinen durch den Unterschied zwischen dem vorindustriellen Zustand und dem gegenwärtigen bestimmt und in der Regel auf die Strahlung an der Obergrenze der Atmosphäre bezogen. Schätzungen der direkten Wirkung von Aerosolen auf den Strahlungshaushalt zeigen eine relativ große Bandbreite und beruhen weitgehend auf Modellstudien.


=== Reflexion durch Aerosole ===
Nach dem 6. Bericht des Weltklimarates IPCC von 2021 betrug der Strahlungseffekt durch die zunehmende, vom Menschen verursachte Belastung der Atmosphäre mit Aerosolen zwischen 1750 und 2019 -1,06 W/m<sup>2</sup>, wobei -0,22 W/m<sup>2</sup> der direkten Strahlungswirkung von Aerosolen zugeschrieben wird und -0,84 W/m<sup>2</sup> der Wechselwirkung zwischen Aerosolen und Wolken. Der Strahlungsantrieb durch langlebige anthropogene Treibhausgase und Ozon wird dagegen auf 3,8 W/m<sup>2</sup> geschätzt.<ref>IPCC (2021): Climate Change 2021, WG I: The Science of Climate Change, Figure 7.6</ref> Die Unsicherheitsspanne für den Strahlungseffekt von Aerosolen ist dabei relativ groß, weil die Strahlungswirkung von Aerosolen wegen ihrer geringen Größe, ihrer Vielfalt, ihrer kurzen Lebensdauer und heterogenen geographischen Verbreitung sowie der komplexen Reaktionen mit Wolken und anderen Bestandteilen der Atmosphäre quantitativ sehr schwer abzuschätzen sind. Vor allem ist der Einfluss von Aerosolen auf die Wolken noch wenig verstanden. Jüngere Untersuchungen liegen bei etwa derselben Größenordnung.<ref name="Quaas 2022">Quaas, J., H. Jia, C. Smith, A.L. Albright et al. (2022): Robust evidence for reversal of the trend in aerosol effective climate forcing, Atmos. Chem. Phys., 22, 12221–12239, https://doi.org/10.5194/acp-22-12221-2022</ref> Das übersetzt sich in eine Temperaturveränderung von -0,13 °C für die direkte Wirkung und -0,38 °C für die indirekte Wirkung von Aerosolen.<ref>IPCC (2021): Climate Change 2021, WG I: The Science of Climate Change, Figure 7.7</ref> Dem steht eine Erwärmung durch langlebige Treibhausgase und Ozon von 1,81 °C gegenüber. Zheng et al. (2020) kommen zu der Einschätzung, dass Aerosole den Klimawandel bisher um etwa 40 Jahre verzögert haben.<ref name="Zheng 2020">Zheng, Y., Davis, S.J., Persad, G.G. et al. (2020): Climate effects of aerosols reduce economic inequality. Nat. Clim. Chang. 10, 220–224</ref>  Ohne den Aerosol-Effekt wäre die 1,5 °C Grenze zu einem „gefährlichen“ Klimawandel bereits überschritten.<ref name="Quaas 2022" />  
[[Bild:Sulfatwirkung1990.gif|thumb|420 px|Die direkte Strahlungswirkung von Sulfat-Aerosolen für das Jahr 1990 gegenüber 1850]]
Die Reflexion von Sonnenstrahlen durch [[Aerosole]] führt dazu, dass die globale [[Albedo]] verstärkt und somit die Atmosphäre abgekühlt wird. Aerosole sind damit die Gegenspieler der natürlichen wie [[Anthropogen|anthropogenen]] [[Treibhausgase]]. Während diese die [[Strahlung|kurzwellige Solarstrahlung]] weitgehend Richtung Erdoberfläche passieren lassen, die [[Strahlung|langwellige Wärmestrahlung]] aber zu einem bedeutenden Teil absorbieren, reflektieren und absorbieren die meisten Aerosole die Sonnenstrahlung und lassen die Wärmestrahlung weitgehend durch. Der [[IPCC]] schätzt die direkte Störung der Strahlungsbilanz bzw. den [[Strahlungsantrieb]] an der Obergrenze der Atmosphäre seit Beginn der Industrialisierung auf -0,4 W/m<sup>2</sup> für Sulfat-Aerosole, auf -0,15 W/m<sup>2</sup> für organische Aerosole aus der Biomassenverbrennung und auf -0,05 W/m<sup>2</sup> für organische Aerosole aus der Nutzung fossiler Energieträger.<ref>Daten nach [[IPCC]] (2007): Climate Change 2007, Working Group I: The Science of Climate Change, 2.4.4</ref> D. h. dass aufgrund der Reflexion von Sonnenstrahlung durch die genannten Aerosole die Atmosphäre 0,6 W/m<sup>2</sup> weniger Wärmestrahlung an den Weltraum abgibt, da sie entsprechend weniger Solarenergie aufnehmen konnte. Einige andere Autoren geben etwas höhere Werte an und betonen zusätzlich die Wirkung von Nitrat-Aerosolen, die bis zum Ende des 21. Jahrhunderts möglicherweise die Wirkung der Sulfat-Aerosole übertreffen könnte.<ref>Hansen, J.E., and M. Sato (2001): Trends of measured climate forcing agents, PNAS 98, 14778-14783; Adams, PJ., J.H. Seinfeld, D. Koch, L. Mickley, D. Jacob (2001): General circulation model assessment of direct radiative forcing by the sulfate-nitrate-ammonium-water inorganic aerosol system, J. Geophys. Res. 106 , 1097-1111</ref> Der [[Strahlungsantrieb]] durch langlebige anthropogene [[Treibhausgase]] wird dagegen auf +2,43 W/m<sup>2</sup> veranschlagt. Insgesamt schwächt der direkte Aerosol-Effekt den anthropogenen Treibhausgas-Effekt um 20-50%.<ref>Kaufman, Y.J., D. Tanré, and O. Boucher (2002): A satellite view of aerosols in the climate system, Nature 419, 215-223
16a. verändert nach Boucher, O., M. Pham (2002): History of sulfate aerosol radiative forcings, Geophysical Research Letters 29, No. 9, 10.1029/2001GL014048</ref>


=== Absorption durch Aerosole ===
== Regionale Unterschiede ==
[[Bild:Aerosolwirkung_oben_unten.gif|thumb|320 px|Die direkte Störung der Strahlungsbilanz durch anthropogene Aerosole an der Obergrenze der Atmosphäre und am Boden.]]
Einige Aerosole wie vor allem Ruß reflektieren jedoch nicht nur Strahlung, sondern [[Absorption|absorbieren]] sie auch. Im Unterschied zu den Treibhausgasen absorbieren sie nicht die langwellige Wärmestrahlung, sondern fast ausschließlich die kurzwelligen Sonnenstrahlen. Dabei wird auch die aufwärts gerichtete solare Strahlung, die vom Erdboden und von Wolken reflektiert wird, absorbiert, wodurch die in den Weltraum zurückgestreute Sonnenstrahlung verringert wird. In der Summe wird durch Ruß die Strahlungsbilanz an der Obergrenze der Atmosphäre wahrscheinlich positiv beeinflusst und vom IPCC auf +0,19 W/m<sup>2</sup> seit Beginn der [[Industrielle Revolution|Industrialisierung]] geschätzt.<ref>IPCC (2007): Climate Change 2007, Working Group I: The Science of Climate Change, 2.4.4.3</ref> Davon geht jedoch direkt kein positiver Einfluss auf die bodennahen Temperaturen aus. Die Absorption der einfallenden Sonnenstrahlung in der Atmosphäre führt in jedem Fall zu einer Verringerung der Einstrahlung und somit zu einer Abkühlung am Erdboden. Erwärmt wird lediglich die die Ruß-Aerosole umgebende Atmosphäre. So kann in [[Aerosolwirkung in Asien|stark aerosol-belasteten Gebieten]] die Strahlungswirkung in der Atmosphäre +10 W/m<sup>2</sup> und mehr und die am Erdboden -10 W/m<sup>2</sup> und mehr betragen.<ref>Ramanathan, V. et al. (2001): Indian Ocean Experiment: An integrated analysis of the climate forcing and effects of the great Indo-Asian haze, J. Geophys. Res. 106 , 28371-28398</ref> Neben Ruß absorbieren auch andere organische Aerosole kurzwellige Strahlung, während Staub-Aerosole kurzwellige Strahlung reflektieren, langwellige aber absorbieren.


=== Gesamtbilanz ===
Da Aerosole räumlich sehr heterogen verbreitet sind, kann sich ihre regionale Wirkung erheblich von den globalen Durchschnittswerten unterscheiden. Die globalen Mittelwerte sind daher wenig aussagekräftig. Den stärksten Strahlungseffekt gibt es in den und in der Nähe der Emissionsregionen, die zugleich – wie z.B. Ostasien – zu den am dichtesten bevölkerten Regionen der Erde gehören.<ref name="Samset 2018">Samset, B. H., Sand, M., Smith, C. J., Bauer, S. E., Forster, P. M., Fuglestvedt, J. S., Osprey, S., & Schleussner, C.-F. (2018): [https://doi.org/10.1002/2017GL076079 Climate impacts from a removal of anthropogenic aerosol emissions]. Geophysical Research Letters, 45, 1020–1029</ref>  In der jeweiligen Region stoßen verschiedene Aerosole auf unterschiedliche klimatische Bedingungen, durch die ihre Wirkung beeinflusst wird. So unterscheidet sich ihre Wirkung in tropischen Monsungebieten von der in der Westwindzone der mittleren Breiten. Durch die Abkühlung der Temperaturen über dem Land im Sommer schwächen Aerosole z.B. den Land-Meer-Gegensatz und damit die Monsunzirkulation ab, wie etwa den Monsun im östlichen China.<ref name="Wang 2022">Wang, Z., Xue, L., Liu, J. et al. (2022): [https://doi.org/10.1007/s40726-022-00216-9 Roles of Atmospheric Aerosols in Extreme Meteorological Events: a Systematic Review]. Curr Pollution Rep 8, 177–188</ref>  Auch über Südasien hat die Verbrennung von Biomasse und fossiler Energieträger zu einer starken Aerosolverbreitung geführt und die Bedeckung mit Wolken in der unteren Atmosphäre verstärkt, wodurch ebenfalls eine Abkühlung über Land stattgefunden hat.<ref name="Ding 2021">Ding, K., Huang, X., Ding, A. et al. (2021): [https://doi.org/10.1038/s41467-021-26728-4 Aerosol-boundary-layer-monsoon interactions amplify semi-direct effect of biomass smoke on low cloud formation in Southeast Asia]. Nat Commun 12, 6416</ref>  Aerosoleinflüsse werden ebenso bei ENSO, der Verschiebung der Innertropischen Konvergenz und den Zugbahnen der Tiefdruckgebiete in den mittleren Breiten angenommen.<ref name="Wang 2022" />  Auch wenn Aerosole hauptsächlich in ihren lokal begrenzten Entstehungsgebieten vorkommen und dort ihre Wirkung entfalten, können sie aber auch durch atmosphärische Strömungen in entfernte Gebiete transportiert werden (Abb.),<ref name="Persad 2023">Persad, G., B.H. Samset and L.J. Wilcox et al. (2023): [https://dx.doi.org/10.1088/2752-5295/acd6af Rapidly evolving aerosol emissions are a dangerous omission from near-term climate risk assessments], Environmental Research: Climate 2, 3</ref>  so im Lee der Entstehungsgebiete oder in Regionen wie der Arktis, in der geringe Antriebe durch die Eis- und Schnee-Albedo-Rückkopplung verstärkt werden. Änderungen der europäischen Emissionen von Schwefeldioxid (SO<sub>2</sub>) etwa haben außerhalb des Entstehungsgebietes ihre stärkste Wirkung auf die Temperaturen in der Arktis.<ref name="Westervelt 2020">Westervelt, D.M., N.R. Mascioli, A.M. Fiore et al. (2020): [https://doi.org/10.5194/acp-20-3009-2020 Local and remote mean and extreme temperature response to regional aerosol emissions reductions], Atmos. Chem. Phys., 20, 3009–3027</ref>


Nach einer neueren Modellrechnung<ref>Liao, H., J.H. Seinfeld, P.J. Adams, L.J. Mickley (2004): Global radiative forcing of coupled tropospheric ozone and aerosols in a unified general circulation model, Journal of Geophysical Research 109, No. D16207</ref> beträgt die Störung der Strahlungsbilanz an der Obergrenze der Atmosphäre durch die direkte Wirkung aller Aerosole -0,72 W/m<sup>2</sup> und am Boden -4,04 W/m<sup>2</sup>. Der große Unterschied kommt hiernach vor allem durch Ruß-Aerosole zustande, deren Strahlungswirkung an der Obergrenze der Atmosphäre positiv ist (+0,58 W/m<sup>2</sup>), am Boden aber mit -0,97 W/m<sup>2</sup> stark negativ. Eine ähnliche Wirkung (+0,1 bzw. -5,3 W/m<sup>2</sup>) haben aber auch Staub-Aerosole. Bei Sulfat- und Nitrat-Aerosolen ist die Wirkung dagegen am Erdboden und an der Atmosphären-Obergrenze nahezu gleich.
Nach dem 2. Weltkrieg gab es zunächst einige Jahrzehnte lang einen starken Anstieg der Aerosolbelastung (vor allem von Sulfat-Aerosolen) in Europa und Nordamerika infolge der auf die Nutzung fossiler Energien basierenden Industrie- und Verkehrsentwicklung. Die zunehmende Aerosolbelastung erwies sich jedoch bald als ein Problem für die Gesundheit der Bevölkerung und wurde zudem für sauren Regen und Waldsterben verantwortlich gemacht. Die schlechte Luftqualität durch Aerosole verkürzte nach Berechnungen das Leben der Menschen im globalen Mittel um 20 Monate. In Europa und den USA wurden seit den 1970er/1980er Jahren daher Maßnahmen ergriffen, die zu einer deutlichen Reduzierung der Schwefeldioxid-Emissionen führten. Der Klimawandel spielte in den 1970er Jahren, als die amerikanischen und europäischen Staaten Gesetze für eine sauberer Luft beschlossen, noch keine Rolle.<ref name="Persad 2023" />


=== Regionale Unterschiede ===
Als Ergebnis haben in Europa die Aerosol-Emissionen seit den 1980er Jahren stark abgenommen, ähnlich in den USA, wo sie 1989 bis 2010 jährlich um 1-3% zurückgegangen sind. Der Rückgang ist vor allem auf die Abnahme der Emissionen von Sulfataerosolen (SO<sub>2</sub>) zurückzuführen, die primär ein Resultat aus der Verbrennung fossiler Energien sind. In Europa und Nordamerika haben die SO<sub>2</sub>-Emissionen um 70-80% abgenommen.<ref name="Aas 2019">Aas, W., A. Mortier, V. Bowersox et al. (2019): Global and regional trends of atmospheric sulfur. Sci Rep 9, 953. https://doi.org/10.1038/s41598-018-37304-0</ref>  Im Gegensatz dazu haben Aerosol-Emissionen in China bis 2010 deutlich zu- und erst danach leicht abgenommen, während sich in Indien der Anstieg weiter fortgesetzt hat.<ref name="Quaas 2022" />  Abb. zeigt daher einen deutlichen Rückgang der Emissionen in Nordamerika und Europa, aber ab 2010 auch in China (Ostasien), eine weitere Zunahme jedoch über Südasien. Seit 2010 haben sich die beiden Hauptquellen der Emissionen von Aerosolen und ihrer Vorläuferstoffe, Indien und China, gegensätzlich entwickelt. In Indien hat die Aerosol-Belastung weiter zugenommen, in China haben die Emissionskontrollen einen Rückgang bewirkt. In Südasien hat daher die Sonneneinstrahlung um -0,91 W/m<sup>2</sup> seit 2003 abgenommen, in Ostasien um 1,23 W/m<sup>2</sup> zugenommen.<ref name="Xiang 2023">Xiang, B., Xie, SP., Kang, S.M. et al. (2023): An emerging Asian aerosol dipole pattern reshapes the Asian summer monsoon and exacerbates northern hemisphere warming. npj Clim Atmos Sci 6, 77. https://doi.org/10.1038/s41612-023-00400-8</ref>


Am stärksten ist die direkte Wirkung von Aerosolen auf den Strahlungshaushalt auf der Nordhalbkugel, da sich hier die wichtigsten Emissionsgebiete befinden, und zeitlich im Nordsommer, da die Einstrahlung dann am höchsten ist. Regionale Schwerpunkte bilden die mittleren Breiten mit hohem Verbrauch fossiler Energien und die tropischen Gebiete mit hoher Biomassenverbrennung. Bei Sulfat-Aerosolen gibt es drei klare Schwerpunktregionen: das östliche Nordamerika, [[Aerosolwirkung in Europa|Mittel- und Osteuropa]] sowie [[Aerosolwirkung in Asien|Ostasien]].
Global war das Ergebnis eine Abnahme der SO<sub>2</sub>-Emissionen zwischen 1990 und 2015 um 55 Tg Schwefel bzw. 31%. Da Aerosole einen Abkühlungseffekt auf die Atmosphäre haben, bedeutet dieser Rückgang eine Zunahme des Strahlungsantriebs und damit eine Erwärmung. Eine geringere Aerosolbelastung der Atmosphäre bedeutet, dass weniger Sonnenstrahlung reflektiert und stattdessen die Erdoberfläche erwärmt wird. In Europa haben Modellsimulationen sogar eine Zunahme des Strahlungsantriebs von 3-4 W/m<sup>2</sup> ergeben<ref name="Aas 2019" /> und damit allein durch die Schwefeldioxidabnahme eine Erwärmung von 0,17 °C. Noch stärker hat sich der Rückgang der europäischen SO<sub>2</sub>-Emissionen mit 1 °C über der Arktis ausgewirkt, verursacht durch die Eis-Albedo-Rückkopplung und andere Verstärkungsfaktoren.<ref name="Westervelt 2020" /> Über Indien, Südostasien und Brasilien hat die Reflexion durch Aerosole dagegen weiter zugenommen, so dass die untere Atmosphäre durch die Veränderung der Aerosolkonzentration sich weiter abkühlte. Der globale Netto-Effekt wird auf +0,29 W/m<sup>2</sup> für die zwei Jahrzehnte von 2000 bis 2019 geschätzt.<ref name="Quaas 2022" />  
 
== Der indirekte Strahlungsantrieb ==
[[Bild:Aerosolwirkung-indirekt.jpg|thumb|520px|Die indirekte Klimawirkung der Aerosole besteht in ihrem Einfluss auf die Wolkenbildung.]]
Der indirekte Strahlungsantrieb von Aerosolen ist bestimmt durch den Einfluss der Aerosole auf Entstehung, Eigenschaften und Entwicklung von Wolken.
 
=== Wolkenbildung ===
 
Aerosole dienen bei der [[Wolken|Wolkenbildung]] als Kondensationskerne für Wassertröpfchen und als Kerne für die Bildung von Eiskristallen bei der Bildung von Eiswolken und begünstigen daher die Wolkenbildung. Sie verändern aber auch die Eigenschaften von Wolken. Satellitenstudien haben gezeigt, dass Wolken in Aerosol-belasteten Gebieten stärker reflektieren als Wolken in sauberer Luft. Der Grund liegt darin, dass bei gleicher Wasserdampfmenge eine höhere Aerosolkonzentration zur Bildung vieler kleinerer Tröpfchen führt, eine geringere Menge Aerosole dagegen zur Bildung weniger größerer Tröpfchen. Viele kleine Tröpfchen reflektieren aber die Sonnenstrahlung effektiver als wenige große, da ihre Oberfläche insgesamt größer ist. Eine Zunahme der Aerosole bewirkt daher eine Erhöhung der Wolkenalbedo und damit eine klimatische Abkühlung. In stark belasteter Luft reduzieren Aerosole die Größe der Wolkentröpfchen um 20-30 %, wodurch die Wolkenalbedo um bis zu 25% erhöht wird. Hierin besteht der 1. indirekte Effekt der Aerosole auf die Strahlung. Der [[IPCC]] gibt für den [[Strahlungsantrieb]] an der Obergrenze der Atmosphäre keine beste Schätzung an, sondern nur eine Bandbreite von 0,0 bis -2,0 W/m<sup>2</sup>.<ref name="IPCC 2011"> IPCC (2001): Climate Change 2001: The Scientific Basis. Contribution of the Working Group I to the Third Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change, Cambridge and New York 2001, Table 6.11</ref>
 
=== Wolkenentwicklung und Niederschlag ===
 
Aerosole haben außerdem einen Einfluss auf die Entwicklung von [[Wolken]] und Niederschlag, und darin besteht ihr 2. indirekter Effekt auf die Strahlung. Viele kleine Tröpfchen dämpfen die Niederschlagsneigung einer Wolke im Vergleich zu wenigen großen Tropfen. Die kritische Tröpfchengröße für die Entstehung von Niederschlag liegt bei 15 μm. Sind die Tröpfchen kleiner, werden sie weniger wahrscheinlich ausregnen und daher wird die Lebensdauer einer Wolke verlängert, und die Wolkenbedeckung und damit die Reflexion der Sonnenstrahlung nimmt zu.
 
Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang auch der Einfluss der Aerosole auf die Wolkendynamik. In sauberer Luft wächst die Tröpfchengröße der Wolken mit deren Entwicklung und Ausdehnung in vertikaler Richtung, und die Tröpfchen erreichen den kritischen Radius von etwa 15 μm, bei dem es zum nassen Niederschlag kommt. In Aerosol belasteten Gebieten zeigen Satellitendaten nicht nur kleinere Tröpfchen an der Wolkenbasis (5-8 μm verglichen mit 10-15 μm in sauberer Luft), sondern auch ein Fehlen des Tröpfchenwachstums bei der Weiterentwicklung der Wolke und ihrem Aufstieg in der Atmosphäre. Folglich wird in Aerosol belasteten Wolken der Niederschlag verringert und somit die Auflösung der Wolken verzögert.
 
Die Abschätzungen über den zweiten indirekten Effekt von Sulfat-Aerosolen sind so unsicher, dass der [[IPCC]] nur die weit auseinanderliegenden Ergebnisse einzelner Untersuchungen zitiert.<ref name="IPCC 2011" /> Zu bedenken sind in diesem Zusammenhang auch Feedbackprozesse. Die Verringerung des Niederschlags verlängert nicht nur die Lebensdauer der Wolken, sondern auch die der Aerosole, die hauptsächlich durch [[Niederschlag]] wieder aus der Atmosphäre entfernt werden. Die trockeneren Bedingungen ermöglichen es außerdem, dass mehr Staub und Rauch entsteht und in die Atmosphäre aufsteigen kann.
 
=== Ruß ===
Auch bei dem indirekten Aerosol-Effekt kommt Ruß eine besondere Stellung zu. Durch die Absorption der Sonnenstrahlung erwärmt Ruß die atmosphärische Umgebung und trägt damit im Gegensatz zu Sulfat-Aerosolen zur Auflösung von Wolken bei. Beobachtungen über Amazonasbränden zeigen, dass starker Rauchanteil in dickeren Wolken die Temperatur in der oberen Wolkenschicht um 2-4 <sup>o</sup>C erhöht, wodurch Wassertröpfchen verdunsten und die Reflexion der Wolkenbedeckung verringert wird.<ref>Graf, H.-F. (2004): The Complex Interaction of Aerosols and Clouds, Science 303, 1309-1311; Koren, I., Y.J. Kaufman, L.A. Remer, and J.V. Martins (2004): Measurement of the Effect of Amazon Smoke on Inhibition of Cloud Formation, Science 303, 1342-1345</ref> Auch über dem Indischen Ozean wurde eine deutliche Reduzierung in der Wolkenbedeckung gefunden, die wahrscheinlich auf die Erwärmung der unteren Atmosphäre durch Rußpartikel zurückzuführen ist.<ref>Cook, J., E.J. Highwood (2004): Climate response to tropospheric absorbing aerosols in an intermediate general-circulation model, Quarterly Journal of the Royal Meteorological Society 130, 175- 191</ref> Durch die Auflösung von Wolken kann mehr solare Strahlung den Erdboden erreichen. Dieser auch als semidirekter Effekt bezeichnete Vorgang wird von manchen Autoren als so bedeutend veranschlagt, dass sie eine Lösung des Treibhausproblems in der Reduzierung von Ruß sehen, andere bezweifeln jedoch eine solche Bedeutung des semidirekten Effekts.<ref>Die Frage wird diskutiert bei Roberts, D.L., and A. Jones (2004): Climate sensitivity to black carbon aerosol from fossil fuel combustion, J. Geophys. Res., 109, No. D16, D16202, doi:10.1029/2004JD004676</ref> Ruß wirkt auf den Strahlungshaushalt auch über die Ablagerung auf Schnee- und Eisflächen. Stark mit Ruß verschmutzte helle Flächen absorbieren mehr und reflektieren weniger Solarstrahlung.
 
== Jüngste Entwicklung ==
Neuere Untersuchungen haben festgestellt, dass die Strahlungswirkung der Aerosole seit Mitte des 20. Jahrhunderts deutliche Veränderungen aufweist.<ref name="Wild 2012">Martin Wild (2012): Enlightening Global Dimming and Brightening, Bulletin of the American Meteorological Society 93, 27-37</ref> Zunächst wurde durch verschiedene Messungen gezeigt, dass die Solarstrahlung an der Erdoberfläche zwischen den 1950er und 1980er Jahren eine deutliche Abnahme aufweist. Dieses Phänomen wurde als „globale Verdunkelung“ („global dimming“) bezeichnet. Dieses "Verdunkelungs"-Phänomen wurde vor allem in den Vereinigten Staaten, Europa, China und Japan festgestellt. Seit den 1980er Jahren hat der Trend sich jedoch umgekehrt. Zwischen den 1980ern und ca. 2000 kam zu einer „globalen Aufhellung“ („global brightening“), die besonders über den Gebieten der entwickelten Industriestaaten festzustellen war. Diese "Aufhellung" war jedoch etwas weniger ausgeprägt als die vorhergegangene „Verdunkelung“. So wird diese für die Periode 1950-1980 auf 3-9 W/m<sup>2</sup> geschätzt, die anschließende Aufhellung dagegen nur auf 1-4 W/m<sup>2</sup>. Nach 2000 zeigt sich anscheinend eine neue Abnahme der Solarstrahlung am Boden, insbesondere in China und Indien, während in Europa und den USA die Sonneneinstrahlung weiter zugenommen hat.
[[Bild:Aerosole Strahlungseffekt.jpg|thumb|520px|Strahlungseffekt durch Aerosole in drei Phasen: 1. 1950er-1980er Jahre ("globale Verdunkelung"/"global dimming"), 2. 1980er-2000 ("globale Aufhellung"/"global brightening"), 3. ab 2000 Rückgang der "Aufhellung".]]
Diese Veränderungen können nicht auf die Schwankungen der Sonneneinstrahlung selbst zurückgehen, die um eine Größenordnung kleiner sind. Auch eine veränderte Wolkenbedeckung kann nicht die Ursache sein, da die entsprechenden Verdunkelungs- und Aufhellungstrends auch in einer wolkenlosen Atmosphäre beobachtet wurden. Als Ursache kommen nur die Aerosole in Frage. So haben die anthropogenen Emissionen von Schwefeldioxid (chemische Formel: SO<sub>2</sub>) von den 1950er bis in die 1980er Jahre auf der Nordhalbkugel zugenommen, danach aber abgenommen. Die Abnahme wurde sowohl durch Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität in den entwickelten Industriestaaten wie durch den teilweisen Zusammenbruch der Industrie in den ehemaligen Ostblockstaaten verursacht. Seit 2000 nimmt die Emission von Schwefeldioxid durch die sich stark entwickelnden Industrien in den Schwellenländern, insbesondere in China  und Indien, wieder zu.<ref name="Wild 2012" />


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==

Version vom 18. Oktober 2023, 11:45 Uhr

Die direkte Klimawirkung der Aerosole

Überblick

Die Wirkung der anthropogenen Treibhausgase wie Kohlendioxid, Methan oder Lachgas auf den Strahlungshaushalt der Atmosphäre ist seit langem bekannt und seit Jahrzehnten Gegenstand intensiver Forschung. Dass auch die durch menschliche Aktivitäten erzeugten Aerosole das Klima beeinflussen, hat erst seit den 1990er Jahren genügend Beachtung gefunden. Die Kenntnis über die klimatische Rolle der Aerosole ist vor allem wegen der komplizierten Materie auch heute noch mit zahlreichen Unsicherheiten behaftet. Die meisten Treibhausgase haben eine lange atmosphärische Verweilzeit, die bis zu 100 Jahre und mehr betragen kann, und sind daher in der Atmosphäre gut durchmischt. Aerosole sind dagegen wegen ihrer kurzen Lebensdauer regional sehr unterschiedlich verteilt. Das lokale und regionale Wetter kann die horizontale und vertikale Verteilung wie auch die Mischungsverhältnisse der Aerosole rasch wandeln. Chemische Prozesse sorgen zudem dafür, dass die einzelnen Aerosole in kürzester Zeit auch ihre Eigenschaften stark verändern können. Die klimatische Wirkung der Aerosole ist entsprechend komplex und quantitativ äußerst schwierig zu erfassen.

Grundsätzlich werden ein direkter und ein indirekter Einfluss von Aerosolen auf den Strahlungshaushalt und das Klima unterschieden. Die direkte Wirkung der Aerosole auf den Strahlungshaushalt (der direkte Strahlungsantrieb der Aerosole) besteht erstens darin, dass einige Aerosole wie vor allem die Sulfat-Aerosole, die solare Strahlung teilweise zurück in den Weltraum reflektieren und klimatisch daher eine abkühlende Wirkung besitzen. Zum direkten Einfluss gehört zweitens aber auch, dass einige andere Aerosole, vor allem Rußpartikel, solare Strahlung absorbieren, wodurch die umgebende Atmosphäre erwärmt, die bodennahen Luftschichten aber abgekühlt werden. Die indirekte Wirkung resultiert aus dem Einfluss der Aerosole auf die Wolkenbildung und den Niederschlag. Dieser Einfluss besteht darin, dass Aerosole die für die Bildung von Tröpfchen und Eiskristallen nötigen Kondensations- bzw. Eiskerne stellen. Man unterscheidet zwei indirekte Effekte.

1. Aufgrund zusätzlicher Aerosole können sich mehr Wassertröpfchen bilden als sonst. Das Flüssigwasser einer Wolke verteilt sich damit auf mehr Tröpfchen, die daher kleiner sind als ohne diesen Effekt. Zahlreichere Tröpfchen streuen jedoch mehr Sonnenlicht in den Weltraum zurück, denn ihre geringere Größe wird durch die Anzahl der Tröpfchen überkompensiert.

2. Der zweite indirekte Effekt ist die verlängerte Lebensdauer von Wolken. Aufgrund der geringeren Größe brauchen Tropfen länger, um zu Regentropfen anzuwachsen und auszufällen.

Die klimatische Wirkung der indirekten Strahlungsantriebe ist wahrscheinlich ebenfalls negativ bzw. abkühlend, wobei die Unsicherheiten des Kenntnisstandes hier noch größer als bei der direkten Wirkung sind. Der zweite indirekte Effekt konnte bisher nicht als Strahlungsantrieb quantifiziert werden. Hinzu kommt noch ein semidirekter Effekt, der dadurch entsteht, dass Rußpartikel durch Absorption von Solarstrahlung eine Wolkenauflösung und damit eine größere Durchlässigkeit der Atmosphäre für die Sonneneinstrahlung bewirken können.

Name

unmittelbare Wirkung

Wirkung an der Obergrenze der Atmosphäre

Wirkung in der bodennahen Luftschicht

Direkter Effekt

Reflexion z.T. Absorption

Abkühlung z.T. Erwärmung

Abkühlung

Indirekte Effekte

Wasser-Wolkenbildung
Eis- oder Mischwolken

Abkühlung z.T. Erwärmung

Abkühlung z.T. Erwärmung

Semidirekter Effekt

Absorption und Wolkenauflösung

Erwärmung

Erwärmung

Der Strahlungsantrieb durch Aerosole

Der Strahlungsantrieb von Aerosolen wird im allgemeinen durch den Unterschied zwischen dem vorindustriellen Zustand und dem gegenwärtigen bestimmt und in der Regel auf die Strahlung an der Obergrenze der Atmosphäre bezogen. Schätzungen der direkten Wirkung von Aerosolen auf den Strahlungshaushalt zeigen eine relativ große Bandbreite und beruhen weitgehend auf Modellstudien.

Nach dem 6. Bericht des Weltklimarates IPCC von 2021 betrug der Strahlungseffekt durch die zunehmende, vom Menschen verursachte Belastung der Atmosphäre mit Aerosolen zwischen 1750 und 2019 -1,06 W/m2, wobei -0,22 W/m2 der direkten Strahlungswirkung von Aerosolen zugeschrieben wird und -0,84 W/m2 der Wechselwirkung zwischen Aerosolen und Wolken. Der Strahlungsantrieb durch langlebige anthropogene Treibhausgase und Ozon wird dagegen auf 3,8 W/m2 geschätzt.[1] Die Unsicherheitsspanne für den Strahlungseffekt von Aerosolen ist dabei relativ groß, weil die Strahlungswirkung von Aerosolen wegen ihrer geringen Größe, ihrer Vielfalt, ihrer kurzen Lebensdauer und heterogenen geographischen Verbreitung sowie der komplexen Reaktionen mit Wolken und anderen Bestandteilen der Atmosphäre quantitativ sehr schwer abzuschätzen sind. Vor allem ist der Einfluss von Aerosolen auf die Wolken noch wenig verstanden. Jüngere Untersuchungen liegen bei etwa derselben Größenordnung.[2] Das übersetzt sich in eine Temperaturveränderung von -0,13 °C für die direkte Wirkung und -0,38 °C für die indirekte Wirkung von Aerosolen.[3] Dem steht eine Erwärmung durch langlebige Treibhausgase und Ozon von 1,81 °C gegenüber. Zheng et al. (2020) kommen zu der Einschätzung, dass Aerosole den Klimawandel bisher um etwa 40 Jahre verzögert haben.[4] Ohne den Aerosol-Effekt wäre die 1,5 °C Grenze zu einem „gefährlichen“ Klimawandel bereits überschritten.[2]

Regionale Unterschiede

Da Aerosole räumlich sehr heterogen verbreitet sind, kann sich ihre regionale Wirkung erheblich von den globalen Durchschnittswerten unterscheiden. Die globalen Mittelwerte sind daher wenig aussagekräftig. Den stärksten Strahlungseffekt gibt es in den und in der Nähe der Emissionsregionen, die zugleich – wie z.B. Ostasien – zu den am dichtesten bevölkerten Regionen der Erde gehören.[5] In der jeweiligen Region stoßen verschiedene Aerosole auf unterschiedliche klimatische Bedingungen, durch die ihre Wirkung beeinflusst wird. So unterscheidet sich ihre Wirkung in tropischen Monsungebieten von der in der Westwindzone der mittleren Breiten. Durch die Abkühlung der Temperaturen über dem Land im Sommer schwächen Aerosole z.B. den Land-Meer-Gegensatz und damit die Monsunzirkulation ab, wie etwa den Monsun im östlichen China.[6] Auch über Südasien hat die Verbrennung von Biomasse und fossiler Energieträger zu einer starken Aerosolverbreitung geführt und die Bedeckung mit Wolken in der unteren Atmosphäre verstärkt, wodurch ebenfalls eine Abkühlung über Land stattgefunden hat.[7] Aerosoleinflüsse werden ebenso bei ENSO, der Verschiebung der Innertropischen Konvergenz und den Zugbahnen der Tiefdruckgebiete in den mittleren Breiten angenommen.[6] Auch wenn Aerosole hauptsächlich in ihren lokal begrenzten Entstehungsgebieten vorkommen und dort ihre Wirkung entfalten, können sie aber auch durch atmosphärische Strömungen in entfernte Gebiete transportiert werden (Abb.),[8] so im Lee der Entstehungsgebiete oder in Regionen wie der Arktis, in der geringe Antriebe durch die Eis- und Schnee-Albedo-Rückkopplung verstärkt werden. Änderungen der europäischen Emissionen von Schwefeldioxid (SO2) etwa haben außerhalb des Entstehungsgebietes ihre stärkste Wirkung auf die Temperaturen in der Arktis.[9]

Nach dem 2. Weltkrieg gab es zunächst einige Jahrzehnte lang einen starken Anstieg der Aerosolbelastung (vor allem von Sulfat-Aerosolen) in Europa und Nordamerika infolge der auf die Nutzung fossiler Energien basierenden Industrie- und Verkehrsentwicklung. Die zunehmende Aerosolbelastung erwies sich jedoch bald als ein Problem für die Gesundheit der Bevölkerung und wurde zudem für sauren Regen und Waldsterben verantwortlich gemacht. Die schlechte Luftqualität durch Aerosole verkürzte nach Berechnungen das Leben der Menschen im globalen Mittel um 20 Monate. In Europa und den USA wurden seit den 1970er/1980er Jahren daher Maßnahmen ergriffen, die zu einer deutlichen Reduzierung der Schwefeldioxid-Emissionen führten. Der Klimawandel spielte in den 1970er Jahren, als die amerikanischen und europäischen Staaten Gesetze für eine sauberer Luft beschlossen, noch keine Rolle.[8]

Als Ergebnis haben in Europa die Aerosol-Emissionen seit den 1980er Jahren stark abgenommen, ähnlich in den USA, wo sie 1989 bis 2010 jährlich um 1-3% zurückgegangen sind. Der Rückgang ist vor allem auf die Abnahme der Emissionen von Sulfataerosolen (SO2) zurückzuführen, die primär ein Resultat aus der Verbrennung fossiler Energien sind. In Europa und Nordamerika haben die SO2-Emissionen um 70-80% abgenommen.[10] Im Gegensatz dazu haben Aerosol-Emissionen in China bis 2010 deutlich zu- und erst danach leicht abgenommen, während sich in Indien der Anstieg weiter fortgesetzt hat.[2] Abb. zeigt daher einen deutlichen Rückgang der Emissionen in Nordamerika und Europa, aber ab 2010 auch in China (Ostasien), eine weitere Zunahme jedoch über Südasien. Seit 2010 haben sich die beiden Hauptquellen der Emissionen von Aerosolen und ihrer Vorläuferstoffe, Indien und China, gegensätzlich entwickelt. In Indien hat die Aerosol-Belastung weiter zugenommen, in China haben die Emissionskontrollen einen Rückgang bewirkt. In Südasien hat daher die Sonneneinstrahlung um -0,91 W/m2 seit 2003 abgenommen, in Ostasien um 1,23 W/m2 zugenommen.[11]

Global war das Ergebnis eine Abnahme der SO2-Emissionen zwischen 1990 und 2015 um 55 Tg Schwefel bzw. 31%. Da Aerosole einen Abkühlungseffekt auf die Atmosphäre haben, bedeutet dieser Rückgang eine Zunahme des Strahlungsantriebs und damit eine Erwärmung. Eine geringere Aerosolbelastung der Atmosphäre bedeutet, dass weniger Sonnenstrahlung reflektiert und stattdessen die Erdoberfläche erwärmt wird. In Europa haben Modellsimulationen sogar eine Zunahme des Strahlungsantriebs von 3-4 W/m2 ergeben[10] und damit allein durch die Schwefeldioxidabnahme eine Erwärmung von 0,17 °C. Noch stärker hat sich der Rückgang der europäischen SO2-Emissionen mit 1 °C über der Arktis ausgewirkt, verursacht durch die Eis-Albedo-Rückkopplung und andere Verstärkungsfaktoren.[9] Über Indien, Südostasien und Brasilien hat die Reflexion durch Aerosole dagegen weiter zugenommen, so dass die untere Atmosphäre durch die Veränderung der Aerosolkonzentration sich weiter abkühlte. Der globale Netto-Effekt wird auf +0,29 W/m2 für die zwei Jahrzehnte von 2000 bis 2019 geschätzt.[2]

Einzelnachweise

  1. IPCC (2021): Climate Change 2021, WG I: The Science of Climate Change, Figure 7.6
  2. 2,0 2,1 2,2 2,3 Quaas, J., H. Jia, C. Smith, A.L. Albright et al. (2022): Robust evidence for reversal of the trend in aerosol effective climate forcing, Atmos. Chem. Phys., 22, 12221–12239, https://doi.org/10.5194/acp-22-12221-2022
  3. IPCC (2021): Climate Change 2021, WG I: The Science of Climate Change, Figure 7.7
  4. Zheng, Y., Davis, S.J., Persad, G.G. et al. (2020): Climate effects of aerosols reduce economic inequality. Nat. Clim. Chang. 10, 220–224
  5. Samset, B. H., Sand, M., Smith, C. J., Bauer, S. E., Forster, P. M., Fuglestvedt, J. S., Osprey, S., & Schleussner, C.-F. (2018): Climate impacts from a removal of anthropogenic aerosol emissions. Geophysical Research Letters, 45, 1020–1029
  6. 6,0 6,1 Wang, Z., Xue, L., Liu, J. et al. (2022): Roles of Atmospheric Aerosols in Extreme Meteorological Events: a Systematic Review. Curr Pollution Rep 8, 177–188
  7. Ding, K., Huang, X., Ding, A. et al. (2021): Aerosol-boundary-layer-monsoon interactions amplify semi-direct effect of biomass smoke on low cloud formation in Southeast Asia. Nat Commun 12, 6416
  8. 8,0 8,1 Persad, G., B.H. Samset and L.J. Wilcox et al. (2023): Rapidly evolving aerosol emissions are a dangerous omission from near-term climate risk assessments, Environmental Research: Climate 2, 3
  9. 9,0 9,1 Westervelt, D.M., N.R. Mascioli, A.M. Fiore et al. (2020): Local and remote mean and extreme temperature response to regional aerosol emissions reductions, Atmos. Chem. Phys., 20, 3009–3027
  10. 10,0 10,1 Aas, W., A. Mortier, V. Bowersox et al. (2019): Global and regional trends of atmospheric sulfur. Sci Rep 9, 953. https://doi.org/10.1038/s41598-018-37304-0
  11. Xiang, B., Xie, SP., Kang, S.M. et al. (2023): An emerging Asian aerosol dipole pattern reshapes the Asian summer monsoon and exacerbates northern hemisphere warming. npj Clim Atmos Sci 6, 77. https://doi.org/10.1038/s41612-023-00400-8

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