Heiße Tage in der Arktis

Aus Klimawandel

Änderung des Hintergundklimas

Abb. 1: Änderung der globalen Mitteltemperatur (rot) und der Jahresmitteltemperatur über Land nördlich 60 °N (blau) im Zeitraum 1900-2020 im Verhältnis zum Mittel 1981-2020

Es gibt keine allgemein gültige Definition für die Arktis. Teilweise wird darunter das Gebiet nördlich des Polarkreises bei 66,5 °N verstanden, manchmal werden auch die Flusseinzugsgebiete, die in den Arktischen Ozean entwässern und in manchen Fällen bis südlich von 50 °N reichen, dazugerechnet. Die World Meteorological Organization (WMO) grenzt die Arktis nach Süden auch schon mal bei 60°N ab [1]. Vereinfacht wird daher auch von den „nördlichen hohen Breiten“ gesprochen. Sie schließen die Arktis und angrenzende Regionen ein, die durch dieselben Wettersysteme, Klimaschwankungen und ozeanischen Veränderungen bestimmt sind. Ein Schlüsselfaktor ist dabei die zentrale Bedeutung der Kryosphäre, d.h. von Meereis, saisonaler Schneebedeckung, Permafrost und Landeis.[2]

Das Klima der Arktis hat sich in den letzten Jahrzehnten besonders stark erwärmt, was auch als Arktische Verstärkung bezeichnet wird. Polwärts von 60 °N waren die wärmsten Jahre seit 1900 die Jahre 2016-2019, und seit Beginn des neuen Jahrhunderts hat sich die Region deutlich stärker erwärmt als das globale Mittel (Abb. 1). Die beiden wärmsten Jahre waren 2016 und 2019. In Alaska ereignete sich der wärmste Frühling seit 1925 im Jahr 2016, auf Spitzbergen 2018, und Finnland erlebte seinen heißesten Juli ebenfalls 2018, als auch in vielen anderen Teilen Skandinaviens Rekordtemperaturen gemessen wurden. In Sibirien gab es 2019/20 den wärmsten je gemessenen Winter und Monate späte die höchsten je gemessenen Sommer-Temperaturen (s.u.). Und am Nordpol lagen die Temperaturen im Dezember 2015 über 0 °C.[2]

Hohe Temperaturen

Abb. 2: Mittlere bodennahe Temperatur für das arktische Sibirien im Monat Juni zwischen 1900 und 2020 relativ zum Mittel 1981-2010.

Heiße Tage in der Arktis sind eine ungewöhnliche Vorstellung. Wenn man sich an Definitionen aus den mittleren Breiten orientiert und als heißen Tag einen Tag versteht, an dem die Höchsttemperatur in zwei Meter Höhe 30°C erreicht oder übersteigt, kommen solche Tage in letzter Zeit zunehmend auch in der Arktis vor. So wurden in Norilsk in Zentral-Sibirien, das bei 69 °N liegt und als nördlichste Großstadt der Welt gilt, am 25. Juli 2013 32 °C gemessen.[3]; auch von anderen Orten im arktischen Sibirien sind Temperaturen von über 30 °C gemeldet worden.[4] Übertroffen wurden alle bisherigen Temperaturrekorde jedoch am 25. Juni 2020 in der ostsibirischen Stadt Werchojansk, bei 67 °N gelegen, mit 38 °C.[5] Von der Weltorganisation für Meteorologie (WMO, engl. World Meteorological Organization) wurde das als neuer Temperaturrekord für das Gebiet nördlich des Polarkreises weltweit eingestuft.[6]

Gerade Sibirien ist prädestiniert für extreme Temperaturen. Nirgendwo auf der Erde sind die Temperaturunterschiede im Jahresverlauf so extrem; sie liegen im Januar bei fast -40 °C, im Juli bei etwa +20 °C.[7] So hält Werchojansk (zusammen mit dem ebenfalls russischen Oimekon) mit -67,8 °C zugleich den Rekord für die tiefste je gemessene Temperatur auf der Nordhalbkugel.[8] Temperaturen über 30 °C sind jedoch äußerst selten. Das Jahr 2020 begann in Sibirien allerdings bereits im Winter mit ungewöhnlich hohen Temperaturen. Und schon im Mai 2020 lagen die Werte um bis zu 10 °C über dem Mittel und bescherten der Region den wärmsten Mai seit Beginn der Messungen. So waren der gesamte Frühling und der vorhergehende Winter ungewöhnlich warm. Die lange Periode von Dezember 2019 bis Mai 2020 fiel deutlich wärmer aus als ähnliche Perioden seit Beginn der Messungen 1979, stellenweise um 8 °C und mehr.[9]

Druckverhältnisse, Schnee und Bodenfeuchte

Abb. 3: Oberflächentemperatur (links) und Luftdruck bei 500 hPa (rechts) für Juni 2020 im Verhältnis zum Juni-Mittel 1981-2010. Der schwarze Pfeil im rechten Bild zeigt den Zustrom warmer Luft von Süden her.

Bereits der warme Winter und Frühling 2020 waren mit ungewöhnlichen Lufdtruckverhältnissen verbunden. Im Januar bis April herrschten über dem Arktischen Ozean ausgeprägte Tiefdruckverhältnisse, die sich bis nach Nordsibirien erstreckten - wobei normalerweise zu dieser Zeit hier ein Hochdruckgebiet liegt. Die Folge war eine starke Bewölkung, die einen sonst um diese Jahreszeit klaren Himmel verhinderte, so dass die winterliche Wärmeausstrahlung gering war. Außerdem wurde der Zustrom warmer und feuchter Luft aus niederen Breiten begünstigt. Ab Mai wiederum kehrten sich die Verhältnisse um. So war die Zeit zwischen dem 18. und 25 Juni durch ein Hochdruckgebiet mit 1014-1018 hPa und einen klaren Himmel, der zu einer starken Sonneneinstrahlung und einem Temperaturanstieg führte, gekennzeichnet.[5] Auch bei dieser Konstellation kam es zum Einstrom warmer Luft aus südlicheren Breiten (Abb. 3).

Hinzu kam, dass auch die Schneebedeckung und die Bodenfeuchte in der sibirischen Arktis in den vorangegangenen Monaten ungewöhnlich niedrig waren. Der Schnee schmolz früher als sonst. Der schneefreie Boden sorgte dafür, dass weniger Sonneneinstrahlung reflektiert und mehr absorbiert und als Wärmestrahlung emittiert wurde, was zu einer weiteren Erwärmung führt (Schnee-Albedo-Effekt).[10] Mitte Juni gab es so gut wie keinen Schnee mehr am Boden, zugleich stand die Sonne am höchsten. Durch den früh weggeschmolzenen Schnee und niedrige Niederschläge war der Boden im Juni außerdem weitgehend ausgetrocknet, so dass die geringe Verdunstung zusätzlich zu den hohen Temperaturen beitrug.[7]

Folgen

Als Folge des ungewöhnlich warmen Frühjahrs und Frühsommers 2020 brachen in der Region zahlreiche Waldbrände aus. Bis zum 25. Juni waren davon in ganz Sibirien 20461 km2 betroffen, etwa 2800 km2 mehr als im Jahr zuvor, wodurch allein im Juni 56 Megatonnen CO2 emittiert wurden, was mehr ist als die jährlichen Emissionen mancher Staaten wie z.B. der Schweiz. Weitere Folgen waren ein starkes Abschmelzen von Permafrost, wodurch z.B. bei Norilsk ein Öltank auseinanderbrach, nachdem er in den aufgetauten Permafrostboden eingesunken war, und sich 150 000 Barrel Diesel in ein Flusssystem ergossen.[5]

Die Bedeutung des Klimawandels

Simulationen mit Computermodellen, die in der neuen Disziplin der Zuordnungsforschung eingesetzt wurden, haben ergeben, dass ohne den anthropogenen Klimawandel die Temperaturen in Sibirien zwischen Januar und Juni 2020 mindestens um 2 °C kälter gewesen wären. Die in Werchojansk gemessene Rekordtemperatur ist nach diesen Berechnungen im Vergleich zum Beginn des 20. Jahrhunderts durch den Klimawandel mehr als 600 Mal wahrscheinlicher geworden.[5] Unter Bedingungen ohne den anthropogenen Klimawandel wären solche Temperaturen so gut wie ausgeschlossen.

Einzelnachweise

  1. WMO (2020): Reported new record temperature of 38°C north of Arctic Circle)
  2. 2,0 2,1 Walsh, J.E., T.J. Ballinger, E.S. Euskirchen, E. Hanna, J. Mård, J.E. Overland, H. Tangen, T. Vihma (2020): Extreme weather and climate events in northern areas: A review, Earth-Science Reviews, https://doi.org/10.1016/j.earscirev.2020.103324
  3. NASA Earth Observatory (2013): Heat Intensifies Siberian Wildfires
  4. WeatherWunderground (2013): Heat Wave Continues in Siberia
  5. 5,0 5,1 5,2 5,3 Ciavarella, A., D. Cotterill, P. Stott et al. (2020): Prolonged Siberian heat of 2020
  6. WMO (2020): Reported new record temperature of 38°C north of Arctic Circle
  7. 7,0 7,1 Copernicus Climate Change (2020): Arctic Siberia’s unusual warm spell continues
  8. WMO: World Meteorological Organization Global Weather & Climate Extremes Archive
  9. Copernicus Climate Change (2020): Investigating an unusually mild winter and spring in Siberia
  10. Vgl. Eis-Albedo-Rückkopplung

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