Arktische Verstärkung

Aus Klimawandel
Abb. 1: Änderung der Jahresmitteltemperatur 1979-2020 in der Arktis (66.6°N–90°N) sowie Karte der Jahresmitteltemperatur 2020. Alle Daten relativ zum Mittel 1981-2010
Abb. 2: Arktische Erwärmung nach Jahreszeiten 2010-2020 im Vergleich zu 1960-2020: A: Winter, B: Frühjahr, C: Sommer, D: Herbst. Sowie globale Erwärmung nach Jahreszeiten und Breitengraden

Die Arktis ist die Großregion auf der Erde, die sich durch den globalen Klimawandel am stärksten erwärmt. Das Phänomen wird als „Arktische Verstärkung“ bezeichnet. Die Ursachen wurden intensiv erforscht und sind weitgehend geklärt. Sie liegen nicht nur in Prozessen in der Arktis selbst, sondern auch in Fernwirkungen, besonders aus den Tropen.

Die Erwärmung der Arktis

Abb.1 zeigt die Zunahme der Jahresmitteltemperatur der Arktis (66.6°N–90°N) seit 1979 im Vergleich zum Mittel 1981-2010. Die Erwärmung liegt bei 2-3 °C gegenüber den 1980er Jahren. 2020 war mit 2,2 °C über dem Mittel 1981-2010 das zweitwärmste Jahr in der Arktis. Besonders hoch waren die Temperaturen im nördlichen Sibirien mit bis zu 5 °C höher als 1981-2010 (Abb. 1, rechts).[1] Die höchste absolute Temperatur wurde am 25. Juni 2020 in der östlichen Arktis an der sibirischen Station Werchojansk mit 38 °C gemessen.[2] Dieser Wert wurde von der WMO als neuer Temperaturrekord für das Gebiet nördlich des Polarkreises eingestuft.[3] Seit 1960 hat sich die Arktis stärker erwärmt als jede andere Region auf dem Planeten. Die Erwärmung fiel besonders stark aus, wo es zu deutlichen Meereisverlusten gekommen ist. Neben den räumlichen gab es auch ausgeprägte saisonale Unterschiede. Das Maximum der Erwärmung wurde im Winter und Herbst beobachtet, das Minimum im Sommer (Abb. 2). Die höchste Zunahme verzeichneten die Bodentemperaturen mit 0,8 °C/Jahrzehnt, während sie in der höheren Troposphäre bei 300 hPa nur 0,4 °C betrug.[4]

Frühere Studien haben der Arktis eine doppelt so starke Erwärmung im Vergleich zur globalen Temperaturzunahme zugeschrieben. Der jüngste Bericht des Arctic Monitoring and Assessment Programme (AMAP)[5] hat für die Zeit von 1971 bis 2019 eine dreimal so starke Erwärmung wie global festgestellt. Besonders stark ist dabei die Temperatur im Winter über dem Arktischen Ozean angestiegen, über der nordöstlichen Barentssee sogar um 10,6 °C. Eine noch stärkere Erwärmung hat die Untersuchung von Rantanen et al. (2022) für die Satellitenperiode 1979-2020 ergeben.[6] Danach hat sich die Arktis sogar fast viermal so stark erwärmt als die Erde insgesamt. Während die globale Mitteltemperatur im selben Zeitraum um 0,19 °C/Jahrzehnt gestiegen ist, lag die Steigerungsrate der Arktis bei 0,73 °C/Jahrzehnt.

Abb. 3: Der Einfluss der Änderung der Albedo auf das Klima

Ursachen der Erwärmung

Regionale Ursachen

Als wichtigste Ursache für die besonders starke Temperaturzunahme durch den Klimawandel in der Arktis gelten die Abnahme der Meereis- und Schneebedeckung und die damit verbundenen Rückkopplungen. Durch die Erwärmung der Atmosphäre infolge der anthropogenen Treibhausgasemissionen kommt es zum Abschmelzen von Eis auf dem Ozean und Schneeflächen auf dem Land. Dadurch werden die dunkleren Wasser- und Landflächen frei, deren Albedo deutlich geringer ist als die von Schnee und Eis. Die Folge ist eine höhere Absorption der Sonnenstrahlung, die in Wärmestrahlung umgewandelt wird, welche die untere Atmosphäre erwärmt, was zu einer weiteren Eis- und Schneeschmelze führt (Abb. 3). Nach Schätzungen ist diese Eis-/Schnee-Albedo-Rückkopplung für 30-60% der Arktischen Verstärkung verantwortlich. Besonders viel Wärme hat dadurch das Nordpolarmeer aufgenommen. Klimamodelle zeigen, dass sich nach einem weitgehenden Abschmelzen der Eis- und Schneeflächen, die Erwärmung der Arktis abschwächt.[4]

Durch die Eis-/Schnee-Albedo-Rückkopplung werden noch weitere Rückkopplungen angestoßen. Der eisfreiere Ozean erlaubt einen größeren Austausch von Wasserdampf, Energie und Bewegung mit der Atmosphäre. Verdunstung führt im Sommer der Atmosphäre mehr Wasserdampf, ein Treibhausgas, zu und erwärmt sie damit. Außerdem erhöht sich die Absorption von Sonnenstrahlung durch den Ozean, die bis in den Winter hinein gespeichert wird. Von freien Wasserflächen kann die Wärme dann an die Atmosphäre abgegeben werden und diese erwärmen. Zusätzlich ermöglicht weniger Meereisbedeckung bei Sturm stärkere Wellen, die weiteres Meereis aufbrechen und zusammenschieben können, wodurch noch mehr Wasserfläche frei wird.

Die arktische Verstärkung zeigt sich hauptsächlich im Winter und so gut wie gar nicht im Sommer. Dies ist primär auf den Rückgang des arktischen Meereises zurückzuführen. Wenn das Meereis im Sommer und Frühherbst schmilzt, kann mehr Sonnenstrahlung vom Ozean absorbiert werden. Diese gespeicherte Wärme wird dann im Winter an die darüber liegende Atmosphäre abgegeben, die im Winter wegen der fehlenden Sonne deutlich kälter ist als der Ozean.[7] Im Sommer, wenn das Eis schmilzt und der Ozean zunehmend frei wird, wird die zusätzliche Energie durch das Schmelzen von Eis gebraucht, andererseits von dem durch die winterliche Wärmeabgabe stark abgekühlten Ozean aufgenommen.[8]

Abb. 4: Änderung der Temperatur in der Troposphäre in °C pro Jahrzehnt bis 2100 nach dem Szenario SSP5-8.5
Abb. 5: Warme Luft am Äquator transportiert die zusätzliche Erwärmung in höhere Schichten, kalte Luft am Pol hält sie am Boden.
Abb. 6: Wasserdampf wird von den niederen Breiten Richtung Arktis transportiert, kondensiert dort und setzt Wärme frei.

Fernwirkungen

Neben den genannten regionalen Rückkopplungsprozessen spielen für die arktische Verstärkung auch globale Prozesse eine wichtige Rolle. Besonders der Austausch mit den Tropen ist dabei von zentraler Bedeutung. Durch die höhere Treibhausgaskonzentration erwärmt sich die Troposphäre über der Arktis und den Tropen völlig verschieden. Über der Arktis nimmt die Temperatur primär in den unteren Luftschichten zu, über den Tropen in der oberen Troposphäre (Abb. 4). Abb. 4 zeigt dieses Phänomen als Projektion der Temperaturänderung nach dem hohen Szenario SSP5-8.5 bis 2100 in verstärkter Form. Da die Treibhausgase hauptsächlich in der unteren Troposphäre konzentriert sind, werden auch die Tropen zunächst in den unteren Luftschichten erwärmt. Durch die hohe Sonneneinstrahlung wird hier jedoch die Luft ständig aufgeheizt und steigt nach oben. Die Treibhausgaserwärmung verstärkt diese Konvektion und damit den Wärmetransport in die höhere Troposphäre.

Hinzu kommt der vertikale Transport von latenter Wärme (Abb. 5). In den Tropen verdunstet sehr viel Wasser, was der Atmosphäre Energie entzieht. Der dabei entstehende Wasserdampf, der die Energie als latente Wärme speichert, steigt mit der warmen Luft auf, kühlt sich dabei ab und kondensiert. Dabei wird die latente Wärme freigesetzt, was zu einer zusätzlichen Erwärmung der oberen Luftschichten beiträgt. In der Arktis ist die Bodenluft jedoch viel zu kalt und schwer, so dass es auch bei einer Erwärmung durch zusätzliche Treibhausgase kaum Konvektion gibt und damit auch nur geringe Erwärmung der höheren Troposphäre durch aufsteigende warme Luft (fühlbare Wärme) und aufsteigenden Wasserdampf (latente Wärme).[7]

Tropen, mittlere und hohe Breiten existieren jedoch nicht getrennt voneinander, sondern tauschen Luftmassen und Wasserdampf aus. Durch die Zirkulation der Atmosphäre wird die warme und feuchte Luft der Tropen in die höheren Breiten transportiert.[8] Der Wasserdampftransport von den niederen und mittleren Breiten in die Arktis (Abb. 6) hat drei wichtige Konsequenzen, die alle an der Temperaturzunahme durch den Klimawandel in der Arktis beteiligt sind:

  1. einen zusätzlichen Treibhauseffekt durch mehr Wasserdampf,
  2. die Freisetzung von latenter Wärme bei Kondensation,
  3. nach der Kondensation eine zunehmende Bewölkung, die im Winter erwärmend wirkt.[4]

Das weitgehende Fehlen von Konvektion und Wasserdampf gilt auch für die Antarktis und führt dort ebenfalls zu einer verstärkten Erwärmung. Diese fällt jedoch wesentlich schwächer aus als in der Arktis. Ein Grund ist die viel größere Höhe der Antarktis-Oberfläche von einigen Tausend m, ein anderer die deutlich geringere Eis-Albedo-Rückkopplung. Die Meereisfläche hat sich durch die globale Erwärmung in den letzten Jahrzehnten kaum verändert. Ähnliches gilt für den bis zu mehreren Kilometer dicken Eisschild auf dem Land. Dunklere Flächen mit einer geringeren Albedo sind in der Antarktis außer auf der westantarktischen Halbinsel daher bisher kaum frei geworden. Hinzu kommt, dass die Erwärmung durch aufsteigendes kaltes Wasser aus den Tiefen des Südpolarmeers verzögert wird.[7] Im Südlichen Ozean nehmen aufsteigende kalte Wassermassen sehr viel Wärme auf, die aber durch Strömungen weg von der Antarktis nach Norden transportiert werden. Im subpolaren Nordpolarmeer wird das erwärmte Wasser dagegen zu einem erheblichen Teil Richtung Pol transportiert. Außerdem hat der Süßwassereintrag durch schmelzendes Schelfeis nach Modellberechnungen die Wassertemperatur des angrenzenden Ozeans um einige Zehntel Grad im Laufe des 21. Jahrhunderts reduziert.[8]

Zusammenfassung

Die Arktische Verstärkung beruht im Wesentlichen auf vier grundlegenden Prozessen:

  1. Die lokalen positiven Rückkopplungen (Wolkenbildung, Albedo, Wasserdampf) verstärken den ursprünglichen lokalen Antrieb in der Arktis stärker als in anderen Regionen.
  2. Die im Wesentlichen stabile Schichtung der Atmosphäre über der Arktis begrenzt eine konvektive vertikale Mischung der Luftschichten und konzentriert die Erwärmung in einer flachen oberflächennahen Schicht.
  3. Der saisonale Transfer von Energie vom Sommer in den Herbst und Winter durch die Wärmespeicherung des Ozeans im Zusammenhang mit dem Meereisverlust bewirkt eine maximale Erwärmung im Winter. Die Erwärmung im Sommer ist gering, da die Energie hauptsächlich für die Erwärmung des Ozeans und das Schmelzen von Eis gebraucht wird, wodurch sie in Herbst und Winter transferiert wird.
  4. Der zunehmende Transport von latenter Wärme Richtung Pol verstärkt die Arktische Erwärmung durch den dreifachen Effekt von Wasserdampf (s.o.).


Einzelnachweise

  1. Copernicus Climate Change: (2020): Arctic Temperatures
  2. Ciavarella, A., D. Cotterill, P. Stott et al. (2020): Prolonged Siberian heat of 2020
  3. WMO (2020): Reported new record temperature of 38°C north of Arctic Circle
  4. 4,0 4,1 4,2 Taylor, P.C., R.C. Boeke, L.N. Boisvert et al. (2022): Process Drivers, Inter-Model Spread, and the Path Forward: A Review of Amplified Arctic Warming. Front. Earth Sci. 9:758361. doi: 10.3389/feart.2021.758361
  5. AMAP. Arctic climate change update 2021 (2021): key trends and impacts. Summary for policy-makers. Arctic Monitoring and Assessment Programme (AMAP)
  6. Rantanen, M., Karpechko, A.Y., Lipponen, A. et al. (2022): The Arctic has warmed nearly four times faster than the globe since 1979. Commun Earth Environ 3, 168
  7. 7,0 7,1 7,2 Henry, M., CarbonBrief (2022): Why does the Arctic warm faster than the rest of the planet?
  8. 8,0 8,1 8,2 IPCC (2021); Climate Change 2021, WG I, The Physical Science Basis, 7.4.4.1


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