ENSO Erklärungsversuche

Aus Klimawandel

Southern Oscillation und der Wasserstau im Westpazifik

Luftdruckkorrelation der Southern Oscillation. Dargestellt ist die Korrelation der jährlichen Oberflächendruckanomalien mit denen in Djakarta (Indonesien). Gelbe bis braune Linien deuten positive, blaue Linien negative Korrelationen an. "1" bedeutet vollständige positive Korrelation, "-1" vollständige negative Korrelation.

Die Luftdruckschaukel

Von der Wechselwirkung zwischen Ozean und Atmosphäre, die für die Entstehung von El-Niño-Ereignissen verantwortlich ist, wurde zuerst die atmosphärische Komponente meteorologisch erforscht. Bereits in den 1920er Jahren beschrieb der britische Meteorologe Sir Gilbert Walker die Southern Oscillation, eine Art Luftdruckschaukel zwischen dem Rossbreiten-Hoch über dem Südostpazifik und dem Tief über Indonesien, unter deren Einfluss die Passate stehen. Entscheidend ist dabei der Druckunterschied zwischen dem Hochdruckgebiet im südöstlichen Pazifik (als Meßwert wird der Bodendruck von Tahiti genommen) und dem asiatisch-australischen Tiefdrucksystem (Meßwert von Djakarta, Indonesien). Dieser Druckunterschied unterliegt charakteristischen Schwankungen, die als Southern Oscillation bezeichnet werden. Die nebenstehende Abbildung zeigt die Korrelation der globalen Luftdruckverhältnisse mit dem Luftdruck über Djakarta. Die positiven Werte zeigen die Intensität der gleichsinnigen Korrelation an (Djakarta=1), die negativen Werte die einer gegenläufigen Korrelation. D.h. bei einem steigenden Luftdruck in dem Tiefdruckgebiet über Indonesien fällt der Luftdruck in dem südostpazifischen Hochdruckgebiet und die Differenz zwischen beiden Drucksystemen verringert sich; im umgekehrten Fall nimmt der Druckunterschied zu. Den Druckunterschied zwischen Tahiti und Djakarta bezeichnet man als Southern Oscillation Index (SOI). Der SOI weist zum El Niño eine negative Korrelation auf, d.h. dass in El-Niño-Phasen der SOI eine negative Abweichung vom Mittelwert zeigt, also gering ist, und in La-Niña-Phasen eine positive Abweichung. Die Abbildung zeigt das sehr auffällig an dem El Niño von 1982/83. Da der El Niño eng mit der Southern Oscillation verknüpft ist, spricht man auch vom El Niño/Southern Oscillation (ENSO) Phänomen.

Die Walkerzirkulation

Dass es zwischen dieser Luftdruckschaukel und dem Ozean eine Verbindung gab, war Walker allerdings noch unbekannt. Diese Verbindung wurde erst in den 1960er und 1970er Jahren von dem norwegischen Meteorologen Jacob Bjerknes entdeckt. Bjerknes erkannte erstens neben der Hadley-Zirkulation der Passate eine atmosphärische Ost-West-Zirkulation, der er den Namen Walker-Zirkulation gab, und war zweitens der erste, der die Kopplung zwischen Veränderungen im Ozean und der atmosphärischen Zirkulation erkannte. In dem Konzept von Bjerknes verstärken sich kalte und warme Phasen, La Niñas und El Niños, durch eine positive Rückkopplung: Eine Abkühlung der SST im Ostpazifik verstärkt die Walkerzirkulation, die den Auftrieb antreibt, wodurch die SST sich weiter abkühlt. Eine ostpazifische Erwärmung schwächt die Walkerzirkulation und unterdrückt den Auftrieb, wodurch die Ostwinde weiter geschwächt werden usw. D.h. eine großes Temperaturgefälle zwischen West- und Ostpazifik verstärkt die Passate, die wiederum das Temperaturgefälle verstärken, und umgekehrt. Dieser positive Feedback-Mechanismus erklärte wesentliche Vorgänge des ENSO-Phänomens. Es blieb allerdings unklar, wodurch die eine Phase in die andere übergehen konnte. Was stoppt z.B. die sich durch positive Rückkopplung ständig steigernde Erwärmung während eines El Niños? Warum dauert ein El Niño typischerweise nur 12-18 Monate? Und warum endet ein El Niño-Ereignis dann plötzlich und wird von einem kalten Ereignis, einer La Niña, abgelöst?

Wasserstau am Westrand des Pazifik

Den Übergangsmechanismus von einer ENSO-Phase in die nächste versucht das Erklärungsmodell des deutschen Ozeanographen Wyrtki verständlich zu machen. Hiernach sind Aufbau und Abbau von warmen Wassermassen am Westrand des Pazifik die entscheidenden Antriebskräfte. Bei starken Passaten transportiert der Windschub mit dem Nord- und Südäquatorialstrom warmes Oberflächenwasser an den Westrand des Pazifiks, wo infolgedessen der Meeresspiegel bis zu 50 cm über dem des Ostpazifik liegt. Wenn sich hier eine kritische Menge von Warmwasser angesammelt hat, kann eine leichte Abschwächung der Passate das warme Wasser zum Abfluss nach Osten veranlassen und zur weiteren Schwächung der Passatwinde führen. Hat das warme Oberflächenwasser den südamerikanischen Kontinent erreicht, weicht es vor der Küste nach Norden und Süden aus, wodurch dem tropischen Ozean große Wärmemengen verloren gehen. Eine Abkühlung des äquatorialen Oberflächenwassers im Ostpazifik, und das heißt eine La Niña, ist nach dem Versiegen des Zuflusses von Warmwasser von Westen her die Folge. Über dem kalten Wasser kühlt sich auch die Luft ab, wodurch die Passate wiederbelebt werden. Erst ein erneuter Stau von Warmwasser am Westrand des Pazifik durch die wieder stärkeren Passatwinde schafft die Voraussetzung für ein erneutes Warm-Ereignis, den nächsten El Niño.

Rossby- und Kelvinwellen oder der "Delayed Oscillator"

Schematische Darstellung des "delayed oscillator". Dargestellt sind verschiedene Phasen des ENSO-Zyklus.

Eine Weiterentwicklung der Wasserstau-These von Wyrtki stellt die Delayed-Oscillator-Theorie dar, die den Wassertransport differenzierter erklären konnte und weithin Anerkennung fand. Die englische Bezeichnung drückt aus, dass es sich um einen Prozess handelt, bei dem zeitlich verzögerte Signale eine Rolle spielen. Der Wassertransport wird nicht wie bei Wyrtki als einfache Schaukel gesehen, sondern als ein Mechanismus, der durch zwei unterschiedliche ozeanische Wellen bestimmt wird, die schnelle, entlang des Äquators von West nach Ost wandernde Kelvinwelle, die faktisch auch den Wassertransport bei Wyrtki begleitet, und die langsame, nördlich und südlich des Äquators von Ost nach West wandernde Rossbywelle. Durch beide Wellen wird warmes und kaltes Wasser zonal transportiert. Die Kelvinwellen bewegen sich mit einer Geschwindigkeit von 2-3 m/sec ostwärts und brauchen für die Überquerung des pazifischen Beckens etwa zwei Monate, die Rossbywellen mit 0,6-0,8 m/sec westwärts und benötigen 1-2 Jahre vom Ost- zum Westrand des Pazifiks.

Bei einer angenommenen Abschwächung der Passate im Ostpazifik wird der Auftrieb von kaltem Wasser vor der südamerikanischen Küste abgeschwächt und damit der Temperaturunterschied zwischen Ost- und Westpazifik verringert. Der verminderte Wind löst Kelvinwellen im Westpazifik aus, die Richtung Südamerika warmes Wasser transportieren, hier die Thermokline absenken und den Auftrieb unterdrücken und somit einen El Niño auslösen. Das warme Wasser wird entlang der Küste nach Norden und Süden abgelenkt, kühlt sich ab und wird von Rossbywellen nach Westen transportiert. Am Westrand des Pazifik werden diese Rossbywellen als Kelvinwellen reflektiert und transportieren jetzt relativ kaltes Wasser nach Osten, wodurch eine La Niña ausgelöst wird. Der Abstand zwischen einer El-Niño- und einer La Niña-Phase wird durch die Zeit bestimmt, die die Wellen für die Überquerung des Pazifik brauchen.

Der Delayed Oscillator ist ein stark vereinfachtes Modell, das mit einigen der beobachteten Eigenschaften von ENSO übereinstimmt, aber z.B. nicht die eher unregelmäßige Abfolge von Warm- und Kaltphasen zu erklären vermag. Klimamodelle, die auf diesem Mechanismus beruhen, zeigen eine sehr regelmäßige Abfolge von El-Niño- und La-Niña-Ereignissen, die nicht vollständig mit der Wirklichkeit übereinstimmt. In Beobachtungsstudien konnte zwar gezeigt werden, dass das Ende eines El Niño konsistent mit der Delayed-Oscillator-Theorie erfolgte, sein Beginn jedoch aus dem Nichts zu kommen schien und nur, kurz bevor die Anomalien offensichtlich waren, vorhergesagt werden konnte.[1]

Divergenz und Konvergenz

Darstellung des Divergenz/Konvergenz-Mechanismus. Gezeigt ist die Divergenzphase, bei der es während eines El-Niño-Ereignisses zum polwärtigen Abfluss von Warmwasser im zentralen und östlichen äquatorialen Pazifik kommt.

Eine Variante der Delayed-Oscillator-Theorie stellt die Divergenz/Konvergenz-Theorie dar. Als der entscheidende Mechanismus wird bei diesem Konzept die Ansammlung von warmen Wassermassen im zentralen und östlichen Pazifik und als entscheidender Übergangsmechanismus zwischen den verschiedenen Phasen das meridionale Auseinander- und Zusammenfließen von Warmwasser in der Deckschicht des äquatorialen Pazifik gesehen, und zwar nicht nur vor der südamerikanischen Küste, sondern bis hin zur Mitte des Ozean-Beckens. Für diese Theorie spielen weder die Windzirkulation noch der zonale Wellenmechanismus von Kelvin- und Rossbywellen die entscheidende Rolle, sondern die etwa bei 20 °C liegende Grenze zwischen warmem Oberflächenwasser und kaltem Tiefenwasser, die Thermokline. Während normalerweise die Thermokline im Westen deutlich tiefer als im Osten liegt, wo die flache Thermokline den Auftrieb von kaltem Wasser ermöglicht, ist die Thermokline im Ostpazifik während eines El Niños deutlich abgesenkt und liegt während einer La Niña deutlich über dem normalen Niveau. Der Grund liegt für die Divergenz/Konvergenz-Theorie nicht im zonalen Kelvin-Transport, sondern im meridionalen Zu- und Abfluss von warmem Oberflächenwasser in der jeweils vorhergehenden Phase. D.h. die Divergenz von Warmwasser während eines El Niños bereitet das nächste La-Niña-Ereignis vor und die Konvergenz während einer La-Niña das nächste El-Niño-Ereignis.

Im einzelnen sehen die Zusammenhänge folgendermaßen aus: Eine tiefe Thermokline, im Falle eines El Niños, bewirkt einen leicht erhöhten Meeresspiegel, da der darüber liegende Warmwasserkörpers durch seine geringere Dichte den Meeresspiegel anhebt, und und leitet damit einen polwärtigen Wasser-Transport (Divergenz) ein, eine flache Thermokline entsprechend einen äquatorwärtigen Transport (Konvergenz). Hinzu kommt, dass sich bei tiefer Thermokline über dem Warmwaser im Ostpazifik Konvektion und Niederschlag verstärken und dieser den Salzgehalt des Oberflächenwassers senkt und damit seine Dichte weiter verringert. Die zum El Niño führende positive Rückkopplung, wonach eine warme Meeresoberflächentemperatur durch Abschwächung der Ostwinde weiter erwärmt wird usw., wird letztlich durch durch den Effekt der Divergenz von Warmwasser übertroffen. Der divergierende, polwärts gerichtete Warmwassertransport während eines El Niños wird so zum Anfang des Endes von El Niño und leitet die entgegengesetzte Phase, eine La Niña, ein. Denn der divergierende Transport von Warmwasser entzieht dem äquatorialen Pazifik Energie, verringert den Warmwasserkörper und hebt die Thermokline an, wodurch der Auftrieb von kaltem Tiefenwasser wieder leichter möglich wird. Das Absinken der Meeresoberflächentemperatur verstärkt östliche Winde (Passate), die den Auftrieb von Kaltwasser weiter befördern usw. Bei einer La Niña bereiten die umgekehrten Prozesse einen neuen El Niño vor. Die ausgeprägte Kaltwasserzunge ist mit einer Absenkung des Meeresspiegels verbunden. Die Folge ist ein meridionaler Transport von warmem Wasser Richtung Äquator, der über Rückkopplungen mit den sich abschwächenden Passatwinden die Erwärmung des Oberflächenwassers, eine Absenkung der Thermokline und damit den nächsten El Niño einleitet.

Jüngere Beobachtungen über nahezu zwei Jahrzehnte Warmwassertransport entlang des äquatorialen Pazifik (Meinen, McPhaden) bestätigten weitgehend die Phasen der Divergenz/Konvergenz-Theorie. Erkennbar war deutlich die Phasen-Folge: Konvergenz -> El Niño -> Divergenz -> La Niña. Zumindest der größte Teil des Zyklus zeigte auch miteinander verbundene Amplituden: Auf eine starke Konvergenz folgt eine hohe El-Niño-SST-Anomalie und anschließend eine starke Divergenz.[2] Andererseits zeigte sich nur ein schwacher Zusammenhang zwischen der Stärke der Divergenz und der nachfolgenden La Niña und überhaupt keine Verbindung zwischen der Amplitude der La-Niña-Anomalien und der der nachfolgenden Konvergenz oder des folgenden El-Niño-Ereignisses. Der Übergang von einer Phase in die andere fand nicht in der erwarteten Regelmäßigkeit statt. Das ließ an der Zwangsläufigkeit des Systems Zweifel entstehen und die Frage aufkommen, ob ENSO ein Zyklus oder eine Serie von Ereignissen sei.[3]

ENSO als "Wärmepumpe"

ENSO als globale Wärmepumpe: Die durch hohe Einstrahlung entstehende Wärme im Ostpazifik wird in La-Niña- und "normalen" Phasen nach Westen abtransportiert. Der hier entstehende Wärmepool wird zu Beginn eines El Niños nach Osten verfrachtet und anschließend polwärts verteilt.

Ein weitergehendes Verständnis des ENSO-Mechanismus erlaubt die These von ENSO als "Wärmepumpe", die die Schwankung des äquatorialen Pazifik in einen größeren Zusammenhang stellt und ihr eine wichtige Funktion in der globalen Energieverteilung zuspricht. Danach sind El-Niño-Ereignisse entscheidend an dem Transport von Energie aus den Gebieten mit hoher Einstrahlung in niederen Breiten in die höheren Breiten beteiligt und tragen so zum Energieausgleich auf der Erde bei. Das durch hohe Einstrahlung besonders stark erwärmte Wasser des östlichen äquatorialen Pazifik wird hiernach durch die "normale" westwärtige Strömung und besonders durch La-Niña-Phasen an den westlichen äquatorialen Pazifikrand getrieben; bei El-Niño-Ereignissen wird die Wärme abgebaut und in höhere Breiten verteilt. Dieses Konzept stützt sich im wesentlichen auf Beobachtungen, deren Interpretation durch Modellrechnungen untermauert wurden.[4]

Der Mechanismus sieht folgendermaßen aus: Der Pazifik wird durch die Sonneneinstrahlung in der äquatorialen Region stark erhitzt und in höheren Breiten abgekühlt. Daraus folgt ein Wärmetransport aus niederen in höhere Breiten. Dieser Transport geschieht eher episodisch als stetig. Und dieser episodische Transport wird primär durch El Niño geleistet. Allen El Niños ist der Aufbau eines Wärmepools im westlichen äquatorialen Pazifik vorhergegangen. Bei den "Jahrhundert"-El-Niños von 1982/83 und 1997/98 war das am stärksten der Fall. Alle El Niños wurden durch einen Abbau dieses Wärmepools durch einen ungewöhnlichen Wärmetransport nach Osten eingeleitet, auf den während eines El Niños ein polwärtiger Transport folgte. Es scheint also, dass El Niño als Regulator des Wärmegehalts im oberen Ozean fungiert. Je höher der Aufbau von Wärme im äquatorialen Westpazifik, desto stärker ist die nachfolgende El-Niño-Erwärmung und desto stärker der polwärtige Wärmetransport und konsequenterweise der Wärmeverlust im westlichen und im gesamten äquatorialen Pazifik. El Niños regeln also den Abbau des Wärmepools im westlichen äquatorialen Pazifik und fungieren damit zugleich als als Stabilisator des Systems.

Die äquatoriale Kaltzunge im östlichen Pazifik korrespondiert mit einem lokalen Maximum an solarer Einstrahlung in den Ozean. Der Grund liegt in dem absteigende Ast der Walker-Zirkulation, dessen trockene Atmosphäre ein Maximum an Sonneneinstrahlung in Breiten erlaubt, in denen normalerweise Konvektion und Kondensation die Erdoberfläche vor der Solarstrahlung stark abschirmen. Andererseits sorgt das kalte Auftriebswasser dafür, dass weniger Wärme durch Verdunstung verloren geht als in Warmwasserregionen. Die Einstrahlungsenergie im östlichen Pazifik wird durch westlich gerichtete Strömungen unmittelbar in den westlichen Pazifik transportiert, besonders stark während eines La-Niña-Ereignisses. Je stärker der äquatoriale zonale SST-Kontrast, desto stärker der zonale Wind, der die zusätzliche, an der Oberfläche des östlichen Pazifik empfangene Wärme in die Deckschicht des westlichen Pazifik drückt und dabei die Thermoklinenneigung verstärkt und die Thermokline im Westen vertieft. Die nachfolgende schnelle zonale Umverteilung von Wärme resultiert in einer thermalen Struktur, die den polwärtigen Wärmetransport quer über das ozeanische Becken verstärkt. Die starke Wärmeabgabe während eines El Niño stürtzt das System in einen kalten Status, und der ENSO-Zyklus startet erneut.

Externer Antrieb/Stochastische Dynamik

Alle bisher besprochenen Theorien gehen davon aus, dass ENSO ein grundlegend deterministisches Phänomen ist, bei dem die wesentliche Physik in der gekoppelten Ozean-Atmosphäre-Dynamik des äquatorialen Pazifik gefunden werden kann. In dieser Sicht entstehen die ENSO-Schwankungen, weil das System dynamisch instabil ist, und die ENSO-Unregelmäßigkeiten als Folge eines deterministischen Chaos. Die Dominanz dieser Sichtweise ist weitgehend durch gewisse Erfolge von gekoppelten Modellen, die auf diesem Konzept aufbauen, bei der Erklärung der ENSO-Physik und bei der (begrenzten) Vorhersage des El Niños von 1997/98 bedingt.

Jüngere Beobachtungen über 22 Jahre und sechs El-Niño-Ereignisse von 1980 bis 2002 kommen allerdings zu dem Ergebnis, dass ENSO kein Zyklus ist, in dem sämtliche Phasen aus der jeweils vorhergehenden zwangsläufig entstehen und die eine Phase in jedem Fall schon den Keim der nächstfolgenden in sich trägt.[5] Zwar scheint in Übereinstimmung mit der Divergenz/Konvergenz-Theorie eine gewisse Zwangsläufigkeit vom Zusammenfließen der Wassermassen Richtung Äquator über eine El-Niño-Phase und das polwärtige Auseinanderfließen bis zur La-Niña-Phase zu bestehen. Aber dann macht das System offensichtlich eine Pause von sehr variabler Länge, die sich über 6 bis 42 Monate erstrecken kann. Das anschließende Einsetzen eines erneuten Zusammenfließens von Warmwasser Richtung Äquator mit nachfolgendem El Niño scheint zu den vorhergehenden Phasen in keiner kausalen Beziehung zu stehen. Es geschieht deutlich, nachdem La Niña den Höhepunkt überschritten hat und scheint eher ein Neuanfang ohne erkennbare Beziehung zur vorhergehenden La Niña zu sein. Es gibt offenbar vor dem Einsetzen eines warmen Ereignisses einen Bruch in dem vorher konsequenten Ablauf des Systems. Das steht im Widerspruch zu der Vorstellung, dass ENSO letztlich ein sich selbst erhaltender Zyklus ist, in dem jede Phase den Antrieb für die Entwicklung der folgenden hervorbringt.

D. h. das System scheint in dieser sehr unterschiedlich langen Pause sein ,Gedächtnis" verloren zu haben. Nach bisherigen Vorstellungen liegt das "Gedächtnis" des Systems in dem gegenüber der Atmosphäre langsam reagierenden Ozean. Die Atmosphäre reagiert z.B. auf Veränderungen der SST unmittelbar mit aufsteigender bzw. absinkender Luft und Niederschlag bzw. Trockenheit, wobei der eine Zustand direkt durch den anderen ersetzt, d.h. schnell "vergessen" werden kann. Anpassungen des Ozeans an atmosphärische Bedingungen, z.B. der Meeresströmungen an die Passatwinde, halten dagegen relativ lange an, auch wenn sich die atmosphärischen Bedingungen längst geändert haben. So treibt der Windschub der Passate nach der Delayed-Oscillator-Theorie, z.B. in einer La-Niña-Phase, warmes Wasser nach Westen. Bei einem Nachlassen der Passatwinde verschwindet dieses Warmwasser nicht einfach, sondern wandert nach Osten und "erinnert" hier an den einstigen starken Passat bzw. erzeugt El Niño aus dem "Gedächtnis" an La Niña.

Die jüngeren Beobachtungen nähren aber den Zweifel gerade an diesem Zusammenhang und scheinen eher dafür zu sprechen, dass ENSO nach einer La Niña ihr ozeanisches Gedächtnis verliert und eines neuen Anstoßes durch zufällige externe Kräfte bedarf, um einen neuen El Niño zu erzeugen. Der Initiator ist unbekannt, scheint aber im Widerspruch zu der Delayed-Oscillator- und der Divergenz/Konvergenz-Theorie von den vorhergehenden Bedingungen des ENSO-Systems unabhängig zu sein. Die Spekulationen reichen von den Aktivitäten der sogenannten Madden-Julian-Oszillation (MJO), einer atmosphärischen Schwankung mit Ursprung im Indischen Ozean, bis hin zu Einflüssen durch die winterliche Variabilität in den mittleren Breiten. Die MJO hat, wie oben ausgeführt, bei der Entstehung des El Niño von 1997/98 eine Rolle gespielt und könnte der entscheidende Anstoß für die Schwächung der Passate sein. Erst nach der Intensivierung der MJO über dem westlichen Pazifik begann die Entwicklung zu dem 1997-98-Ereignis.[6] In Frage kommen aber auch Einflüsse durch tropische Zyklonen oder Ausbrüche von kalter Luft aus höheren Breiten. Treffen solche chaotischen Wetterereignisse wie die MJO oder andere zum richtigen Zeitpunkt auf geeignete ozeanische Zustände, kann dadurch eine neue ENSO-Kette ausgelöst werden. So traf vor dem 1997/98-El-Niño eine besonders energiereiche MJO-Störung auf eine durch überdurchschnittliche Passate 1995/96 verursachte besonders starke Ansammlung von Warmwasser im westlichen Pazifik.[7]

Einzelnachweise

  1. vgl. Kessler, W.S. (2002): Is ENSO a cycle or a series of events?, Geophysical Research Letters 29, 40-1 bis 40-4
  2. Meinen, C.S., and M.J. McPhaden (2000): Observations of Warm Water Volume Changes in the Equatorial Pacific and Their Relationship to El Niño and La Niña, Journal of Climate 13, 3551-3559
  3. Kessler, W.S. (2002): Is ENSO a cycle or a series of events?, Geophysical Research Letters 29, 40-1 bis 40-4
  4. Sun, D.-Z. (2003): A Possible Effect of an Increase in the Warm-Pool SST on the Magnitude of El Niño Warming, Journal of Climate 16, 185-205
  5. Kessler, W.S. (2002): Is ENSO a cycle or a series of events?, Geophysical Research Letters 29, 40-1 bis 40-4
  6. vgl. McPhaden, M.J. (1999): Genesis and Evolution of the 1997-98 El Niño, Science 283, 950-954
  7. McPhaden, M.J. (1999): The child prodigy of 1997-98, Nature 398, 559-562


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