Die Enden der Parabel

Aus Weltliteratur
Version vom 23. September 2008, 21:13 Uhr von Dieter Kasang (Diskussion | Beiträge)
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Die Enden der Parabel (engl. Gravity's Rainbow) ist ein 1973 erschienener Roman von Thomas Pynchon, der heute allgemein als sein Opus Magnum angesehen wird. Die deutsche Übersetzung von Elfriede Jelinek und Thomas Piltz erschien 1981. Der Roman wurde 1974 mit dem National Book Award und 1975 mit der Howells Medal ausgezeichnet, die Pynchon jedoch ablehnte. 1974 wurde er auch für den Pulitzer-Preis nominiert. Da das Vergabekommitte die Juryentscheidung jedoch nicht mittragen wollte, da es den Roman für obszön und unlesbar hielt, wurde der Preis in diesem Jahr schließlich nicht vergeben.[1] Die Enden der Parabel spielt größtenteils in Europa kurz vor und kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, beinhaltet jedoch zahlreiche Zeitsprünge in frühere und spätere Epochen sowie Handlungsstränge an anderen Orten wie Zentralasien und den Vereinigten Staaten. Der Roman ist berüchtigt für seine Figurenvielfalt, seine schwer durchschaubaren Handlungsstränge und seine enzyklopädische Themenvielfalt.

Aufbau und Erzählweise

Der Roman hat vier Hauptkapitel, die weiter in insgesamt 73 Abschnitte unterteilt sind. Die Aufteilung dieser Abschnitte auf die Kapitel (21-8-32-12) hat zu Interpretationen geführt, die sich auf Zahlenmystik berufen. Die Abschnitte sind jeweils durch eine Serie von sieben Quadraten voneinander getrennt. Jedem der vier Kapitel ist ein Motto vorangestellt. Die Erzählung erfolgt überwiegend im Präsens. Die Erzählstimme ist dabei nicht einheitlich, sondern passt sich Situationen und Figuren an. An einigen Stellen etwa wird der Leser direkt angesprochen, während sich an anderen Stellen die Erzählung in den Gedankengängen der Protagonisten verliert. An vielen Stellen ist es nicht möglich, zwischen „realer“ Handlung und Träumen oder Halluzinationen der Figuren zu unterscheiden. Typisch für Pynchon ist das Einweben von etwa hundert Gedichten oder Liedtexten in den Roman, die meist auf reale Genres der Literaturgeschichte Bezug nehmen.

Figuren

In Die Enden der Parabel treten insgesamt mehrere hundert Figuren auf. Als Hauptfigur kann der amerikanische GI Tyrone Slothrop angesehen werden, der gegen Ende des Zweiten Weltkriegs in London stationiert ist. Durch Pawlowsche Konditionierung kriegt Slothrop Erektionen, wenn Einschläge deutscher V2-Raketen in London bevorstehen. Ein Großteil des Romans ist seiner Suche nach dem Ursprung dieses Zusammenhangs gewidmet. Gegen Ende des Romans „verschwindet“ die Figur Slothrop allmählich aus der Handlung, indem sie sich auflöst, von den anderen Figuren nicht mehr gesehen werden kann und schließlich für die Handlung keine Rolle mehr spielt.

Weitere wichtige Charaktere sind der SS-Leutnant Blicero, der sowjetische Offizier Vaslav Tchitcherine, die niederländische Agentin Katje Borgesius, der Herero Enzian und der deutsche Filmemacher Gerhardt von Göll, auch bekannt als „Der Springer“. Auch einige historische Figuren treten in Die Enden der Parabel auf, darunter Mickey Rooney, Hugo Stinnes und August Kekulé.

Handlung=

Die Handlung beginnt mit der Beschreibung eines deutschen Raketenangriffs auf London und der anschließenden Evakuierung. Diese Szene stellt sich jedoch im Nachhinein als Traum einer Nebenfigur, des englischen Soldaten Pirate Prentice, heraus. Ein Leitmotiv des Romans ist die deutsche V2-Rakete, mit der praktische alle Figuren auf die ein oder andere Weise in Verbindung stehen, und ihre Entwicklung auf dem Prüfstand VII in Peenemünde. Verschiedene Figuren sind aus unterschiedlichen Gründen auf der Suche nach dem geheimnisvollen Raketenmodell 00000 und dem darin eingebauten „Schwarzgerät“, das sich erst am Ende des Romans als ein Mensch entpuppt. Unter diesen Figuren ist auch Tyrone Slothrop, der seinerseits auch von verschiedenen anderen Figuren gejagt wird und im Geheimnis des Schwarzgerätes die Lösung zu einer entscheidenden Frage seiner eigenen Identität vermutet.

Weite Teile des Romans verfolgen Slothrops Reise durch die „Zone“, das besiegte und zerstörte Deutschland kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Diese „Zone“ stellt einen anarchischen und gesetzlosen Raum dar, in dem alle Figuren nur auf ihre eigenen Ziele hin agieren und sich noch keine neue Ordnung gefunden hat. Die Enden der Parabel bezeichnen Verbindungen zwischen Gegensätzen, etwa der Abschussstelle der V2 und den potentiellen Opfern in London. Diese Verbindungen werden teilweise als paranoid desavouiert, folgen mathematischen, spiritistischen, ökonomischen und sexuellen Mustern. Auf der Suche nach den Bauteilen der V2 stößt der Agent Slothrop auf immer neue merkwürdige Kopplungen zwischen Tätern und Opfern, zwischen beteiligten Firmen beider Kriegsparteien, zwischen Siegern und Besiegten. Der zunehmend in Bedrängnis geratende Slothtrop verliert immer stärker den Kontakt zur Realität, mit ihm gerät der Leser in Abenteuer, die ebenso Drogenhalluzinationen wie Absurdität der Nachkriegszone sein können.

Zunehmend vermischen sich Phantasie, Realität, spiritistische Erlebnisse, ausführlich dargestellte sexuelle Verstrickungen von Perversion und Gewalt. Der Roman bietet eine Unzahl von Deutungsmöglichkeiten für diese Begebenheiten. Sowohl paranoide Wahnvorstellungen als auch echte Geheimdienstverschwörungen sind im Bereich des Möglichen. Die mit der I.G. Farben verkoppelten internationalen Konzerne und das Militär scheinen geheimnisvolle, nicht durchschaubare Dominanzstrategien zu verfolgen, denen Sadomasochismus als das menschlichere Muster gegenüber steht.

Wichtige Schauplätze sind dabei neben Peenemünde auch das zerbombte Berlin, der Harz und die Lüneburger Heide. Zum Ende des Romans hin löst sich die Handlung zunehmend auf; an die Stelle der unzähligen miteinander verwobenen Stränge treten zunehmend Einzelszenen, die eher assoziativ in Zusammenhang stehen. Die letzten Szenen beschreiben den Start der 00000 durch Blicero, die dessen jungen homosexuellen Liebhaber Gottfried an Bord hat (und damit eine Art Menschenopfer) und den Einschlag einer Rakete in ein Kino in Los Angeles deutlich nach dem Krieg. Damit schließt die Schlussszene von Die Enden der Parabel wieder an die Anfangsszene an. Gleichzeitig wird hiermit die Lesart der Romanhandlung als Film ins Spiel gebracht, der mit diesem Einschlag, auf der Leinwand oder direkt im Kino, sein Ende nimmt.

Motive

Die Enden der Parabel ist mit zahllosen mehr oder minder obskuren Querverweisen gespickt. Einige immer wiederkehrende Motive sind die Kabbala, Astrologie, Tarot und andere esoterische Geheimwissenschaften, germanische, griechische und Herero-Mythologie, puritanische Theologie, die Opern von Rossini und Wagner, die Operetten von Gilbert und Sullivan, die Lyrik Rilkes und d'Annunzios, die Trivialromane von Sax Rohmer, Kohlenstoffderivate in großer Zahl, Statistik, Stochastik und Ballistik, die pawlowsche Konditionierung, King Kong und die weiße Frau, Dumbo und Der Zauberer von Oz, und nicht zuletzt Schweine – Pynchons Lieblingstiere. Diese Motive werden zusammengehalten durch den Gedanken des Todes, der die gegenwärtige Gesellschaft durchzieht: Die tödliche Raketentechnik der Nazis, die später von der NASA genutzt wird, die Tötung menschlicher Willensfreiheit durch pawlowsche Konditionierung, die Verbindung von Sex und Tod in sadomasochistischen Praktiken, die ausführlich geschildert werden.

Rezeption

Die Enden der Parabel wurde von Kritikern sehr unterschiedlich aufgenommen. Während einige Rezensionen den Roman schon bei seinem Erscheinen als Klassiker titulierten und in eine Reihe mit James Joyces Ulysses oder Herman Melvilles Moby Dick stellten, wurde er von anderen als prätentiös und unlesbar beurteilt. Ein häufiger Kritikpunkt war Pynchons Umgang mit seinen Charakteren, die von manchen Lesern als flach und uninteressant empfunden wurden. Auch eine grundsätzliche Kälte wurde dem Roman vorgeworfen. Besonders eine sadomasochistische Sexszene, in der der deutsche Brigardier Ernest Pudding Kot isst, wurde außerdem häufig das Ziel von Obszönitätsvorwürfen.

Pynchons Fürsprecher hielten dieser Kritik entgegen, dass die spezielle Erzählweise des Romans solche Lesarten zwar provoziere, aber letztlich unzureichend mache. Pynchons Umgang mit seinen Charakteren und der Handlung weiche in einem solchen Maße von literarischen Konventionen ab, dass die Anwendung herkömmlicher Maßstäbe für das Verständnis des Romans in keiner Weise hilfreich sei und ein genaueres Verständnis sich letztlich nur aus der Analyse des Romans selbst ergeben könne.

Die Enden der Parabel ist seit seinem Erscheinen enorm einflussreich und gilt unabhängig von allen Kontroversen als ein Meilenstein in der Entwicklung des postmodernen Romans.

Die deutsche Übersetzung

Der deutsche Titel Die Enden der Parabel ist mehrdeutig: auf der einen Seite bezeichnet er die beiden Enden der parabelförmigen Flugbahn der Rakete, also Start- und Einschlagspunkt, auf der anderen Seite auch die Enden der Parabel im Sinne von „Erzählung“ oder „Geschichte“. Damit wird ein Bezug zum Begriff des „Abschieds von der Geschichte“ hergestellt. Laut Übersetzer Thomas Piltz wurde dieser Titel gewählt, weil sich der Originaltitel Gravity's Rainbow nicht befriedigend ins Deutsche übertragen ließ.


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