Die satanischen Verse

Aus Weltliteratur

Die satanischen Verse (The satanic Verses) ist der Titel eines 1988 erschienen Romans von Salman Rushdie, der von indischen Immigranten in Großbritannien handelt und teilweise vom Leben des Propheten Mohammed inspiriert ist. Der Ausdruck "satanische Verse" wurde von dem britischen Islamwissenschaftler William Muir gebildet.

Inhalt

Der Roman beginnt damit, dass zwei indische Fluggäste, der Schauspieler Gibril Farishta und der Stimmenimitator Saladin Chamcha, nach der Explosion eines Jumbo Jets über London ohne Fallschirm vom Himmel fallen und überleben. Gibril erhält nach dem Absturz einen Heiligenschein, während Saladin Fell, Hörner und Schwanz und somit ein teufelsähnliches Aussehen erhält. Aufgrund dieses Aussehens von der Polizei verfolgt, versteckt sich Saladin bei einem Freund in London in einem bangladeschischen Café, wo er nach einigen Leiden sein ursprüngliches Aussehen erhält und sich an Gibril, der ihn im Stich gelassen hat, mit satanischen Versen rächt.

In den Erzählstrang um Gibril und Saladin verwoben ist die Geschichte des Propheten Mohammed, der im Roman Mahound heißt, und dessen Kampf gegen die Göttin Al-Lat, die mit Aischa, der Frau des Propheten, verschmolzen ist. Dieser Strang ist als Traum Gibrils bzw. des Erzengels Gabriel gestaltet.

„Satanische Verse“ ist die Bezeichnung für gewisse, angeblich gelöschte Koran-Verse. Nach einer bei Tabari [1] erhaltenen Überlieferung fuhr Mohammed nach Sure 53 Vers 19f., in dem es um die mekkanischen Göttinnen Al-Lat, Uzza und Manat ging, aufgrund der Einflüsterung des Satans, fort: „Das sind die erhabenen Kraniche. Auf ihre Fürbitte darf man hoffen.“[2] Die neue, gereinigte oder berichtigte Fassung verdrängte diese Göttinnen, da sie auch als (untergeordnet) verehrungswürdige Wesen nicht mit dem Monotheismusgebot in Einklang zu bringen waren. Diese Episode aus der Geschichte des Islam wird – zusammen mit vielen anderen, die nahelegen sollen, dass Mohammed ein geschickter Politiker war, göttliche Inspiration oder nicht („Wie praktisch, ein Prophet zu sein“) – im Roman erzählt. Im Roman wird unter anderem erzählt, dass Mohammed mit seinen Anhängern über den rechten Glauben diskutierte und sich bei Uneinigkeiten auf einen Berg zurückzog. Dort erfuhr er, und dies deckt sich mit den koranischen Angaben, im Traum vom Erzengel Gabriel den Willen Gottes. Günstigerweise vertrat der Erzengel dabei immer diejenige Auffassung, die Mohammed bereits hatte. Es stellt sich dann heraus, dass es in Wirklichkeit nicht Gabriel, sondern der Satan gewesen war, den Mohammed im Traum getroffen hatte. Außerdem wurden dann die Worte Mohammeds, die er als Analphabet einem Schreiber diktierte, vom Schreiber variiert.

Thema des Romans ist der Gegensatz von Glaube und Zweifel, der durch eine Fülle von Gegensatzpaaren wie Gut und Böse, Sakrales und Profanes, Liebe und Hass, Rache und Vergebung, Geborgenheit und Exil, Leben und Tod, Wirklichkeit und Vision erweitert wird. Am Ende des Romans begeht Gibril Suizid und wird frei, während Saladin beschließt, dem Zweifel „als menschliche Befindlichkeit“ die Annahme des Lebens hier und jetzt entgegenzusetzen, denn „die Welt ist wirklich; wir müssen hier leben, weiterleben“.

Anspielungen auf den Islam

Folgende Figuren und Begriffe weisen eine Ähnlichkeit mit Persönlichkeiten bzw. Gegebenheiten der koranisch-/islamischen Geschichte: [3]

  • Mahound: Im Roman ein Geschäftsmann, der auf seinen heißen Berg im Hidschas steigt. (Seite 128) In dieser Stadt begründet der zum Propheten gewordene Geschäftsmann Mahound eine der großen Religionen der Welt. (Seite 130) Nach der Widerrufung der Satanischen Verse kehrt der Prophet Mahound nach Hause zurück, wo ihn eine Art Strafe erwartet (...) die siebzigjährige Frau des Propheten sitzt unter einem steinvergitterten Fenster, aufrecht, mit dem Rücken zur Wand, tot. Der Grande von Jahilia ordnet Verfolgungen an, die Hind [seine Ehefrau] nicht weit genug gehen. Der Name der neuen Religion ist UNTERWERFUNG. (Seite 169)
  • Jahilia: Im Roman eine Stadt gänzlich aus Sand gebaut. (Seite 128) Jahilia bedeutet nach koranischem Verständnis die Zeit der Unwissenheit vor dem Auftreten des Propheten. Jahilia wird hier offensichtlich mit der Stadt Mekka gleichgesetzt.
  • Schark: Im Roman (Seite 130) der Name des Stammes der Geschäftsleute aus der Stadt Jahlilia. Eine doppelte Anspielung: Die Stadt, die „Unwissenheit“ genannt wird; der Stamm Schark, Schirk bedeutet Götzendiener, der mehrere Götter gleichzeitig anbetet. Dieser Stamm Schark bzw. Schirk, der offensichtlich die Kontrolle über die Stadt Jahilia besitzt, wäre in der realen Geschichte der Stadt Mekka der Stamm der Quraisch, aus dem auch der Prophet Mohammed kam.
  • Abu Simbel: Der Grande von Jahilia (Seite 131) deckt sich auffällig mit Mohammeds Onkel Abu Talib. Oberhaupt des herrschenden Rates der Stadt, über alle Maßen reich, Eigentümer der einträglichen Tempel an den Stadttoren (...) was konnte die Gewißheit eines solchen Mannes erschüttern? Und dennoch naht auch für Abu Simbel eine Krise. Ein Name quält ihn, und Sie können sich denken, wie er lautet: Mahound Mahound Mahound.
  • Beheshti: Im Roman (Seite 130) ein verachteter Wasserträger, der die lebensnotwendige, gefährliche Flüssigkeit heraufholt. Behesti war in der islamischen Revolution des Iran tatsächlich eine von der Opposition gehasste Persönlichkeit und der „Wasserträger“ Chomeinis.
  • Imam: Im Roman schreibt Rushdie über den Imam: der bärtige, beturbante Imam. Wer ist er? Ein Verbannter, ein Mann im Exil. (Seite 273) (...) Das Exil ist ein Traum von der glorreichen Rückkehr. (...) Für den Mann im Exil ist Paranoia eine Vorbedingung des Überlebens. (Seite 275) Der Imam ist eine gewaltige Ruhe. Er ist lebender Stein (Seite 279). Er ist der Geisterbeschwörer und die Geschichte ist sein Trick. (Seite 280). Der Imam trinkt ständig Wasser, alle fünf Minuten ein Glas, um sich sauberzuhalten; das Wasser wird, bevor er daran nippt, mit Hilfe eines amerikanischen Filterapparats von allen Verunreinigungen befreit. Die jungen Männer, mit denen er sich umgibt, kennen seine berühmte Monographie über das Wasser, dessen Reinheit, die sich, wie der Imam glaubt, dem Trinkenden mitteilt ... (Seite 278) – eine direkte Anspielung auf Chomeinis Abhandlung von der Natur des Wassers. Dies offenbart Rushdies genaue Kenntnisse über das tägliche Leben Chomeinis im Exil. Die Parallelen zu Ruhollah Chomeini sind zu offensichtlich.
  • Bilal X: Im Roman schreibt Rushdie über Bilal X: Eine Fabel, die er [Imam] von einem seiner Günstlinge gehört hat, dem amerikanischen Konvertiten, der einmal ein erfolgreicher Sänger war und jetzt als Bilal X bekannt ist. (Seite 276) (...) Verbrennt die Bücher und vertraut dem Buch, zerreißt die Papiere und hört das Wort, wie es der Engel Gibril dem Verkünder Mahound offenbart hat ... legt er Bilal in den Mund. (Seite 281) Bilal X, der mehr als nur die Namensgleichheit mit Bilal al-Habaschi aufzuweisen hat, hat unübersehbar Parallelen zu Cat Stevens.

Wirkungen

Die satanischen Verse sind anspruchsvolle Literatur, aber radikale Vertreter der islamischen Geistlichkeit interpretierten das Buch als Diffamierung des Korans und seiner Überlieferung. Es wurde auch mehrfach darauf hingewiesen, dass eine groteske Nebenfigur nicht nur als Chomeini-Karikatur gesehen werden konnte. Es kam zu Demonstrationen und dem berüchtigten Mordaufruf in Form einer Fatwa des iranischen Revolutionsführers Chomeini (siehe den Artikel Salman Rushdie). Auf mehrere Übersetzer des Buchs wurden Anschläge verübt. So wurde z. B. Hitoshi Igarashi – der japanische Übersetzer des Buches – ermordet, der italienische Übersetzer, Ettore Capriolo, schwer verletzt und der norwegische Verleger, William Nygaard, entkam nur knapp einem Mordversuch. Außerdem setzten radikale Muslime bei einem Protest gegen den türkischen Übersetzer ein Hotel in Brand, in dem 37 Menschen verbrannten.

In Deutschland wagte kein einzelner Verlag, Die satanischen Verse zu verlegen. Gleichzeitig wurde es als Akt der Verteidigung der Menschenrechte gesehen, die Publikation sicherzustellen. Schließlich gründete eine Arbeitsgemeinschaft der deutschen Verlage einen neuen Verlag mit Namen „Artikel 19 Verlag“ (dem Artikel, der in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (UNO) das Grundrecht auf Meinungsfreiheit zusichert), dessen einziger Zweck die Herausgabe der Verse war. Im März 1997 erschien das Buch im Verlag Droemer Knaur als Taschenbuch.

Quellen

  1. Tabari Annalen I, S. 1192-1196,u. a., vgl. Rudi Parets Koranausgabe, Kommentarband, S. 461
  2. tilka l-garaniqu l-'ula wa-inna safa'atahunna la-turtaga
  3. Seitenangaben nach Salman Rushdie, Die Satanischen Verse. Rowohlt. 2007.

Literatur

  • Dieter Riemenschneider: Die Satanischen Verse in: Kindlers Neues Literatur Lexikon herausgegeben von Walter Jens, Kindler. Reinbek bei Hamburg 1996


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