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Version vom 11. November 2007, 16:12 Uhr
Biographie
Jugend
Voltaire (wie er sich erst ab dem 24. Lebensjahr nannte) war das spätgeborene letzte von drei ins Erwachsenenalter gelangten Kindern von François und Marie Marguerite Arouet, geborene Daumart. Sein Vater war ein vermögender bürgerlicher Notar, der es zum Hohen Richter (Conseiller (du roi)) gebracht hatte und kurz nach der Geburt seines Jüngsten das einträgliche Amt eines Gebühreneinnehmers (receveur d'épices) am Obersten Finanzgericht erhielt. Bereits mit sechs verlor Voltaire seine ebenfalls aus einer Pariser Juristenfamilie stammende Mutter, und da er sich von seinem autoritären, jansenistisch-frommen Vater wenig geliebt fühlte, hielt er sich später für den außerehelich gezeugten Sohn eines Freundes der Familie, des adeligen Ex-Offiziers und Gelegenheitsdichters de Rochebrune.
Nach dem Tod der Mutter wurde er zunächst von seiner acht Jahre älteren Schwester betreut und kam 1704 als Internatsschüler auf das Jesuitenkolleg Louis-le-Grand (heute Lycée Louis-le-Grand). Hier erwarb er eine solide humanistische Bildung. Früh schon zeigte er Talent zum Reimen und verfasste Gedichte. 1706 wurde er deshalb von seinem Patenonkel, dem Abbé de Châteauneuf, in den epikureisch-freidenkerischen Kreis um Philippe de Vendôme eingeführt, den Statthalter des Malteserordens in Frankreich. Auch seine Theaterbegeisterung nahm in diesen Jahren ihren Anfang. Wohl aus der späten Schulzeit stammen erhaltene Fragmente einer Tragödie. 1710 gaben seine Lehrer ein Gedicht von ihm gedruckt heraus, eine Ode auf die Hl. Genoveva. Im selben Jahr erhielt er mehrere Schulpreise und wurde dem seinerzeit bekanntesten Lyriker, Jean-Baptiste Rousseau, vorgestellt. Darüber hinaus gewann er unter seinen überwiegend adeligen Mitschülern einige Freunde, z. B. die Brüder René-Louis und Marc-Pierre d'Argenson, die später Außen- bzw. Kriegsminister wurden.
Da er nach dem Willen des Vaters Jurist werden sollte wie schon sein neun Jahre älterer Bruder, schrieb er sich 1711 an der Pariser juristischen Hochschule ein. In der Hauptsache betätigte er sich aber als Verfasser eleganter und geistreicher Verse und machte sich in den literarischen Zirkeln von Paris einen Namen. Im Frühjahr 1713 wurde er deshalb vom Vater in die Provinzstadt Caen geschickt, um dort als Notariatsangestellter (clerc de notaire) zu arbeiten. Jedoch verkehrte er bald auch hier in schöngeistigen und freidenkerischen Kreisen, so dass ihn der Vater im Herbst dazu nötigte, den französischen Gesandten, einen Bruder seines Patenonkels, als Sekretär nach Den Haag zu begleiten. Als er dort eine Liebschaft mit einer jungen Hugenottin begann und deren Mutter sich beim Gesandten beschwerte, wurde er von diesem nach Paris zurückgeschickt und vom Vater mit Enterbung und Deportation nach Amerika bedroht.
Erste Werke und Veröffentlichungen
Zurück in Paris, arbeitete er 1714 nochmals kurz bei einem Anwalt, war aber zunehmend literarisch tätig, was sein Vater schließlich akzeptierte. Er verkehrte wie zuvor in literarischen und intellektuellen Zirkeln und machte sich erste Feinde, z.B. mit einem Pamphlet gegen die Académie française, die eine von ihm eingereichte Ode auf Ludwig XIII. nicht preisgekrönt hatte, oder mit einer Verssatire auf den arrivierten Autor und Literaturtheoretiker Antoine Houdar de la Motte, der für die Benutzung von Prosa statt Versen in erzählenden Werken eintrat – eine Ansicht, die Voltaire 30 Jahre später durchaus teilte. Die Ode Le vrai Dieu von 1715 ist vielleicht sein erster philosophischer Text.
Zunehmend öffneten sich ihm auch adelige Häuser, wo man ihn als vielseitigen Lyriker, vor allem aber als Autor witziger, häufig spöttischer Gedichte schätzte. Eine seiner vornehmsten Adressen war der kleine Hof eines außerehelichen, aber legitimierten Sohnes von Ludwig XIV., des Duc du Maine, der 1715 von seinem sterbenden Vater zum Regenten für den jungen Ludwig XV. bestimmt, jedoch von seinem Cousin Herzog Philipp von Orléans mithilfe des Pariser Parlements verdrängt worden war.
Bei Maine las er 1716 ein satirisches Gedicht vor, worin er auf das angebliche inzestuöse Verhältnis Philipps zu seiner Tochter anspielte. Natürlich erfuhr dieser davon, und Voltaire wurde für mehrere Monate aus Paris verbannt, die er größtenteils als Gast auf dem Schloss des jungen Duc de Sully verlebte. Nachdem er von dort erfolgreich eine Bitt- und Huldigungsepistel an Philipp gerichtet hatte und zurückgekehrt war, dichtete er eine neuerliche Satire auf ihn. Diesmal war die Strafe härter: Im Mai 1717 wurde er in der Bastille inhaftiert.
Hier las und reflektierte er und stellte seine mit Sophokles und Corneille wetteifernde erste Tragödie Œdipe fertig. Vor allem begann er unter dem Titel La Ligue ein Epos über die schlimmste Phase der Religionskriege und ihre Beendigung durch Heinrich IV., der 1597 die katholische Liga besiegt und mit dem Edikt von Nantes religiöse Toleranz in Frankreich eingeführt hatte. Das seinerseits mit Vergils Romgründungsepos, der Äneis, wetteifernde Werk war als eine Art nationales Epos gedacht und verschaffte Voltaire später in der Tat den Ruf des größten französischen Epikers der Zeit.
Dank der Fürsprache einflussreicher Gönner wurde er nach elf Monaten aus der Haft entlassen, blieb aber zunächst noch aus Paris verbannt. Als er im Oktober 1718 nach fast anderthalb Jahren dorthin zurückkehrte, trat er unter dem neuen Namen „de Voltaire“ auf - wahrscheinlich einem Anagramm aus A-R-O-V-E-T--L[e]--I[eune] (mit Vertauschung der handschriftlich damals identischen Buchstaben v/u und j/i sowie vorangesetztem adeligen „de“).
Die erfolgreiche Aufführung von Œdipe machte ihn im Herbst 1718 schlagartig berühmt. Wieder verkehrte er in literarischen Salons und war auch gerngesehener Gast in den Landschlössern des Hochadels rund um Paris. Hierbei lernte er den im Exil lebenden Politiker Lord Bolingbroke kennen, der ihm England näher brachte. In dieser Zeit entstanden die Tragödie Artémire (1720) und die Épître à Uranie (1722). Außerdem arbeitete er weiter an La Ligue.
Als sein Vater 1722 starb, erbte Voltaire seinen Anteil an dessen Vermögen. Da er im gleichen Jahr vom Regenten Philipp eine „pension“ (jährliche Gratifikation) aus der königlichen Schatulle zugesprochen bekam, war er finanziell nun abgesichert. Ebenfalls 1722 unternahm er seine erste längere Reise, die ihn in die Niederlande führte, wo er in Brüssel den inzwischen aus Frankreich verbannten J.-B. Rousseau besuchte, der sich jedoch mit ihm zerstritt. 1723 ging er mit der adeligen Madame de Bernières ein Liebesverhältnis ein und demonstrierte damit seine erfreuliche soziale Position.
Im selben Jahr machte er erstmals mit der Zensur Bekanntschaft, als ihm die Druckerlaubnis für La Ligue, ou Henri le Grand verweigert wurde, obwohl er darum ersucht hatte, das Werk dem König widmen zu dürfen. Er ließ es deshalb 1723 anonym in Rouen erscheinen mit dem gefälschten Impressum „Genève“.
1724 fiel seine Tragödie Mariamne bei der Uraufführung durch. Sie erlebte jedoch nach einer Überarbeitung unter dem neuen Titel Hérode et Mariamne im folgenden Jahr 27 Aufführungen in Folge.
Im Mai 1725 erhielt Voltaire dank der einflussreichen Marquise de Prie, der Geliebten des Ersten Ministers, des Duc de Bourbon, den Auftrag, Theateraufführungen zur Hochzeit Ludwigs XV. zu organisieren. Dies verschaffte ihm Zutritt zum Hof und brachte ihm eine zweite „pension“ ein, nunmehr aus der Schatulle der jungen Königin. Als einer der gefragtesten und gutbezahlter Dramatiker und Dichter Frankreichs schien er bestens in das herrschende System integriert.
Voltaire in England
1726 ließ ihn der Chevalier de Rohan, Spross eines alten Adelsgeschlechts, von seinen Dienern verprügeln. Voltaire hatte auf die spöttische Frage Rohans, wie er denn zu seinem neuen Namen komme, sarkastisch geantwortet: „Je commence mon nom, monsieur, vous finissez le vôtre“ (etwa: Ich bin der Erste meines Namens, Sie nur der Letzte). Der über die Prügel empörte Voltaire nahm Fechtunterricht, um den Chevalier zum Duell zu fordern. Die Rohans erwirkten jedoch einen königlichen Haftbefehl gegen ihn, und wieder kam er in die Bastille. Da er inzwischen berühmt war, bot ihm der König die Freiheit an unter der Bedingung, dass er Frankreich verließ.
Voltaire akzeptierte und ging nach England, das dabei war, in die industrielle Revolution einzutreten. Er war fasziniert von der intellektuellen und wirtschaftlichen Aufbruchstimmung sowie von der relativ großen geistigen Freiheit und sozialen Mobilität in dieser multikonfessionellen Gesellschaft, in der die Religion Privatangelegenheit war und die Macht des Königs und die Privilegien des Adels eingeschränkt waren. Besonders beeindruckten ihn das parlamentarische System und der Schutz der Bürger vor staatlicher Willkür. Lord Bolingbroke führte ihn in die besten gesellschaftlichen und intellektuellen Kreise Londons ein und auch dem König wurde er vorgestellt. Zudem durfte er sein Epos über Heinrich IV. der englischen Königin widmen, als er es 1728 überarbeitet und unter dem neuen Titel La Henriade in London drucken ließ, einem Titel, der sich sichtlich an dem des unvollendet gebliebenen Epos La Franciade von Pierre de Ronsard orientiert.
Für einen Franzosen damals durchaus nicht selbstverständlich, lernte Voltaire in London Englisch sprechen, lesen und auch schreiben. So studierte er die Werke des Empiristen und Theoretikers des „common sense“ John Locke und die Dramen von Shakespeare. Außerdem befasste er sich mit den revolutionären Theorien des Physikers und Astronomen Newton sowie mit anderen neuen naturwissenschaftlichen und technischen Erkenntnissen.
In seinen noch in England verfassten, aber erst später veröffentlichten „philosophischen Briefen“ (Lettres anglaises oder Lettres philosophiques) stellte er England seinen Landsleuten als Vorbild vor Augen.
Ende 1728 kehrte er nach zweieinhalb Jahren nach Frankreich zurück, zunächst nur nach Dieppe, den Koffer voller fertiger und angefangener Manuskripte, darunter sein erstes historiografisches Werk Histoire de Charles XII, roi de Suède (=Karl XII. von Schweden), dessen erste Auflage 1730 beschlagnahmt wurde, oder die Tragödien Brutus und Zaïre, die 1730 bzw. 1732 erfolgreich aufgeführt wurden. Nebenher vermehrte er mit u. a. Hilfe der Brüder d'Argenson geschickt sein Vermögen, so dass er bald mehr als nur wohlhabend war und sich eine gewisse Freiheit im Äußern seiner Meinungen leisten konnte.
Als 1730 die junge Schauspielerin Adrienne Lecouvreur starb und ihre Leiche auf den Schindanger geworfen wurde, empörte sich Voltaire mit der Ode sur la mort de Mademoiselle Lecouvreur darüber, dass einer stadtbekannten und bewunderten Person eine würdige Bestattung verwehrt wurde, weil sie den von Vielen immer noch verachteten und vom Klerus angefeindeten Beruf einer Schauspielerin ausgeübt hatte.
1733 karikierte er mit dem satirischen Gedicht Le Temple du goût die Welt der Pariser Literaten und erregte deren Unmut.
1734 erschienen zugleich in London und Paris die Lettres philosophiques, die von den Herrschenden in Frankreich erwartungsgemäß als Affront empfunden wurden. Besonders verärgert waren die meist jansenistisch-frommen Hohen Richter des Pariser Parlaments. Sie stießen sich an einer Diatribe gegen den anthropologischen Pessimismus des Jansenisten Blaise Pascal, die an die Briefe angehängt war. Das Parlament erließ einen Haftbefehl und das Buch wurde verboten, was seine Verbreitung eher förderte als verhinderte.
Die Jahre mit Émilie du Châtelet
Voltaire zog sich daraufhin auf das kleine Schloss Cirey in der Champagne zurück, das dem Ehemann seiner neuen Geliebten (seit Juni 1733) Émilie du Châtelet gehörte und von wo aus er notfalls ins nahe Lothringen flüchten konnte, das de jure noch zum Deutschen Reich gehörte.
In den nächsten zehn Jahren führte er ein unstetes Wanderleben mit Cirey als Mittelpunkt und Émilie du Châtelet als engster Bezugsperson. Er besuchte Paris, wenn es ihm möglich schien, z. B. zu dortigen Uraufführungen seiner Stücke; er blieb in Cirey (oder floh weiter), wenn er sich gefährdet fühlte. Daneben war er viel auf Reisen. Er hielt sich aber länger auch in Brüssel sowie mehrmals in Holland auf, das zur Druckerei Europas avanciert war. Hier publizierte er insbesondere seine kritischeren Werke, die dann illegal nach Frankreich eingeführt wurden.
Dank Mme du Châtelet (1706–49), die aktive Naturforscherin und Mathematikerin war, entwickelte auch Voltaire vertieftes Interesse für die Naturwissenschaften. So reagierten sie 1734 beide auf eine Preisfrage der Académie des Sciences zur Natur des Feuers und reichten jeder eine Abhandlung ein, worin sie eine physikalische Erklärung versuchten. Angeregt durch ihre Beschäftigung mit dem englischen Physiker und Astronomen Isaac Newton (dessen Philosophiae naturalis principia mathematica sie später übersetzte), verfasste Voltaire 1736/37 das sachbuchartige Werk Éléments (=Grundlagen) de la philosophie de Newton, worin er in allgemeinverständlicher Form dessen bahnbrechende, in Frankreich noch wenig bekannten Theorien vorstellte. Seine philosophischen Diskussionen mit Mme du Châtelet, einer Verehrerin von Leibniz, könnten 1735 seinen religionskritischen „metaphysischen Traktat“ (Traité de métaphysique) angeregt haben, den er auf ihr Drängen aber unpubliziert ließ (gedruckt erst postum 1785).
Seine Domäne blieb jedoch die Literatur. 1736 verfasste er das satirische Langgedicht Le Mondain, das mit seinem Lob des Diesseits auf Kosten des Jenseits den Unwillen vieler Frommer und Frömmler erregte. Des weiteren schrieb er Tragödien, die er mit Freunden und Bekannten sowie mit sich selbst in Nebenrollen in einem kleinen Theater im Schlösschen probeweise inszenierte. Die wichtigsten Titel dieser Zeit sind: Adélaïde du Guesclin, 1734; La Mort de César, 1735; Alzire, 1736; Zulime, 1740; Mahomet, 1741. Letzteres wurde 1742 trotz einer Widmung an den Papst nach der dritten Pariser Aufführung abgesetzt, da die negative Darstellung des Religionsgründers Mohammed vom katholischen Klerus ganz richtig als Kritik an Propheten und Priestern überhaupt verstanden wurde.
Zugleich wandte Voltaire sich wieder der Geschichtsschreibung zu und arbeitete an dem seit 1732 geplanten Siècle de Louis XIV. Daneben begann er 1734 das bewusst respektlose burleske Epos La Pucelle (dt. Die Jungfrau [von Orléans]) über die mittelalterliche Kriegsheldin Jeanne d'Arc, das er lange nur in privaten Abschriften zirkulieren ließ.
Versailles
Schon seit 1736 stand er in Briefkontakt mit dem knapp zwanzig Jahre jüngeren Kronprinzen Friedrich II. von Preußen und wurde von ihm umworben. Bald nach der Thronbesteigung Friedrichs hatte er ihn im September 1740 in Kleve getroffen und war im November sogar einer Einladung nach Berlin gefolgt. 1742 hatte er ihn in Aachen besucht. Im Juni 1743 wurde er deshalb vom neuen französischen Kriegsminister, seinem Schulfreund Marc-Pierre d'Argenson, nach Potsdam entsandt mit dem Auftrag, er solle Friedrich, der 1742 seine Kriegsziele im Österreichischen Erbfolgekrieg (1740-1748) erreicht hatte und aus dem Bündnis gegen Habsburg ausgetreten war, an die Seite Frankreichs zurückholen.
Voltaire blieb zwar ohne konkreten Erfolg, doch galt er nun als Verbindungsmann zu Preußen und erhielt, obwohl König Ludwig XV. ihn nicht mochte, wieder Zutritt zum Hof. 1745 brachte er in Versailles zur Hochzeit des Dauphins (Kronprinzen) seine Ballettkomödie La Princesse de Navarre zur Aufführung und etwas später das Singspiel Le Temple de la Gloire (=der Ruhmestempel, Musik von Jean Philippe Rameau). Da ihn inzwischen auch die neue Mätresse Ludwigs, Madame de Pompadour, protegierte, wurde er zum Königlichen Chronisten (historiographe du roi) ernannt und zum Kandidaten für das begehrte Amt eines Königlichen Kammerherrn (gentilhomme de la chambre) bestimmt. 1746 erhielt er das Amt und wurde offiziell in den Adelstand erhoben. Im selben Jahr wurde er zum Mitglied der Académie française gewählt, was Ludwig 1743 noch verhindert hatte.
Bald hiernach fand seine Höflingskarriere ein plötzliches Ende. Schon länger hatte er Madame de Pompadours Unmut erregt mit seiner Eifersucht auf einen anderen ihrer Günstlinge, den Tragödienautor Crébillon, dessen neues Stück Catilina am Hof demonstrativ gelobt und beklatscht worden war, um Voltaire zu ärgern. Als dieser 1747 auf Englisch Madame du Châtelet am Spieltisch der Königin vor hochadeligen Falschspielern warnte, ließ ihn der König in Ungnade fallen. Er zog sich zurück auf Schloss Sceaux zur Duchesse du Maine, die er mit erzählenden Werken in schlichter Prosa unterhielt. Hierbei entstand z. B. Memnon, eine Vorstufe des späteren Kurzromans Zadig.
Seine Eifersucht auf Crébillon vergaß er übrigens nicht: In den Folgejahren verfasste er, um seine Überlegenheit zu beweisen, parallele eigene Versionen von nicht weniger als fünf Tragödien Crébillons.
1748/49 lebte er mit Madame du Châtelet meist im Schloss von Lunéville/Lothringen, der Residenz des polnischen Ex-Königs Stanislaus I. Leszczynski. Dort verliebte sich Madame du Châtelet in den 10 Jahre jüngeren Offizier, Höfling und Dichter Saint-Lambert und wurde schwanger. Sie starb am 10. September 1749 im Kindbett; auch das Neugeborene, ein Mädchen, überlebte nicht. Voltaire war betroffen, obwohl er seit 1745 ein intimes Verhältnis mit seiner jung verwitweten Nichte Madame Denis unterhielt.
Am Hof Friedrichs von Preußen
Nach kurzem Aufenthalt in Paris folgte er im Sommer 1750 der Einladung Friedrichs nach Potsdam, wo schon andere französische Literaten und Gelehrte Hofämter innehatten. Er trat das gut dotierte Amt eines Königlichen Kammerherrn an und wurde behandelt wie ein hochrangiger Gast.
Das Verhältnis zu Friedrich litt allerdings schon Anfang 1751, als dieser erfuhr, dass sein neuer Kammerherr sich in Berlin (wo er einen zweiten Wohnsitz unterhielt) auf ein unerlaubtes Wertpapiergeschäft mit sächsischen Staatsschuldverschreibungen (sog. Steuerantizipationsscheinen) eingelassen hatte. Die Sache kam heraus, weil Voltaire sich mit seinem Mittelsmann, dem Bankier Hirschel, zerstritten und, nachdem das Geschäft geplatzt war, einen Prozess gegen ihn angestrengt hatte, bei dem es u. a. um den Wert einiger Juwelen ging, die als Sicherheit gedient hatten. Als Voltaire versuchte, die Sache mit den Steuerscheinen zu verschweigen, packte Hirschel aus, und die Richter verdächtigten Voltaire überdies, er habe einen der beiderseitigen Verträge durch eine nachträgliche Manipulation zu seinen Gunsten verändert. Voltaire vermochte sich nur mühsam aus der Affäre zu ziehen.
1751 brachte er in Berlin sein Siècle de Louis XIV (=Das Jahrhundert Ludwigs XIV.) heraus, eine Darstellung der französischen Geschichte des 17. Jahrhunderts. Darin wies er der Kulturgeschichte eine zentrale Rolle zu und setzte so der Geschichtsschreibung neue Maßstäbe. Die kulturhistorische Ausrichtung wurde noch deutlicher im Abrégé de l'Histoire universelle (=Abriss der Universalgeschichte), der 1750/51 abschnittweise im Mercure de France erschien. Ebenfalls 1751 ließ er eine dritte, elf Bände umfassende Gesamtausgabe seiner Werke drucken.
Zu einer tiefen Verstimmung Friedrichs führten schließlich die Querelen Voltaires mit anderen Höflingen. Vor allem hatte dieser es auf einen alten Bekannten von Mme du Châtelet abgesehen, den Präsidenten der Berliner Akademie, Maupertuis, einen durchaus verdienten Mathematiker und Naturforscher, den er selber Friedrich einst empfohlen hatte. Die Feindschaft eskalierte, als Maupertuis die Akademiemitglieder zu einem Jugement gegen den Mathematiker Johann Samuel König nötigte. Dieser hatte Maupertuis die Priorität am Prinzip der kleinsten Wirkung abgesprochen und sie Leibniz zuerkannt und wurde nun zu Unrecht bezichtigt, einen Brief von Leibniz, auf den sich seine Argumentation stützte, gefälscht zu haben. Als Friedrich sich diesem Vorwurf öffentlich anschloss, widersprach Voltaire und verhöhnte Maupertuis in der Diatribe du Docteur Akakia (1752). Nachdem er die Schrift entgegen der Bitte Friedrichs hatte drucken lassen, wurde er von diesem kühl behandelt und musste erkennen, dass er in Potsdam nur einer unter anderen Höflingen war. Auch war ihm zu Ohren gekommen, dass der König über ihn gesagt habe: „J’aurai besoin de lui encore un an, tout au plus; on presse l’orange et on en jette l’écorce.“ (Ich brauche ihn noch höchstens ein Jahr; man presst die Orange aus und wirft die Schale weg.) Voltaire bat gekränkt um Entlassung aus seinem Hofamt, wurde aber zunächst nur für eine Kur beurlaubt. Als er von Leipzig aus Maupertuis nochmals angriff, wurde er in Unehren entlassen. In der freien Reichsstadt Frankfurt ließ Friedrich ihn sogar kurz festsetzen und sein Gepäck nach einem eigenen, unbefugt mitgenommenen Manuskript durchsuchen. Schon 1757 jedoch vermittelte Friedrichs Schwester Wilhelmine eine Versöhnung zwischen den beiden Männern und sie wechselten wieder höfliche Briefe.
Neuerliche Wanderjahre
Nach Aufenthalten an einigen kleineren deutschen Höfen (Gotha, Kassel, Mainz, Mannheim) wartete Voltaire in den elsässischen Städten Straßburg und Kolmar vergeblich auf die Erlaubnis, nach Paris zurückkehren und wieder in seine Versailler Hofämter eintreten zu dürfen. 1755 schließlich kaufte er sich in der Stadtrepublik Genf ein Anwesen am Stadtrand. Auch in Lausanne erwarb er ein Haus. Doch während in Paris mit Erfolg sein neues Stück L'Orphelin de la Chine (=das Waisenkind aus China) aufgeführt wurde, bekam er in Genf ersten Ärger mit dem theaterfeindlichen calvinistischen Kirchenrat, weil er, wie einst in Cirey, private Aufführungen in seinem Haus organisierte.
Wie viele Autoren der Aufklärung war auch Voltaire 1755 erschüttert durch das zerstörerische Erdbeben von Lissabon. Er reagierte mit dem Langgedicht Poème sur le désastre de Lisbonne (1756). Hierin stellt er den grenzenlosen Optimismus des englischen Schriftstellers und Fortschrittsverneiners Alexander Pope und vieler seiner naturreligiösen Zeitgenossen in Frage, wonach alles was ist, gut und recht ist („Whatever is, is right“). Im selben Jahr veröffentlichte er seinen Essai sur l'histoire générale et sur les mœurs et l'esprit des nations (= Versuch über die allgemeine Geschichte und die Sitten und den Geist der Nationen), eine Universalgeschichte der Menschheit, die er insgesamt auf dem Weg des Fortschritts sieht.
Ebenfalls 1756 begann er seine Mitarbeit an dem 1746 von Diderot und d'Alembert initiierten Groß-Lexikon, der Encyclopédie. Zugleich bekämpfte er mit Pamphleten die Feinde des Unternehmens, die 1758 aber ein zweites Verbot und 1759 die Indizierung durch den Papst erwirkten. 1757 bekam er neuen Ärger in Genf wegen des kritischen Encyclopédie-Artikels „Genève“ von d'Alembert, obwohl er diesen nur mit Informationen versorgt hatte.
Er verließ die Stadt und ging einmal mehr auf Reisen. 1758 schrieb er den heute als sein bestes Werk geltenden philosophischen Kurzroman Candide, Ou l'optimisme (teilweise verfasst im Schloss von Schwetzingen). In einer turbulenten Handlung, die den zeitgenössischen Liebes- und Abenteurroman mit seinen oft unwahrscheinlichen Wendungen parodiert, führt Voltaire sarkastisch-ironisch den ihm als unhaltbar erscheinenden Optimismus à la Leibniz („Unsere Welt ist die beste aller möglichen Welten“) und Wolff ad absurdum und empfiehlt am Ende, keine metaphysischen Luftschlösser zu bauen, sondern sich auf das sicherste Mittel gegen das Unglück in der Welt zu besinnen: die Arbeit. Nebenher nimmt er die Naturverklärung Jean-Jacques Rousseaus und seiner Jünger aufs Korn, indem er im Lissabon-Kapitel (Kap. V) die zerstörerische Wirkung der Naturgewalten Sturm und Erdbeben zeigt.
Sesshaftigkeit und erfüllte letzte Jahre
Mit 64 Jahren befolgte Voltaire das Schlusswort von Candide, wonach man „seinen Garten bestellen“ soll, und kaufte im französischen Grenzgebiet nahe Genf die Landgüter Ferney und Tourney (1758 und 1759). Diese bewirtschaftete er bis zu seinem Tod sehr effizient und innovativ sowie auch zum Vorteil seiner Pächter und Landarbeiter, für die er im Winter zudem einträgliche Heimarbeit organisierte. Auch setzte er sich für die Abschaffung der Leibeigenschaft ein. Zusammen mit seiner Nichte Madame Denis, seinem treuen Sekretär Wagnière und einigen anderen Vertrauten verbrachte er in Ferney seinen letzten Lebensabschnitt, der den Zenit seiner Karriere bedeuten sollte.
Nicht nur schrieb und publizierte er weiterhin fleißig, sondern er empfing als „Patriarch von Ferney“ Besucher aus ganz Europa und pflegte einen regen Briefwechsel mit vielen herausragenden Geistern seiner Zeit. Vor allem aber kämpfte er mit der Macht seiner stetig wachsenden Autorität gegen staatliche Willkür und religiösen Obskurantismus. So startete er z. B. 1762 eine publizistische Kampagne zugunsten von Jean Calas, einem Protestanten, der beschuldigt wurde, er habe seinen Sohn ermordet, um ihn am Übertritt zum Katholizismus zu hindern. 1766 intervenierte er zugunsten eines Chevalier de la Barre, der angesichts einer Prozession nicht den Hut gezogen hatte. Er konnte zwar in beiden Fällen die Opfer nicht retten, erreichte aber unter dem Beifall des gesamten aufgeklärten Europas die nachträgliche Rehabilitierung zumindest von Calas. Im ähnlich gelagerten Fall des Protestanten Sirven (1764) erkämpfte er die Wiederaufnahme des Verfahrens mit anschließendem Freispruch.
Nach dem Erfolg von Candide verfasste Voltaire weitere Erzählungen, so den meisterhaften, empfindsamen Kurzroman L'Ingénu (=Das Naturkind, eigentlich: Der Unbedarfte; 1767). Außerdem erschien 1760 und 1763 die Histoire de l'Empire de Russie sous Pierre le Grand (=Geschichte des russischen Reiches unter Peter dem Großen). Er verfasste aber auch philosophische Werke wie den von der Calas-Affäre inspirierten Traité sur la tolérance (1763) oder das seine Bibel- und Religionskritik auf den Punkt bringende „tragbare philosophische Lexikon“ (Dictionnaire philosophique portatif, 1764), das zugleich das erste, häufig nachgedruckte einbändige Lexikon war. Es deckte die zahlreichen Widersprüche innerhalb der Bibel sowie auch Schwachstellen der katholischen Theologie auf und versorgte die Sympathisanten der Aufklärung mit bibel- und religionskritischen Argumenten. Noch im 19. Jh. wurde es von der laizistischen und antiklerikalen französischen Bourgeoisie benutzt im Kampf um die Trennung von Kirche und Staat. Es trug andererseits viel zu der hasserfüllten Ablehnung bei, die Voltaire zur selben Zeit in katholisch-konservativen Kreisen entgegengebracht wurde.
Im Februar 1778 reiste er nach Paris, um der Uraufführung seines neuen Stücks Irène beizuwohnen. Er wurde wie in einem Triumphzug empfangen und konnte sich der Ehrungen und Einladungen kaum erwehren. So übertrug man ihm am 30. März für das kommende Trimester die Leitung der Académie française, und am 7. April wurde er in Gegenwart von etwa 250 Freimaurern in die Pariser Freimaurerloge „Les Neuf Sœurs“ aufgenommen. Meister vom Stuhl war der Astronom Jérome Lalande, Benjamin Franklin führte ihn in den Tempel, sein Bürge war der Historiker Abbé Cordier de St. Firmin und Graf Stroganow bereitete ihn auf die Aufnahme vor. Sein Maurerschurz stammte von Claude Adrien Helvétius. Drei Wochen später brach der 84-Jährige entkräftet zusammen und starb. Es bedurfte einer List seines Neffen, ihm gegen den Willen der Geistlichkeit zu einem kirchlichen Begräbnis in der Abtei Scellières in der Champagne zu verhelfen.
Am 11. Juli 1791 wurden die Gebeine Voltaires von dort in das Panthéon überführt. Sein Sarkophag erhielt die Inschrift: POETE HISTORIEN PHILOSOPHE IL AGRANDIT L'ESPRIT HUMAIN ET LUI APPRIT QU'IL DEVOIT ETRE LIBRE (Als Dichter, Historiker, Philosoph machte er den menschlichen Geist größer und lehrte ihn, dass er frei sein soll).
Erst nach seinem Tod wurde nach und nach seine umfängliche Korrespondenz publiziert. Sie umfasst mehr als 22.000 Briefe (darunter gut 15.000 eigene) und erscheint nachträglich als ein bedeutender Teil seines Schaffens. Zu seinen Briefpartnern zählte auch die russische Zarin Katharina II., in Voltaires Augen eine Philosophin auf dem Thron und der „strahlendste Stern des Nordens“. Sie erwarb nach seinem Tod seine Bibliothek, die sich heute in der Russischen Nationalbibliothek in Sankt Petersburg befindet.
Werk
Bedeutung und Wirkung
Unterricht
Literatur
Weblinks
- Voltaire Linksammlung auf dem Hamburger Bildungsserver
- Voltaire: Un philosophe qui ment? Anregungen zu mediengestützter Textarbeit Lehrer-Online
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