Thomas Pynchon

Aus Weltliteratur

Thomas Ruggles Pynchon, Jr. (* 8. Mai 1937 in Glen Cove auf Long Island, New York) ist ein US-amerikanischer Schriftsteller und bedeutender Vertreter der literarischen Postmoderne.

Leben

Pynchon entstammt einer alten neuenglischen Familie; ihr Name taucht beispielsweise in Nathaniel Hawthornes Roman Das Haus der sieben Giebel (1851) als Pyncheon auf. Wie Hawthorne beschäftigte sich auch Pynchon in seinem Werk oft mit seinen puritanischen Vorfahren. Sein direkter Vorfahr William Pynchon zählte 1630 zu den Gründern der Kolonie Massachusetts. 1650 veröffentlichte dieser in London das Traktat The Meritorious Price of our Redemption, in dem er die calvinistische Prädestinationslehre in Frage stellte. Bei seiner Rückkehr nach Boston wurde er daher der Häresie bezichtigt; seine Schrift ist eines der ersten Bücher, die auf amerikanischem Boden verboten und öffentlich verbrannt wurden. Thomas Pynchon verarbeitete diese Begebenheit 1973 in seinem Hauptwerk Die Enden der Parabel.

Pynchon wurde 1937 in Glen Cove auf Long Island als Sohn von Thomas Ruggles Pynchon, Sr., und Katherine Frances Bennett Pynchon geboren. Nach Abschluss der Oyster Bay High School im Jahre 1953 studierte er zunächst Physik, später englische Literatur an der Cornell-Universität, wo er Schüler von Vladimir Nabokov war. Während sich Nabokov selbst nicht an seinen prominenten Schüler erinnern konnte, wusste Nabokovs Frau von Pynchons markanter Handschrift, die Schreib- und Druckbuchstaben vereint, zu berichten. Während seiner Studienzeit war Pynchon mit Richard Fariña befreundet, zu dessen Roman Been Down So Long It Looks Like Up To Me (1966) er 1983 ein Vorwort verfasste.

1955 unterbrach er das Studium, um zwei Jahre bei der US Navy zu dienen. Nach seinem Abschluss 1958 lebte er ein Jahr im New Yorker Greenwich Village, wo er an seinem ersten Roman arbeitete. 1960 fing er als technischer Redakteur bei Boeing an. Nach dem Erscheinen seines ersten Romans V. im Jahr 1963 schottete er sich völlig von der Öffentlichkeit ab und lebte fortan wohl an der amerikanischen Westküste. Spätestens seit den 1990er Jahren wohnt er in Manhattan mit seiner Frau und Agentin Melanie Jackson und ihrem Sohn, Jackson Pynchon. 1997 spürte ihn dort ein Reporter von CNN auf. Pynchon verbat sich die Veröffentlichung der dabei entstandenen Aufnahmen als Verletzung seiner Privatsphäre, gab dem Sender aber ein kurzes Interview.

Es kursieren nur einige über vierzig Jahre alte Fotos von Pynchon; zu sehen sind sie beispielsweise im Film A Journey Into The Mind Of [P.] (2001), der sein Leben und Werk thematisiert. Das Rätsel um seine Person ist mittlerweile Bestandteil der amerikanischen Populärkultur. Jüngst hatte Pynchon Gastauftritte in drei Episoden der Simpsons (Diatribe of a Mad Housewife, All's Fair in Oven War, Moe'N'a Lisa). Er spricht sich selbst, seine Figur hat allerdings eine Tüte mit einem Fragezeichen über den Kopf gestülpt.

Werk

Pynchons Werk beschränkt sich auf sechs Romane und einige Kurzgeschichten in rund 40 Jahren. Seine Bücher zeichnen sich durch stilistische Virtuosität und enzyklopädische Informationsfülle aus. Ein immer wiederkehrender Handlungsfaden Pynchons ist die Suche, wobei letztlich unklar bleibt, ob das Objekt der Suche überhaupt existiert oder nur Einbildung ist. Auch zählen Todessehnsucht, Paranoia und Entropie zu häufigen Motiven in seinen Büchern. Routiniert wechselt er von einer literarischen Gattung in die nächste, ist in der Welt der Comics und Zeichentrickfilme ebenso zu Hause, wie er Technik und Physik mit Religion, Psychologie und Kulturgeschichte in Zusammenhang zu bringen vermag. Sein Werk wurde oft mit dem von James Joyce verglichen. Wegen der Komplexität seiner Bücher gilt er als schwierig zu lesender Autor.

V.

Als V. 1963 erschien, brachte der Roman Thomas Pynchon, der bis dahin durch eine Reihe von Kurzgeschichten auf sich aufmerksam gemacht hatte, auf Anhieb den Ruf eines der bedeutendsten Gegenwartsautoren ein. Er erhielt dafür im gleichen Jahr den William Faulkner Foundation First Novel Award für den besten Erstlingsroman des Jahres.

Das Buch handelt von zwei gegensätzlichen Figuren: Benny Profane und Herbert Stencil. Profane, ein bekennender Schlemihl und moderner Picaro, lässt sich durch das New York der 1950er-Jahre treiben und stößt dabei auf Herbert Stencil, der von der Suche nach V. besessen ist. V. ist eine Frau, die nur mit diesem Initial in den Tagebüchern seines Vaters auftaucht und von der er glaubt, dass sie seine Mutter sein könnte. Stencil verfolgt auf seiner Suche nach V. immer abwegigere Hinweise, in denen aber immer der Buchstabe V hervorsticht, und baut sie in sein Hirngespinst ein. Die verschiedenen Metamorphosen der V. werden in historischen Kapiteln nachgezeichnet. Sie spielen an den verschiedensten Plätzen der Erde, vom Ägypten des Jahres 1898 über Florenz ein Jahr später, Paris im Jahr 1913, Deutsch-Südwestafrika 1922 und Malta im Zweiten Weltkrieg – und immer steht eine Frau im Mittelpunkt, deren Vorname mit V. beginnt.

Die Versteigerung von No. 49

1966 erschien Pynchons zweiter Roman The Crying of Lot 49, der mit Vineland zu seinen zugänglicheren Büchern gehört. Es erhielt den Richard and Hilda Rosenthal Foundation Award. W.A.S.T.E.

Im Umfang eher klein, behandelt das Buch im wesentlichen die Geschichte von Oedipa Maas, die von ihrem Ex-Liebhaber Pierce Inverarity als Testamentsvollstreckerin eingesetzt worden ist. In dieser Funktion gerät sie auf die Spur einer mysteriösen Geheimorganisation, des Tristero, dessen Herzstück das alternative Kommunikationsnetz W.A.S.T.E. (We Await Silent Tristero's Empire) ist. Tristero ging offenbar bereits vor Jahrhunderten aus einem Kampf gegen das Postmonopol von Thurn und Taxis hervor und schuf auch in Amerika ein Netzwerk, das das Monopol der U.S. Post zu unterwandern wusste. So entdeckt Oedipa auf einem Streifzug durch San Francisco „Briefkästen“ und Annoncen, auf denen ein gedämpftes Posthorn prangt – das mutmaßliche Symbol des W.A.S.T.E.. Mit jedem Hinweis, den Oedipa findet, wird aber auch die Möglichkeit wahrscheinlicher, dass Inverarity falsche Fährten gelegt hat, um Oedipa in den Wahnsinn zu treiben. Die Frage, ob Tristero tatsächlich existiert, bleibt für Oedipa wie auch für den Leser letztlich unbeantwortet. In der Erwartung, dass Bieter von Tristero bei der Versteigerung von Pierces Briefmarkensammlung (mit der Auktionsnummer 49) auftauchen werden, betritt sie den Auktionssaal, und dort bricht der Roman ab.

Pynchons Thema ist wiederum der menschliche Drang, Zusammenhänge herzustellen, und die damit verbundene Gefahr der Paranoia. So gerät ihm seine kunstvoll gestrickte Verschwörungstheorie zum Sinnbild der zweifelhaften Erkenntnisfähigkeit des Menschen.

Die Enden der Parabel

Der Roman Die Enden der Parabel (englisch: Gravity's Rainbow; ins Deutsche übersetzt von Elfriede Jelinek und Thomas Piltz) erschien 1973 und gilt als Pynchons Hauptwerk. Er wurde 1974 mit dem National Book Award ausgezeichnet. Im gleichen Jahr sollte er nach einstimmigem Beschluss der Jury den Pulitzer-Preis für den besten Roman erhalten. Das Vergabekomitee widersetzte sich jedoch dieser Entscheidung, erklärte das Buch für obszön und unlesbar, und so wurde der Preis in diesem Jahr nicht vergeben.

Es ist schlechthin unmöglich, eine Inhaltsangabe des Romans zu liefern, da er sich in zahllosen ineinander verschlungenen Handlungssträngen, Vor- und Rückblenden verliert. Zudem ist selten klar, welche Episoden sich tatsächlich ereignen, welche geträumt oder im Drogenrausch halluziniert werden. Es gibt rund 400 Personen, von denen manche wieder verschwinden, einige hundert Seiten später aber unvermittelt wieder auftauchen.

Die im Roman geschilderten Ereignisse spielen sich größtenteils in den Kriegsjahren 1944 und 1945 ab. Im Mittelpunkt steht immer wieder die deutsche V2-Rakete. Die Handlung setzt im London zur Zeit der Raketenangriffe ein. Einer der Handlungsstränge handelt von Tyrone Slothrop, der mit Erektionen auf sich nähernde V2 reagiert.

Im weiteren Verlauf stellt sich heraus, dass Slothrop als Kind von dem Wissenschaftler Laszlo Jamf auf einen neuen Kunststoff der I.G. Farben, Imipolex G, konditioniert worden ist (siehe: Iwan Pawlow), der später dann auch im Schwarzgerät, der Rakete mit der Seriennummer 00000, verarbeitet wurde. Immer stärker wird deutlich, dass Slothtrop selbst vermeintlich intimster Geheimnisse und sexueller Regungen enteignet ist, dass immer weitere Elemente seines Lebens Ergebnisse der gezielten pawlowschen Konditionierung und Einflussnahme anderer sind. Ein großer Teil des Buches behandelt Slothrops Reise durch das besiegte Deutschland (im Buch Die Zone genannt) auf der Suche nach seiner Identität und dem S-Gerät und auf der Flucht vor zahlreichen Agenten, die hinter ihm bzw. dem Schwarzgerät herjagen.

Der Roman endet mit dem Abschuss der beiden letzten V2: Eine obskure Gesellschaft aus Hereros und Abenteurern schießt im Nachkriegsdeutschland eine Rakete ab, die sie aus Bauteilen aus der ganzen „Zone“ zusammengebaut und modifiziert hat; Nazi-Offizier Blicero opfert in der Rakete 00000 einen masochistischen Lustknaben, der früher selbst für eine Abschussbasis verantwortlich war. Die Rakete als phallisches Objekt, der Tod als Orgasmus des Militärs, der Abschuss als ultimative Erektion verweisen auf die subversive Absicht des Romans, der insofern aufklärerisch gelesen werden kann, als er die papierene Welt der Militärs und Geheimdienstschergen auf ihre sexuellen Grundlagen in Perversion und Dominanzstreben zurückführt. Dabei ist der Roman insofern ungeheuer provozierend, als er nicht nur die perverse Lust der Täter, der Reichen, der Vergewaltiger darstellt, sondern auch die Willfährigkeit der Opfer, die Ankoppelungspunkte der Herrschaft an der Perversion der Massen detailverliebt beschreibt.

Spätzünder

Spätzünder (engl. Slow Learner, 1984) stellt eine Sammlung früher Kurzgeschichten Pynchons dar, die zuvor nur in Magazinen erschienen waren:

  • Der kleine Regen (The Small Rain)
  • Tiefland (Low-lands)
  • Entropie (Entropy)
  • Unter dem Siegel (Under the Rose)
  • Die heimliche Integration (The Secret Integration)

Darüber hinaus enthält der Band ein Vorwort, in dem Pynchon die Erzählungen kommentiert. Dieses Vorwort ist bis heute sein einziger autobiographischer Text.

Vineland

Pynchons vierter Roman erschien 1990 und gilt als sein zugänglichstes Werk, da es eher konventionell verfasst wurde. Sein Titel spielt auf den hoffnungsvollen Namen an, den die wikingischen Entdecker Amerika gaben – Vinland. Vineland ist somit eine Jeremiade, die das Versprechen eines paradiesischen Amerika der sozialen Realität der achtziger Jahre gegenüberstellt, denn Pynchon zeichnet darin das trostlose Bild einer von Reaganomics, dem Fernsehen und Shopping-Malls bestimmten Nation.

Vineland ist auch ein Familienroman, der drei Generationen und 40 Jahre kalifornischer Geschichte umspannt. Der Taugenichts Zoyd Wheeler lebt mit seiner vierzehnjährigen Tochter Prairie in der Gegend nördlich von San Francisco, umgeben von Althippies und anderen merkwürdigen Gestalten. Die Rückkehr der untergetauchten Mutter Prairies, der vom FBI gesuchten Frenesi Gates, macht die beiden selbst zu Gehetzten. Rückblenden berichten von Frenesis Verwicklungen mit der radikalen Studentenbewegung der 1960er-Jahre, und auch von der Unterdrückung der amerikanischen Arbeiterbewegung während der 1930er-Jahre, in der Frenesis Mutter aktiv war.

Mason & Dixon

Mason & Dixon, das 1997 erschien, ist die Geschichte einer Männerfreundschaft. Sprachlich im Stil des 18. Jahrhunderts gehalten, erzählt es die Geschichte der Zusammenarbeit von Charles Mason und Jeremiah Dixon, die zwischen 1763 und 1769 gemeinsam die Mason-Dixon-Linie vermaßen, die traditionell die Grenze zwischen den amerikanischen Nord- und Südstaaten darstellt. Mason und Dixon verfolgen diese Linie immer weiter nach Westen, und die Landschaft erscheint dabei zunehmend unwirklicher.

Auch in diesem Buch verbreitet sich Pynchon über die verschiedensten Abwegigkeiten wie die Hohlwelttheorie oder Feng Shui und spinnt dabei eine Verschwörungstheorie, in der Jesuiten und Chinesen eine erstaunliche Rolle spielen. Als Charaktere treten unter anderem Benjamin Franklin, George Washington, ein sprechender Hund und Vaucansons historisch verbürgte automatische Ente auf.

Gegen den Tag

Gegen den Tag (engl. Against the Day, veröffentlicht am 21. November 2006) ist Pynchons jüngster Roman. Die deutsche Übersetzung von Dirk van Gunsteren und Nikolaus Stingl wurde am 1. Mai 2008 veröffentlicht.

Der Roman ist ein Panorama der Geschichte zwischen der Weltausstellung in Chicago 1893 und der Zeit kurz nach dem Ersten Weltkrieg, wobei er nicht in unserer bekannten Vergangenheit, sondern in einer leicht abweichenden Parallelwelt spielt. Die Handlung erstreckt sich dabei über Nordamerika, Europa, Zentralasien und die Polargebiete und verfolgt die Lebenswege einer Vielzahl von Charakteren, unter denen sich keine eindeutigen Hauptfiguren ausmachen lassen. Historische Figuren wie Nikola Tesla, Erzherzog Franz Ferdinand oder Groucho Marx haben Cameo-Auftritte; eine große Menge historischer Ereignisse wie der Einsturz des Markusturms und das Tunguska-Ereignis werden mit fiktiven Begebenheiten in einer Art und Weise vermischt, dass dem Leser die Unterscheidung ohne eigenen Rechercheaufwand nicht immer leicht fällt.

Der Titel ist ein Zitat aus dem 2. Brief des Petrus. In der King-James-Bibel wird der Vers so übersetzt:

But the heavens and the earth, which are now, by the same word are kept in store, reserved unto fire against the day of judgment and perdition of ungodly men.

Die deutsche Einheitsübersetzung gibt ihn folgendermaßen wieder:

Der jetzige Himmel aber und die jetzige Erde sind durch dasselbe Wort für das Feuer aufgespart worden. Sie werden bewahrt bis zum Tag des Gerichts, an dem die Gottlosen zugrunde gehen.

Außerdem ist Against the Day eine wörtliche Übersetzung des französischen Begriffs contre-jour (dt. Gegenlichtaufnahme), der als Fremdwort auch im Englischen gebräuchlich ist.

Stilistisch imitiert Pynchon verschiedene literarische Genres aus der Zeit der Romanhandlung, etwa den Groschenroman, die frühe Science Fiction oder den Wildwestroman. Typische fantastische Elemente dieser Genres wie Zeitreisen stehen dabei gleichberechtigt neben historisch verbürgten technischen Entwicklungen. Neben der Wissenschaftsgeschichte verfolgt der Roman auch die Kulturgeschichte, die Sozialgeschichte und die Geschichte der Mathematik der Epoche.

Essays, Verschiedenes

1959 erschien die Kurzgeschichte Mercy and Mortality in Vienna in der Zeitschrift Epoch; sie erschien 1983 auf deutsch unter dem Titel Sterblichkeit und Erbarmen in Wien.

Pynchon schrieb zudem gelegentlich Essays zu verschiedenen Themen:

  • A Journey into the Mind of Watts (1966) behandelt Rassenunruhen in Watts, einem Vorort von Los Angeles.
  • Is it O.K. to be a Luddite? (1984) befasst sich mit der Geschichte des Luddismus.
  • Nearer, My Couch, to Thee (1993) erschien in einer Reihe der New York Times Book Review, in der prominente Autoren über die sieben Todsünden schrieben. Pynchon beschrieb die Faulheit.

Pynchon verfasste außerdem Einführungen zu Richard Fariñas Roman Been Down So Long It Looks Like Up To Me, zu den Werken Donald Barthelmes, zu Jim Dodges Roman Stone Junction, und zuletzt zu George Orwells 1984.

Apokryphen

Pynchon wird – wie auch William Gaddis, für den er lange gehalten wurde – der Urheberschaft der Wanda-Tinasky-Briefe (1983–88) verdächtigt, ließ dies aber über seine Agentin und Ehefrau Melanie Jackson dementieren.

Weblinks


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