Strahlungsantrieb: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 4. Januar 2009, 23:44 Uhr
Jede Bezifferung der Wirkung von einzelnen klimarelevanten Einflüssen ist mit dem Problem verbunden, wie diese Einflüsse möglichst objektiv und genau miteinander verglichen werden können. Auf der einen Seite stehen also die Aktivitäten des Menschen, z.B. die Emission von Treibhausgasen, die Vermehrung von Aerosolen, die Veränderung der Erdoberfläche und so weiter. Auf der anderen Seite stehen die Auswirkungen, die diese Aktivitäten tatsächlich auf das Klimasystem und damit unser Wohlbefinden haben. Um herauszufinden, welche Aktivitäten vielleicht besonders problematisch sind und wodurch man am effektivsten das Klima schonen kann, muss die Wirkung also immer mit ein und derselben Art von Größe angegeben werden. Je nachdem, wofür man sich interessiert, könnte das z.B. die Änderung der bodennahen Lufttemperatur sein, oder aber sogar die Anzahl von Menschenleben, die der Klimawandel kostet, die finanziellen Kosten oder etwas anderes. Es ist klar, dass dies eine gesellschaftliche Bewertung erfordert und keine rein naturwissenschaftliche Aufgabe ist. Bereits im Fall des Vergleichs der bodennahen Lufttemperatur aber muss dieser Vergleich scheitern. Dazu müsste man nicht nur wissen, wie sich jede einzelne Art von Aktivität der Menschen auf die bodennahe Lufttemperatur auswirkt (was nur sehr ungenau machbar ist). Gleichzeitig müsste auch bekannt sein, wie sich alle Effekte gleichzeitig auswirken, denn im Allgemeinen darf man die einzelnen Effekte nicht einfach zusammenzählen. Dies liegt daran, dass sich viele Prozesse gegenseitig beeinflussen, also Rückkopplungen erzeugen und sich so verstärken oder abschwächen. Man spricht in der Wissenschaft dabei von Nichtlinearität.
Strahlungsantrieb im IPCC-Bericht
Statt der bodennahen Lufttemperatur wird im IPCC-Bericht daher das „Stratospheric adjusted Radiative Forcing“ (RF) benutzt. Das RF wird im Deutschen als Strahlungsantrieb bezeichnet und ist die Netto-Strahlungsflussdichte an der Tropopause (siehe Aufbau der Atmosphäre), welche z.B. durch die veränderte Konzentration von Treibhausgasen zustande kommt. Der Ausdruck "Strahlungsflussdichte" meint die Strahlungsenergie, die pro Sekunde und pro Quadratmeter durch die Tropopause hindurchkommt. Man gibt das RF daher immer in Joule pro Sekunde und Quadratmeter, bzw. Watt pro Quadratmeter (Wm-2 an. Beim "stratospheric adjustment" geht man davon aus, dass die Temperatur in der Stratosphäre sich schon auf die neue Gleichgewichtstemperatur eingestellt hat, das Temperaturprofil in der Troposphäre jedoch noch dem alten Gleichgewicht entspricht. Dies ist gerechtfertigt, weil sich die Temperatur in der Stratosphäre den geänderten Strahlungsbedingungen schnell anpassen kann, während die Troposphäre lange Zeit dafür braucht, vor allem wegen der Trägheit der Ozeane, die sich nur sehr langsam aufwärmen lassen. Das ist vergleichbar mit dem Erhitzen von Wasser auf einer Herdplatte: Lässt man das Wasser bei niedriger Stufe lange stehen, bleibt es immer bei derselben Temperatur, weil die Wärme, die über die Herdplatte zugeführt wird, durch Diffusion und Verdunstung wieder abgegeben wird. Dies ist ein Gleichgewicht, entsprechend dem alten Klimazustand. Schaltet man nun den Herd eine Stufe höher, wird die Platte schnell wärmer, das Wasser braucht aber viel länger als die Platte, um warm zu werden. Zwischen der Platte und dem Topfboden gibt es also einen Energiefluss von der Platte in den Topf, und zwar so lange, bis sich die Energieflüsse wieder genau ausgleichen. Das entspräche dann einem neuen Klima-Gleichgewichtszustand.
Die Verhältnisse im Klimasystem
Die Verhältnisse im Klimasystem sind natürlich komplizierter und die Heizung geschieht nicht nur in einer einzigen Höhe. Insgesamt aber passt sich die Stratosphäre dem geänderten Treibhauseffekt (im Fall geänderter Treibhausgaskonzentrationen) schnell an und kühlt sich ab, während die Luft in der Troposphäre Zeit braucht, um sich zu erwärmen. Es herrscht also ein Ungleichgewicht an der Tropopause. Werden Treibhausgaskonzentrationen erhöht, geht zusätzliche Energie in die untere Atmosphäre und der Strahlungsantrieb ist positiv. Ein Beispiel für einen negativen Strahlungsantrieb wäre dagegen, wenn Aerosole mehr Sonnenlicht zurück in den Weltraum reflektieren. Dann kommt weniger Energie in der unteren Atmosphäre an und sie kühlt sich ab.
Vor- und Nachteile des Konzepts
Der Vorteil dieses Konzepts ist, dass das RF nicht von komplizierten und wenig verstandenen Rückkopplungen im Klimasystem abhängt. Der große Nachteil ist, dass das RF nichts über die Änderungen der messbaren und fühlbaren Größen am Erdboden aussagt, welche aber die eigentlich interessanten Größen zur Bewertung des Klimawandels sind. Außerdem wird in der Realität das Klimasystem niemals in den neuen Gleichgewichtszustand gelangen, da dies eine lange Zeit dauern würde und sich der Antrieb selbst mit der Zeit verändert. Die Temperatur auf der Erde hinkt also den Antrieben, die auf sie wirken, ständig hinterher. Der Strahlungsantrieb ist daher nichts weiter als ein Ergebnis eines Gedankenexperiments. Betrachtet man den Zusammenhang zwischen globaler mittlerer Temperatur und dem RF, so steckt die größte Unsicherheit in dem Faktor, der die beiden verbindet und „climate sensitivity parameter“ genannt wird, und der die erwähnten Rückkopplungen enthält. Dieser Paramter sagt also aus, welche Temperaturänderung ein bestimmter Strahlungsantrieb hervorruft. Leider ist aber dieser Parameter je nach Mechanismus (also Treibhausgase, Aerosole, Landnutzung, usw.), vor allem aber von Modell zu Modell verschieden. Die Werte bewegen sich etwa zwischen 2 und 4 Grad Celsius pro Wm-2, aber auch andere Werte sind nicht ganz auszuschließen. Ein weiterer Nachteil dieses Konzepts ist es, dass überhaupt nur Einflüsse betrachtet werden können, die über die Strahlung auf die Temperatur wirken. Effekte wie z.B. Verdunstungskälte oder Diffusion können damit nicht beschrieben werden, obwohl auch sie die Temperatur beeinflussen.
Bei der Angabe des Strahlungsantriebs ist es übrigens wichtig, einen geeigneten Zustand zu definieren, mit dem die Änderungen verglichen werden können, d.h. der alte, natürliche Klimazustand. Dies ist keineswegs einfach, weil ja auch das natürliche Klima ständigen Schwankungen unterworfen ist. Im Falle des IPCC-Berichts wird als Basisjahr 1750 gewählt.
Das Global Warming Potential
Die Frage nach dem geeigneten Maß zur Quantifizierung von klimawirksamen Tätigkeiten wie Emissionen und Landnutzungsänderungen stellt sich insbesondere, da man wissen will, welche dieser Tätigkeiten man am besten wann und wo ändern sollte, um einen Klimawandel möglichst effizient abzuschwächen. Das Maß wird davon abhängen, welche Strategie man verfolgen will: Ist die Klimapolitik lang- oder kurzfristig orientiert? Soll das Gleichgewichtsniveau möglichst niedrig sein, oder sollen Emissionen zunächst in den ersten paar Jahren beschränkt werden, wie das beim Kyoto-Protokoll der Fall ist? Die Metriken (Maße) sind hier rein physikalisch orientiert, im Allgemeinen müssten aber eventuell auch ökonomische Faktoren einbezogen werden, um die effizienteste Strategie zu bestimmen.
Ein viel einfacherer Ansatz ist das so genannte Global Warming Potential (GWP). Es handelt sich dabei um ein zeitlich integriertes massenspezifisches RF in Bezug auf CO2. Das RF einer Einflussgröße auf das Klima wird also in seinem zeitlichen Verlauf berücksichtigt und mit CO2 verglichen. Somit wird die Lebensdauer der Einflussgröße berücksichtigt. Zum Beispiel wäre es denkbar, dass ein starker Vulkanausbruch kurzfristig einen starken negativen Strahlungsantrieb erzeugt, der die Wirkung aller vom Menschen emittierten Treibhausgase neutralisiert. Zu einem Zeitpunkt kurz nach dem Ausbruch sieht es so aus, als gäbe es keine Beeinflussung des Klimas mehr. Da aber die vulkanischen Sulfataerosole nur wenige Jahre in der Atmosphäre verbleiben, würden die langlebigen Treibhausgase schon bald wieder die Oberhand gewinnen und das GWP wäre positiv. Der Wert hängt allerdings von der Länge des Zeitintervalls ab, das betrachtet wird. Auch hängt er vom Verlauf der CO2-Konzentrationen in diesem Intervall ab, da ja alles auf CO2 bezogen wird.
Es wird normalerweise angenommen, dass die betrachteten Emissionen Puls-Quellen sind, d.h. zu Anfang des Zeitintervalls alles auf einmal emittiert und dann langsam abgebaut wird. Die Hauptkritik am GWP-Konzept ist, dass zwei Emissionen mit gleichem GWP-Wert nicht unbedingt den gleichen zeitlichen Verlauf der Temperaturänderung zeigen. Als Beispiel betrachte man zwei Treibhausgase mit unterschiedlichen Eigenschaften wie Methan und Kohlendioxid. Zwar hat Methan pro Masse eine stärkere Treibhauswirkung als CO2, lebt jedoch nicht so lange. Über einen bestimmten Zeitraum betrachtet hätten beide daher dasselbe GWP. Allerdings wird es für das Klima (und zwar sowohl für den zeitlichen Verlauf als auch den Gleichgewichtszustand) im Allgemeinen einen Unterschied machen, ob ein starkes Treibhausgas kurz oder ein schwächeres lange vorhanden ist. Ein alternativer Ansatz ist daher das Global Temperature Potential (GTP). Man vergleicht dabei die global gemittelte Temperaturänderung am Ende des Zeithorizonts. Es stellt sich aber das Problem, wo genau der Zeithorizont liegen soll, der einen gefährlichen Klimawandel ausschließt (denn ein solcher soll gemäß UNFCCC - Framework Convention on Climate Change - verhindert werden). Daher blieb das GWP bislang als empfohlenes Bewertungsmaß bestehen. Ein weiterer Nachteil des GWP ist seine schlechte Anwendbarkeit auf sehr kurzlebige Stoffe wie Aerosole, da dann die Orte und Zeiten der Quellen eine Rolle spielen. Eine Tabelle mit Werten von GWPs der wichtigsten anthropogenen Treibhausgase findet sich im Artikel Treibhausgase.
Indirektes GWP
Die obigen Beispiele beschreiben ein direktes GWP, welches den Strahlungsantrieb beinhaltet, den etwa ein bestimmtes Gas durch sein Absorbtionsvermögen besitzt. Außerdem gibt es aber noch indirekte Effekte, d.h. das Gas bewirkt indirekt durch sein Vorhandensein einen Antrieb, ohne ihn selbst unmittelbar zu verursachen. Dies beinhaltet die Effekte der Zerfallsprodukte und Effekte durch Konzentrationsänderungen, die durch das emittierte Gas oder dessen Zerfallsprodukte entstehen. Wird z.B. Methan in Kohlendioxid umgewandelt, so schwächt sich dessen direktes RF zwar ab, die CO2-Konzentration und damit das RF von CO2 steigt jedoch in Folge dessen an. (Dieser Effekt soll hier nur als Veranschaulichung dienen und wird in der Realität bereits als CO2-Emission statt als Teil des GWP erfasst). Die wichtigsten indirekten Effekte sind die Ozon-Bildung und Vernichtung, die Bildung von stratosphärischem Wasserdampf, der Einfluss der OH-Konzentration auf die Lebensdauer von Methan und die sekundäre Aerosol-Bildung. Die Unsicherheiten sind hier viel größer als bei direkten GWP.
Das indirekte GWP hängt zudem von Ort und Zeit der Emissionen ab. Indirekte Effekte können sogar von anderem Vorzeichen sein als direkte, z.B. bei NOx. Der Grund ist, dass die Hintergrundkonzentration reaktiver Spezies wie NOx die Luftchemie nichtlinear beeinflussen kann. Außerdem kann die Lebensdauer und Wirkung kurzlebiger sekundärer Spezies ortsabhängig sein. Damit ist der Nutzen des GWP für politische Entscheidungen begrenzt.
Siehe auch
Lizenzhinweis
Dieser Artikel ist ein Originalartikel des Klima-Wiki und steht unter der Creative Commons Lizenz Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland. Informationen zum Lizenzstatus eingebundener Mediendateien (etwa Bilder oder Videos) können in den meisten Fällen durch Anklicken dieser Mediendateien abgerufen werden und sind andernfalls über Dieter Kasang zu erfragen. |