Starkregen und Hochwasser im Mittelmeerraum

Aus Klimawandel
Abb. 1: Regionale Niederschlagsänderungen in mm/Tag 1980-2018

Niederschläge im Mittelmeerraum

Abb. 2: Niederschlag in mm pro Tag 1979-2023 in SW-Europa

Der Mittelmeerraum gilt als Hotspot des Klimawandels. Dabei wird vor allem an Hitzewellen und Dürren gedacht.[1] So zeigen Untersuchungen über die Verschiebung der Klimazonen durch den menschengemachten Klimawandel, dass die Region zunehmend unter den Einfluss des trockenen subtropischen Klimas gerät.[2] Dennoch kommt es in verschiedenen Gebieten immer wieder auch zu extremen Niederschlags- und Hochwasserereignissen, wie im Oktober 2024 die Überflutungen mit weit über 200 Toten im Raum Valencia im Osten Spaniens[3] und ein Jahr zuvor die gewaltigen Überflutungen mit 10.000 bis 20.000 Opfern in Libyen gezeigt haben.[4]

Die Jahresmittelwerte der Niederschläge im Mittelmeerraum weisen über längere Zeiträume keine eindeutigen Trends auf. Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts ergeben sich leichte Rückgänge, seit 1980 dagegen regional unterschiedliche Entwicklungen (Abb. 1). Die mittleren jährlichen Niederschläge z.B. des nordwestlichen Mittelmeerraumes (SW-Europa) haben sich in den letzten vier Jahrzehnten kaum verändert (Abb. 2),[5] in Italien sind sie dagegen deutlich zurückgegangen.[6] Die ausgeprägten natürlichen Schwankungen über Dekaden lassen einen Einfluss durch die Emission von Treibhausgasen kaum erkennen. Klimamodellrechnungen zeigen dagegen einen deutlichen Rückgang der Niederschläge bis zum Ende des 21. Jahrhunderts.[6]

Starkregen und ihre Entstehung

Abb. 3: Gebirgszüge auf der Iberischen Halbinsel

Die Mittelmeerländer sind besonders stark durch extreme Niederschlagsereignisse betroffen, die oft zu katastrophalen Überflutungen führen und in manchen Fällen an einem Tag bis zu 800 mm Niederschlag und bis zu 1000 Tote zu Folge haben können.[7] Extreme Niederschlagsereignisse und damit verbundene Überflutungen sind die gefährlichsten meteorologischen Katastrophen, die die Mittelmeerländer in Hinsicht auf Todesfälle und Sachschäden betreffen. Sie treten oft im Herbst auf, wenn das noch warme Mittelmeer als Wärme- und Feuchtigkeitsquelle fungiert und die wasserdampfgesättigten Luftmassen durch starke Winde Richtung Land getrieben werden und sich an den Hängen der Küstenregionen abregnen. Dabei spielen neben der topographischen Anhebung auch konvektive Auftriebe und das Zusammentreffen mit kühleren Höhentiefs und Kaltlufttropfen in der Höhe eine wichtige Rolle.[8] Auch kalte Luft am Boden (sog. cold pools), die z.B. über dem Mittelmeer durch Verdunstung entsteht, kommt als Ursache von Abkühlung warmer, feuchter Luft und anschließenden Niederschlägen in Frage.[9]

In vielen Fällen sind konvektive Systeme, d.h. aufsteigende Luftmassen, für den starken Niederschlag verantwortlich, wenn die Luft genügend erwärmt und mit Wasserdampf gesättigt ist. Außer der Konvektion spielt aber auch die Advektion, der horizontal Transport von Luftmassen, eine Rolle. Abb. 3 zeigt die Möglichkeit des Eindringens von atlantischen Störungen in die Iberische Halbinsel durch die West-Ost gerichteten Gebirgszüge bis weit in den Osten Spaniens hinein.[10] Andererseits können aber auch warm-feuchte Luftmassen über das Mittelmeer von Süden nach Norden ziehen und dort auf kühlere Luft stoßen. Traditionell werden als Quellen für den Wasserdampf der Tiefdruckzellen die starke Erwärmung des Mittelmeers, das im Spätsommer Temperaturen von bis zu 30 °C erreichen kann, und die daraus folgende Verdunstung angeführt. Untersuchungen von 160 extremen Starkregenereignissen im westlichen und zentralen Mittelmeerrum über den Zeitraum 1980-2015 zeigen, dass das ein zu einfaches Bild ist.[7]

Abb. 4: Herkunft und Zugbahnen feuchter Luftmassen, die zu den katastrophalen Niederschlägen in der südfranzösischen Provinz Var am 15. Juni 2020 beigetragen haben.

Das Mittelmeer ist nach Insua-Costa (2022)[7] mit 35% die wichtigste Wasserdampfquelle; andere Autoren geben 40% an.[9] Die Luftfeuchtigkeit stammt vor allem dann aus dem Mittelmeer, wenn 3-4 Tage vor dem Extremereignis Hochdruckwetter herrscht und die Verdunstung antreibt.[9] Nach dem Mittelmeer als Wasserdampfquelle folgt der Nordatlantik mit 25%. Und an dritter Stelle folgen mit 10% die Landgebiete um das Mittelmeer herum, einschließlich des europäischen Kontinents, sowie an vierter Stelle der tropische Atlantik mit ebenfalls rund 10%. Weitere Feuchtigkeitsquellen für die Niederschläge können 1000 und mehr km jenseits der Mittelmeerregion liegen, bis hin zum Pazifik. Die atlantischen Tiefdruckgebiete erreichen den Mittelmeerraum von Westen bzw. Südwesten. Vielfach gelangen die Tiefs auch über das Innere des afrikanischen Kontinents in die mediterrane Region, wobei die feuchte Luft teilweise auch aus dem Südatlantik oder sogar Südamerika stammen kann (Abb. 4).[7] Bei dem Transport von feuchter Luft aus entfernten Regionen wie etwa den Tropen spielen, wie in jüngster Zeit festgestellt wurde, atmosphärische Flüsse eine wichtige Rolle. Dabei handelt es sich um relativ schmale feuchtegesättigte Luftströmungen in 1 bis 2,5 km Höhe mit einer Breite von etwa 500 km und einer Länge von rund 2000 km, die auch als "Wasserdampfförderbänder" bezeichnet werden und sich von den Tropen und Subtropen bis in mittlere Breiten bewegen können.[11]

Abb. 5: Anzahl der untersuchten Extremereignisse und Anteil der Herkunftsgebiete feuchter Luftmassen im westlichen Mittelmeerraum

Abb. 5 zeigt, dass die Bedeutung der einzelnen Herkunftsgebiete von Luftmassen mit hohem Wasserdampfgehalt je nach Jahreszeit wechselt. Im Herbst dominiert das Mittelmeer als Quelle, im Winter der Atlantik und im Sommer die Landmassen im Umkreis des Mittelmeeres. Deutlich wird an Abb. 5 auch, dass die von Insua-Costa (2022) ausgewählten 160 extremen Starkregenereignisse sich massiv auf den Herbst konzentrieren.[7]

Die Erforschung der regionalen Quellen des Wasserdampfs der mediterranen Starkniederschläge und ihrer Transportbahnen hat nicht nur wissenschaftliche, sondern auch eine erhebliche paktische Bedeutung. Sie ermöglicht eine bessere Vorhersage von Extremereignissen und kann damit nicht zuletzt Menschenleben retten.[12]

Starkregen und Hochwasser in Italien

Allgemeine Prozesse

Abb. 6: Wichtige Prozesse, die an der Entstehung von Starkregenereignissen und Hochwasserkatastrophen im nördlichen Italien beteiligt sind.

Die italienische Halbinsel ist gegenüber Naturkatastrophen durch Starkniederschläge besonders exponiert. Entscheidende Faktoren sind die steilen Hänge der Alpen und des Apennins in unmittelbarere Nähe zum Mittelmeer sowie das Mittelmeer selbst, das als Feuchte- und Wärmequelle fungiert (Abb. 6). Sie bestimmen die Konvergenz und den Auftrieb von feuchten und instabilen Luftmassen, die die Konvektion über Italien und die umgebenden Meere antreiben. Hinzu kommt, dass Starkniederschläge in den kleinen Flusstälern mit ihren steilen Hängen in relativ kurzer Zeit verheerende Überschwemmungen anrichten können.[9]

Besonders starke Auswirkungen haben größere Gewitterkomplexe, die aus mehreren einzelnen Gewitterzellen entstehen, die sich zusammenschließen und sog. mesoskalige konvektive Systeme[13] bilden. In der Nähe von Gebirgshängen können Starkregenereignisse durch orographische Anhebung von feuchten Luftmassen entstehen, die sich dabei abkühlen und ausregnen. Das Abkühlen von warmer Luft kann aber auch durch das Zusammentreffen mit kalten Höhentiefs, die vom Atlantik und Westeuropa heranziehen, hervorgerufen werden. Auch kalte Luft am Boden, sog. cold pools[14], kommt als Auslöser von Abkühlung warmer, feuchter Luft und anschließenden Niederschlägen in Frage. Sie können z.B. über dem Mittelmeer durch Verdunstung von Niederschlag unter Gewitterwolken entstehen. Die dabei gebildete kalte und schwere Luft eines cold pools breitet sich als Kaltluftsee unter den Regenwolken aus und bewirkt eine Anhebung angrenzender leichterer und wärmerer Luftmassen, was zu erneuter Wolkenbildung und Regen führen kann.[9]

Abb. 6 zeigt einige wichtige Prozesse, die an der Entstehung von Starkregenereignissen und Hochwasserkatastrophen im nördlichen Italien beteiligt sind. Die orangenen Pfeile stehen für das Vordringen von feuchten und warmen Luftmassen nach Norden. Dabei kann es sich ursprünglich um einen Schirokko handeln, der aus Nordafrika heiße Luft über das Mittelmeer treibt, die dabei viel Wasserdampf aufnimmt. Diese heißen Luftmassen stoßen im Osten über die Adria und die Poebene auf die Alpenfront, im Westen über das Tyrrhenische und Ligurische Meer auf die Südränder von Westalpen und Apennin. Im Osten wird die warmfeuchte Luft durch die Alpenfront nach Westen umgelenkt. Dabei kann es zur Anhebung der warm-feuchten Luft durch die Ausläufer der Alpen kommen, wobei Abkühlung und Kondensation Starkniederschläge erzeugen. Durch die Westalpen werden die inzwischen abgekühlten Luftströmungen nach Süden abgelenkt, wo sie über die niedrigsten Bereiche des Ligurischen Apennin das Mittelmeer erreichen. Hier stoßen sie auf warme und feuchte Luftmassen, die durch die schwere und kühlere Luft aus dem Alpenraum zur Konvektion bzw. zum Aufsteigen, sich Abkühlen und eventuell zu starken Niederschlägen veranlasst wird.[9]

Einzelne Ereignisse

Das Sturmtief Alex richtete im Oktober 2020 in Frankreich, den westlichen Alpen und besonders in Italien durch Rekordniederschläge starke Zerstörungen an. Es bildete sich über dem Nordatlantik und zog über Frankreich, Großbritannien und die Iberische Halbinsel nach Osten. Der Transport von Wasserdampf über den Nordatlantik von der Ostküste Nordamerikas bis Westeuropa vollzog sich in Form eines atmosphärischen Flusses (Abb.).[15] Am Alpenrand trafen die kühlen und feuchten Luftmassen auf sehr warme und feuchte Luft vom Mittelmeer, die dadurch abkühlten. An den Meeralpen und Ligurischen Alpen kam es durch Anhebung zu weiterer Abkühlung und heftigen Niederschlägen von über 600 mm in 24 Stunden und Gewittern über Nordwestitalien, die durch Überflutungen Straßen, Brücken und Gebäude zerstörten. Viele Regionen verzeichneten Rekordhochwasser an zahlreichen Flüssen und Überschwemmungen ganzer Landstriche.[16]

Im Mai 2023 kam es in der italienischen Provinz Emilia-Romagna zu gewaltigen Starkniederschläge, die als das regenreichste Ereignis dieser Art eingestuft wurden. Die Wiederkehrperiode wurde auf 200 Jahre bzw. eine Wahrscheinlichkeit des Eintretens von 0,5% geschätzt. Die Stationsdaten der Region zeigen dennoch keinen Trend vergleichbarer Ereignisse und damit keinen Einfluss des Klimawandels. Das Extremereignis bestand aus drei aufeinander folgenden Starkregenereignissen, auf die extreme Hochwasser folgten. Örtlich fielen an zwei Tagen 190 mm Niederschlag, einige Flüsse stiegen um 10 m in 24 Stunden an, und es kam zu Dammbrüchen, Überflutungen von Deichen und zahlreichen Erdrutschen. Insgesamt wurden 15 Menschen getötet. Das Hochwasserereignis war nicht zuletzt durch die Jahreszeit außergewöhnlich, da die meisten Starkregenereignissen in der Region wie im gesamten Mittelmeer im Herbst und Winter geschehen.[17]

Die Regenfälle wurden durch drei unterschiedliche Tiefdrucksysteme über dem Tyrrhenischen Meer verursacht, die mit einem nordöstlichen Wind entlang der adriatischen Seite des Apennins interagierten. Dadurch wurden feuchte Luftmassen angehoben, kühlten sich ab, der Wasserdampf kondensierte und es begann stark zu regnen. Durch die andauernden Niederschläge war der Boden bald gesättigt, und das Wasser floss unmittelbar in die Flüsse, von wo es sich auf angrenzende Landfläche ausbreitete. Die Wasseraufnahmekapazität der Böden war auch dadurch begrenzt, dass Nord-Italien über zwei Jahre davor aufgrund geringer Schneefälle in den Alpen, Dolomiten und Apennin unter einer schweren Dürre gelitten hatten, die die Böden verdichteten und das Versickern von Niederschlag behinderten.[17]

Einzelnachweise

  1. IPCC AR6, WGII (2022): Cross-Chapter Paper 4: Mediterranean Region, FAQ CCP4.1
  2. Cui, D., S. Liang & D. Wang (2021): Observed and projected changes in global climate zones based on Köppen climate classification. WIREs Climate Change, 12(3)
  3. World Weather Attribution (2024): Extreme downpours increasing in southeastern Spain as fossil fuel emissions heat the climate
  4. Zachariah, M., V. Kotroni, L. Kostas et al. (2023): Interplay of climate change-exacerbated rainfall, exposure and vulnerability led to widespread impacts in the Mediterranean region
  5. Copernicus Climate Change Service (2023): Precipitation, relative humidity and soil moisture for June 2023
  6. 6,0 6,1 MedECC (2020): Climate and Environmental Change in the Mediterranean Basin – Current Situation and Risks for the Future. First Mediterranean Assessment Report
  7. 7,0 7,1 7,2 7,3 7,4 Insua-Costa, D., M. Senande-Rivera, M.C. Llasat et al. (2022): A global perspective on western Mediterranean precipitation extremes. npj Clim Atmos Sci 5, 9.
  8. Khodayar, S., S. Davolio, P. Di Girolamo et al. (2021): Overview towards improved understanding of the mechanisms leading to heavy precipitation in the western Mediterranean: lessons learned from HyMeX, Atmospheric Chemistry and Physics 212, 22
  9. 9,0 9,1 9,2 9,3 9,4 9,5 Miglietta, M.M. & S. Davolio (2022): Dynamical forcings in heavy precipitation events over Italy: lessons from the HyMeX SOP1 campaign, Hydrol. Earth Syst. Sci., 26, 627–646
  10. Gonzalez-Hidalgo, J.C., S. Beguería, D. Peña-Angulo et al. (2023): MOPREDAS_century database and precipitation trends in mainland Spain, 1916–2020. International Journal of Climatology, 43, 3828–3840
  11. DWD (2023): Was sind Atmosphärische Flüsse?
  12. Dorrington, J., M. Wenta, F. Grazzini et al. (2024): Precursors and pathways: dynamically informed extreme event forecasting demonstrated on the historic Emilia-Romagna 2023 flood, Nat. Hazards Earth Syst. Sci., 24, 2995–3012
  13. DWD: Wetter- und Klimalexikon: Mesoskaliges konvektives System (MCS)
  14. Deutsche Meteorologische Gesellschaft (2021): Cold Pool – Was ist ein Cold Pool?
  15. Grazzini, F., J. Dorrington, C.M. Gramset et al. (2024): Improving forecasts of precipitation extremes over northern and central Italy using machine learning. Quarterly Journal of the Royal Meteorological Society, 150(762), 3167–3181
  16. Wikipedia (2024): Alpenhochwasser 2020
  17. 17,0 17,1 Barnes, C., D. Faranda, E. Coppola et al. (2023): Limited net role for climate change in heavy spring rainfall in Emilia-Romagna. https://doi.org/10.25561/104550

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