Direkte CO2-Nutzung
Die Pariser Klimaziele und die Notwendigkeit von negativen Emissionen
Im Pariser Abkommen von 2015 zur Vermeidung eines gefährlichen Klimawandels durch den Menschen wurde vereinbart, die globale Erwärmung bis zum Ende des 21. Jahrhunderts deutlich unter 2 °C und möglichst sogar auf 1,5 °C über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Um die Klimaziele von Paris zu erreichen, ist eine deutliche Reduzierung der anthropogenen Treibhausgasemissionen, vor allem der Emissionen von Kohlendioxid, unabdingbar. Ohne eine Intensivierung der bisherigen Klimapolitik würde die globale Mitteltemperatur eine Erwärmung von 3,2 °C zur Folge haben.[1] Das verbleibende Kohlenstoff-Budget zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels mit einer 67%igen Wahrscheinlichkeit beträgt nur etwa 120 Gt C und zur Erreichung des 2-Grad-Ziels 350 Gt C. Bei den jetzigen Emissionen von rund 11 Gt C pro Jahr wäre es in 11 bzw. 32 Jahren aufgebraucht.[2] Das bedeutet, dass die Menschheit bei Beibehaltung der gegenwärtigen Kohlenstoffemissionen zu Beginn der 2030er Jahre bzw. im Falle einer 2-Grad-Erwärmung Mitte der 2050er Jahre kein weiteres Kohlendioxid mehr in die Atmosphäre freisetzen dürfte. Nahezu alle Modellrechnungen zeigen daher, dass die Pariser Klimaziele nur durch eine Reduktion der CO2-Emissionen nicht mehr erreichbar sein werden.[3]
Auch wenn um die Mitte des Jahrhunderts Treibhausgas-Emissionen aus der Verbrennung fossiler Energieträger durch erneuerbare Energien gänzlich ersetzt sein sollten, so verbleiben doch schwer zu vermeidende Restemissionen: 1. von Nicht-CO2-Gasen wie Methan und Distickstoffoxid aus der Landwirtschaft und 2. von CO2, das bei industriellen Prozessen wie der Zement-, Kalk- und Glasherstellung anfällt. Diese Emissionen, aber auch die in 30 Jahren wahrscheinlich immer noch bestehenden energiebedingten CO2-Emissionen, lassen sich bei einem Festhalten an den Pariser Klimazielen nach heutigem Kenntnisstand kaum anders ausgleichen als durch Verfahren, die CO2 aus der Atmosphäre oder aus industriellen Prozessen entnehmen und möglichst langfristig entziehen. So urteilt eine Studie der Wissenschaftsplattform Klimaschutz: „Fortschreitende Verzögerungen stringenterer Klimaschutzmaßnahmen und ein ambitionierteres Klimaziel machen es aber mittlerweile unmöglich, ohne CO2-Entnahmen auszukommen.“[4] Derartige Verfahren werden als negative Emissionen oder auch CO2-Entnahme (Carbon Dioxid Removal, CDR) bezeichnet.
Mit dem entnommenen Kohlendioxid kann grundsätzlich auf zweierlei Art und Weise verfahren werden. Es kann einmal dauerhaft gespeichert werden, z. B. in geologischen Schichten, oder es kann im Gartenbau oder in der Chemieindustrie genutzt werden und bleibt dann in Produkten mehr oder weniger lange der Atmosphäre entzogen.
CO2-Quellen
Das genutzte Kohlendioxid kann aus unterschiedlichen Quellen stammen, aus natürlichen Lagerstätten, aus der Luft, aus Industrieabgasen und aus Biomasse.
- Hauptartikel: CO2-Quellen
Kohlenstoffnutzung und Kohlenstoffspeicherung
Das entnommenen Kohlendioxid kann erstens durch das Verfahren des Carbon Capture and Storage (CCS) dauerhaft gespeichert werden und es kann zweitens durch Carbon Capture and Utilization (CCU) einer neuen Nutzung zugeführt werden (Abb.). In beiden Fällen wird das Kohlendioxid zunächst entweder aus technischen Anlagen gewonnen, die CO2 emittieren, wie Kraftwerken, Biogas-, Müllverbrennungs- und anderen Industrieanlagen, oder es stammt direkt aus der Umgebungsluft. In dem ersten Fall wird verhindert, dass CO2 direkt in die Atmosphäre gelangt, in dem anderen Fall wird die bestehende CO2-Konzentration der Atmosphäre verringert.
Während CCS-Methoden darauf angelegt sind, das abgeschiedene CO2 möglichst dauerhaft zu speichern, wie z.B. in ehemaligen Öl- und Gaslagerstätten, ist das Ziel der Kohlenstoffnutzung, CO2 so weiter zu verwenden, dass daraus ein wirtschaftlicher Nutzen entsteht. Kohlendioxid wird schon heute in der chemischen Industrie als Rohstoff oder Lösungsmittel, in der Nahrungsmittelindustrie als Kühlmittel, in der Landwirtschaft zur Anregung des Pflanzenwachstums und vielen anderen Sektoren und Nutzungsformen angewendet. Die verschiedenen Nutzungsformen speichern das Kohlendioxid jedoch unterschiedlich lange. So ist z.B. CO2 als Beimischung von Brennstoffen nur Wochen bis Monate der Atmosphäre entzogen, sorgt aber dafür, dass nicht neue fossile Rohstoffe verwendet werden, die zusätzliche Emissionen zur Folge haben. Die Verweildauer in Betonbaustoffen kann dagegen 1000 Jahre und mehr betragen und ist darin mit CCS vergleichbar.[4] Hinzu kommt, dass CO2 nur in wenigen und von der Kapazität her begrenzten Fällen direkt genutzt werden kann. In den meisten Fällen muss es chemisch umgewandelt werden, was oft mit einem hohen Energie- und technischen Aufwand verbunden ist, u.a. weil CO2 ein sehr reaktionsträges und stabiles Molekül ist.[5]
Direkte Nutzung von CO2
Die bestehende und etablierte Nutzung von CO2 bezieht sich vor allem auf die direkte Nutzung wie z.B. in Gewächshäusern, in der Nahrungsmittel- und Getränkeproduktion, zur Kühlung und Reinigung, für Feuerlöscher und eine intensivierte Öl- (Enhanced Oil Recovery, EOR) und Gasförderung (Enhanced Gas Recovery, EGR). Auch wenn der Markt dafür wächst, ist ein größerer Bedarf nicht zu erwarten. Eine Ausnahme ist die verstärkte Ölförderung mit CO2. Die Anwendung von CO2 zur Produktion von Harnstoff als Düngemittel wird nur von manchen Autoren zur direkten Kohlenstoff-Nutzung gezählt,[6][7] von den meisten anderen dagegen nicht,[5][8][9] da die eigentliche Nutzung als Stickstoffdünger erst nach einer chemischen Reaktion von CO2 mit Ammoniak (NH3) erfolgt.
Gewächshäuser
Die wahrscheinlich älteste Nutzung von reinem Kohlendioxid besteht in der Stimulierung des Pflanzenwachstums in Treibhäusern. Durch Gewächshäuser wird der Anbau von Gemüse und Obst intensiviert, die Wachstumszeit verlängert und die Anbaufrüchte in Klimazonen zur Reife gebracht, in denen sie von Natur aus nicht gedeihen. Angesichts des weltweit starken Bevölkerungswachstums wird in Treibhauskulturen eine Möglichkeit gesehen, dem aktuellen und zukünftigen Mangel an Nahrungsmitteln wirksam entgegenzutreten. In jüngster Zeit wird der intensive Anbau in traditionellen Treibhäusern durch den zunehmend expandierenden urbanen Gartenanbau erweitert, der oft ebenfalls als Treibhausanbau praktiziert wird. Durch die CO2-Anreicherung in Treibhäusern zur Steigerung der Pflanzenproduktion kann nicht nur das Nahrungsmittelangebot erhöht, sondern zugleich ein Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels geleistet werden. Bao et al. (2018)[10] sehen bei Anwendung eines optimalen CO2-Anreicherungssystems die Möglichkeit, um die Jahrhundertmitte sowohl 9 Mrd. Menschen zu ernähren als auch 500 Mio. t CO2 jährlich aus der Luft abzuscheiden.
Da Pflanzen durch Photosynthese CO2 verbrauchen, würde bei geschlossenen Treibhäusern die CO2-Konzentration schnell auf bis zu 200 ppm reduziert und das Pflanzenwachstum beeinträchtigt werden.[11] Eine Möglichkeit, das zu verhindern, ist die stetige Luftzufuhr von außen (Abb. 3), die aber die Temperaturregulierung im Treibhaus erschwert. Die künstliche CO2-Anreicherung durch die Vor-Ort-Verbrennung von Erdgas über das Niveau der Außenluft hinaus ist daher eine gängige Praxis sowohl zur Steigerung der Ernteerträge als auch bei Bedarf zur Erhöhung der Temperatur.
Die Herkunft des in Treibhäusern verwendeten Kohlendioxids ist sowohl im Hinblick auf das Pflanzenwachstum als auch aus klimatischen Gründen ein wichtiges Thema. Ein Kriterium ist die Reinheit des Gases. Bei der Verbrennung von Erdgas ist das entstehende Kohlendioxid mit Schadstoffen wie Schwefel- und Stickoxiden gemischt; erst recht ist das der Fall, wenn CO2 aus Rauchgas von industriellen Quellen gewonnen wird. Die toxischen Bestandteile sind für die Pflanzen wie für die Gesundheit der Beschäftigten im Gewächshaus schädlich, weshalb die CO2-Abscheidung aus industriellen Rauchgasen allgemein abgelehnt wird.[7] Rodríguez-Mosqueda (2019)[12] schlagen daher eine CO2-Abscheidung direkt aus der Umgebungsluft des Treibhauses vor, nach der das reine CO2 unmittelbar in das Gewächshaus eingeführt wird. Auf diese Weise könnten auch Transportkosten und eine Transportinfrastruktur vermieden werden.
Die durch die CO2-Anreicherung erzielte Steigerung der Ernteerträge kann je nach Anbaufrucht 12% bis 70% betragen,[11] nach anderen Quellen 25-30%.[6] Ein weiterer Vorteil der CO2-Anreicherung sind eine Verkürzung der Wachstumszeit und die Möglichkeit, die Produktion über das ganze Jahr auszudehnen. Zugleich kann der Wasserbedarf im Vergleich zum Feldanbau durch eine verringerte Öffnung der Stomata und dadurch eine verminderte Verdunstung um bis zu 40% gesenkt und die Aufnahme von Schadstoffen verringert werden.[8] In der Regel handelt es sich bei den Treibhauskulturen um C3-Pflanzen, deren optimale Wachstumstemperatur bei 14-18 °C liegt. Um das zu erreichen, muss die Innentemperatur je nach Jahreszeit und Region heruntergekühlt (z.B. im Mittelmeerraum) oder erwärmt (wie in höheren Breiten) werden. Die Nutzung von CO2 zur Anreicherung der Konzentration führt jedoch bei den meisten C3-Pflanzen dazu, dass die optimale Wachstumstemperatur sich auf bis zu 30-32 °C erhöht.[11] Das erfordert in mittleren und höheren Breiten eine zusätzliche Erwärmung der Treibhäuser, was zumeist über die Verbrennung von zusätzlichem Erdgas erfolgt.
Weltweit sind die Niederlande bei einer Fläche von 10.325 ha mit großem Abstand Spitzenreiter sowohl im Treibhausanbau im Allgemeinen wie bei der CO2-Anreicherung. Der jährliche Bedarf an Kohlendioxid für die Düngung der Treibhauspflanzen beträgt schätzungsweise 500.000 t CO2. Allein die Firma OCAP (Organic CO2 for assimilation by plants) liefert z.B. auf diese Weise 400 000 t CO2 pro Jahr an 580 Treibhäuser über ein ausgedehntes Pipeline-Netz. Die Wiederverwendung dieser Menge an Kohlendioxid, das zuvor hauptsächlich als reines CO2 aus einer Bioethanol-Anlage gewonnen wurde,[13] in Gewächshäusern soll nach Angaben der Firma das Verbrennen von 115 Mio. m3 Gas und die Emission von 205 000 t CO2 jährlich vermeiden.[14] In der Schweiz verkauft die durch ihr Air-Capture-Projekt auf Island bekannte Firma Climeworks das ebenfalls aus der Luft abgeschiedene CO₂ an einen Gewächshausbetreiber zur Aufrechterhaltung einer ausreichend hohen CO₂-Konzentration.[15] Weltweit wurde die Fläche von Gemüsetreibhäusern für 2012 auf 500.000 ha geschätzt.[10]
Um beim Klimaschutz in Konkurrenz zur CO2-Speicherung (CCS) bestehen zu können, muss sich die Nutzung von Kohlendioxid vor allem ökonomisch rechnen. Nach Einschätzung der International Energy Agency[6] ist die Verwendung von CO2 in Gewächshäusern an bestimmten Standorten durchaus wettbewerbsfähig. Diese Standorte liegen in der Nähe, d.h. innerhalb von 5-10 km Entfernung, zu günstigen Quellen mit hochreinem CO2, günstiger Abwärme und einer CO2-Transportstruktur auf Pipeline-Basis. In klimatischer Hinsicht besteht ein großer Nachteil der Nutzung in Treibhäusern darin, dass das CO2 nur für relativ kurze Zeit in den Pflanzen gespeichert bleibt, bis es wieder in die Atmosphäre entweicht. Wenn das Kohlendioxid aus externen Quellen, d.h. nicht aus dem Anwendungsprozess selbst, stammt und die Vor-Ort-Produktion von CO2 ersetzt, können jedoch Emissionen eingespart werden.[6]
Tertiäre Ölförderung
Der größte Verbraucher von direkt genutztem CO2 ist die intensivierte Ölförderung, engl. Enhanced Oil Recovery (EOR). Im Deutschen spricht man hier auch von tertiärer Ölförderung, die dann eintritt, wenn auf die primäre Förderung durch den Druck des flüssigen Öls selbst und die sekundäre Förderung nach einer Erhöhung des Drucks durch Wasserzufuhr ein dritter Schritt erfolgt, bei dem CO2 in die Poren von Öllagerstätten verpresst wird und eine weitere Förderung bewirkt. Die globale Nutzung von Kohlendioxid insgesamt wurde 2019 von der Internationalen Energieagentur IEA auf 230 Mio. t geschätzt, wovon 70-80 Mio. t auf die Ölförderung entfielen. Regional lagen die USA mit 33% der weltweiten Ölförderung mit Hilfe von Kohlendioxid eindeutig an der Spitze vor China (21%) und Europa (16%).[6]
Die Kohlendioxid-Nutzung bei der tertiären Ölförderung ist eine ausgereifte Technologie, die seit über 50 Jahren in der Öl- und Gasindustrie vor allem in den USA weit verbreitet ist.[7] Das CO2 stammt bei der tertiären Ölförderung zumeist aus natürlichen Quellen bzw. aus geologischen Lagerstätten und wird mit Hilfe von Pipelines oder LKWs zu den Ölfeldern transportiert. Weniger als 30% stammen aus nicht-geologischen Quellen, hauptsächlich, weil es keine entsprechenden Lagerstätten in der Nähe der Ölfelder gibt.[6] Auf den Ölfeldern wird das Kohlendioxid auf einen höheren Druck komprimiert und in die Gesteinsformationen injiziert, in denen das bis dahin nicht förderbare Öl haftet. Beim Kontakt mit den mikroskopisch kleinen Öltröpfchen in den Gesteinsporen mischt sich das CO2 mit dem Öl, lässt das Öl anschwellen und reduziert seine Viskosität. Der Prozess muss bei genügend hohem Druck in den Gesteinsporen ablaufen, der bei Bedarf durch die Injektion von Wasser weiter erhöht werden kann. Das Öl wird durch die Verbindung mit dem Kohlendioxid mobil und fließt zu den Förderbrunnen, die es an die Oberfläche pumpen. Dabei wird auch ein hoher Anteil des CO2 mitgefördert und anschließend von dem Öl getrennt. Da das CO2 auf dem Markt teuer erworben werden muss, wird es zumeist in eigenen Anlagen aufbereitet und erneut in die Lagerstätte verpresst, bis kein weiteres Öl mehr gefördert werden kann.[16] Am Ende des Verfahrens können bis über 90% des eingesetzten Kohlendioxids dauerhaft im Gestein gespeichert werden.[6][17] Die Ölausbeute kann durch die Kohlendioxid-Nutzung um 30-60% gegenüber konventionellen Förderverfahren erhöht werden.[7]
In den USA werden auf diese Weise 5% des Öls gefördert. Grundlagen sind für die CO2-Injektion geeignete Öl-Reservoire und große natürliche Quellen von hochreinem CO2, wie sie etwa in dem Perm-Becken im Westen von Texas und Südosten von New Mexiko vorliegen. Vor ca. einem Jahrzehnt wurden 45 Mio. t CO2 jährlich aus natürlichen Reservoiren für die Öl- und Gasförderung genutzt, wobei die Kosten durch die hohe Reinheit des geförderten Kohlendioxids relativ gering sind.[18] Außerdem wird die CO2-Nutzung durch eine ausgedehnte Pipeline-Infrastruktur von über 6000 km unterstützt.[6] 2014 wurden auf den Ölfeldern der Vereinigten Staaten mehr als 8000 Anlagen zur Injektion von Kohlendioxid gezählt.[17] Um ein Barrel Öl zu fördern, werden in den USA im Mittel 0,3-0,6 t CO2 injiziert.[6] Inzwischen hat sich die tertiäre Ölförderung auch global verbreitet. 2020 waren mehr als 375 EOR-Projekte in Betrieb, die für 2% der globalen Ölproduktion standen und 78 Mio. t CO2 verbrauchten. Der Anteil Nordamerikas ist im letzten Jahrzehnt von 70% der EOR-Projekte auf 40% gesunken.[19]
Nach sehr optimistischen Schätzungen besteht weltweit die theoretische Möglichkeit, bei einer Förderung von 470 Mrd. Barrel Öl eine kumulative Menge von 70-140 Gt CO2 bis 2050 in EOR-Förderstätten zu injizieren. In vielen Ölregionen der Welt liegen die Kosten für Kohlendioxid jedoch deutlich höher als in den USA, und Öl wird um die Mitte des Jahrhunderts sehr wahrscheinlich weniger gefördert werden als heute. Daher sind eher 35-70 Gt CO2-Injektion bis 2050 realistisch, was lediglich 4,5% der nötigen CO2-Minderung von 800 Gt CO2 zur Erreichung der Klimaziele entspricht.[20]
Neben der Ölförderung wird die CO2-Nutzung auch auf die Gasförderung angewandt. Allerdings ist das Verfahren hier nicht ausgereift, wurde als Konzept erst in den 1990er Jahren entwickelt und bis heute erst in wenigen Pilotprojekten erprobt. Das erste und wohl bislang erfolgreichste Pilotprojekt ist das K12-B-Projekt vor der niederländischen Nordseeküste, das seit 2004 das mit dem Gas geförderte Kohlendioxid erneut in die Lagerstätte injiziert und dadurch die Gasausbeute erhöht. Das Potential für die CO2-Speicherung wird weltweit auf 160-390 Gt geschätzt, die Erhöhung der Gasproduktion auf 5-15%.[21] Die zusätzliche Gasgewinnung liegt damit weit hinter der des OER-Verfahrens. Das liegt u.a. daran, dass schon bei der traditionellen Gasförderung in günstigen Fällen bereits Ausbeuten von bis zu 90% erzielt werden können, so dass die durch CO2 noch zu gewinnende Gasmenge die hohen Kosten für die Injektion und Behandlung des geförderten Gases nicht abdecken können. Besonders teuer ist zudem die Aufbereitung von mit CO2 verunreinigtem Erdgas nach der Förderung.[22] Die intensivierte Gasförderung durch CO2-Injektion ist daher ökonomisch nicht etabliert.
Beschleunigtes Wachstum von Mikroalgen
Anders als die CO2-Anreicherung in Treibhäusern und die Nutzung zur Intensivierung der Erdölförderung ist das beschleunigte Wachstum von Mikroalgen eine neuartige Anwendung von CO2. Mikroalgen besitzen schon von Natur aus ein starkes Wachstum durch eine hohe Photosyntheserate, die zu einer starken Biomassezunahme führt. Durch die künstliche Erhöhung der CO2-Zufuhr kann ohne zusätzliche Zufuhr von Energie und ohne sekundäre Verunreinigung die Umwandlung in Biomasse noch weiter verstärkt werden. Das CO2 kann dabei aus Rauchgasen und Abwasser aus anderen industriellen Prozessen stammen. Die Produktionsausbeute von Mikroalgen kann auch noch dadurch gesteigert werden, dass verdünntes CO2-Rauchgas durch Glasröhrensysteme geleitet wird. Gegenüber herkömmlichen Landpflanzen zeigen Algen bei künstlicher Zugabe von Kohlendioxid ein 8- bis 10mal schnelleres Wachstum.[23] Damit sind Mikroalgen in der Lage, drei bis zehn Mal mehr als andere Biomassen Kohlendioxid zu absorbieren.[24] In der Regel werden etwa 1,8 t CO2 verwendet, um 1 t trockene Algenbiomasse zu erzeugen, was je nach Algenart variieren kann.[7] Schätzungen für 2050 halten es für möglich, dass Mikroalgen 0,2 bis 0,9 Gt CO2 pro Jahr binden könnten.[24] Das ist allerdings auf dem Hintergrund zu sehen, dass nach Einschätzung der IEA (2019)[6] die CO2-Einsparung durch die CO2-Nutzung insgesamt im günstigsten Fall kaum 1 Gt erreichen wird, wobei andererseits die beiden Werte (CO2-Absorption und CO2-Emissionseinsparung) nicht direkt verglichen werden können.
Die Algenkultivierung befindet sich derzeit in einer frühen Entwicklungsphase. Die 2014 weltweit größte Mikroalgenfarm wurde von BASF Health in Australien errichtet. Sie verwertet sowohl CO2 aus der Atmosphäre wie aus angereicherten CO2-Gasströmen und züchtet Mikroalgen in offenen Becken. Weitere Anlagen entstanden in Klötze (Deutschland), wo pro kg Mikroalgen vier kg CO2 absorbiert wurden, sowie in Südspanien, beide mit einem Glasröhrensystem. Außerdem entstanden zahlreiche Pilotanlagen, z.B. in Hamburg und Mannheim.[23] Mikroalgen können in ein breites Spektrum an Produkten umgewandelt werden wie Wasserstoff, Biodiesel, Biomethan, Bioethanol etc.,[25] und sie können auch als Fischfutter verwertet werden.[5] Zusammenfassend gelten als Hauptvorteile der Algenkultivierung, dass sie ein hohes Potenzial für die Wiederverwendung von CO2 besitzen und dass die aus Algen gewonnenen Energieträger wie Biokraftstoff und Biogas fossile Äquivalente ersetzen können.[7]
CO2 als Extraktions- und Reinigungsmittel
Kohlendioxid eignet sich außerdem aufgrund seiner guten Lösungsmitteleigenschaften, die sich durch Druck regulieren lassen, als Extraktions- und Reinigungsmittel. Ein Beispiel hier ist die seit 1970er Jahren angewandte Entkoffeinierung von Kaffee und Tee. Das CO2 durchdringt dabei z.B. eine Kaffeebohne und löst das Koffein heraus. Nach dem Vorgang wird das es von dem Koffein abgetrennt und wiederverwendet. Auch für die Extraktion von Kräutern und Arzneipflanzen wird Kohlendioxid angewandt, hier zumeist in superkritischem Zustand, bei dem CO2 sich zwischen gasförmigem und flüssigem Aggregatzustand befindet. In diesem Zustand ist CO2 auch geeignet, Nikotin aus Tabak zu entfernen. In einer neueren Entwicklung wird superkritisches Kohlendioxid zum Auspressen von Speiseöl genutzt.
Die Eignung als Extraktionsmittel macht CO2 auch zu einem geeigneten Reinigungsmittel von Textilien und Bauteilen. Durch die Löslichkeit von Verunreinigungen in CO2 kann etwa das als krebserregend eingestufte Perchlorethylen, das traditionell als chemisches Reinigungsmittel eingesetzt wurde, ersetzt werden.[26] In festem Zustand wird CO2 in Form von Trockeneis- und CO2-Schneestrahlen bei mechanischen Reinigungsverfahren, die die behandelten Teile vollständig trocken lässt, eingesetzt. Trockeneisstrahlen eignen sich auch dazu, Materialien wie kohlefaserverstärkte Kunststoffe zu schneiden. Auch in der Halbleiterindustrie und Medizintechnik, hier z.B. zur Reinigung von Implantaten, kommt CO2 als Reinigungsmittel zur Anwendung.
Da sich CO2 sehr gut in Wasser löst, wird es bekanntlich auch zur Mineralwasseranreicherung genutzt. Im flüssigen Zustand ist Kohlendioxid sehr gut als Kältemittel in Klimaanlagen geeignet. Im festen Zustand dient es als sog. Trockeneis zur Kühlung von empfindlichen Lebens- und Arzneimitteln auf langen Transportwegen. Kohlendioxid wird auch zur Kühlung von Automotoren und der Erzeugung von Bodennebeleffekten in der Bühnentechnik eingesetzt. In der Lebensmittelindustrie dient es auch zur Imprägnierung für eine lange Lagerung von Nüssen und anderen sensiblen Gütern. Bei der Färbung von Textilien lässt sich verdichtetes CO2 mit einem kleinen Anteil Wasser als Lösemittel für Farbstoffe einsetzen, ohne dass wie bei traditionellen Verfahren große Mengen an Abwasser anfallen.[26]
Beitrag zum Klimaschutz
Die direkte Nutzung von Kohlendioxid ist in den meisten Fällen seit Jahrzehnten etabliert. Dabei ist das treibende Moment bisher ein ökonomisches Interesse, nicht die Verringerung von CO2-Emissionen. Als wichtigste CO2-Quellen werden daher auch heute noch jene Vorkommen genutzt, die sich am günstigsten und mit dem geringsten technischen Aufwand erschließen lassen und am besten den ökonomischen Nutzungskriterien entsprechen. Bei den hier näher betrachteten Beispielen, der CO2-Anreicherung in Treibhäusern und der tertiären Ölgewinnung, sind das einmal die Verbrennung von Erdgas in Gasöfen und zum anderen in geologische Lagerstätten.
Gasöfen in Gewächshäusern produzieren nicht nur Kohlendioxid für das Pflanzenwachstum, sondern dienen auch der Wärmeerzeugung und besitzen damit einen doppelten ökonomischen Vorteil. Hinzu kommt, dass der Transport von CO2 zu den Gewächshäusern wegfällt. Nachteilig ist jedoch, dass das aus dem Abgas gewonnene CO2 mit Schadstoffen belastet ist. Aus Klimaschutzgründen liegt zudem ein gravierendes Problem darin, dass durch die Photosynthese das CO2 aus der Erdgasverbrennung durch die Pflanzen zwar zunächst aufgenommen, nach dem Verzehr oder der Verrottung aber als neu hinzugefügtes Treibhausgas in die Atmosphäre emittiert wird. Um dem Klimaschutz gerecht zu werden, wird gegenwärtig auf alternative Quellen wie die Verbrennung von Biomasse[12] und die CO2-Abscheidung aus der Umgebungsluft zurückgegriffen, wobei das aus Biomasse gewonnene Kohlendioxid letztlich ebenfalls aus der Luft stammt (UBA 2021). Anders als bei der Erdgasverbrennung, stammt das genutzte CO2 dann nicht aus fossilen Quellen, und es wird im Endeffekt kein neues CO2 in die Atmosphäre emittiert, auch wenn das aus der Atmosphäre entnommene CO2 nur zeitweilig gespeichert wird.
Die CO2-Nutzung in der Tertiären Ölförderung ist lange Zeit mit dem Ziel erfolgt, die Ausbeutung von fossilem Öl zu erhöhen. Erst in jüngster Zeit spielen klimapolitische Überlegungen eine zunehmende Rolle. OER wird dabei oft als eine Form der CO2-Nutzung und -Speicherung eingestuft, bzw. als Carbon Capture, Utilization and Storage (CCUS) (z.B. IEA 2019)[6]. Da die natürlichen Ölreservoire über Millionen von Jahren bei hohem Druck das Öl sicher gespeichert hatten, wird eine ähnliche sichere Verwahrung auch von CO2 angenommen. Auch wenn das überwiegend aus geologischen Quellen stammende CO2 fast vollständig und dauerhaft wieder in geologischen Schichten gespeichert wird, kommt es doch überhaupt erst durch den OER-Prozess mit dem klimarelevanten kurzfristigen Kohlenstoffkreislauf in Berührung. Bei der Förderung aus geologischen Reservoiren ist nach Novak Mavar et al. (2021)[19] eine netto-negative Emission nicht zu erreichen. Zudem wird CO2 dafür eingesetzt, aus den fossilen Lagerstätten von Öl und Gas auch noch die allerletzten Reserven herauszuholen, um sie einer Nutzung zuzuführen, die weitere CO2-Emissionen hervorbringt und den anthropogenen Treibhauseffekt weiter verstärkt. Diese Form der Nutzung von Kohlendioxid wird daher häufig in Frage gestellt und nicht als CCU-Maßnahme anerkannt.[27][18] Der Prozess würde nur dann der Abschwächung des Klimawandels dienen, wenn das CO2 aus anthropogenen Quellen wie industriellen Punktquellen oder der direkten Abscheidung aus der Umgebungsluft (Direct Air Capture, DAC) stammt und von der Menge her die Emissionen des geförderten und verbrannten Öls übertrifft (IEA 2019).
Einzelnachweise
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