Strahlungsantrieb
Jede Bezifferung der Wirkung von einzelnen klimarelevanten Einflüssen ist mit dem Problem verbunden, wie diese Einflüsse möglichst objektiv und genau miteinander verglichen werden können. Auf der einen Seite stehen also die Aktivitäten des Menschen, z.B. die Emission von Treibhausgasen, die Vermehrung von Aerosolen, die Veränderung der Erdoberfläche und so weiter. Auf der anderen Seite stehen die Auswirkungen, die diese Aktivitäten tatsächlich auf das Klimasystem und damit unser Wohlbefinden haben. Um herauszufinden, welche Aktivitäten vielleicht besonders problematisch sind und wodurch man am effektivsten das Klima schonen kann, muss die Wirkung also immer mit ein und derselben Art von Größe angegeben werden. Je nachdem, wofür man sich interessiert, könnte das z.B. die Änderung der bodennahen Lufttemperatur sein, oder aber sogar die Anzahl von Menschenleben, die der Klimawandel kostet, die finanziellen Kosten oder etwas anderes. Es ist klar, dass dies eine gesellschaftliche Bewertung erfordert und keine naturwissenschaftliche Aufgabe ist. Bereits im Fall des Vergleichs der bodennahen Lufttemperatur aber muss dieser Vergleich scheitern. Dazu müsste man nicht nur wissen, wie sich jede einzelne Art von Aktivität der Menschen auf die bodennahe Lufttemperatur auswirkt (was nur sehr ungenau machbar ist). Gleichzeitig müsste auch bekannt sein, wie sich alle Effekte gleichzeitig auswirken, denn im Allgemeinen darf man die einzelnen Effekte nicht einfach zusammenzählen. Dies liegt daran, dass sich viele Prozesse gegenseitig beeinflussen, also Rückkopplungen erzeugen und sich so verstärken oder abschwächen. Man spricht in der Wissenschaft dabei von Nichtlinearität.
Strahlungsantrieb im IPCC-Bericht
Statt der bodennahen Lufttemperatur wird im IPCC-Bericht daher das „Stratospheric adjusted Radiative Forcing“ (RF) benutzt. Das RF wird im Deutschen als Strahlungsantrieb bezeichnet und ist die Netto-Strahlungsflussdichte an der Tropopause (siehe Aufbau der Atmosphäre), welche z.B. durch die veränderte Konzentration von Treibhausgasen zustande kommt. Der Ausdruck "Strahlungsflussdichte" meint die Strahlungsenergie, die pro Sekunde und pro Quadratmeter durch die Tropopause hindurchkommt. Man gibt das RF daher immer in Joule pro Sekunde und Quadratmeter, bzw. Watt pro Quadratmeter (Wm-2 an. Beim "stratospheric adjustment" geht man davon aus, dass die Temperatur in der Stratosphäre sich schon auf die neue Gleichgewichtstemperatur eingestellt hat, das Temperaturprofil in der Troposphäre jedoch noch dem alten Gleichgewicht entspricht. Dies ist gerechtfertigt, weil sich die Temperatur in der Stratosphäre den geänderten Strahlungsbedingungen schnell anpassen kann, während die Troposphäre lange Zeit dafür braucht, vor allem wegen der Trägheit der Ozeane, die sich nur sehr langsam aufwärmen lassen. Das ist vergleichbar mit dem Erhitzen von Wasser auf einer Herdplatte: Lässt man das Wasser bei niedriger Stufe lange stehen, bleibt es immer bei derselben Temperatur, weil die Wärme, die über die Herdplatte zugeführt wird, durch Diffusion und Verdunstung wieder abgegeben wird. Dies ist ein Gleichgewicht, entsprechend dem alten Klimazustand. Schaltet man nun den Herd eine Stufe höher, wird die Platte schnell wärmer, das Wasser braucht aber viel länger als die Platte, um warm zu werden. Zwischen der Platte und dem Topfboden gibt es also einen Energiefluss von der Platte in den Topf, und zwar so lange, bis sich die Energieflüsse wieder genau ausgleichen. Das entspräche dann einem neuen Klima-Gleichgewichtszustand.
Die Verhältnisse im Klimasystem
Die Verhältnisse im Klimasystem sind natürlich komplizierter und die Heizung geschieht nicht nur in einer einzigen Höhe. Insgesamt aber passt sich die Stratosphäre dem geänderten Treibhauseffekt (im Fall geänderter Treibhausgaskonzentrationen) schnell an und kühlt sich ab, während die Luft in der Troposphäre Zeit braucht, um sich zu erwärmen. Es herrscht also ein Ungleichgewicht an der Tropopause. Werden Treibhausgaskonzentrationen erhöht, geht zusätzliche Energie in die untere Atmosphäre und der Strahlungsantrieb ist positiv. Ein Beispiel für einen negativen Strahlungsantrieb wäre dagegen, wenn Aerosole mehr Sonnenlicht zurück in den Weltraum reflektieren. Dann kommt weniger Energie in der unteren Atmosphäre an und sie kühlt sich ab.
Vor- und Nachteile des Konzepts
Der "Vorteil" dieses Konzepts ist, dass das RF nicht von komplizierten und wenig verstandenen Rückkopplungen im Klimasystem abhängt. Der große "Nachteil" ist, dass das RF nichts über die Änderungen der messbaren und fühlbaren Größen am Erdboden aussagt, welche aber die eigentlich interessanten Größen zur Bewertung des Klimawandels sind. Betrachtet man den Zusammenhang zwischen globaler mittlerer Temperatur und dem RF, so steckt die größte Unsicherheit in dem Faktor, der die beiden verbindet und „climate sensitivity parameter“ genannt wird, und der die erwähnten Rückkopplungen enthält. Dieser Paramter sagt also aus, welche Temperaturänderung ein bestimmter Strahlungsantrieb hervorruft. Leider ist aber dieser Parameter je nach Mechanismus (also Treibhausgase, Aerosole, Landnutzung, usw.), vor allem aber von Modell zu Modell verschieden. Die Werte bewegen sich etwa zwischen 2 und 4 Grad Celsius pro Wm-2, aber auch andere Werte sind nicht auszuschließen. Ein weiterer Nachteil dieses Konzepts ist es, dass überhaupt nur Einflüsse betrachtet werden können, die über die Strahlung auf die Temperatur wirken. Effekte wie z.B. Verdunstungskälte oder Diffusion können damit nicht beschrieben werden, obwohl auch sie die Temperatur beeinflussen.
Bei der Angabe des Strahlungsantriebs ist es übrigens wichtig, einen geeigneten Zustand zu definieren, mit dem die Änderungen verglichen werden können, d.h. der alte, "natürliche" Klimazustand. Dies ist keineswegs einfach, weil ja auch das natürliche Klima ständigen Schwankungen unterworfen ist. Im Falle des IPCC-Berichts wird als Basisjahr 1750 gewählt.
Siehe auch
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