Homer
Biographie
Homer lebte wahrscheinlich gegen Ende des 8. Jahrhunderts v. Chr. im ionischen Kleinasien. Schon im Altertum war über seine Person wenig bekannt, und es rankten sich zahlreiche Legenden um seine Gestalt. Lange Zeit wurde bezweifelt, ob es sich bei Homer überhaupt um eine historische Persönlichkeit handele, was aber aus heutiger Sicht wenig begründet erscheint. Homer war, wie sich aus seinem Werk ableiten lässt, hoch gebildet, entstammte wahrscheinlich der gehobenen Gesellschaftsschicht und wurde möglicherweise auf der Insel Chios, vor der Küste Kleinasiens, geboren. Auch eine Reihe anderer Orte beanspruchte bereits in der Antike, Homers Geburtsort zu sein, z.B. Smyrna und Kolophon. Schon für die Antike war Homer "der Dichter" schlechthin, der die Götter- und Menschenwelt der griechischen Frühzeit gültig gestaltet hatte. Er war bis in die Spätantike Gegenstand des Schulunterrichts und wurde in allen Lebenslagen als Klassiker zitiert. Die Legende besagt, Homer sei im fortgeschrittenen Alter ein blinder Wandersänger gewesen. Gestorben soll er auf der Insel Íos im Ägäischen Meer sein.
Werk
Ist Homer überhaupt der Verfasser von Ilias und Odyssee? Hierin besteht der Kern der sog. "Homerischen Frage". Sie wurde bereits im 3. und 2. Jahrhundert v.Chr. diskutiert und in der Neuzeit wieder aufgegriffen. Eine wesentliche Grundlage des Zweifels an der Autorschaft Homers war die Vorstellung, dass es in der griechischen Antike des 8. Jahrhunderts noch keine Schrift gegeben habe und die beiden Werke in der bekannten Form erst ca. 200 Jahre spätere niederschrieben worden seien. Diese Annahme ist aber inzwischen durch archäologische Funde widerlegt. Dennoch hat der Zweifel an einer einheitlichen Verfasserschaft an beiden Werken bis ins 20. Jahrhundert angehalten. Diese vor allem an der Sprache orientierte analytische Homerforschung hat sich seit dem 18. Jahrhundert darum bemüht, Ilias und Odyssee in Einzelteile zu zerlegen und deren Herkunft aus der mündlichen Tradition bzw. von verschiedenen Verfassern nachzuweisen.
Der Homeranalyse stehen die Vertreter des Homerunitarismus gegenüber, denen es um den Nachweis geht, dass Ilias und Odyssee einheitliche Dichtungen sind, die von einem Verfasser geschrieben wurden. Die großen Unterschiede sowohl im Erzählstil wie im Menschenbild beider Epen werden dadurch erklärt, dass Ilias und Odyssee als ein Jugend- bzw. Alterswerk Homers betrachtet werden. Gegenstand der Untersuchung der Unitarier waren vor allem der Stil und die Bauformen des Erzählens.
Heute geht man davon aus, dass Homer der Schöpfer zumindest der Ilias, wahrscheinlich auch der Odyssee ist und erkennt an, dass beide Werke als Ganzheit entworfen sind, was nur auf der Grundlage der Schrift möglich gewesen sein kann. Unbestritten ist aber, dass er auf eine jahrhundertelange Tradition mündlichen Erzählens zurückgegriffen und deren Stoffe und Erzählweisen zu einem einheitlichen Werk gestaltet hat. Bereits während der mykenischen Kultur im 13. und 12 vorchristlichen Jahrhundert gab es ein mündliche Heldenepik, die von fahrenden Sängern an Fürstenhöfen vorgetragen wurde. Die formelhafte Verwendung vieler Sprachelemente in Homers Werk, das als einzigartiges Zeugnis des Übergangs von der Mündlichkeit der Sänger zur Schriftlichkeit gilt, verweist auf die Nähe zur mündlichen Dichtung.
Bedeutung und Wirkung
Mit Homer beginnt die abendländische Literaturgeschichte. Er gilt als Verfasser der beiden ersten großen literarischen Werke des Abendlandes, der Ilias und der Odyssee, und zugleich als Begründer der abendländischen Erzähltradition.
Die großen griechischen Tragödiendichter entnahmen ihre Stoffe teilweise den Epen Homers, deren Kenntnis sie bei ihren Zuschauern voraussetzen konnten. Die Bewunderung der Antike für Homer war allerdings nicht einhellig. So hat der Vorsokratiker Xenophanes Kritik an Homers Götterbild geübt: "Alles haben Homer und Hesiod den Göttern angehängt, was nur bei Menschen Schimpf und Schande ist: Stehlen und Ehebrechen und sich gegenseitig Betrügen." In römischer Zeit schließt Vergil mit seiner "Aeneis" an die homerischen Epen als Vorbilder an. Im 18. Jahrhundert sorgte die deutsche Übersetzung Homers durch Johann Heinrich Voss für eine weitreichende Verbreitung unter der gebildeten bürgerlichen Schicht. Zusammen mit Shakespeare und dem schotttischen Dichter Ossian gehörte Homer zu den literarischen Vorbildern des Sturm und Drang. So ist der Held in Goethes "Die Leiden des jungen Werthers" ein begeisterter Leser Homers. Und der Theoretiker des Sturm und Drang, Johann Gottfried Herder, sah in Homer nicht nur den Dichter des griechischen Nationalruhms und der griechischen Nationalweisheit, sondern auch den Dichter des Menschlichen.
Im 20. Jahrhundert zeugen zahlreiche Wiederverwendungen vor allem des Odysseus-Stoffes davon, dass Homers Werk auch noch im Bewusstsein des modernen Menschen lebendig geblieben ist. Das berühmteste Beispiel ist sicherlich der 1922 erschienene Roman "Ulysses" von James Joyce, der als Prototyp des modernen experimentellen Romans gilt. Auch das Heimkehrerdramen "Draußen vor der Tür" des deutschen Nachkriegsschriftstellers Wolfgang Borchert enthält unverkennbar Bezüge auf die Odyssee. Hinzu kommen zahlreiche Verfilmungen beider Werke sowie Verarbeitungen in Comics. Künstlerisch hochwertig ist davon sicherlich Stanley Kubricks "Odyssee im Weltraum", die allerdings den Stoff stark verfremdet verarbeitet. In jüngster Zeit hat die Ilias-Verfilmung durch Wolfgang Petersen von 2004 auch durch Homer-Experten großes Lob geerntet (Kein gewöhnlicher Sandalenfilm).
Unterricht
Die Homerische Frage
Material:
Am Beginn der neuzeitlichen Homerforschung stand Friedrich August Wolf (1759-1824), Professor aus Halle. Er ging davon aus, das es zur Zeit Homers noch keine Schrift im antiken Griechenland gab. Ilias und Odyssee seien auf der Grundlage von mündlich überlieferten Gesängen verschiedener Rhapsoden erst im 6. Jahrhundert v. Chr. schriftlich als ein Ganzes fixiert worden. Auf Wolfs Thesen bezieht sich Goethe in dem Gedicht Homer wieder Homer und in seinen Tag- und Jahresheften von 1821.
Homer wieder Homer
Scharfsinnig habt ihr, wie ihr seid,
Von aller Verehrung uns befreit,
Und wir bekannten überfrei,
Daß Ilias nur ein Flickwerk sei.
Tag- und Jahreshefte
"Man erinnert sich, welch ein schmerzliches Gefühl über die Freunde der Dichtkunst und des Genusses an derselben sich verbreitete, als die Persönlichkeit des Homer, die Einheit des Urhebers jener weltberühmten Gedichte, auf eine so kühne und tüchtige Weise bestritten wurde. Die gebildete Menschheit war im tiefsten aufgeregt, und wenn sie schon die Gründe des höchst bedeutenden Gegners nicht zu entkräften vermochte, so konnte sie doch den alten Sinn und Trieb, sich hier nur eine Quelle zu denken, woher soviel Köstliches entsprungen, nicht ganz bei sich auslöschen. Dieser Kampf währte nun schon über zwanzig Jahre, und es war eine Umwälzung der ganzen Weltgesinnung nötig, um der alten Vorstellungsart wieder einigermaßen Luft zu machen.
Aus dem Zerstörten und Zerstückten wünschte die Mehrheit der klassisch Gebildeten sich wiederherzustellen, aus dem Unglauben zum Glauben, aus dem Sondern zum Vereinen, aus der Kritik zum Genuß wieder zu gelangen. Eine frische Jugend war herangewachsen, unterrichtet wie lebenslustig; sie unternahm mit Mut und Freiheit, den Vorteil zu gewinnen, dessen wir in unsrer Jugend auch genossen hatten, ohne die schärfste Untersuchung selbst den Schein eines wirksamen Ganzen als ein Ganzes gelten zu lassen. Die Jugend liebt das Zerstückelte überhaupt nicht, die Zeit hatte sich in manchem Sinne kräftig hergestellt, und so fühlte man schon den früheren Geist der Versöhnung wiederum walten."
Fragestellung:
- Welche Haltung nimmt Goethe zur Homerischen Frage in den vorliegenden Texten ein?
- Mit welchen Argumenten begründet Goethe seine Einstellung?
- Formuliere eine eigene begründete Meinung zur Homerischen Frage und beziehe dich dabei kritisch auf Goethes Argumentation. (Als Hilfe zur Meinungsbildung kann der Wikipedia-Artikel Die Homerische Frage herangezogen werden.)
Homer in der Geschichte
- Fertige eine Tabelle über die historische Entwicklung an, in die Homer einzuordnen ist. Die Tabelle sollte die Spalten Zeit, Geschichte, Literatur, Philosophie enthalten. In ihr sollten mindestens die folgenden Stichworte vorkommen: Troja, mykenische Zeit, Dunkle Jahrhunderte, archaisches Zeitalter, klassische Zeit, Hellenismus, Mündliche Dichtung, schriftliche Literatur, Homer, Aischylos, Sophokles, Euripides, Aristophanes, Sokrates, Platon, Aristoteles.
- Entwirf einen mündlichen Vortrag als Erläuterung der Tabelle.
Literatur
- Gustav Adolf Seeck: Homer. Eine Einführung, Stuttgart 2004
- Thomas Paulsen: Geschichte der griechischen Literatur, Stuttgart 2004
Weblinks
Homer Linksammlung auf dem Hamburger Bildungsserver