Alpine Ökosysteme

Aus Klimawandel

Obwohl in den Hochgebirgen der Erde nur relativ wenige Menschen leben, bieten sie wichtige Ernährungs- und Energieressourcen sowie Tourismus- und Erholungsraum für nahezu die Hälfte der Weltbevölkerung. Aufgrund der unterschiedlichen Höhenzonen weisen Hochgebirge sehr verschiedene Klimate und eine große biologische Artenvielfalt auf. Sie beeinflussen außerdem entscheidend die atmosphärischen Strömungen und damit auch das Klima der angrenzenden Regionen. Ihre maßgebende Rolle im Wasserkreislauf zeigt sich darin, dass von ihnen die größten Flußsysteme der Erde ihren Ausgang nehmen. Dazu gehören z.B. der Amazonas in Südamerika, Indus und Brahmaputra auf dem Indischen Subkontinent, der Yangtse in China und der Rhein in Europa. Klimatische Veränderungen in den Hochgebirgsregionen können sich daher auf ganze Gewässersysteme auswirken und nicht nur die alpinen Gebiete selbst, sondern weiträumig die angrenzenden Regionen betreffen.

Bisherige Erwärmung alpiner Gebiete

Die bisherige Erwärmung der alpinen Regionen folgt dem Muster der sie umgegebenden Gebiete, mit einer stärkeren Temperaturerhöhung in den mittleren und höheren Breiten, z.B. in Europa und Asien, und einer geringeren Erwärmung in den tropischen Hochgebirgen. In den europäischen Alpen liegt die Erwärmung deutlich über der des umgebenden Flachlandes und dem globalen Mittel. So stieg die mittlere Temperatur in der Schweiz im 20. Jahrhundert um 1,35 °C an und damit doppelt so stark wie im globalen Durchschnitt. Von 1975 bis 2004 beschleunigte sich die Erwärmung auf 0,57 °C pro Jahrzehnt – gegenüber 0,19 °C global und 0,25 °C auf der Nordhalbkugel.[1] Grund für die stärkere Klimaänderung in den Alpen sind Rückkopplungseffekte durch den Rückgang der Schnee- und Eisflächen. Dadurch werden weniger Sonnenstrahlen reflektiert und mehr in Wärmestrahlen umgewandelt.

Höhenwanderung von Pflanzenarten

Höhenmigration zwischen den 1990er Jahren und 2003 in den Gipfelregionen der Berninagruppe

Beobachtungen

Gebirgsregionen zeigen im Allgemeinen deutliche Höhenabstufungen in den physischen Bedingungen, an welche die Ökosysteme angepasst sind. Besonders die Temperaturverhältnisse haben sich in den letzten Jahrzehnten in die Höhe verschoben, und mit ihnen der Lebensraum mancher Arten. So haben in Costa Rica Tiefland-Vögel begonnen, in den Bergwäldern zu brüten. In Frankreich wurde beobachtet, dass der Rote-Apollo-Schmetterling auf Plateaus unterhalb ca. 850 m in den letzten 40 Jahren verschwunden ist und nur noch ab 900 m Höhe vorkommt.

Besonders hochalpine Pflanzen sind stark von den Temperaturbedingungen abhängig, die hier in den letzten Jahrzehnten etwa doppelt so stark wie im globalen Durchschnitt gestiegen sind. Wie in den höheren Breiten ist auch in Hochgebirgen eine deutliche Verschiebung der Vegetationsgrenzen vielfach schon beobachtet worden, so z.B. um 60-80 m in den letzten 70 Jahren im südlichen Ural oder um 150-165 m im 20. Jahrhundert in Skandinavien.[2] Eine Untersuchung über die Migration der Arten auf Gipfeln der Schweizer Bernina-Gruppe hat eine beschleunigte Aufwärtswanderung seit Mitte der 1980er Jahre festgestellt, mit dem Resultat eines höheren Artenreichtums in den Gipfelregionen.[3] Bei einer weiteren Erwärmung wird allerdings damit gerechnet, dass die Artenzunahme sich in ihr Gegenteil verkehrt, da Kälte liebende Arten ihren Lebensraum verlieren werden. Erste Anzeichen dafür sind bereits in Montana im Nordwesten der USA beobachtet worden.[4]

Projektionen

Höhenverschiebung der Vegetationsstufen in den Schweizer Alpen bei einer Erwärmung um 3,3 °C. Die Rahmen geben die gegenwärtigen Höhenstufen an, die Säulen die künftigen. Die rote Kurve markiert den Flächenanteil der Hangneigungen >40°, im oberen Bereich der Graphik ist der prozentuale Flächenverlust der Höhenstufen angegeben.

Nach Einschätzung der meisten Forscher werden viele alpine und nivale (an Schneebedeckung gebundene) Arten die Folgen einer Temperaturerhöhung um 1-2 °C tolerieren.[5] Eine moderate Erwärmung kann das Wachstum vieler alpiner Arten sogar begünstigen. Bei einer weiteren und beschleunigten Erwärmung um 3-4 °C ist allerdings mit zahlreichen Schwierigkeiten zu rechnen, die sich einer vertikalen Migration entgegenstellen. Zum einen würden sich die Flächen der verschiedenen Höhenstufen verringern, die der alpinen Stufe z.B. um 63%, was den Lebensraum der Vegetation einschränken würde. Außerdem verändert sich das Relief mit einer deutlichen Zunahme der steileren Hänge, die als Untergrund für etliche Pflanzen nicht mehr geeignet sind. So nehmen in der alpinen Stufe der Schweiz die Hänge mit über 40° Neigung, auf denen sich kaum noch eine geschlossene Vegetationsdecke bilden kann, von einem Fünftel auf ein Drittel der ohnehin um mehr als die Hälfte geschrumpften Gesamtfläche zu. Und für die an starke Kälte angepassten Arten würde es bei einer Erwärmung von mehr als 2 °C einfach zu warm. Für die europäischen Alpen wurde als Konsequenz hochgerechnet, dass bis zum Ende des 21. Jahrhunderts 60% der alpinen Blütenpflanzen aussterben könnten.[6]

Veränderung der Höhenstufen in ariden Gebirgen bei 3,5 °C Temperaturanstieg und 10% Niederschlagszunahme

Insbesondere folgt die Baumgrenze nur sehr langsam der Veränderung der klimatischen Bedingungen. Bei einer Temperatursteigerung um 1-2 °C könnte es in der Schweiz zu einer Anhebung der Baumgrenze um 100-200 m kommen. Bei einem Anstieg um 3-4 °C wird die Baumgrenze möglicherweise zwar auf 350-700 m angehoben, allerdings nur über einen Zeitraum von mehreren 100 Jahren und damit gegenüber dem von den Klimamodellen prognostizierten Tempo der Erwärmung mit einer erheblichen Verzögerung.[7] Hinzu kommt, dass nicht alle Arten gleich auf die klimatische Veränderung reagieren werden, zumal auch Böden, Wasserressourcen und Lichtverhältnisse in Kombination mit den klimatischen Verhältnissen die Reaktion der Pflanzen beeinflussen, wodurch die Artenzusammensetzung sich an vielen Orten ändern wird.

Überschneidung der Klimafolgen mit direkten anthropogenen Einflüssen

Allerdings sind in den alpinen Regionen die direkten menschlichen Einwirkungen auf das Ökosystem, z.B. durch die landwirtschaftliche und touristische Nutzung, so gravierend, dass es schwer fällt, die klimatischen Auswirkungen eindeutig davon zu trennen. Beide Ursachenfaktoren stehen jedoch in enger Wechselwirkung. So können die Degradierung des Hangbewuchses durch Beweidung, den Tourismus, die Anlage von Verkehrswegen und die Waldnutzung gerade in Zusammenwirkung mit der klimatischen Erwärmung, die die Schneegrenze nach oben verlegt und die winterliche Schneebedeckung verkürzt, im Frühjahr zu einer Verstärkung von Überschwemmungen und später im Jahr zu Trockenheit führen.

Einzelnachweise

  1. M. Rebetez and M. Reinhard (2007): Monthly air temperature trends in Switzerland 1901–2000´and 1975–2004, Theoretical and Applied Climatology
  2. IPCC (2007): Climate Change 2007, Working Group II, Impacts, Adaptation and Vulnerability, 12.4.3; Pauli H., Gottfried M., Reiter K., Klettner C., Grabherr G. (2007) Signals of range expansions and contractions of vascular plants in the high Alps: observations (1994-2004) at the GLORIA master site Schrankogel, Tyrol, Austria, Global Change Biolog 13, 147-156
  3. Walther, G.-R., S. Beißner, C.A. Burga (2005): Trends in the upward shift of alpine plants, Journal of Vegetation Science 16, 541-548
  4. Pauli H., Gottfried M., Reiter K., Klettner C., Grabherr G. (2007) Signals of range expansions and contractions of vascular plants in the high Alps: observations (1994-2004) at the GLORIA master site Schrankogel, Tyrol, Austria, Global Change Biolog 13, 147-156
  5. Theurillat, J.-P., and A. Guisan (2001): Potential Impact of Climate Change on Vegetation in the European Alps: A Review, Climatic Change 50, 77-109
  6. G. Grabherr, M. Gottfried, H. Pauli (2008): Dramatische Folgen für die alpine Lebenswelt, in Lozán u.a. (Hrsg.): Warnsignal Klima. Gesundheitsrisiken. Gefahren für Pflanzen, Tiere und Menschen, Hamburg 2008, S. 98-102
  7. Theurillat, J.-P., and A. Guisan (2001): Potential Impact of Climate Change on Vegetation in the European Alps: A Review, Climatic Change 50, 77-109


Klimadaten zum Thema

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