Soyinka: Unterschied zwischen den Versionen
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Der Nigerianer Wole Soyinka (eigentlich Oluwole Akinwande Babatunde Oludeinde Isola Soyinka) wurde am 13 Juli 1934 in Abeokuta im heutigen Bundesstaat Ogun, 100 km nordwestlich von Lagos, geboren. Weltruhm erlangte er 1986, als er als erster Afrikaner den Literaturnobelpreis erhielt. | Der Nigerianer Wole Soyinka (eigentlich Oluwole Akinwande Babatunde Oludeinde Isola Soyinka) wurde am 13 Juli 1934 in Abeokuta im heutigen Bundesstaat Ogun, 100 km nordwestlich von Lagos, geboren. Weltruhm erlangte er 1986, als er als erster Afrikaner den Literaturnobelpreis erhielt. | ||
Version vom 3. Juni 2007, 19:18 Uhr
(geb. 13.7.1934)
Biographie
Wole Soyinka
Der Nigerianer Wole Soyinka (eigentlich Oluwole Akinwande Babatunde Oludeinde Isola Soyinka) wurde am 13 Juli 1934 in Abeokuta im heutigen Bundesstaat Ogun, 100 km nordwestlich von Lagos, geboren. Weltruhm erlangte er 1986, als er als erster Afrikaner den Literaturnobelpreis erhielt.
Soyinka ist auf so vielen Feldern tätig wie kaum ein anderer afrikanischer Intellektueller. Er ist Dramaturg, Schriftsteller, Dichter, Regisseur, Essayist, Kritiker, Dozent, Übersetzer, Politiker und verfügt darüber hinaus über eine beeindruckende Sprachgewalt, die selbst hoch gebildete englische Muttersprachler immer wieder in Erstaunen versetzt. Bei der Preisverleihung 1986 in Stockholm, wo er seine Rede This Past Must Adress Its Present (Diese Vergangenheit muss sich ihrer Gegenwart stellen, Amman, Zürich 1988) Nelson Mandela widmete, horchte die Welt für kurze Zeit auf und nahm zur Kenntnis, dass auch in Afrika geschrieben und gelesen wird.
Soyinkas Heimatregion und gesellschaftliches Umfeld
Soyinkas unmittelbare Umgebung war christlich dominiert. Denn Abeokuta hatte sich im Yorubaland neben Lagos und Badagry ab Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem wichtigen Missionszentrum entwickelt, nachdem ehemalige christianisierte Sklaven aus Sierra Leone und Bahia in Brasilien in ihre frühere Heimat zurückkehrt waren und britische Missionsgesellschaften eher unfreiwillig die Vorhut des anrückenden britischen Kolonialismus bildeten. Zu jener Zeit wurde der Yoruba Samuel Ajayi Crowther 1864 als erster Afrikaner Anglikanischer Bischof mit weit reichenden Befugnissen, was ihn nicht nur zum berühmtesten Christen in der Subregion machte, sondern auch die Ausbreitung des Christentums und des Kolonialismus nachhaltig förderte.
Als Yoruba gehört Soyinka zu einem der drei Mehrheitsvölker (Haussa-Fulani, Igbo, Yoruba) im Vielvölkerstaat Nigeria mit seinen annähernd 400 Ethnien. Diese drei Völker repräsentieren etwa die Hälfte der Gesamtbevölkerung, und im Gegensatz zu den beiden anderen Mehrheitsvölkern sind bei den Yoruba die beiden großen Religionen Christentum und Islam etwa gleich stark vertreten. So ist es bei den Yoruba keineswegs ungewöhnlich, dass sich innerhalb einer Familie einzelne Familienmitglieder zum Christentum, andere zum Islam bekennen. Diese Entwicklung eines eigenständigen Islam liegt an der islamischen Expansion des Kalifats von Sokoto in Nordnigeria im frühen 19. Jahrhundert, die bis ins nördliche Yorubaland reichte und das Ende des Königreiches Oyo besiegelte. Das Machtvakuum, das das zerstörte Oyo-Reich hinterlassen hatte, und Kämpfe um die umstrittenen Handelswege zur Küste, führten zu einem jahrzehntelangen Bürgerkrieg zwischen den zahlreichen kleinen Yoruba-Königreichen, den erst die Briten gegen Ende des Jahrhunderts gewaltsam beendeten, um sich dann als neue Herren zu etablieren. Die Königtümer aber blieben auch während der Kolonialzeit im Kern bestehen, denn die Briten benutzten die traditionellen Herrschaftsstrukturen zur kostengünstigen Sicherung der eigenen Macht, so dass sich nach wie vor die Identität eines Yoruba stark an dem jeweiligen Clan orientiert. In Großraum Abeokuta dominiert der Clan der Egba, verkörpert durch den Alake, den König, und auch Soyinka nimmt seine Egba-Zugehörigkeit ernst und trägt auch seine traditionellen Titel Akinlatun of Egbaland und Akoogun of Ìsarà.
Soyinka erlebte einen extrem ereignisreichen und widersprüchlichen Zeitraum, in dem in Afrika und Nigeria gewaltige, mitunter auch schmerzhafte Transformationsprozesse abliefen und noch ablaufen. Und Soyinka war und ist Zeuge dieser Prozesse, die sich literarisch wie ein roter Faden durch sein Werk ziehen. Geboren und aufgewachsen zur Blütezeit des britischen Kolonialismus und des deutschen und europäischen Faschismus studierte er im Land der Kolonialherren zu einer Zeit, als sich das Ende des Kolonialismus abzeichnete. Die Unabhängigkeit Nigerias und zahlreicher anderer afrikanischen Staaten und der Beginn gewaltsamer Auseinandersetzungen um die politische Macht, die eine lange Phase des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Niedergangs Nigerias und Afrikas einläutete, das Ende der Apartheid im südlichen Afrika und die Wiederentdeckung der Demokratie in Teilen des Kontinents, all das spiegelt sich im Leben und Werk Soyinkas eindringlich und ungeschminkt wider. Denn Soyinka ist nicht nur Schriftsteller und weltweit gefragter Dozent, sondern zugleich ein zutiefst politischer Mensch, dessen Leben seit seinen Grundschultagen von der Politik geprägt ist und der sich früh aktiv in die Politik eingemischt hat, was ihm während des nigerianischen Bürgerkrieges eine mehr als zweijährige lebensbedrohliche Isolationshaft (1967-69) einbrachte und ihn mehrmals zur Flucht ins außerafrikanische Exil zwang. Daran hat sich bis zum heutigen Tag (22. Mai 2007) nichts grundlegendes geändert, wie seine Pressekonferenz in Lagos bewies, auf der er auch im Namen mehrerer Dutzend Nobelpreisträger die Präsidentschaftswahlen vom 21. April 2007 als Farce bezeichnete und die Annullierung der Wahlen und Neuwahlen forderte.
Chronik:
1934 Geboren in Abeokuta, 1946-52 Government College Ibadan, 1952-54 Studium am University College Ibadan, 1954-57 Studium an der Universität Leeds, 1957-60 Mitarbeiter am Royal Court Theatre in London, 1960 Rückkehr nach Nigeria, Forschungsprojekt zum Afrikanischen Theater, Gründung der Theatergruppe “Nineteen-Sixty Masks“, 1962 Dozent für Englische Literatur an der Universität Ile-Ife (heute: Obafemi Awolowo University), 1964 Dozent an der Universität Lagos, Gründung der Theatergruppe Orisun Repertory, 1965 Verhaftung und drei Monate U-Haft wegen widerrechtlicher Nutzung der Radiostation in Ibadan nach den gefälschten Regionalwahlen, 1967 Berufung zum Dozenten für Theaterwissenschaften an der Universität Ibadan, Juli 1967 Beginn des Bürgerkrieges um Biafra, Aufruf zum Waffenstillstand, im August Verhaftung und Isolationshaft im Gefängnis von Kaduna, Oktober 1969 Entlassung aus der Haft, Soyinka verlässt Nigeria, Januar 1970 Ende des Bürgerkrieges, 1972 Ehrendoktorwürde der Universität Leeds, 1973/74 Lehrtätigkeit in Cambridge und Sheffield, 1975 Rückkehr nach Nigeria, Dozent für vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Ile-Ife, 1977 Mitorganisator des Afrika-Festivals on Arts and Culture (FESTAC) 1977 in Lagos, 1986 Nobelpreis für Literatur, 1994 Exil und Unterstützung des Piratensenders “Radio Kudirat“ im politischen Kampf gegen das Militärregime unter General Sani Abacha, 1997 Soyinka wird wegen Unterstützung angeblicher nigerianischer Terroristen in Abwesenheit zum Tode verurteilt, 1998 Tod von Diktator Abacha und temporäre Rückkehr Soyinkas nach Nigeria, 2005 Mitbegründer der PRONACO zur Durchführung einer alternativen Verfassungskonferenz
Werk
Soyinka schöpft im wesentlichen aus drei Quellen, aus der vielschichtigen Mythologie seines Yoruba-Volkes, den griechischen Klassikern wie Euripides, Aischylos, Sophokles und der modernen westlich europäischen Kultur. Er versteht es meisterhaft, diese drei scheinbar unvereinbaren Bereiche zu verbinden und neue Darstellungsformen zu entwickeln. In dieser Hinsicht bestehen Parallelen zu Picasso, der als Europäer die Doppeldeutigkeit und Interpretationsmöglichkeiten der afrikanischen Masken erkannte und sie für seine Kunst zu nutzen wusste. In einem der ersten von etwa 20 Theaterstücken, The Dance of the Forest, geschrieben als Auftragsarbeit zur Unabhängigkeitsfeier 1960, beschwört Soyinka die Vergangenheit, die Götter und Geister, die Vorfahren und die Lebenden. Sie alle stoßen schnell an ihre Grenzen, denn weder war die Vergangenheit ein Paradies, noch bietet sie Handlungsanweisungen für die Gegenwart. Und selbst Ogun, der Yoruba-Gott des Eisens, der Kunst und der Berufe, bleibt eine äußerst zwiespältige Figur. So betrachtet der Autor, der nach mehreren Studienjahren in Leeds nach Nigeria zurückgekehrt war, durch dieses Stück hindurch ziemlich spöttisch die Unabhängigkeitsfeierlichkeiten, die bereits im Vorfeld gekennzeichnet waren durch Zank und Streit zwischen den zahlreichen Ethnien, den alten und neuen Potentaten und den machthungrigen Aufsteigern.
1995 brachte Soyinka das Stück The Beatification of an Area Boy auf die Bühne, das 1996 auch in Berlin gespielt wurde. Er untertitelte dieses Bühnenstück mit "A Lagosian Kaleidoscope", ein Hinweis auf den auch unterhaltsamen Charakter dieses ansonsten ernsten Stückes. Es thematisiert eine Randgruppe, die "Area Boys", die auf und an den Straßen, unter den zahllosen Brücken, inmitten von Dreck, Abfall, Gestank und Abgasen dieser Stadt leben und versuchen zu überleben. Entstanden im Kontext von Militärdiktaturen, des Niedergangs nach dem kurzen Erdölboom, der gleichzeitig unstrukturierten und unkontrollierten Bauwut und dem massiven Bevölkerungszuwachs in der Stadt, haben sich Kindert, Jugendliche und Heranwachsende eine eigene soziale und ökonomische Welt erschaffen mit eigenen Normen und Regeln. Kleinkriminalität, Raub, illegale Dienstleistungen für Lokalpolitiker und Geschäftsleute bestimmen den Tagesablauf dieser Area Boys, und Soyinka bringt Licht in das Dunkel dieser Randgruppe, die sich fern jeder familiären Bindungen als festes Milieu dieser Mega- und Hafenstadt am Golf von Guinea etabliert haben. Dazu greift er zum stylistischen Mittel "ein Tag im Leben von ...", zeigt so den Moloch Lagos und seine Protagonisten und weist aber zugleich einen Weg, diesem Elend zu entkommen.
Sein bislang letztes Stück King Baabu, 2001 uraufgeführt und im selben Jahr auch in Düsseldorf gespielt, ist eine Politikgroteske und Persiflage auf afrikanische Diktatoren und Diktaturen. In Anlehnung an Hanna Ahrends Analyse der Naziverbrecher wie Adolf Eichmann, verdichtet in ihrer Abhandlung “Die Banalität des Bösen“, rechnet der Autor auch mit den Militärdiktatoren im eigenen Land ab, die er in ihrer Brutalität, Hinterhältigkeit und zunehmender Intelligenz allesamt selbst erlebt und erlitten hat. In Anspielung auf den blutrünstigen General Abacha, der 1995 den Schriftsteller und Bürgerrechtler Ken Saro-Wiwa nach einem Schauprozess hinrichten ließ und unter dubiosen Umständen 1998 im Amt verschied, steht am Totenbett King Baabus bereits der nächste Putschist in Wartestellung, um die Diktatur als Endlosschleife fortzusetzen. Das Stück ist aber auch eine Parabel auf die Rolle der internationalen Gemeinschaft, die Figuren wie King Baabu politisch und militärisch stützen, um die riesigen Bodenschätze des Kontinents ungestört ausbeuten zu können.
Eine Erfolg versprechende Annäherung an den Autor gelingt über die drei Prosastücke Aké. The Years of Childhood”, 1981 (Aké, Jahre der Kindheit, 1986), Ísará. A Journey Around Essay”, 1989 (Ísará. Eine Reise rund um den Vater, 1994), Ibadan. The Penkelemes Years, 1994 (Ibadan. Streunerjahre 1946-65), die in einem inneren Zusammenhang stehen und als Triologie betrachtet werden können, und seine 2006 erschienen Memoiren You Must Set Forth At Dawn. "Aké" ist stark autobiographisch geprägt und bringt dem Leser ein Kind näher, das vor dem Hintergrund des voll etablierten Kolonialismus streng, aber wohlbehütet innerhalb der lokalen Elite aufwächst und die Ankunft der Moderne in Form von Elektrizität und Radio erlebt. Sein Vater Ayodele, genannt "Essay", Rektor der örtlichen Volksschule, hin und her gerissen zwischen rationalem westlichen Denken und seiner in der Yoruba-Kultur verwurzelten Traditionalität und Identität, seine christianisierte und tiefreligiöse Mutter Eniola, genannt “Wild Christian“, die einen kleinen Krämerladen betreibt, und seine Tante Funmilayo Ransome-Kuti, Rektorin des Gymnasiums in Abeokuta, sind die prägenden Figuren in Soyinkas Kindheit.
Schon in dieser Phase seines Lebens spürt und erfährt Soyinka, der bereits mit vier Jahren regelmäßig die Schule seines Vaters besuchte, welche Kräfte die traditionellen Riten der Yoruba mit ihren vielfältigen Gottheiten und das Christentum besitzen und welche paradoxen Situationen und Bilder sie in Verbindung miteinander erzeugen können. Dazu zählt auch der äußerst schmerzhafte Initiationsritus in die traditionelle Yoruba-Gesellschaft, den die väterliche Linie dem kleinen Soyinka aufzwang. Bei diesem Ritus zugunsten des Gottes Ogun wurden an Fußknöchel und Handgelenken Inzisionen durchgeführt. Dahinter stand die Überzeugung, mit Hilfe dieses Ritus Schmerz ertragen zu erlernen. Am Ende dieses Lebensabschnittes sieht er, wie seine Tante Funmilayo beginnt, die Frauen der Umgebung zu organisieren, denen die Kolonialverwaltung in Kooperation mit den korrupten lokalen Honoratioren willkürlich Steuern auferlegte. Diese Frauen führten später den berühmten “Egba-Aufstand“ durch (1947-50) und zwangen die Briten, den regierenden Alake (König) seines Amtes zu entheben und legten zugleich den Grundstein für die Frauenbewegung in Nigeria. Funmilayo Ransome-Kuti blieb ihr Leben lang politisch aktiv. Sie wurde während einer Militärrazzia unter der Militärdiktatur General Olusegun Obasanjos 1977 durch Soldaten schwer misshandelt und starb kurz darauf an den Folgen.
"Ísará" - der Titel bezieht sich auf den Geburtsort seines Vaters, der Soyinka als Metapher für die gravierenden Gegensätze während der scheinbaren Blütezeit des Kolonialismus in den 1930 und 40er Jahren dient - ist u.a. eine Homage an seinen strengen Vater, der sich trotz seiner gespaltenen Persönlichkeit als Aufklärer, Skeptiker und Traditionalist dem jährlichen Familientreffen zu Neujahr in seinem Geburtsort nicht verweigerte. In diesem Prosaband zeichnet Soyinka ein Bild Nigerias, das die Spannungen zwischen den Kolonialherren und den gebildeten Nigerianern mit ihren Merfach-Identitäten und den traditionellen Führern, den Chiefs, thematisiert. Sie bleiben trotz Christentum und Taufe ihrer traditionellen Religion nahe, in der Geheimgesellschaften, Waldgeister, Maskentänze und Prozessionen allgegenwärtig sind. Das gilt auch noch heute in weiten Teilen der Yoruba-Gesellschaft. Diesen komplexen Identitäten nähert sich Soyinka, indem er Mythen und Magie der Yoruba gezielt einsetzt, wobei zugleich die christliche Durchdringung der Gesellschaft deutlich hervortritt. Diese zwischen Tradition und Fortschritt gefangene Elite beschreibt Soyinka meisterhaft, und in "Ìsarà" versöhnt er auf fast märchenhafte Weise diese beiden Gegensätze: ein Gewerkschaftssekretär steigt zum Odemo (König) von Ísará auf, ein Beweis für die Transformationsfähigkeit der Gesellschaft, die die traditionellen Institutionen nicht über Bord werfen muss.
Der dritte Prosaband der Triologie "Ibadan. Streunerjahre" ist ebenfalls biographisch durchwirkt. Der Titel der deutschen Ausgabe ist aber irreführend, denn der im Originaltitel verwendete Begriff “Penkelemes Years“ ist eine der zahllosen typischen Wortschöpfungen des Autors. In diesem Fall ist es eine Zusammensetzung aus den englischen Wörtern “Peculiar Mess“, was sich wohl am besten mit "Schlammassel" oder "Chaos" übersetzen lässt. Das Werk ist geschrieben als Reaktion auf das gescheiterte Demokratisierungsprojekt 1993, als die Militärjunta unter General Ibrahim Babangida die Präsidentschaftswahlen vom 12. Juni 1993 kurzerhand annullierte. Damit war der hoffungsvolle Re-Zivilisierungs- und Demokratisierungsprozess vorläufig beendet, und weitere sechs Jahre Militärherrschaft bürdeten dem Land zusätzlich schwere Lasten auf.
Soyinka beschreibt in seinen "Penkelemes Years" die harten Lehrjahre an der prestigeträchtigsten Schule des kolonialen Nigeria, dem Government College in Ibadan, der 150 km nördlich von Lagos gelegenen Hauptstadt der Westregion. Danach geht er kurz auf das Studium am dortigen University College, Ableger der Universität London und einzige höhere Bildungsanstalt jener Zeit, ein, und widmet sich einigen Episoden aus der Zeit in Leeds und nimmt den Leser mit auf einen Abstecher nach Frankreich. Den breitesten Raum in diesem Werk nimmt aber die erste Hälfte der 1960er Jahre ein, in der Soyinka, ausgestattet mit einem Rockefeller Stipendium zur Untersuchung des traditionellen afrikanischen Theaters, die Entwicklung hin zum Bürgerkrieg direkt miterlebt. Hier erkennt er, dass er sein Hauptaugenmerk auf strukturelle Instabilität seines Landes Nigeria richten und sich in die Politik einmischen müsse. Der Prosaband "Penkelemes Years" belegt, dass diese chaotische Phase aber auch zugleich der Zeitraum ist, in dem Soyinka beginnt, durch seine Theaterstücke seine schöpferische und politische Kraft zu entfalten, die bis zum heutigen Tag nichts von ihrer Vitalität und Ausstrahlung verloren hat, und er sich endgültig von seinem Elternhaus und der erweiterten Großfamilie emanzipiert. Es ist eine Zeit, in der sich eine moderne dezidiert nigerianische bildende Kunst entwickelt, verkörpert von der Oshogbo- und Nsukka-Schule, die viele Berührungspunkte zu Soyinkas frühen Werken aufweisen und sogar die internationale Kunstszene elektrisierte. In diesem chaotischen und zugleich kreativen Kontext verfestigt sich Soyinkas geistige Grundhaltung, sein leidenschaftlicher Glaube an die Freiheit des Menschen. Und er lehnt sich auf, wann immer diese Freiheit bedroht ist und Menschen andere Menschen unterjochen und versklaven.
Diese chaotische Phase, das Vorspiel zum Bürgerkrieg, das den misslungenen Dekolonisierungsprozess widerspiegelt, steht auch im Mittelpunkt des ersten Romans The Interpreters, 1965 (Die Ausleger, 1983). Er ist das Stimmungsbild einer Gesellschaft, die noch nicht begriffen hat, dass die Befreiung vom kolonialen Joch keineswegs gleichbedeutend ist mit politischer Freiheit, Demokratie und Fortschritt. So versucht eine kleine Gruppe junger Intellektueller, sich nach der politischen Unabhängigkeit in der neuen nigerianischen Gesellschaft zu etablieren. Aber sie muss schnell erkennen, dass es für kritische, gebildete Geister keinen Platz im neuen politischen System des Landes gibt. Denn der politische, soziale und akademische Raum ist bereits besetzt mit käuflichen Aufsteigern und wendigen Konformisten, was die jungen Intellektuellen zur Flucht in Spott oder Verzweifelung treibt. Auch Soyinka musste erleben, wie schnell das System den Einzelnen ködern und verbiegen konnte.
Soyinkas 2006 erschienenen Memoiren You Must Set Forth At Dawn waren eine Überraschung. Denn nach "Aké" wollte Soyinka niemals mehr ein autobiographisches Werk vorlegen, wie er in einer Rede vor dem Carnegie Council im April 2006 betonte. Sein Sinneswandel entsprang der Sekundär- und Tertiärliteratur über seine Person und sein Werk, die seiner Meinung nach zu viele Ungereimtheiten und Mängel aufwiesen, als dass er sie unkommentiert hätte stehen lassen können. Die Memoiren, geschrieben als Reaktion auf die politische Entwicklung während der zweiten Amtszeit (2003-07) unter dem gewählten Präsidenten General a.D. Olusegun Obasanjo, korrespondieren mit der Geschichte des unabhängigen Nigeria und haben folglich eine starke politische Ausrichtung. Obasanjo, Yoruba und Egba wie Soyinka und etwa gleich alt wie der Schriftsteller, hatte ab 2005 versucht, sich mit einer Verfassungsänderung eine dritte Amtszeit zu sichern und einen demokratisch legitimierten Machtwechsel zu verhindern. Eine erstarkte Opposition, zu der auch Soyinka zählte, verhinderte dieses Vorhaben. Über den Privatmenschen Soyinka erfährt der Leser auch in diesem Werk nichts (aus anderen Quellen weiß man, dass er in dritter Ehe verheiratet ist und mehrere Kinder hat). Vielmehr gehen Bekanntes und viele detaillierte Neuigkeiten, wie die von den Briten manipulierten Wahlen 1959, seine Mediation zwischen Inkatha und ANC 1991 und sein Versuch 1998, Shimon Perez zu bewegen, Israels Unterstützung für den nigerianischen Sicherheitsdienst einzustellen, Hand in Hand und bestätigen erneut den intellektuellen und politischen Tiefgang des Autors.
Bedeutung und Wirkung
Die Wahrnehmung, dass auch in Afrika, trotz der vielen Konflikte, Krisen und Bürgerkriegen auf dem Kontinent, geschrieben und gelesen wird, blieb nicht auf das Jahr 1986 beschränkt, in dem Wole Soyinka den Literaturnobelpreis entgegen nahm. Vielmehr verstärkte dieses weltweit zur Kenntnis genommene Ereignis das seit den 1970er bestandene Interesse an afrikanischer Literatur, und die südafrikanische Schriftstellerin Nadime Gordimer gewann nur wenige Jahre später, 1991, ebenfalls den prestigeträchtigen Nobelpreis. Wenngleich auch der Ägypter Nagip Mahfus den Nobelpreis erhielt - das heißt, dass drei Autoren des afrikansichen Kontinents innerhalb eines kurzen Zeitraumes den Nobelpreis erhielten - gilt er doch als arabischer und nicht als afrikanischer Schriftsteller. Dank der zumeist in den größten Kolonialsprachen Englisch und Französisch - partiell auch in Portugiesich - verbreiteten afrikanischen Literatur, wurden die im anglophonen, frankophonen und lusophonen Sprachraum verbreiteten Werke besonders einem breiteren außerfrikanischen Publikum bekannt. Denn der soziale und ökonomische Niedergang der meisten afrikanischen Staaten ab den späten 1970er Jahren setzte sich im Bildungssektor fort. Bücher und Lesen wurden zum Luxus, wer einen Verleger finden wollte, musste zunehmend nach London, Paris und New York und Washington schauen, und das strukturelle Analphabetentum gewann schnell an Boden. Soyinkas wichtige Werke aber waren noch zu einer Zeit auch in Afrika und Nigeria erschienen, als Studium, Lesen, Schreiben und Theater zum obligatorischen Bestandteil des gehobenen und hören Bildungskanons zählten und auch erschwinglich waren. Das heißt, zigtausende von Schülern und Studenten haben sich mit Soyinkas Werken auseinandersetzen müssen, die im afrikanischen und Nord-Süd-Kontext des 21. Jahrhunderts nichts von ihrer Aktualität und Schärfe eingebüßt haben. Zugleich verkörpert der politische Mensch Soyinka, zusätzlich zu seiner literarischen Kompetenz, eine Kraft und eine Ausdauer im Kampf gegen Unfreiheit und Unterdrückung, die auch der jungen Generation von heute und morgen als Vorbildfunktionen dienen kann. Afrika ist arm und unterentwickelt, aber der aufrechte Gang und die intellektuelle Brillianz dieses Schriftstellers drückt aus, dass es auch relistische Alternativen gibt, die Lebensbedingungen und das Miteinander in Afrika merklich zu verbessern.
Weblinks
Soyinka Linksammlung auf dem Hamburger Bildungsserver