Medicanes

Aus Klimawandel
Ausschnitt aus einem NASA-Satellitenbild mit einem im Entstehen begriffenen Medicane südwestlich von Sizilien

"Medicanes" ist ein Kunstwort, das aus den Begriffen "mediterranean" (engl. für mittelmeerisch) und "Hurricane" zusammengesetzt ist und Sturmtiefs im Mittelmeer bezeichnet, die Tropischen Wirbelstürmen ähnlich sind.

Aufbau und Entstehung

Medicanes sehen auf Satellitenbildern ähnlich wie Tropische Wirbelstürme aus: Um ein zentrales wolkenfreies Auge kreist ein Wolkenband gegen den Uhrzeigersinn. Der Kern bzw. das Auge ist im Vergleich zur Umgebung relativ warm. Hier herrschen absinkende Luftbewegungen, weshalb Wolken sich auflösen. Im Vergleich zu echten Hurrikanen ist der Durchmesser von Medicanes jedoch kleiner und beträgt 70-200 km.[1] Ein anderer wichtiger Unterschied ist die geringere Höhe. Während Tropische Zyklonen bis an die Obergrenze der Atmosphäre reichen, erstrecken sich Medicanes nur bis in die mittlere Atmosphäre. Außerdem findet sich die höchste Windgeschwindigkeit bei tropischen Zyklonen im Kern, um das Auge herum, bei Medicanes dagegen weiter vom Kern entfernt. Die Windgeschwindigkeit von Medicanes sind auch weniger stark. Sie sind aber stark genug, um zusammen mit Niederschlagsmengen von bis zu 500 Liter auf den Quadratmeter in 24 Stunden[2] starke Verwüstungen auf kleineren Inseln und an den Küsten des Mittelmeeres anzurichten. Ihre mittlere Lebenszeit beträgt 12 Stunden bis 5 Tage, ihre Zugbahn erstreckt sich über 700-3000 km. Medikane treten im Mittelmeer etwa ein Mal im Jahr auf.[1]

Medicane südöstlich von Italien und Luftdruckverhältnisse am Boden am 15.1.1995

Wichtig für die Entstehung von Medicanes ist der Temperaturgegensatz zwischen der Meeresoberflächentemperatur und der hohen Troposphäre, der mehr als 57 °C betragen sollte. Anders als bei Tropischen Wirbelstürmen sind dabei die kalten Temperaturen in der Höhe entscheidend, weniger die der Meeresoberfläche.[3] Medicanes brauchen nicht wie Tropische Wirbelstürme eine Wassertemperaturen von mehr als 26 °C. Ausreichend sind Temperaturen über 15 °C.[4] Die vertikele Temperaturdifferenz, durch die die Luft instabil wird und aufsteigt, wird weniger durch eine Erwärmung des Wassers als durch Eindringen von Kaltluft in der Höhe bestimmt.[5] Die Kaltluft dringt zumeist als kaltes Höhentief aus höheren Breiten ein. Die von unten aufsteigende Luft kühlt sich ab, es kommt zur Kondensation und Energiefreisetzung, die den weiteren Aufstieg antreibt. Ähnlich wie bei Tropischen Wirbelstürmen ist die Freisetzung latenter Wärme im Zentrum des Sturms der Energielieferant, die ständig durch die Verdunstung von Meerwasser nachgeliefert wird.[6]

Weitere Voraussetzungen sind eine geringe Windscherung von 10-15 m/s unter dem Mittel bzw. unter 40 m/s absolut, außerdem eine hohe relative Feuchtigkeit und ein tiefer Luftdruck am Boden.[5] Der tiefe Luftdruck entsteht zunächst dadurch, dass den Medicanes ähnlich wie Tropischen Wirbelstürmen normale Tiefdruckgebiete vorausgehen, deren tiefer Druck sich dann im Kern des Wirbels durch die aufsteigenden Luftmassen bis unter 1000 hPa fallen kann.[7]

Medicane Ianos zwischen Sizilien und Griechenland am 17.9.2020

Vorkommen

Die meisten Medicanes ereignen sich im Herbst, wenn das Meer noch relativ warm ist und in der oberen Atmosphäre sich bereits Kaltlufteinbrüche aus dem Norden bemerkbar machen. Selbst im Winter gibt es noch mehr Medicanes als im Frühjahr und Sommer, wenn so gut wie keine Medicanes auftreten. Regional finden sich die meisten Stürme im westlichen und zentralen Mittelmeer, mit den beiden Maxima im nordwestlichen Mittelmeer und im Ionischen Meer. Der Grund für die regionale Verteilung ist das Eindringen kalter Höhenluft hauptsächlich über der westlichen Mittelmeer-Hälfte.[6] Allerdings spielt auch eine Rolle, dass die Windscherung über dem östlichen Mittelmeer stärker ist als weiter im Westen.[3]

Zwischen 2016 und 2020 entwickelten sich allein über dem Ionischen Meer vier starke Medicanes. Davon war der Medicane Ianos, der zwischen dem 15. und 22. September 2020 von der libyschen Küste über Griechenland auf einer Strecke von 1900 km bis vor die ägyptische Küste zog, der stärkste bis dahin je beobachtete Medicane. Vor der nordafrikanischen Küste herrschten bei der Entstehung von Ianos Temperaturen von 28 °C.[1] Der Medicane erreichte Windgeschwindigkeiten von 120 km/h[8] und stieß am 17. September auf die westgriechische Küste und richtete dort und im Landesinnern große Schäden durch extreme Niederschläge, Hochwasser und zahlreiche Erdrutsche an. Die täglich akkumulierten Regenfälle betrugen im westlichen Griechenland mehr als 600 mm und im Zentrum des Landes 300 mm. Hier wurden zudem 1500 Erdrutsche beobachtet.[9]

Zerstörungen in der libyschen Stadt Derna durch den Medicane Daniel

Fast genau drei Jahre später wurde der Medicane Ianos in seiner Zerstörungskraft und im Hinblick auf die menschlichen Opferzahlen noch einmal bei weitem von dem Medicane Daniel übertroffen, der Anfang bis Mitte September 2023 im östlichen Mittelmeer vor allem durch extreme Niederschläge gewaltige Zerstörungen anrichtete. Als Sturmtief lud Daniel zunächst vor allem über Griechenland, später auch über Bulgarien und der Türkei, große Wassermassen ab, die zu gewaltigen Überschwemmungen führten. In Griechenland fielen am 5. und 6. September in 24 Stunden bis maximal 750 mm Niederschlag, an zahlreichen Stationen waren es im Mittel 400-600 mm. Griechenland hatte da gerade erst die größten je beobachteten Waldbrände hinter sich, als die Wassermassen im Zentrum des Landes das landwirtschaftliche Kerngebiet zu einem großen Teil zerstörten. Als das Sturmtief weiterzog, verwandelte es sich auf dem Weg nach Libyen in einen Medicane und verwüstete hier die Küstenstadt Derna[10] und forderte nie dagewesene Opferzahlen zwischen möglicherweise 10.000 und 20.000 Toten. Der Medicane Daniel war der bisher tödlichste und teuerste Medicane überhaupt. Große Teile Dernas wurden ausgelöscht, mehrstöckige Häuser wurden dem Erdboden gleich gemacht, Menschen und Autos von 30 Millionen m3 Wassermassen und Tsunami-artigen Wellen ins Meer gerissen.[11] Hintergrund für die Entwicklung des Medicane waren ungewöhnlich hohe Meeresoberflächentemperaturen im Mittelmeer, die mit 28,4 °C einen neuen Rekordwert ereichten, und für die hohe Anzahl an Todesopfern in Libyen der Bruch von zwei Staudämmen. Nach Einschätzung der World Weather Attribution Initiative ist das Ereignis in Libyen durch den Klimawandel 50 Mal wahrscheinlicher geworden und 50% stärker im Vergleich zu einem global um 1,2 °C kühleren Klima, wie es vorindustriell herrschte.[12] [11]

Projektionen

Nach Modellsimulationen wird es bis Ende des 21. Jahrhunderts zwar eine Erwärmung der Meeresoberflächentemperatur im Winter um 3 °C geben, aber andererseits wird die Kaltluft in der Höhe deutlich seltener in die Mittelmeerregion eindringen, weshalb sich die meteorologischen Bedingungen für die Entstehung von Medicanes verschlechtern werden.[4] Der vertikale Temperaturgradient wird sich dadurch veringern. Die Wahrscheinlichkeit, dass Unterschiede zwischen der Meeresoberflächentemperatur und der Temperatur der hohen Troposphäre von mehr als 57 °C und mehr auftreten, nimmt nach dem Szenario A2 um ca. 20 % ab, weil sich die Atmosphäre um etwa 3 °C stärker erwärmt als das Meer. Im Vergleich zum 20. Jahrhundert reduziert sich nach Modellsimulationen daher die Anzahl der Medicanes im B1-Szenario leicht um 15 %. Nach dem Szenario A2 wird die Verringerung der Anzahl der Medicanes mit 60 % deutlich höher ausfallen. Die Intensität der Stürme wird dagegen zunehmen. Ein Grund ist die Verstärkung der Scherwinde in einem wärmeren Klima in der kalten Jahreszeit um 3-5 % nach dem B1- und um 5-10 % nach dem A2-Szenario.[3] Durch die stärkeren Scherwinde haben schwächere Medicanes weniger Möglichkeiten, sich zu entfalten.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 Zimbo, F., D. Ingemi, G. Guidi (2022): The Tropical-like Cyclone “Ianos” in September 2020. Meteorology 2022, 1, 29–44
  2. Leyser, A. (2014): „Medicane“ – Ein Wirbelsturm am Mittelmeer
  3. 3,0 3,1 3,2 Cavicchia, L., H. v. Storch ans S. Gualdi (2014): Mediterranean Tropical-Like Cyclones in Present and Future Climate, Journal of Climate 27, 7493-7501
  4. 4,0 4,1 Tous, T., and R. Romerao (2013): Meteorological environments associated with medicane development, Int. J. Climatol. 33, 1–14
  5. 5,0 5,1 Cavicchia, L., and H. von Storch, and S. Gualdi (2014): A long-term climatology of medicanes. Climate Dynamics 43, 1183–1195
  6. 6,0 6,1 Romero, R., and K. Emanuel (2013): Medicane risk in a changing climate, Journal of geophysical research: atmosphere 118, 5992-6001
  7. Claud, C., et al. (2010): Mediterranean hurricanes: large-scale environment and convective and precipitating areas from satellite microwave observations, Nat. Hazards Earth Syst. Sci., 10, 2199-2213, doi:10.5194/nhess-10-2199-2010
  8. Karagiorgos, J., I. Samos, V. Vervatis, S. Sofianos, H. Flocas (2023): The Impact of Ocean–Atmosphere Coupling on the Prediction of Mediterranean Cyclones: A CaseStudy of Medicane Ianos. Environ. Sci. Proc. 2023, 26, 60.
  9. K. Lagouvardos, A. Karagiannidis, S. Dafis, A. Kalimeris, and V. Kotroni (2022): Ianos—A Hurricane in the Mediterranean, Bulletin of the American Meteorological Society 103, 6
  10. WMO (2023): Storm Daniel leads to extreme rain and floods in Mediterranean, heavy loss of life in Libya
  11. 11,0 11,1 Carbon Brief (2023): Q&A: How are Libya’s ‘medicane’-fuelled floods linked to climate change?
  12. World Weather Attribution (2023): Interplay of climate change-exacerbated rainfall, exposure and vulnerability led to widespread impacts in the Mediterranean region

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