Atlantische Umwälzzirkulation in der Gegenwart: Unterschied zwischen den Versionen

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Neben dem klimatischen Einfluss bewirkt die AMOC auch eine Umverteilung des ozeanischen Salzgehalts, von Kohlenstoff und von Nährstoffen im Atlantik. Der Nordatlantik steht für 40 % des mittleren globalen [[Kohlenstoff im Ozean|Austausches von CO<sub>2</sub> zwischen Atmosphäre und Ozean]], vor allem nördlich des 50. Breitengrades. Damit nimmt der Nordatlantik auch einen größeren Teil des anthropogenen Kohlendioxids aus der Atmosphäre auf.<ref name=Lozier 2017">Lozier, S. et al. (2017): Overturning in the Subpolar North Atlantic Program: a new international ocean observing system. Bull. Am. Meteorol. Soc. 98, 737–752</ref> Durch neue Beobachtungen wurde deutlich, dass das traditionelle Bild einer sich langsam verändernden und durch die Konvektion in hohen Breiten angetriebenen Zirkulation die Variabilität der AMOC nicht hinreichend erklärt. Vielmehr zeigte sich, dass die AMOC auf allen Zeitskalen deutliche Schwankungen aufweist, von Tagen bis zu Jahrzehnten, und dass diese Schwankungen sich zwischen den Breitengraden unterscheiden. Die Beobachtungen haben weiterhin gezeigt, dass die Intensität der Zirkulation weniger durch Konvektion in der Labrador See bedingt ist, wie bisher angenommen, als durch die Umwandlung von warmem, salreichem Obeflächenwasser in kaltes und weniger salzhaltiges Tiefenwsser östlich von Grönland, und zwar besonders in der Irmingersee (Abb. 2).<ref name=" Frajka-Williams 2023">Frajka-Williams, E., N. Foukal and G. Danabasoglu (2023): Should AMOC observations continue: how and why? Phil. Trans. R. Soc., https://doi.org/10.1098/rsta.2022.0195</ref>
Neben dem klimatischen Einfluss bewirkt die AMOC auch eine Umverteilung des ozeanischen Salzgehalts, von Kohlenstoff und von Nährstoffen im Atlantik. Der Nordatlantik steht für 40 % des mittleren globalen [[Kohlenstoff im Ozean|Austausches von CO<sub>2</sub> zwischen Atmosphäre und Ozean]], vor allem nördlich des 50. Breitengrades. Damit nimmt der Nordatlantik auch einen größeren Teil des anthropogenen Kohlendioxids aus der Atmosphäre auf.<ref name=Lozier 2017">Lozier, S. et al. (2017): Overturning in the Subpolar North Atlantic Program: a new international ocean observing system. Bull. Am. Meteorol. Soc. 98, 737–752</ref> Durch neue Beobachtungen wurde deutlich, dass das traditionelle Bild einer sich langsam verändernden und durch die Konvektion in hohen Breiten angetriebenen Zirkulation die Variabilität der AMOC nicht hinreichend erklärt. Vielmehr zeigte sich, dass die AMOC auf allen Zeitskalen deutliche Schwankungen aufweist, von Tagen bis zu Jahrzehnten, und dass diese Schwankungen sich zwischen den Breitengraden unterscheiden. Die Beobachtungen haben weiterhin gezeigt, dass die Intensität der Zirkulation weniger durch Konvektion in der Labrador See bedingt ist, wie bisher angenommen, als durch die Umwandlung von warmem, salreichem Obeflächenwasser in kaltes und weniger salzhaltiges Tiefenwsser östlich von Grönland, und zwar besonders in der Irmingersee (Abb. 2).<ref name=" Frajka-Williams 2023">Frajka-Williams, E., N. Foukal and G. Danabasoglu (2023): Should AMOC observations continue: how and why? Phil. Trans. R. Soc., https://doi.org/10.1098/rsta.2022.0195</ref>


== Strömungsänderungen ==
== Strömungsänderungen: Beobachtungen und Modellsimulationen ==
=== Direkte Messungen ===
Die Änderung der Atlantischen meridionalen Umwälzzirkulation gilt als einer der zentralen Kipppunkte des Erdsystems. Ein Abbruch der Zirkulation ist mit abrupten Klimaänderungen bei eiszeitlichen Übergängen zwischen glazialen und interglazialen Phasen in Verbindung gebracht worden.<ref name="Ma 2024"/>  Bekannt ist ein Aussetzen der Umwälzzirkulation in relativ kurzer Zeit am Ende der letzten Eiszeit um 12.000 vh., die sog. Jüngere Dryaszeit, die zu einer erheblichen Abkühlung im Nordatlantikraum geführt hat. Klimamodelle projizieren eine Abschwächung der AMOC um rund ein Drittel für das Ende des 21. Jahrhunderts.<ref name="IPCC 2021a">IPCC AR6, WGI (2021): Climate change 2021: The physical science basis, 9.2.3.1</ref>   
Seit langen wird diskutiert, ob sich die Atlantische Umwälzzirkulation durch den Klimawandel abschwächt. Klimamodelle projizieren eine solche [[Abschwächung der thermohalinen Zirkulation|Abschwächung von etwa einem Viertel  für das Ende des 21. Jahrhunderts]].<ref name="IPCC 2013, 12.4.7">IPCC (2013): Climate Change 2013, Working Group I: The Science of Climate Change, 12.4.7</ref>  Am Ende der letzten Eiszeit gab es sogar ein [[Thermohaline Zirkulation der Vergangenheit|Aussetzen der Umwälzzirkulation]] mit den Folgen einer erheblichen Abkühlung im Nordatlantikraum in relativ kurzer Zeit. Ist diese Verringerung der Strömungen des Golfstromsystems im Nordatlantik aber auch schon gegenwärtig feststellbar?  Das ist keine leicht zu beantwortende Frage. Messungen der Strömungen selbst gibt es erst seit kurzem und räumlich begrenzt. Andere Methoden wie, Aussagen über die Strömung aus Temperaturdaten abzuleiten, und Berechnungen mit Klimamodellen sind mit deutlichen Unsicherheiten behaftet.


[[Bild:Land-ocean-temp2015.jpg|thumb|520px|Abb. 3: Temperaturen über Land und Ozean 2015 als Abweichung von 1981-2010; grau: fehlende Daten ]]
=== Indirekte Ableitungen ===
Erst seit 2004 existiert quer über den Atlantik bei 26° nördlicher Breite ein kontinuierliches Messprogramm, das zum ersten Mal über die Strömung aus dem Golf von Mexiko nach Norden wie über den Rückstrom in der Tiefe nach Süden verlässliche Daten liefert.<ref>Das bitisch-amerikanische Programm trägt den Namen [http://www.rapid.ac.uk/ RAPID] (Rapid Climate Change-Meridional Overturning Circulation and Heatflux Array)</ref>  So werden Strömungen in der Floridastraße und östlich der Bahamas gemessen.<ref name="Smeed 2018">Smeed, D. A., Josey, S. A., Beaulieu, C., Johns, W. E., Moat, B. I., Frajka-Williams, E., et al. (2018): [https://doi.org/10.1002/2017GL076350 The North Atlantic Ocean is in a state of reduced overturning]. Geophysical Research Letters, 45, 1527–1533</refMessergebnisse bis 2017 zeigen tatsächlich eine Abschwächung der Strömung, besonders seit 2008. Bis Anfang 2008 besaß der Transport der AMOC einen Wert von fast 19 Sverdrup (Sv), danach nur noch von ca. 16 Sv.  Ab 2012 verringerte sich die Atlantische Umwälzzirkulation dann allerdings nicht weiter, blieb aber auf dem niedrigeren Stand.<ref name="Smeed 2018" /> Ein Teil der Veränderungen könnte durch die [[Anthropogen|anthropogene Erwärmung]] verursacht sein. Der beobachtete Zeitraum ist jedoch zu kurz, um einen langfristigen Trend durch einen externen Antrieb wie die erhöhte Konzentration von [[Treibhausgase]]n von einer internen natürlichen Schwankung zu unterscheiden.<ref name="Smeed 2018" />
Beobachtungen der AMOC haben sich vor 2004, dem Beginn von fest installierten direkten Strömungsmessungen (s.u.), auf Schiffsdaten zur Temperatur und Wasserdichte oder Satellitendaten zur Meeresspiegelhöhe gestützt.<ref name="McCarthy 2023"/>  Außerdem wurden Proxydaten von marinen Sedimenten genutzt. Die AMOC war danach relativ stabil in den letzten 8.000 Jahren. Ob es im 20. Jahrhundert zu einer Abschwächung kam, ist laut dem jüngsten Bericht des Weltklimarats IPCC wegen des Fehlens direkter Beobachtung schwer zu sagen.<ref name="IPCC 2021b">IPCC AR6, WGI (2021): Climate change 2021: The physical science basis, 2.3.3.4</ref>  Proxydaten von marinen Sedimenten zeigen nach einigen Studien eine Abschwächung der AMOC seit dem späten 19. Jahrhundert und über das 20. Jahrhundert. Beobachtungen, die sich auf die Meeresoberflächentemperatur und die Meeresspiegelhöhe stützen, lassen eine Abschwächung der AMOC über das 20. Jahrhundert ebenfalls vermuten.<ref name="IPCC 2021c">IPCC AR6, WGI (2021): Climate change 2021: The physical science basis, 3.5.4.1</ref>  Nach anderen Studien zeigen die Proxydaten keine solchen Signale, da z.B. Meeresoberflächentemperaturen auch von atmosphärischen und ozeanischen natürlichen Schwankungen abhängig sind. Viele Rekonstruktionen zeigen Schwankungen, die einen langfristigen Trend im 20. Jahrhundert überdecken. Der Weltklimarat schätzt zusammenfassend die Wahrscheinlichkeit einer Abschwächung der AMOC im 20. Jahrhundert als niedrig ein.<ref name="IPCC 2021b"/>  
   
Als ein Beleg für eine Abschwächung der AMOC gilt manchen Untersuchungen die Abkühlung in der Absinkregion der AMOC südlich von Island, das sog. Erwärmungsloch (warming hole) im subpolaren Nordatlantik. Möglicherweise besteht ein Zusammenhang zwischen einem geringeren ozeanischen Wärmetransport in höhere Breiten und dem Erwärmungsloch im Nordatlantik als Konsequenz einer höheren Treibhausgaskonzentration. Es werden jedoch auch andere Ursachen diskutiert wie eine Zunahme des ozeanischen Wärmetransport aus dem subpolaren Nordatlantik heraus in noch höhere Breiten oder der Einfluss von anthropogenen Aerosolen. Außerdem zeigen die Meeresoberflächentemperaturen im Gebiet des Erwärmungslochs eine Abkühlung nur zwischen 1930 und 1970, seit den 1990er Jahren dagegen starke Schwankungen ohne klaren Trend.<ref name="Latif 2022">Latif, M., J. Sun, M. Visbeck et al. (2022): Natural variability has dominated Atlantic Meridional Overturning Circulation since 1900, Nat. Clim. Chang. 12, 455–460 (2022). https://doi.org/10.1038/s41558-022-01342-4</ref>  


2014 wurde ein neues Messprogramm mit dem Namen OSNAP (Overturning in the Subpolar North Atlantic Program) eingerichet, das Daten über die Veränderungen des Volumen-, Wärme- und Süßwassertransports bei ~58 °N liefern soll.<ref>Homepage: http://www.o-snap.org/</refMehrere Messpunkte wurden einerseits zwischen Südwestgrönland und Labrador, andererseits zwischen Südostgrönland und Schottland eingerichtet.<ref name="Zhao 2018">Zhao, J., A Bower, J. Yang, X. Lin & N. P. Holliday (2018): Meridional heat transport variability induced by mesoscale processes in the subpolar North Atlantic, Nature Communications 9:1124, DOI: 10.1038/s41467-018-03134-x </ref>  OSNAP ist ein Beobachtungssystem, das den Massenfluss über die gesamte Tiefe der AMOC sowie den meridionalen Wärme- und Süßwassertransport erfassen soll.<ref name=Lozier 2017" />   Für ein breiteres Publikum ausgewertete Ergebnisse stehen noch aus.
=== Direkte Beobachtungen ===
In den letzten 20 Jahren wurden im Nordatlantik vor allem zwei Messprogramme zur Beobachtung der AMOC etabliert, das RAPID-Programm bei 26 °N seit 2004 und das OSNAP-Programm im subpolaren Nordatlantik seit 2014.<ref name="Srokosz 2023"/>  Das RAPID-Programm ist das einzige AMOC-Beobachtungssystem, das seit über 15 Jahren kontinuierliche Messungen über die gesamte Tiefe der AMOC und das ganze Atlantik-Becken vornimmt.<ref name=Johns 2023">Johns W.E., S. Elipot, D.A. Smeed et al. (2023): Towards two decades of Atlantic Ocean mass and heat transports at 26.5° N, Phil. Trans. R. Soc. A.38120220188, http://doi.org/10.1098/rsta.2022.0188</ref>  Es weist in den ersten sechs Jahren eine starke Abschwächung der AMOC auf, danach aber einen leichten Anstieg (Abb.).<ref name="McCarthy 2023"/>  Die Abschwächung der Umwälzzirkulation betrug 2004-2008 knapp 3 Sv,<ref name="IPCC 2021c"/>  was etwa 20% entspricht. Der Zeitraum von wenigen Jahren ist jedoch zu kurz, um daraus einen Trend abzuleiten und eine Abschwächung der Zirkulation von einer Dekaden-Schwankung zu unterscheiden.<ref name="IPCC 2021b"/>  


=== Indirekte Ableitungen ===
Trotz zahlreicher Modellstudien über die Änderungen der Tiefenwasserbildung im subpolaren Nordatlantik gab es vor 2014 keine kontinuierliche Beobachtung der AMOC-Schwankungen in dieser Region. Das änderte sich mit dem OSNAP-Programm, das nicht nur den Wasser-, sondern auch den Wärme- und Süßwassertransport durch ein von Labrador über die Südspitze Grönlands bis nach Schottland reichendes Beobachtungsystem installierte. Die neuen Beobachtungsdaten des OSNAP-Programms von 2014 bis 2020 weisen zum einen darauf hin, dass im Gegensatz zu der tradierten Sicht nicht die Labradorsee im Westen die Umwälzzirkulation im subpolaren Nordatlantik bestimmt, sondern der Ostteil der Absinkregion mit dem Irminger und Island-Becken (Abb. 1). In den östlichen Absinkregionen zwischen Grönland und Schottland beträgt die Umwälzzirkulation 16 Sv (vor allem in der Irminger See), gegenüber nur 3 Sv im westlichen Teil. Auch der Wärmetransport unterscheidet sich mit 0,42 PW im östlichen und 0,08 PW im westlichen Teil erheblich. Nur der Süßwassertransport in die Labradorsee, der vor allem in künftigen Jahren verstärkt durch abschmelzendes Meereis und Landeis zu erwarten ist, ist etwa ähnlich groß wie in der östlichen Region. In beiden Gebieten zeigt die AMOC-Zirkulation neben starken Schwankungen zwischen den Jahreszeiten und von Jahr zu Jahr einen Wassertransport von ca. 15 Sv, der sich über den Gesamtzeitraum kaum verändert hat (Abb.).<ref name="Fu 2023">Fu, Y., M.S. Lozier, T.C. Biló et al. (2023): Seasonality of the Meridional Overturning Circulation in the subpolar North Atlantic. Commun Earth Environ 4, 181 (2023). https://doi.org/10.1038/s43247-023-00848-9</ref>  
[[Bild:Temp change N-Atlantic2004-2016.jpg|thumb|520px|Abb. 4: Temperaturänderung über dem Nordatlantik 2009-2016 im Vergleich zu 2004-2008 ]]
Eine andere Möglichkeit, das Strömungsverhalten des Golfstrom-Systems zu erfassen, kann die Untersuchung von Stellvertreterdaten, sog. Proxydaten, sein. Da die Strömungen die Meeresoberflächentemperaturen und die Temperaturen der darüber liegenden Luftschichten beeinflussen, lassen sich daraus Aussagen über die Meeresströmungen ableiten. Nahezu überall auf dem Globus haben die Temperaturen in den letzten Jahrzehnten durch den Klimawandel deutlich zugenommen. Der subpolare Atlantik hat sich jedoch kaum erwärmt bzw. sogar abgekühlt. So zeigen die Mitteltemperaturen des Jahres 2015 über dem Nordatlantik südlich von Island im Vergleich zum Durchschnitt der Jahre 1981-2010 deutlich negative Werte, die in der Forschung auch als „Erwärmungsloch“ (warming hole) bezeichnet werden.<ref name="Drijfhout 2012">Drijfhout, S., van Oldenborgh, G. J. & Cimatoribus, A. (2012): Is a decline of AMOC causing the warming hole above the North Atlantic in observed and modeled warming patterns? J. Clim. 25, 8373–8379  Quelle: NOAA National Centers for Environmental Information</ref> 
Die Lufttemperatur über dem Atlantik südlich von Island hat etwa im Zeitraum 2009-2016 um 0,5 °C im Vergleich zu 2004-2008 abgenommen, was nach einer neueren Untersuchung  eine Folge der Abschwächung der Nordatlantikzirkulation ist.<ref name="Smeed 2018" /> Auch die  höheren Temperaturen vor der nordamerikanischen Ostküste werden als Konsequenz der schwächeren Strömung des Golf- und Nordatlantikstroms gesehen, da sich die warme Strömung bei geringerer Geschwindigkeit aufgrund der schwächeren [[Corioliskraft]] näher an die nordamerikanische Küste verschiebt. 
[[Bild:Freshwater flux Labrador Sea.jpg|thumb|520px|Abb. 5: Süßwasserfluss 1979-2013 in mSv<ref name="mSv" /> von den drei wichtigsten Quellen in die Labradorsee. CAA: Gletscher auf dem kanadisch-arktischem Archipel (Canadian Arctic Archipelago)]]
Zur Bestätigung  des Zusammenhangs zwischen der fehlenden Erwärmung im subpolaren Atlantik und einer Abschwächung der Atlantischen Umwälzzirkulation wurden auch [[Klimamodelle|Klimamodellrechnungen]] herangezogen.<ref name="Caesar 2018">Caesar, L., S. Rahmstorf, A. Robinson, G. Feulner and V. Saba (2018): Observed fingerprint of a weakening Atlantic Ocean overturning circulation. Nature 556: 191–196</ref>  Danach hat sich seit Mitte des 20. Jahrhunderts die Umwälzbewegung im Atlantik um ca. 15 % verringert, was etwa 3 Sv entspricht. Der Grund wird als „sehr wahrscheinlich“ weitgehend anthropogen bedingt eingestuft, da die Veränderungen mit den Projektionen zahlreicher Klimamodelle für das Ende des 21. Jahrhunderts übereinstimmen. Untersuchungen von Meeressedimenten in der Labradorsee haben zudem gezeugt, dass die Abschwächung der Atlantischen Umwälzzirkulation bereits am Ende der [[Kleine Eiszeit|Kleinen Eiszeit]] einsetzte, bedingt durch die Süßwasserzufuhr von schmelzenden Gletschern und [[Arktisches Meereis|Meereis]]. Der Klimawandel im 20. Jahrhundert hat, z.B. durch das Abschmelzen von Grönlandeis, diesen Prozess fortgesetzt.<ref name="Thornalley 2018">Thornalley, D.J.R., D.W. Oppo, P.Ortega et al. (2018): Anomalously weak Labrador Sea convection and Atlantic overturning during the past 150 years, Nature 556, 227-230</ref>  


Anhand der Süßwasserzuflüsse in die Labradorsee, eine der Hauptabsinkzonen der Umwälzzirkulation, wurde versucht die Mechanismen zu bestimmen, über die der Klimawandel die Meeresströmungen beeinflussen könnte.<ref name="Yang 2016">Yang, Q., T.H. Dixon, P.G. Myers et al. (2016): Recent increases in Arctic freshwater flux affects Labrador Sea convection and Atlantic overturning circulation, Nature Communications 7:10525, DOI: 10.1038/ncomms10525</ref> Das Süßwasser in der Labradorsee hat danach drei Hauptquellen, den [[Grönländischer Eisschild|Grönländischen Eisschild]], die [[ Gletscher in Nordamerika|Gletscher des Kanadischen Archipels]] und das [[Arktisches Meereis|arktische Meereis]]. Hinzu kommen Niederschläge und Abflüsse der großen Festlandströme Sibiriens und Nordkanadas und durch die zunehmende Schneeschmelze.
=== Modellsimulationen ===  


Die Steigerung des Süßwasserflusses in die Labradorsee in den letzten zwei Jahrzehnten betrug 20 mSV<ref name="mSv">1 mSv = 1 milli-Sverdrup = 10<sup>3</sup> m<sup>3</sup> /s)</ref>, wovon 70 % in die Labradorsee gelangten.<ref name="Yang 2016" /> Die Folge war, dass weniger dichtes und schweres Wasser in der Labradorsee gebildet wurde, wodurch die Atlantische Umwälzzirkulation sich abschwächte.


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==

Version vom 11. Januar 2025, 16:02 Uhr

Atlantische meridionale Umwälzzirkulation

Die Atlantische Umwälzzirkulation, gehört zu den zentralen Themen der Diskussion über den Klimawandel. Sie wird auch als Atlantische Meridionale Umwälzzirkulation (engl. Atlantic Meridional Overturning Circulation = AMOC bzw. AMO), als Golfstrom-System bzw. (etwas veraltet) als Thermohaline Zirkulation bezeichnet. Die Erdgeschichte hat gezeigt, dass sie in der heutigen Form kein stabiles System ist, der Hollywood-Film The Day After Tomorrow hat die Folgen ihres möglichen Zusammenbruchs einem Massenpublikum drastisch vor Augen geführt, und wissenschaftliche Experten sehen den gegenwärtigen Zustand des Strömungssystems, dem Europa sein mildes Klima verdankt, durch den Klimawandel gefährdet.

Abb. 1: Meeresströmungen im Nordatlantik
Abb. 2: Die wichtigsten Absinkregionen im Nordatlantik-Becken, in denen Tiefenwasser gebildet wird. OSNAP West/East (Overturning in the Subpolar North Atlantic Program): Messprogramm im Nordatlantik.

Die ungleiche Sonneneinstrahlung in den hohen und niederen Breiten hat Energieausgleichsströmungen in der Atmosphäre wie im Ozean zur Folge. Der Atlantische Ozean dominiert den globalen ozeanischen Wärmetransport, insbesondere mit dem Golfstrom und seinen Ausläufern. Weiter nordöstlich zweigt der Nordatlantikstrom vom Golfstrom ab, der als subpolarer Wirbel nach Osten dreht, und übernimmt den Energietransport nach Norden. Im subpolaren Nordatlantik gibt der Ozean die Wärme an die kältere Atmosphäre ab. Die vorherrschenden Westwinde im Nordatlantik transportieren die Wärme dann vor allem Richtung Westeuropa. Die aus dem Golf von Mexiko stammende Meeresströmung besitzt durch die starke Verdunstung in den Subtropen einen hohen Salzgehalt, der die Dichte des Wassers erhöht. Die Abkühlung in den hohen Breiten macht das Wasser dann noch einmal schwerer. Die Folge ist, dass im subpolaren Atlantik das Wasser über große Regionen in die Tiefe sinkt und hier nach Süden zurückströmt (Abb. 1). Das absinkende Wasser sorgt dafür, dass immer wieder neue Wassermassen aus den Subtropen nachströmen.

Die atlantische Umwälzzirkulation wird einerseits durch Dichteunterschiede angetrieben, die durch verschiedene Temperaturen und unterschiedlichen Salzgehalt hervorgerufen werden. Andererseits ist aber auch der Wind ein wichtiger Antriebsfaktor. Daher ist die Bezeichnung AMOC passender als der frühere Name Thermohalinen Zirkulation, der sich nur auf die Dichte bezieht. Der nach Norden gerichtete Strom von warmem und salzhaltigem Wasser fließt in den oberen 1000 m, der nach Süden gerichtete Fluss von kaltem Wasser bewegt sich in 2-3 km Tiefe.[1] Der Transport der AMOC beträgt bei 26,5 °N und ca. 500 m Tiefe nach Modellberechnungen 15,5 Sverdrup (Sv, 1 Sverdrup = 1 Mio. m3/s). Der Wärmetransport an dieser Stelle beläuft sich auf 0,81 PW (1 Petawatt = 1015 Watt).[2]

Abb. 3: Meridionale Zirkulation im Atlantik, mit Fließrichtungen und Salzgehalt; links: Verlauf des vertikalen Profils.

Die atlantische Umwälzzirkulation sorgt für einen Wärmetransport auch von der Südhalbkugel über den Äquator nach Norden (Abb. 3), wodurch sich der Atlantik fundamental vom Pazifik unterscheidet. Dieser Wärmetransport führt zu einer Asymmetrie in der Verteilung von Temperatur und Niederschlag zwischen den beiden Hemisphären. So ist die Nordhalbkugel im Mittel etwa 1 °C wärmer als die Südhalbkugel. Außerdem ist die AMOC, neben der Verteilung von Land und Meer auf der Erde, möglicherweise auch für die Verschiebung der ITCZ um 5° nördlich des Äquators verantwortlich.[3] Das hat ein um 5 °C wärmeres maritimes Klima im nordwestlichen Europa im Vergleich mit dem Klima auf ähnlichen Breiten im Pazifik-Raum zur Folge. Aufgrund des warmen Atlantik-Wassers ist etwa der Hafen von Murmansk nördlich des Polarkreises das ganze Jahr über eisfrei.[4]

Neben dem klimatischen Einfluss bewirkt die AMOC auch eine Umverteilung des ozeanischen Salzgehalts, von Kohlenstoff und von Nährstoffen im Atlantik. Der Nordatlantik steht für 40 % des mittleren globalen Austausches von CO2 zwischen Atmosphäre und Ozean, vor allem nördlich des 50. Breitengrades. Damit nimmt der Nordatlantik auch einen größeren Teil des anthropogenen Kohlendioxids aus der Atmosphäre auf.[5] Durch neue Beobachtungen wurde deutlich, dass das traditionelle Bild einer sich langsam verändernden und durch die Konvektion in hohen Breiten angetriebenen Zirkulation die Variabilität der AMOC nicht hinreichend erklärt. Vielmehr zeigte sich, dass die AMOC auf allen Zeitskalen deutliche Schwankungen aufweist, von Tagen bis zu Jahrzehnten, und dass diese Schwankungen sich zwischen den Breitengraden unterscheiden. Die Beobachtungen haben weiterhin gezeigt, dass die Intensität der Zirkulation weniger durch Konvektion in der Labrador See bedingt ist, wie bisher angenommen, als durch die Umwandlung von warmem, salreichem Obeflächenwasser in kaltes und weniger salzhaltiges Tiefenwsser östlich von Grönland, und zwar besonders in der Irmingersee (Abb. 2).[6]

Strömungsänderungen: Beobachtungen und Modellsimulationen

Die Änderung der Atlantischen meridionalen Umwälzzirkulation gilt als einer der zentralen Kipppunkte des Erdsystems. Ein Abbruch der Zirkulation ist mit abrupten Klimaänderungen bei eiszeitlichen Übergängen zwischen glazialen und interglazialen Phasen in Verbindung gebracht worden.[2] Bekannt ist ein Aussetzen der Umwälzzirkulation in relativ kurzer Zeit am Ende der letzten Eiszeit um 12.000 vh., die sog. Jüngere Dryaszeit, die zu einer erheblichen Abkühlung im Nordatlantikraum geführt hat. Klimamodelle projizieren eine Abschwächung der AMOC um rund ein Drittel für das Ende des 21. Jahrhunderts.[7]

Indirekte Ableitungen

Beobachtungen der AMOC haben sich vor 2004, dem Beginn von fest installierten direkten Strömungsmessungen (s.u.), auf Schiffsdaten zur Temperatur und Wasserdichte oder Satellitendaten zur Meeresspiegelhöhe gestützt.[4] Außerdem wurden Proxydaten von marinen Sedimenten genutzt. Die AMOC war danach relativ stabil in den letzten 8.000 Jahren. Ob es im 20. Jahrhundert zu einer Abschwächung kam, ist laut dem jüngsten Bericht des Weltklimarats IPCC wegen des Fehlens direkter Beobachtung schwer zu sagen.[8] Proxydaten von marinen Sedimenten zeigen nach einigen Studien eine Abschwächung der AMOC seit dem späten 19. Jahrhundert und über das 20. Jahrhundert. Beobachtungen, die sich auf die Meeresoberflächentemperatur und die Meeresspiegelhöhe stützen, lassen eine Abschwächung der AMOC über das 20. Jahrhundert ebenfalls vermuten.[9] Nach anderen Studien zeigen die Proxydaten keine solchen Signale, da z.B. Meeresoberflächentemperaturen auch von atmosphärischen und ozeanischen natürlichen Schwankungen abhängig sind. Viele Rekonstruktionen zeigen Schwankungen, die einen langfristigen Trend im 20. Jahrhundert überdecken. Der Weltklimarat schätzt zusammenfassend die Wahrscheinlichkeit einer Abschwächung der AMOC im 20. Jahrhundert als niedrig ein.[8]

Als ein Beleg für eine Abschwächung der AMOC gilt manchen Untersuchungen die Abkühlung in der Absinkregion der AMOC südlich von Island, das sog. Erwärmungsloch (warming hole) im subpolaren Nordatlantik. Möglicherweise besteht ein Zusammenhang zwischen einem geringeren ozeanischen Wärmetransport in höhere Breiten und dem Erwärmungsloch im Nordatlantik als Konsequenz einer höheren Treibhausgaskonzentration. Es werden jedoch auch andere Ursachen diskutiert wie eine Zunahme des ozeanischen Wärmetransport aus dem subpolaren Nordatlantik heraus in noch höhere Breiten oder der Einfluss von anthropogenen Aerosolen. Außerdem zeigen die Meeresoberflächentemperaturen im Gebiet des Erwärmungslochs eine Abkühlung nur zwischen 1930 und 1970, seit den 1990er Jahren dagegen starke Schwankungen ohne klaren Trend.[10]

Direkte Beobachtungen

In den letzten 20 Jahren wurden im Nordatlantik vor allem zwei Messprogramme zur Beobachtung der AMOC etabliert, das RAPID-Programm bei 26 °N seit 2004 und das OSNAP-Programm im subpolaren Nordatlantik seit 2014.[1] Das RAPID-Programm ist das einzige AMOC-Beobachtungssystem, das seit über 15 Jahren kontinuierliche Messungen über die gesamte Tiefe der AMOC und das ganze Atlantik-Becken vornimmt.[11] Es weist in den ersten sechs Jahren eine starke Abschwächung der AMOC auf, danach aber einen leichten Anstieg (Abb.).[4] Die Abschwächung der Umwälzzirkulation betrug 2004-2008 knapp 3 Sv,[9] was etwa 20% entspricht. Der Zeitraum von wenigen Jahren ist jedoch zu kurz, um daraus einen Trend abzuleiten und eine Abschwächung der Zirkulation von einer Dekaden-Schwankung zu unterscheiden.[8]

Trotz zahlreicher Modellstudien über die Änderungen der Tiefenwasserbildung im subpolaren Nordatlantik gab es vor 2014 keine kontinuierliche Beobachtung der AMOC-Schwankungen in dieser Region. Das änderte sich mit dem OSNAP-Programm, das nicht nur den Wasser-, sondern auch den Wärme- und Süßwassertransport durch ein von Labrador über die Südspitze Grönlands bis nach Schottland reichendes Beobachtungsystem installierte. Die neuen Beobachtungsdaten des OSNAP-Programms von 2014 bis 2020 weisen zum einen darauf hin, dass im Gegensatz zu der tradierten Sicht nicht die Labradorsee im Westen die Umwälzzirkulation im subpolaren Nordatlantik bestimmt, sondern der Ostteil der Absinkregion mit dem Irminger und Island-Becken (Abb. 1). In den östlichen Absinkregionen zwischen Grönland und Schottland beträgt die Umwälzzirkulation 16 Sv (vor allem in der Irminger See), gegenüber nur 3 Sv im westlichen Teil. Auch der Wärmetransport unterscheidet sich mit 0,42 PW im östlichen und 0,08 PW im westlichen Teil erheblich. Nur der Süßwassertransport in die Labradorsee, der vor allem in künftigen Jahren verstärkt durch abschmelzendes Meereis und Landeis zu erwarten ist, ist etwa ähnlich groß wie in der östlichen Region. In beiden Gebieten zeigt die AMOC-Zirkulation neben starken Schwankungen zwischen den Jahreszeiten und von Jahr zu Jahr einen Wassertransport von ca. 15 Sv, der sich über den Gesamtzeitraum kaum verändert hat (Abb.).[12]

Modellsimulationen

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Srokosz, M.A., N.P. Holliday, H.L. Bryden (2023): Atlantic overturning: new observations and challenges. Phil. Trans. R. Soc. A 381: 20220196
  2. 2,0 2,1 Ma, Q., X. Shi and P. Scholz et al. (2024): Revisiting climate impacts of an AMOC slowdown: dependence on freshwater locations in the North Atlantic, Science Advances 10, 47, https://www.science.org/doi/abs/10.1126/sciadv.adr3243
  3. Bellomo, K., & Mehling, O. (2024): Impacts and state-dependence of AMOC weakening in a warming climate. Geophysical Research Letters, 51, e2023GL107624
  4. 4,0 4,1 4,2 McCarthy, G.D., L. Caesar (2023): Can we trust projections of AMOC weakening based on climate models that cannot reproduce the past? Phil. Trans. R. Soc. A 381: 20220193. https://doi.org/10.1098/rsta.2022.0193
  5. Lozier, S. et al. (2017): Overturning in the Subpolar North Atlantic Program: a new international ocean observing system. Bull. Am. Meteorol. Soc. 98, 737–752
  6. Frajka-Williams, E., N. Foukal and G. Danabasoglu (2023): Should AMOC observations continue: how and why? Phil. Trans. R. Soc., https://doi.org/10.1098/rsta.2022.0195
  7. IPCC AR6, WGI (2021): Climate change 2021: The physical science basis, 9.2.3.1
  8. 8,0 8,1 8,2 IPCC AR6, WGI (2021): Climate change 2021: The physical science basis, 2.3.3.4
  9. 9,0 9,1 IPCC AR6, WGI (2021): Climate change 2021: The physical science basis, 3.5.4.1
  10. Latif, M., J. Sun, M. Visbeck et al. (2022): Natural variability has dominated Atlantic Meridional Overturning Circulation since 1900, Nat. Clim. Chang. 12, 455–460 (2022). https://doi.org/10.1038/s41558-022-01342-4
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