Deforestation (hohe Breiten)

Aus Klimawandel
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Geographische Lage der borealen Wälder

Die borealen Wälder (auch Taiga genannt) erstrecken sich im Wesentlichen über Kanada, Skandinavien und Sibirien und bedecken etwa 12 Millionen Quadratkilometer der Erde. Bisher wurde nur ein geringer Anteil dieser Wälder gerodet (mit Ausnahme von Osteuropa), weshalb der mögliche Einfluss starker Entwaldung üblicherweise mit Computersimulationen nachvollzogen wird. Auch für die kommenden Jahrzehnten wird nicht mit einem Rückgang, sondern einer Ausbreitung der Wälder in hohen Breiten gerechnet, zum Teil wegen der Aufgabe landwirtschaftlicher Flächen, zum Teil auch durch die zu erwartende starke Erwärmung in Folge des Klimawandels, so dass sich die Waldgrenze nach Norden verschieben könnte. Die in diesem Artikel gemachten Aussagen zu den möglichen Folgen weitreichender Entwaldung sind also nicht als realitätsnahes Szenario zu verstehen, sondern sollen die Rolle des Waldes im Klimasystem beleuchten. Umgekehrt ist die Frage der Aufforstung durchaus von politischer Relevanz, da die Kohlenstoffspeicherung von Wäldern oft als Möglichkeit diskutiert wird, den Klimawandel zu mindern, während andere (physikalische) Effekte des Waldes ignoriert werden. Letztere sind in den Wäldern der hohen Breiten aber besonders wichtig.

Die Energiebilanz borealer Wälder

Zu einem großen Teil des Jahres liegt Schnee, was die Albedo zur wichtigsten Einflussgröße durch die Vegetation macht. Da sie über den Schnee hinausragen, haben die dort vorkommenden Bäume wie Fichten, Kiefern und Espen im Winter nur eine Albedo zwischen 0.2 und 0.4, im Gegensatz zu vollständig schneebedecktem Gras mit 0.75 - 0.9 [1]. Der viel hellere Schnee wird somit durch die dunklen Bäume maskiert. Zwar existieren in Ostsibirien vor allem Lärchenwälder, die im Winter ihre Nadeln abwerfen, da aufgrund der extrem kalten Winter mit absoluten Tiefstwerten bis -70 °C keine anderen Bäume wachsen. Allerdings hält die Schneebedeckung dort eine lange Zeit des Jahres über an. Der niedrige Sonnenstand trägt zudem dazu bei, dass auch sommergrüne Bäume aufgrund der Stämme eine geringe Albedo aufweisen.

Der Unterschied zwischen der Oberflächenalbedo mit und ohne Bewaldung ist daher nirgends sonst so groß wie in borealen Wäldern. Obwohl dieser Unterschied den gesamten Winter über besteht, ist die Beeinflussung der Nettostrahlung und damit der Temperaturunterschied jedoch im Frühling und Frühsommer mit Abstand am deutlichsten, da erst dann der Sonnenstand ausreichend hoch und die Sonnenscheindauer lang ist. Im Herbst dagegen liegt aufgrund der thermischen Trägheit des Bodens erst dann Schnee, wenn die solare Einstrahlung ohnehin sehr gering ist. Dies führt also dazu, dass die Frühlingstemperatur bei einer Abholzung des borealen Waldes um mehrere Grad niedriger wäre als heute[2][3].

Fichtenwald in Alaska. Ein typisches Merkmal der Taiga ist, dass die Bäume deutlich niedriger sind und nicht so dicht beieinander stehen wie in den Tropen.

Aufgrund der geringeren Temperatur würde der Schnee im Frühjahr wiederum 1-2 Monate später schmelzen, was den Temperaturunterschied noch verstärkt und im frühen Sommer aufrecht erhält[4]. Dies gilt wohlgemerkt nur für eine hypothetische, großräumige Abholzung, bei der ein großer Teil des Waldes betroffen wäre. Als Gegenbeispiel stelle man sich eine Lichtung vor. Hier wäre die Lufttemperatur vom umliegenden Wald geprägt, der Schnee aber dem direkten Sonnenlicht ausgesetzt – in diesem Fall würde es dort früher zur Schneeschmelze kommen. Nur weil der gesamte Wald die Temperatur hoch hält, verzögert sich die Schmelze, sollte er entfernt werden. In diesem Zusammenhang spielt jedoch auch der Ozean eine wichtige Rolle. Über die Meereisbedeckung und die zusätzliche Eis-Albedo-Rückkopplung und seine thermische Trägheit wird die Rückkopplung noch stärker: Da es im Frühling kälter ist als bei bewaldetem Kontinent, bildet sich auf dem Ozean mehr Eis, welches später schmilzt und mehr Sonnenlicht zurück reflektiert.

Modellrechnungen zeigen, dass unter Berücksichtigung des Ozeans die Abkühlung stärker, weiter ausgedehnt und gleichmäßiger über das Jahr verteilt ist.[5][2] Trotz der deutlich niedrigeren Temperaturen und der damit verbundenen geringeren terrestrischen Ausstrahlung bleibt die Erhöhung der langwelligen Nettostrahlung recht begrenzt, da die geringere Feuchte und Temperatur der Atmosphäre die Gegenstrahlung senken. Die somit verringerte Nettostrahlung muss also durch eine Senkung der sensiblen und latenten Wärmeflüsse kompensiert werden. Außer durch die Temperaturabnahme und die geringere Rauhigkeit wird der latente Wärmefluss zusätzlich durch die größere Schneebedeckung vermindert, da die Sublimation von Schnee schwächer ist als die Verdunstung von nassem Boden.

Wasserkreislauf borealer Wälder

Im Sommer und Herbst kann die Transpiration der Bäume eine wichtige Feuchtequelle sein. Das Schmelzwasser aus dem Schnee und Eis des Winters wird nun von den Wurzeln aufgenommen und dann transpiriert. Ohne Wald würde also dieser kühlende Einfluss wegfallen, was die Temperatur ansteigen ließe. Die Modelle zeigen jedoch, dass auch in dieser Jahreszeit die Temperatur gegenüber dem bewaldeten Fall geringer ist, allerdings aus widersprüchlichen Gründen. Außer dem simplen Überwiegen des nach wie vor existierenden Albedoeffekts ist es möglich, dass die Verdunstung am Boden zunimmt. Dies ist insofern nicht unrealistisch, als die Bedingungen in borealen Wäldern äußerst trocken sind (es fällt dort nicht mehr Niederschlag als in Wüstenregionen!), so dass Bäume die Transpiration über ihre Stomata deutlich einschränken.

Der ohnehin geringe Niederschlag würde bei einer Entwaldung noch weiter abnehmen, da weniger Wasser in die Atmosphäre gelangt. Dies gilt inbesondere für den Sommer, da im Winter das Wasser ohnehin als Schnee und Eis gebunden ist, wovon wenig in Wasserdampf umgewandelt wird (sublimiert). Die Bewölkung nimmt aufgrund der Abkühlung nahe der Oberfläche dagegen zu.

Die verstärkte Bewölkung kann dazu führen, dass weniger Sonnenlicht den Boden erreicht, was die Abkühlung abermals verstärkt. Allerdings liegt in der Bewölkung auch der wichtigste Grund für Zweifel an der Stärke der Schneemaskierung: Gerade dort, wo viel Schnee fällt, ist schließlich die Bewölkung hoch, so dass das Sonnenlicht von dieser reflektiert wird und weniger an der Erdoberfläche, wo die Bäume den Schnee maskieren können.

Zirkulationsänderungen in Ozean und Atmosphäre

Eine großräumige Abholzung der borealen Wälder hätte schließlich auch Zirkulationsänderungen zur Folge, die Klimaänderungen auch an weit entfernten Orten der nördlichen Hemisphäre auslösen können:
Die Abkühlung hoher Breiten verändert den Temperaturunterschied zwischen Nord und Süd, was den Strahlstrom und die Zugbahnen der Tiefdruckgebiete nach Süden verschiebt. Somit könnte es mehr Niederschlag als bisher in Südeuropa geben. Außerdem würde der Temperaturunterschied zwischen Land und Ozean geschwächt, die Eurasische Kältequelle wäre im Winter stärker und das Hitzetief im Sommer schwächer. All dies könnte in Indien, Südostasien und Arabien zu schwächeren und verspäteten Monsunen führen.[3]

Durch diese Prozesse ändern sich die Muster der Bewölkung und Schneebedeckung, was wiederum die dortige Energiebilanz ändert und weitere Zirkulationsänderungen auslöst. Auch die Ozeanzirkulation wäre betroffen: geringere Temperaturen in hohen Breiten verstärken die Thermohaline Zirkulation und führen so zu mehr Wärmetransport nach Norden. Die Abkühlung über dem Nordatlantik und Europa würde daher etwas geschwächt.

Ausblick

All dies sind Ergebnisse idealisierter Experimente. Der Verlauf des zukünftigen Klimas hängt aber auch von anderen Faktoren ab: In Zukunft könnte aufgrund des ohnehin stattfindenden anthropogenen Klimawandels die Schneebedeckung zurückgehen, so dass der Albedounterschied zwischen Wald und Boden abnimmt. Für die Zukunft des borealen Waldes ist außerdem wichtig, wie schnell der Klimawandel stattfindet: Ist er langsam genug, so könnten sich die Wälder nach Norden ausbreiten und dort zu einer zusätzlichen Erwärmung und damit wiederum zu besseren Lebensbedingungen führen. Geschieht er aber zu schnell, so befinden sich die Bäume plötzlich in einem Gebiet, in dem sie nicht mehr wachsen können und der Wald würde stark zurückgehen (siehe auch Kipppunkte im Klimasystem). Letztere Möglichkeit wird durch die Erkenntnis gestützt, dass gerade der boreale Wald sehr langsam wächst und sich eventuell noch heute an die Klimaänderung seit der letzten Eiszeit anpasst.

Einzelnachweise

  1. Betts, A.K., Ball, J.H. (1997): Albedo over the boreal forest, Journal of Geophysical Research, 102 (D24), Seite 28901–28910
  2. 2,0 2,1 Bonan, G. B., D. Pollard und S. L. Thompson, 1992: Effects of boreal forest vegetation on global climate. Nature, 359, 716-718.
  3. 3,0 3,1 Douville, H. und J.-F.Royer, 1997: Influence of the temperate and boreal forests on the Northern Hemisphere climate in the Météo-France climate model. Climate Dynamics, 13, 57–74.
  4. Bonan, G.B., F. S. Chapin III, S. L. Thompson, 1995: Boreal forest and tundra ecosystems as components of the climate system. Climatic Change, 29, 145-167.
  5. Ganopolski, A., V. Petoukhov, S. Rahmstorf, V. Brovkin, M. Claußen, A. Eliseev, C. Kubatzki, 2001: CLIMBER-2: a climate system model of intermediate complexity. Part II: model sensitivity . Climate Dynamics, 17, 735-751.


Schülerarbeiten zum Thema

Schülerarbeiten zum Thema des Artikels aus dem Schulprojekt Klimawandel:

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