Pnin

Aus Weltliteratur
Version vom 3. September 2008, 15:31 Uhr von Dieter Kasang (Diskussion | Beiträge)
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Pnin ist ein Roman von Vladimir Nabokov. Nabokov begann ihn 1953, beendete ihn 1955. Die Erstveröffentlichung erfolgte 1957. Zur selben Zeit etwa arbeitete er auch an seinem bekannteren Roman Lolita, der 1958 (in Amerika) erschien.

Namengeber des Werkes ist dessen Hauptfigur: Timofei Pnin, sein stets tragikomischer, zum Unglück neigender Antiheld. Der Leser beobachtet ihn als ältlichen, liebenswerten und feinsinnigen Collegeprofessor in den USA während der 1950er-Jahre.

Handlung

Professor Pnin gilt am provinziellen College von Waindell im Staat New York, je nach Ansicht, als rührend altmodischer Gelehrter, akademisches Original, europäisches Kleinod oder als unmöglicher Kauz. In seinen kaum besuchten Kursen lehrt er Russisch und russische Literatur, seine – im Amerika des kalten Krieges nutzlose – Muttersprache.

Sein Leben sieht Professor Pnin vorwiegend gekennzeichnet von Verlusten. Er verlor als Jugendlicher kurz hintereinander seine beiden sehr geliebten Eltern, bald darauf seine geliebte Heimat an die Bolschewiki, seine große Jugendliebe an die Mörderhände der SS im Holocaust, seine neuen Zufluchten, Prag und Paris an die einmarschierende Wehrmacht und die Liebe seiner Frau Lisa schließlich auf dem Schiff, das ihn 1940 nach Amerika bringt, an einen anderen, einen smarteren Mann.

Professor Pnin ist ein Verlierer und ein Verlorener, in vielfältiger Art entwurzelt und bleibt in Amerika stets ein Fremdkörper, auch wenn er die neue Staatsbürgerschaft nach langen Jahren mit nur einem Nansen-Pass stolz und freudig annimmt. Mit der amerikanischen Kultur, oder, wie er es begreift, ihrem gänzlichen Fehlen, kommt er nur mühsam zurecht. Er erlernt die englische Sprache nur schwer und so unvollkommen, dass er auch nach Jahren für die Formulierung seiner Vorlesungen die Hilfe eines Assistenten benötigt. Nach mehr als einer Dekade in Amerika ist es ihm nie gelungen, sich in Amerika ein Zuhause zu schaffen, auch nicht in Waindell, weil er sich offenbar in der neuen Welt nicht zuhause fühlt. So wird Waindell zu Beginn des Buches als „universitärer Unterschlupf“ bezeichnet.

Ein durchgängiges Motiv des Romans sind die Fortschritte Pnins, sich in Amerika häuslich einzurichten. Er wohnt zunächst in Lehrkörperwohnheimen oder zur Untermiete. Zaghaft versucht er, in einer ehemaligen Rumpelkammer der Universität ein eigenes Büro zu seinem bescheidenen, aber privaten Kabinett seiner Gelehrsamkeit einzurichten, es zu „pninisieren“. Durch einen bald darauf dort ebenfalls einquartierten und Pnin zutiefst unsympathischen Professor aus Österreich und dessen Hund wird dieser Versuch zunichte gemacht. Privat gelingt es ihm allmählich, das zunächst ganz unsentimentale Untermietverhältnis in das eines Hausgastes mit Familienanschluss zu überführen, bis die Tochter seiner Vermieter nach ihrer gescheiterten Ehe wieder zuhause einzieht, - für Pnin ein neuer Verlust. Nach einem unbefriedigenden Intermezzo als Untermieter bei zwei greisen Brüdern, schafft er endlich den Sprung und schafft sich ein Heim. Er wird Herr seines eigenen Häuschens, nur um auf seiner Einweihungsparty zu erfahren, dass der Direktor seines Lehrstuhls Waindell zu verlassen gedenkt und sein Nachfolger ausgerechnet N. ist. Da Pnin aus persönlichen Gründen jegliche Zusammenarbeit mit oder besser unter N. ablehnt, muss er seine Stellung am College aufgeben und sich anderswo um einem Lehrauftrag bemühen. Professor Pnin ist wieder heimatlos.

All diese Verluste, die großen und kleinen Niederlagen, trägt Pnin tapfer. Sein Motto ist: "Man muss sich dem Schicksal stellen." Trotz aller Nackenschläge des Schicksals verzweifelt er nicht. Er ist ein im Grunde heiterer, optimistischer Geist. Andererseits ist er sich der Heimtücke belebter und unbelebter Objekte und vor allem des Zufalls stets peinlich bewusst. Deshalb ist er übervorsichtig und auf eine umständliche Art aufwändig bemüht, Unglücke nicht zu vermeiden sondern auszuschließen, nur um dann sein unglückliches Schicksal umso sicherer zu erfüllen und zielgenau in neue, ganz andere Unglücke zu geraten.

Seine Übervorsichtigkeit und Angst bezieht sich auch auf seinen Körper, dessen Befindlichkeit er stets argwöhnisch beobachtet. Gelegentlich auftretende Herzrhythmusstörungen weiß Nabokov mit traumhaften Visionen der Vergangenheit zu verbinden und so dem Leser in Einschüben geliebte Personen der Vergangenheit oder die Erlebnisse eines viel jüngeren Pnin vorzustellen.

Der Erzähler N.

Der Leser sieht alles durch die Augen des Pnin beobachtenden Erzählers N. Vermutungen, mit N. könnte Nabokov seine eigene reale Person in den Roman eingebracht haben, scheitern an der biografischen Realität. N. ist, obwohl selbst eine Figur des Romans, über weite Strecken ein allwissender Erzähler, der sich sogar wiederholt direkt an den Leser wendet. Er verfügt über genaue Kenntnis der Gefühlslage Pnins in jedem Moment, er vermag die Handlung des Romans an jedem beliebigen Schauplatz zu beschreiben, ohne Rücksicht auf die eigene Anwesenheit dort oder die von Pnin, nimmt dann aber plötzlich wieder die Rolle eines Ich-Erzählers auf, der mit Pnin zumindest einen Teil seiner Vergangenheit und die Liebe Lisas teilte und behauptet, ihn vierzig Jahre lang nicht gesehen zu haben. Möglicherweise wegen N.´s früherem Verhältnis mit Lisa versucht Pnin immer wieder, N. auf Distanz zu halten.

Form der Erzählung

Die Geschichte präsentiert sich nicht als klassischer Roman mit einem durchlaufend erzählten Handlungsstrang. Stattdessen reihen sich Kapitel von unterschiedlicher Länge als scheinbar lose Folge von Erzählungen aneinander. Im Zentrum steht stets Pnin, der in immer neuen Zusammenhängen gezeigt wird: Pnin in der Bahn, auf dem Weg zu einem Vortrag. Pnin als Untermieter. Pnin als Dozent im Kampf mit der englischen Sprache. Pnin und das Zusammentreffen mit seiner ihn noch immer ausnutzenden Exfrau Lisa. Pnin und Lisas Sohn Victor, für den Pnin Geld und väterliche Gefühle aufbringt. Pnin in Gesellschaft anderer Exilrussen. Pnin als Hausherr und Gastgeber. Zunächst noch kaum verbunden, schließen sich diese Beschreibungen schließlich kunstvoll zu einem Kreis, in dem das Ende des Romans zugleich auch dessen Anfang ist. Das Buch, das sich vordergründig als unspektakuläre Annäherung an die leicht lächerlich wirkende Person Pnins präsentiert, ist durchwoben von einem komplexen Geflecht aus Beziehungen, Andeutungen, Hinweisen, Motiven und Symbolen. Der Roman bezaubert vor allem durch die filigrane, fein verästelte Geschichte, die hinter der Figur Pnins immer durchscheint. So verbindet Nabokov in Pnin heitere Leichtigkeit mit den Abgründen menschlicher Tragik.

Auch in Sprache und Stil weiß der Roman zu begeistern, ist stets treffsicher und exakt. John Updike urteilt: "Nabokov writes prose the only way it should be written, that is ecstatically." (Nabokov schreibt Prosa auf die einzige Art und Weise, wie sie geschrieben werden sollte, nämlich ekstatisch.)


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