Die kahle Sängerin

Aus Weltliteratur

Die kahle Sängerin (La cantatrice chauve) ist das erste Stück des französischen Dramatikers Eugène Ionesco. Es entstand 1948, wurde am 11.5.1950 in Paris uraufgeführt und erschien zuerst 1953.

Inhalt

Ein englisches Ehepaar, Mr. und Mrs. Smith, sitzen abends am Kaminfeuer. Er raucht Pfeife und liest Zeitung, sie strickt Socken. Ihre Unterhaltung dreht sich um alltäglich-banale Dinge, um die Uhrzeit, Krankheiten, Mahlzeiten, Todesfälle. Mr. und Mrs. Martin kommen zu Besuch. Sie scheinen sich jedoch gar nicht zu kennen und stellen erst nach einer umständlichen 'logischen' Beweisführung fest, dass sie Mann und Frau sind, da sie in derselben Stadt, derselben Straße, demselben Haus, demselben Zimmer wohnen und in demselben Bett schlafen. Das Gespräch mit den Smiths dreht sich wieder um dieselben alltaglichen Banalitäten. Dann taucht ein Feuerwehrmann auf und fragt höflich, ob ein Feuer ausgebrochen sei, was die Smiths bedauernd verneinen. Aus den stupiden Witzen des Feuerwehrmanns entwickelt sich ein sinnloses Durcheinanderreden, das in ein Herausschreien von bloßen Konsonanten und Vokalen endet. Der Vorhang fällt - und geht wieder auf, dieses Mal über den Martins, die denselben Dialog wie zu Beginn die Smiths aufnehmen.

Entstehung

Das Stück geht auf Ionescos denkwürdige Erfahrungen mit einem Englisch-Lehrbuch zurück: "Gewissenhaft schrieb ich die Sätze aus meinem Lehrbuch ab, um sie auswendig zu lernen. Als ich sie aufmerksam wieder durchlas, lernte ich zwar nicht Englisch, dafür aber erstaunliche Wahrheiten: daß die Woche sieben Tage hat zum Beispiel ... oder, daß der Fußboden unten, die Decke oben ist..." (Eugène Ionesco: Argumente und Argumente, Neuwied und Berlin 1964). Im Fortgang des Lehrbuchs traten Personen auf, die sich Dinge mitteilten, die sie eigentlich schon wissen mussten: So setzte eine Frau Smith ihren Mann darüber in Kenntnis, dass beide mehrere Kinder hätten, in der Umgebung Londons wohnten, ein Dienstmädchen hätten usw. Dieses Leseerlebnis der Absurdität des Alltags wurde zur Keimzelle der "Kahlen Sängerin" und damit des absurden Theaters des Eugène Ionesco. Das Stück sollte zuerst "Englisch ohne Mühe", später "Die Englischstunde" heißen. Der spätere Titel des weltberühmten Stückes geht auf einen Versprecher des Schauspielers zurück, der bei der Erstaufführung den Feuerwehrmann spielte. Ionesco führte daraufhin eine kurze Anspielung auf den Titel ein: Bevor der Feuerwehrmann die Familie Smith wieder verlässt, erkundigt er sich beiläufig nach der kahlen Sängerin und erhält nach einem peinlichen Schweigen die Antwort, sie trage immer noch dieselbe Frisur.

Deutung

Ionescos Stück dreht sich einerseits um die Sprache des Alltags. Sie ist völlig aussagelos geworden, geht ins Leere und bewegt nichts mehr. Während im klassischen Theater, und auch noch in dem Theater Brechts, Dialoge eine die Handlung voran treibende Funktion haben, gibt es bei Ionesco keine echten Dialoge mehr. Die Figuren reden nebeneinander her und könnten ebenso gut schweigen. Im Grunde überdecken sie mit ihrem Gerede nur die zwischen ihnen herrschende Leere und Langeweile. Und das bedeutet, dass Ionesco letztlich mit seiner Kritik an der alltäglichen Konversation, die Situation der Menschen zeigen will, die darin gefangen sind. "Die Smiths, die Martins können nicht mehr miteinander reden, weil sie nicht mehr denken können; sie können nicht mehr denken, weil sie nichts mehr bewegen kann, weil sie keine Leidenschaft mehr empfinden." (Eugène Ionesco: Argumente und Argumente, Neuwied und Berlin 1964) So deckt die Kritik an der oberflächlichen Sprache eines Sprachlehrbuchs in der Konsequenz die existenzielle Situation des modernen Menschen auf: Sein Gefangensein im Alltagsgeschwätz zeigt seine innere Leere, seine absolute Einsamkeit.

Literatur

  • Martin Esslin: Das Theater des Absurden, Frankfurt am Main 1964

Weblinks

<metakeywords>DBS-Wiki-WL, Theater, Drama, Frankreich, Eugène Ionesco, Französische Literatur</metakeywords>

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