Wasserprobleme in Zentralasien: Unterschied zwischen den Versionen

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[[Bild:Syr Darya Flussverlauf.jpg|thumb|580px|Verlauf des Syr Darya in Kasachstan mit toten Mäandern und Kanälen; oben links Baumwollfelder]]
[[Bild:Syr Darya Flussverlauf.jpg|thumb|580px|Abb. 1: Verlauf des Syr Darya in Kasachstan mit toten Mäandern und Kanälen; oben links Baumwollfelder]]
[[Bild:CA-wasserprod.-verbrauch.jpg|thumb|580px|Abb. 2: Das Missverhältnis zwischen Produktion und Verbrauch von Wasser zwischen den Staaten Mittelasiens. Dargestellt sind die Anteile am Wasser der Flusseinzugsgebiete des Amu Darya (Turkmenistan, Usbekistan, Tadschikistan) und Syr Darya (Kasachstan, Usbekistan, Kirgistan) in %. Beim Aralsee sind die restlichen Wasserflächen nach einer NASA-Aufnahme vom August 2021 sowie die frühere Ausdehnung gezeigt.]]
== Wassernutzung ==
== Wassernutzung ==
Im semiariden bis ariden Zentralasien hängen Leben und Wirtschaft stark von den Wasserressourcen ab, die aus den Oberläufen der Flüsse aus dem Tien Shan und dem Pamir stammen. In den Staaten Zentralasiens (Kirgisistan, Usbekistan, Turkmenistan, Tadschikistan, Kasachstan) leben mehr als 63 Millionen Menschen, die sich vor allem in den fruchtbaren Oasen und den Hauptstädten der Staaten konzentrieren. Bis 2100 wird mit einer Verdoppelung der Bevölkerung gerechnet.<ref name="Unger 2013">Unger-Shayesteh, K. et al. (2013): What do we know about past changes in the water cycle of Central Asian headwaters? A review, Global and Planetary Change 110, 4–25</ref> Das Gebiet gehört zu den wichtigsten Regionen auf der Welt, die wahrscheinlich durch Schnee- und [[Gletscher in Zentralasien|Gletscherschmelze]] aufgrund des [[Klimawandel]]s mit Wasserknappheit, sozialen Konflikten und politischer Gewalt rechnen müssen.<ref name="Siegfried 2012">Siegfried, T., et al. (2012): Will climate change exacerbate water stress in Central Asia?, Climatic Change 112, 881–899, DOI 10.1007/s10584-011-0253-z</ref>  
Im semiariden bis ariden Zentralasien hängen Leben und Wirtschaft stark von den Wasserressourcen ab, die aus den Oberläufen der Flüsse aus dem Tien Shan und dem Pamir stammen. In den Gebirgsregionen fallen hohe Niederschläge von z.T. mehr als 1800 mm pro Jahr. Sie werden daher auch als "Wasserstürme" oder "Wasserschlösser" der umgebenden kontinentalen und sehr trockenen Tiefländer bezeichnet, wo häufig nur 150 mm/Jahr Niederschlag fallen.<ref name="Unger-Shayesteh 2015">Unger-Shayesteh, K., D. Düthmann, A. Gafurov, L. Gerlitz & S. Vorogushyn (2015): [https://www.klima-warnsignale.uni-hamburg.de/buchreihe/das-eis-der-erde/kapitel-7-4-die-bedeutung-der-kryosphaere-im-tien-shan-als-wasserturm-fuer-zentralasien/ Die Bedeutung der Kryosphäre im Tien Shan als »Wasserturm« für Zentralasien.] In: Lozán, J. L., H. Grassl, D. Kasang, D. Notz & H. Escher-Vetter (Hrsg.). Warnsignal Klima: Das Eis der Erde. pp.271-278. Online: www.klima-warnsignale.uni-hamburg.de. doi:10.2312/warnsignal.klima.eis-der-erde.41</ref> Aufgrund der hohen Lage fallen die Niederschläge in den Berggebieten als Schnee und werden in Schneeschichten, Firn oder Eis gespeichert. In den Sommermonaten geben diese Speicher das Wasser an die großen Flusssysteme Amu Darya und Syr Darya ab und sorgen somit für die Wasserversorgung in den flussabwärts liegenden Trockengebieten. Dabei dominiert die Schneeschmelze von Mai bis Juni und die Gletscherschmelze von Juli bis August. Im Jahresmittel macht die Schneeschmelze über 60% des Abflusses aus, während im Sommer auch der Abfluss von den Gletschern überwiegen kann.<ref name="Barandun 2020">Barandun, M., J. Fiddes, M. Scherler, T. Mathys, T. Saks, D. Petrakov, M. Hoelzle (2020): The state and future of the cryosphere in Central Asia, Water Secur., 11, Article 100072, 10.1016/j.wasec.2020.100072</ref> So trägt das Gletscherwasser im Tien Shan im Spätsommer 40-60% zum Abfluss bei.<ref name="Barandun 2021">Barandun, M., Pohl, E., Naegeli, K., McNabb, R., Huss, M., Berthier, E., et al. (2021): [https://doi.org/10.1029/2020GL092084 Hot spots of glacier mass balance variability in Central Asia.] Geophysical Research Letters, 48, e2020GL092084.</ref> In den Staaten Zentralasiens (Kirgisistan, Usbekistan, Turkmenistan, Tadschikistan, Kasachstan) leben mehr als 65 Millionen Menschen.<ref name="Hamidov 2016">Hamidov, A., Helming, K., Balla, D., (2016): [https://doi.org/10.1007/s13593-015-%200337-7 Impact of agricultural land use in Central Asia: a review.] Agron. Sustain. Dev. 36, 6.</ref> Das Gebiet gehört zu den wichtigsten Regionen auf der Welt, die durch Schnee- und Gletscherschmelze aufgrund des Klimawandels mit Wasserknappheit, sozialen Konflikten und politischer Gewalt rechnen müssen.<ref name="Siegfried 2012">Siegfried, T., et al. (2012): Will climate change exacerbate water stress in Central Asia?, Climatic Change 112, 881–899, DOI 10.1007/s10584-011-0253-z</ref>


Die Wassernutzung der Region ist unterschiedlich. Die energiereichen, aber wasserarmen Länder stromauf (Kirgisistan, Tadschikistan) nutzen das Wasser zur Stromgewinnung, die mehr stromabwärts gelegenen Staaten (Usbekistan, Turkmenistan und Kasachstan) brauchen das Wasser für die landwirtschaftliche Bewässerung im Sommer. Mit 85-97 % werden die Wasserressourcen in Zentralasien insgesamt hauptsächlich von der Landwirtschaft genutzt. Im Jahre 2009 wurden mehr als 8 Millionen ha Land bewässert. Dabei spielt die Speicherung von Wasser in Schneelagen und Gletschern eine entscheidende Rolle. Im trockenen Sommer, wenn das Wasser am meisten gebraucht wird, wird das im Winter akkumulierte Wasser durch Eis- und Schneeschmelze wieder freigesetzt.<ref name="Unger 2013" /> Rund 22 Millionen Menschen hängen von der bewässerten Landwirtschaft ab, die (mit Ausnahme des ölreichen Kasachstan) zudem noch eine zentrale wirtschaftliche Stellung besitzt. Seit den 1950er Jahren hat sich die Bewässerungswirtschaft außerdem stark intensiviert, mit z.T. gravierenden Umweltfolgen wie etwa der weitgehenden Austrocknung des Aralsees. Die Wassernutzung der Region ist dadurch kompliziert, dass sich die Hauptflüsse Syr Darya und Amu Darya mit ihren Einzugsgebieten seit dem Ende der Sowjetunion über mehrere Staaten erstrecken.<ref name="Siegfried 2012" />
Zwischen den Staaten Zentralasiens sind die Wasserressourcen ungleich verteilt (Abb. 2). Die hochgelegenen Staaten Kirgisistan und Tadschikistan liegen an der Quelle des Gebirgswassers und erzeugen über 70% der Wasserressourcen der Region, sie verbrauchen aber nur rund 10%. Die Tieflandstaaten Kasachstan, Turkmenistan und Usbekistan generieren dagegen nur 20% der Wasserressourcen, verbrauchen aber je nach Land 50-75%.<ref name="Chen 2018">Chen, Y., Z. Li, G. Fang & W. Li (2018): Large hydrological processes changes in the transboundary rivers of Central Asia. Journal of Geophysical Research: Atmospheres, 123, 5059–5069. https://doi.org/10.1029/2017JD028184</ref> Die Landwirtschaft ist der Hauptverbraucher des Wasserangebots. Sie nimmt 70% der Fläche Zentralasiens ein, wovon allerdings der bei weitem größte Teil als Weideland genutzt wird. Das bewässerte Land erstreckt sich über 5-10% der landwirtschaftlich genutzten Fläche. Weizen und Baumwolle bestimmen den Anbau. Das Wasser wird durch offene Kanäle von den Flüssen auf die Felder geleitet. Wegen mangelhafter Drainage ist es in Zentralasien zu einer Bodendegradation und Versalzung von fast 50% des bewässerten Landes gekommen, in Turkmenistan sogar zu 96%. Die Folge war ein Rückgang der Produktion von Baumwolle und Weizen.<ref name="Hamidov 2016" /> In den hoch gelegenen Staaten Kirgisistan und Tadschikistan profitiert neben der Landwirtschaft auch die Stromproduktion von dem Schmelzwasser aus den Bergen.


== Gletscher als Wasserressourcen ==
Die zentralasiatischen Staaten gehören zu den Ländern mit dem höchsten Pro-Kopf-Verbrauch an Wasser. In Turkmenistan wird dabei mit mehr als 5.000 m³ pro Jahr und Einwohner weltweit mit Abstand das meiste Wasser pro Kopf verbraucht.<ref name="Unger-Shayesteh 2015" /> Mit 85-97 % werden die Wasserressourcen in Zentralasien insgesamt hauptsächlich von der Landwirtschaft genutzt. Im Jahre 2009 wurden mehr als 8 Millionen ha Land bewässert.<ref name="Unger-Shayesteh 2013">Unger-Shayesteh, K. et al. (2013): What do we know about past changes in the water cycle of Central Asian headwaters? A review, Global and Planetary Change 110, 4–25</ref> Rund 22 Millionen Menschen hängen von der bewässerten Landwirtschaft ab, die (mit Ausnahme des ölreichen Kasachstan) eine zentrale wirtschaftliche Stellung besitzt. Seit den 1950er Jahren hat sich die Bewässerungswirtschaft außerdem stark intensiviert, mit z.T. gravierenden Umweltfolgen wie etwa der weitgehenden Austrocknung des Aralsees. Die Wassernutzung der Region ist dadurch kompliziert, dass sich die Hauptflüsse Syr Darya und Amu Darya mit ihren Einzugsgebieten seit dem Ende der Sowjetunion über mehrere Staaten erstrecken.<ref name="Siegfried 2012" />
 
[[Bild:Tien Shan Gletscher.jpg|thumb|460px|Abb. 3: Eis- und Schneebedeckung des Tien Shan im Oktober 2012]]
[[Bild:CentralAsia snowmelt 1980-2100.jpg|thumb|460px|Abb. 4: Abnahme der Schneedicke im westlichen Tien Shan 1981-2100 nach Modellberechnungen mit dem hohen Szenario RCP8.5]]
== Schnee und Gletscher als Wasserressourcen ==
 
=== Klimaänderungen ===
Der Klimawandel hat sich in Zentralasien bereits im 20. Jahrhundert mit einem Temperaturanstieg von 0,18 bis 0,42 °C pro Jahrzehnt bemerkbar gemacht. Bis zum Ende des 21. Jahrhunderts wird bei dem hohen [[RCP-Szenarien|Szenario RCP8.5]] im Vergleich zu 1981-2010 eine Temperaturzunahme der Jahresmittel um 5 °C und der Sommertemperatur um 6,5 °C erwartet, was deutlich über dem globalen Mittel liegen würde.<ref name="Didovets 2021">Didovets, I., A. Lobanova, V. Krysanova et al. (2021): [https://doi.org/10.1016/j.ejrh.2021.100779 Central Asian rivers under climate change: Impacts assessment in eight representative catchments], Journal of Hydrology: Regional Studies 34</ref> Besonders stark ist schon heute der Temperaturanstieg in den Gebirgsregionen und vor allem in den schnee- und eisbedeckten höheren Lagen. So nahm die Temperatur im Tien Shan seit Mitte des 20. Jahrhunderts um bis zu 0,4 °C pro Jahrzehnt zu.<ref name=Chen 2016">Chen, Y., L. Weihong, H. Deng et al. (2016): Changes in Central Asia’s Water Tower: Past, Present and Future. Scientific Reports 6, 35458; doi: 10.1038/srep35458; Lizenz: CC BY http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/</ref> Die jährlichen Niederschläge haben sich in Zentralasien bisher dagegen nur wenig und regional unterschiedlich geändert, wobei im Norden eher Zunahmen von bis zu 11% und im Süden bis 15 % Abnahmen registriert wurden. Bei zukünftigen Niederschlägen wird damit gerechnet, dass sie im Sommer in den meisten Gebieten um bis zu 50% abnehmen, im Winter und Frühling dagegen um bis zu 30% und mehr zunehmen werden.<ref name="Didovets 2021" /> Im Tien Shan zeigte sich schon in den letzten ca. 50 Jahren eine deutliche Zunahme im Winter, im westlichen Tien Shan sogar um 23%.<ref name=Chen 2016" />
 
=== Änderung der Schneebedeckung ===
Höhere Temperaturen haben für die Schnee- und Gletscherbedeckung negative Auswirkungen, höhere Niederschläge bewirken das Gegenteil. Die Folgen von Temperatursteigerungen auf Schneefall und Schneebedeckung sind vielfältig. Zum einen fällt bei einer Erwärmung der Niederschlag zunehmend als Regen und weniger als Schnee. Dadurch verkürzt sich in der Regel die Schneesaison, und die Schneefallgrenze wandert nach oben. Bereits in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts hat sich die Schneedicke im Tien Shan um 8-14 cm verringert (Abb. 4).<ref name=Hoelzle 2020">Hoelzle, M., M. Barandun, T. Bolch et al. (2020): The status and role of the alpine cryosphere in Central Asia, Ch. 8, in: Xenarios, S., D. Schmidt-Vogt, M. Qadir et al.: The Aral Sea Basin. Water for Sustainable Development in Central Asia</ref> Auch die Dauer der Schneebedeckung hat sich im Mittel um neun Tage reduziert, und deren maximale Ausdehnung zeigt zwischen 2002 und 2013 einen abnehmenden Trend um 672 km<sup>2</sup> pro Jahr.<ref name=Chen 2016" /> Die frühere Schneeschmelze führt dazu, dass die dunklere Oberfläche von Felsuntergrund und Gletschern frei wird und die Albedo abnimmt. Die Folgen sind eine stärkere Absorption der Sonneneinstrahlung und weiter zunehmende Erwärmung.
 
[[Bild:Glaciers Central Asia 1960-2020.jpg|thumb|460px|Abb. 5: Zeitserien der kumulativen Änderung der Massenbilanz von einzelnen Gletschern in Zentralasien in m Wasseräquivalent (Abramov: Pamir; alle anderen Gletscher: Tien Shan) ]]
=== Änderung der Vergletscherung ===
* Hauptartikel: [[Gletscher in Zentralasien]]
* Hauptartikel: [[Gletscher in Zentralasien]]
Ein großer Teil der Zuflüsse stammt aus dem Tien Shan, einem ca. 2000 km langen Gebirgszug, der wegen seiner vielen Gletscher und deren Bedeutung für die Wasserführung der Flüsse auch als "Wasserschloss Asiens" bekannt ist. Die [[Gletscher in Zentralasien|Gletscher des Tien Shan]] tragen einen erheblichen Teil zu den Süßwasserressourcen im trockenen Sommer in den Staaten Kirgisistan, Usbekistan, Turkmenistan, Kasachstan und Xinjiang (West-China) bei. Sie sind besonders in den trockenen Sommermonaten, wenn das Wasser für die Bewässerung der Felder am meisten gebraucht wird, von entscheidender Bedeutung. In Kirgistan stammt der Abfluss der Flüsse im Jahresmittel zu 15 % aus Gletscherwasser, wobei in der Schmelzphase die Gletscher eine 1,5 bis 3 Mal so große Menge liefern. In stark vergletscherten Einzugsgebieten der Flussoberläufe kann der Anteil in dieser Zeit bis zu 80 % betragen.<ref name="Sorg">Sorg, A., et al. (2012): Climate change impacts on glaciers and runoff in Tien Shan (Central Asia), Nature Climate Change 2, 725–731, doi:10.1038/nclimate1592</ref>
Außer von der Schneebedeckung ist die Wasserversorgung Zentralasiens in hohem Maße auch von der Vergletscherung in den beiden Hochgebirgen Tien Shan und Pamir abhängig. Im Tien Shan gibt es mindestens 15.000 Gletscher, die eine Fläche von 12.300 km<sup>2</sup> bedecken (Abb. 3); die Anzahl der Gletscher im Pamir wird auf 13.000, die Fläche auf 12.800 km<sup>2</sup> geschätzt.<ref name="Barandun 2020" /> Bei der großen Mehrheit handelt es sich um kleine Gletscher mit einer Fläche von weniger als 2 km<sup>2</sup>.
 
Fast alle Gletscher des Tien Shan zeigen seit den 1960er Jahren einen abnehmenden Trend. Regional sind mit 20% der Fläche am stärksten die Gletscher im westlichen Tien Shan zurückgegangen. Der Verlust war außerdem am größten in Gebieten mit kleineren Gletschern sowie bei Gletschern in tieferen Lagen. Der Massenverlust belief sich im westlichen Tien Shan zwischen 2000 und 2018 auf -0,3 m Wasseräquivalent (WE) im Jahr, im zentralen Tien Shan auf -0,13 m und im östlichen Tien Shan auf -0,5 m WE im Jahr.<ref name="Barandun 2020" /> Nach Modellsimulationen wird das heutige Eisvolumen des Tien Shan bis 2050 möglicherweise auf die Hälfte geschrumpft sein.<ref name=Chen 2016" />
 
Für den Pamir zeigen Berechnungen hohe Abnahmen der Eismasse von -0,5 m WE/Jahr im westlichen Pamir und geringe Zunahmen in dem für Zentralasien weniger relevanten östlichen Teil.<ref name="Barandun 2021" /> Quantitative Angaben liegen für den Pamir im Wesentlichen für einzelne Gletscher vor, so für den Abramov-Gletscher im nordwestlichen Pamir ein kumulativer Massenverlust von ca. 20 m WE zwischen 1960 und 2019 (Abb. 5). Die vergletscherten Flächen nehmen ebenfalls tendenziell ab, und zwar ähnlich wie im Tien Shan mehr in den unteren Lagen als in höheren Gletschergebieten. Für die meisten Flusseinzugsgebiete wurde eine Zunahme der Flächenabnahme im beginnenden 21. Jahrhundert berichtet, besonders in Gebieten mit kleineren Gletschern.<ref name=Hoelzle 2020" />
 
[[Bild:Tien-Shan-Wasserspeicher-2003-2013.jpg|thumb|460px|Abb. 6: Änderung des vor allem in Eis und Schnee gespeicherten Wassers im Tien Shan zwischen 2003 bis 2014 in mm/Jahr.]]


== Änderung der Abflussmengen ==
== Änderung der Abflussmengen ==
Änderungen der Schnee- und Gletscherbedeckung haben direkte Konsequenzen für die gespeicherten Wasserressourcen.<ref name=Chen 2016" /> In den meisten Schneegebieten kommt es durch die höheren Temperaturen zu einem früheren Einsetzen der Schneeschmelze. Die Folge ist eine frühere und durch den oft höheren Schneefall stärkere Abflussspitze. So verschob sich das Hochwassermaximum im Syr Darya von Frühjahr und frühen Sommer auf den späten Winter und frühen Frühling. In einzelnen Zuflüssen erhöhte sich die Abflussmenge zwischen den Zeiträumen 1960-1997 und 1998-2015 um 50% und mehr. Die Konsequenzen für die Gebiete flussabwärts sind gravierend und stellen große Herausforderungen an das Wassermanagement. Zum einen erhöht sich die Gefahr von Hochwasserereignissen durch jahreszeitlich frühere Abflussspitzen. Zum anderen drohen hohe Wasserstände und die Wachstumszeit der Anbaufrüchte zeitlich zunehmend auseinanderzufallen.<ref name="Yang 2019">Yang, T.., Q. Li, S. Ahmad, H. Zhou, and L. Li (2019): Changes in Snow Phenology from 1979 to 2016 over the Tianshan Mountains, Central Asia, Remote Sensing 11, no. 5: 499. https://doi.org/10.3390/rs11050499</ref> In den nächsten Jahrzehnten wird sich dieser Trend fortsetzen. Eine Temperaturzunahme um 2 °C und ein Rückgang der Niederschläge um 30% würde in diesem Jahrhundert die Speicherung von Wasser in Schnee im Monat März um fast ein Drittel verringern.<ref name=Hoelzle 2020" />


Seit dem Ende der letzten Eiszeit haben sich auch die [[Gletscher in Zentralasien|Gletscher des Tien Shan zurückgezogen]], zunehmend seit den 1970er Jahren. Das beeinflusst die Quantität und die saisonale Verteilung des Abflusses in den gletschergespeisten Wassereinzugsgebieten. Auch wenn schmelzende Gletscher in der ersten Phase den Abfluss verstärken, wird das reduzierte Gletschervolumen ihn im Endeffekt verringern. Das ist möglicherweise in Kirgistan bereits sichtbar. Zwar ist hier der jährliche Oberflächenabfluss von 47,1 km<sup>3</sup> in 1947-1972 auf 50 km<sup>3</sup> in 1973-2000 angestiegen. Im Sommerhalbjahr hat der Abfluss während der Gletscherschmelze jedoch - wahrscheinlich als Folge des Gletscherrückgangs - abgenommen. Das wurde aber kompensiert durch einen höheren Winterabfluss, der dadurch zugenommen hat, dass aufgrund der höheren Temperaturen mehr Niederschlag in Form von Regen statt als Schnee fiel.<ref name="Sorg" /> Gerade die Landwirtschaft braucht das Wasser vielerorts aber in den trockenen Sommermonaten.
Das Abschmelzen der Gletscher führt zunächst zu einem höheren Abfluss besonders in den trockenen Sommermonaten, der teilweise schon zu beobachten ist und größtenteils bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts anhalten wird.<ref name=Hoelzle 2020" /> Da sich die verbleibende Masse der Gebirgsgletscher ab Mitte des 21. Jahrhunderts deutlich verringert haben wird, werden auch die Abflussmengen in den beiden großen Flusssystemen des Amu Darya und Syr Darya abnehmen, nach Modellberechnungen um bis zu 40%. Für die Sommermonate wird bei einem hohen Klimaszenario sogar mit einer Abnahme der Abflussmengen von bis zu 60% gerechnet. Außerdem wird sich durch die frühere Schnee- und Eisschmelze der Höhepunkt des Abflusses im Jahresverlauf im späteren 21. Jahrhundert noch weiter nach vorne verschieben.<ref name="Didovets 2021" /> Das für die Zukunft drohende Ausbleiben des Gletscherwassers gerade in den trockenen Sommermonaten wird für die landwirtschaftliche Bewässerung in der Hauptwachstumszeit wahrscheinlich ein noch größeres Problem darstellen als der Rückgang der Schneebedeckung. Tien Shan und Pamir sind damit in ihrer Funktion als Wassertürme für Zentralasien ernsthaft bedroht.
 
== Projektionen ==


Der Abfluss in den wichtigsten Tien-Shan-Flüssen wird in naher Zukunft möglicherweise stabil bleiben oder durch die zunehmende Gletscherschmelze bzw. steigenden Niederschläge sogar leicht ansteigen. Er wird bis zum Ende des 21. Jahrhunderts aber wahrscheinlich geringer sein als heute. Bis 2100 könnte er nach Berechnungen mit den [[IPCC]]-[[Klimaszenarien|Szenarien]] B1 und A1Fl von heute 50 km<sup>3</sup> auf 32-41 km<sup>3</sup> sinken. Die Unsicherheiten solcher Berechnungen sind allerdings groß. Die Wasserressourcen werden durch den Rückgang der Gletscher allerdings jahreszeitlich stärker schwanken, da das Gletscherwasser bisher vor allem für den trockenen Sommer einen Ausgleich für die geringeren Niederschläge lieferte. Auch Schwankungen von Jahr zu Jahr werden in der Wasserführung der Flüsse zunehmen, da auch die jährlichen Niederschlagsschwankungen relativ hoch sind.<ref name="Sorg" /> 
== Perspektiven ==
In Zentralasien droht das Abschmelzen von Schneebedeckung und Gletschern die Wasserversorgung einer großen Bevölkerung und von Ökosystemen zu gefährden. Bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts ist allerdings zunächst mit einer Zunahme des Abflusses aus den vergletscherten und verschneiten Gebirgsregionen zu rechnen. Durch Bevölkerungszunahme und die Ausdehnung der Bewässerungslandwirtschaft wächst allerdings schon seit langem auch der Wasserbedarf. Dennoch bleibt eine Atempause, um sich auf die vor allem für die Landwirtschaft, aber auch für die Trinkwasserversorgung der Bevölkerung und die Energieerzeugung mit Wasserkraft nach der Jahrhundertmitte drohende katastrophische Situation einzustellen. In Zentralasien lassen sich kaum neue Wasserquellen erschließen. Hier bedarf es einerseits einer politischen Kooperation zwischen den wasserreichen und den von ihnen abhängigen wasserarmen Staaten, um die bereits vorhandenen zwischenstaatliche Konflikte<ref>Gajsina, L. (2017): [https://novastan.org/de/kirgistan/die-funf-wichtigsten-wasserkonflikte-in-zentralasien/ Die fünf wichtigsten Wasserkonflikte in Zentralasien]</ref> um Wasser zu begrenzen. Andererseits ist eine Verbesserung der Wassernutzung vor allem in der Landwirtschaft, die in den meisten Staaten 90% des Wassers verbraucht, unumgänglich. Sowohl effektivere Bewässerungsmethoden, die gegenwärtig weitgehend auf veralteten und defekten Anlagen basieren, wie die Auswahl von weniger bewässerungsintensiven Anbaufrüchten bieten Lösungsmöglichkeiten.


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
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== Weblinks ==
== Weblinks ==
* Unger-Shayesteh, K., D. Düthmann, A. Gafurov, L. Gerlitz & S. Vorogushyn (2015): [http://www.klima-warnsignale.uni-hamburg.de/eis-der-erde/eis-der-erde-buch-kap-7-4/ Die Bedeutung der Kryosphäre im Tien Shan als »Wasserturm« für Zentralasien.] In: Lozán, J. L., H. Grassl, D. Kasang, D. Notz & H. Escher-Vetter (Hrsg.). [http://www.klima-warnsignale.uni-hamburg.de/eis-der-erde/ Warnsignal Klima: Das Eis der Erde.] pp.271-278.
* Unger-Shayesteh, K., D. Düthmann, A. Gafurov, L. Gerlitz & S. Vorogushyn (2015): [https://www.klima-warnsignale.uni-hamburg.de/buchreihe/das-eis-der-erde/kapitel-7-4-die-bedeutung-der-kryosphaere-im-tien-shan-als-wasserturm-fuer-zentralasien/ Die Bedeutung der Kryosphäre im Tien Shan als »Wasserturm« für Zentralasien.] In: Lozán, J. L., H. Grassl, D. Kasang, D. Notz & H. Escher-Vetter (Hrsg.). [https://www.klima-warnsignale.uni-hamburg.de/buchreihe/das-eis-der-erde/ Warnsignal Klima: Das Eis der Erde.] pp.271-278.
 


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==Klimadaten zum Thema==
==Klimadaten zum Thema==
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Version vom 10. Mai 2023, 19:22 Uhr

Abb. 1: Verlauf des Syr Darya in Kasachstan mit toten Mäandern und Kanälen; oben links Baumwollfelder
Abb. 2: Das Missverhältnis zwischen Produktion und Verbrauch von Wasser zwischen den Staaten Mittelasiens. Dargestellt sind die Anteile am Wasser der Flusseinzugsgebiete des Amu Darya (Turkmenistan, Usbekistan, Tadschikistan) und Syr Darya (Kasachstan, Usbekistan, Kirgistan) in %. Beim Aralsee sind die restlichen Wasserflächen nach einer NASA-Aufnahme vom August 2021 sowie die frühere Ausdehnung gezeigt.

Wassernutzung

Im semiariden bis ariden Zentralasien hängen Leben und Wirtschaft stark von den Wasserressourcen ab, die aus den Oberläufen der Flüsse aus dem Tien Shan und dem Pamir stammen. In den Gebirgsregionen fallen hohe Niederschläge von z.T. mehr als 1800 mm pro Jahr. Sie werden daher auch als "Wasserstürme" oder "Wasserschlösser" der umgebenden kontinentalen und sehr trockenen Tiefländer bezeichnet, wo häufig nur 150 mm/Jahr Niederschlag fallen.[1] Aufgrund der hohen Lage fallen die Niederschläge in den Berggebieten als Schnee und werden in Schneeschichten, Firn oder Eis gespeichert. In den Sommermonaten geben diese Speicher das Wasser an die großen Flusssysteme Amu Darya und Syr Darya ab und sorgen somit für die Wasserversorgung in den flussabwärts liegenden Trockengebieten. Dabei dominiert die Schneeschmelze von Mai bis Juni und die Gletscherschmelze von Juli bis August. Im Jahresmittel macht die Schneeschmelze über 60% des Abflusses aus, während im Sommer auch der Abfluss von den Gletschern überwiegen kann.[2] So trägt das Gletscherwasser im Tien Shan im Spätsommer 40-60% zum Abfluss bei.[3] In den Staaten Zentralasiens (Kirgisistan, Usbekistan, Turkmenistan, Tadschikistan, Kasachstan) leben mehr als 65 Millionen Menschen.[4] Das Gebiet gehört zu den wichtigsten Regionen auf der Welt, die durch Schnee- und Gletscherschmelze aufgrund des Klimawandels mit Wasserknappheit, sozialen Konflikten und politischer Gewalt rechnen müssen.[5]

Zwischen den Staaten Zentralasiens sind die Wasserressourcen ungleich verteilt (Abb. 2). Die hochgelegenen Staaten Kirgisistan und Tadschikistan liegen an der Quelle des Gebirgswassers und erzeugen über 70% der Wasserressourcen der Region, sie verbrauchen aber nur rund 10%. Die Tieflandstaaten Kasachstan, Turkmenistan und Usbekistan generieren dagegen nur 20% der Wasserressourcen, verbrauchen aber je nach Land 50-75%.[6] Die Landwirtschaft ist der Hauptverbraucher des Wasserangebots. Sie nimmt 70% der Fläche Zentralasiens ein, wovon allerdings der bei weitem größte Teil als Weideland genutzt wird. Das bewässerte Land erstreckt sich über 5-10% der landwirtschaftlich genutzten Fläche. Weizen und Baumwolle bestimmen den Anbau. Das Wasser wird durch offene Kanäle von den Flüssen auf die Felder geleitet. Wegen mangelhafter Drainage ist es in Zentralasien zu einer Bodendegradation und Versalzung von fast 50% des bewässerten Landes gekommen, in Turkmenistan sogar zu 96%. Die Folge war ein Rückgang der Produktion von Baumwolle und Weizen.[4] In den hoch gelegenen Staaten Kirgisistan und Tadschikistan profitiert neben der Landwirtschaft auch die Stromproduktion von dem Schmelzwasser aus den Bergen.

Die zentralasiatischen Staaten gehören zu den Ländern mit dem höchsten Pro-Kopf-Verbrauch an Wasser. In Turkmenistan wird dabei mit mehr als 5.000 m³ pro Jahr und Einwohner weltweit mit Abstand das meiste Wasser pro Kopf verbraucht.[1] Mit 85-97 % werden die Wasserressourcen in Zentralasien insgesamt hauptsächlich von der Landwirtschaft genutzt. Im Jahre 2009 wurden mehr als 8 Millionen ha Land bewässert.[7] Rund 22 Millionen Menschen hängen von der bewässerten Landwirtschaft ab, die (mit Ausnahme des ölreichen Kasachstan) eine zentrale wirtschaftliche Stellung besitzt. Seit den 1950er Jahren hat sich die Bewässerungswirtschaft außerdem stark intensiviert, mit z.T. gravierenden Umweltfolgen wie etwa der weitgehenden Austrocknung des Aralsees. Die Wassernutzung der Region ist dadurch kompliziert, dass sich die Hauptflüsse Syr Darya und Amu Darya mit ihren Einzugsgebieten seit dem Ende der Sowjetunion über mehrere Staaten erstrecken.[5]

Abb. 3: Eis- und Schneebedeckung des Tien Shan im Oktober 2012
Abb. 4: Abnahme der Schneedicke im westlichen Tien Shan 1981-2100 nach Modellberechnungen mit dem hohen Szenario RCP8.5

Schnee und Gletscher als Wasserressourcen

Klimaänderungen

Der Klimawandel hat sich in Zentralasien bereits im 20. Jahrhundert mit einem Temperaturanstieg von 0,18 bis 0,42 °C pro Jahrzehnt bemerkbar gemacht. Bis zum Ende des 21. Jahrhunderts wird bei dem hohen Szenario RCP8.5 im Vergleich zu 1981-2010 eine Temperaturzunahme der Jahresmittel um 5 °C und der Sommertemperatur um 6,5 °C erwartet, was deutlich über dem globalen Mittel liegen würde.[8] Besonders stark ist schon heute der Temperaturanstieg in den Gebirgsregionen und vor allem in den schnee- und eisbedeckten höheren Lagen. So nahm die Temperatur im Tien Shan seit Mitte des 20. Jahrhunderts um bis zu 0,4 °C pro Jahrzehnt zu.[9] Die jährlichen Niederschläge haben sich in Zentralasien bisher dagegen nur wenig und regional unterschiedlich geändert, wobei im Norden eher Zunahmen von bis zu 11% und im Süden bis 15 % Abnahmen registriert wurden. Bei zukünftigen Niederschlägen wird damit gerechnet, dass sie im Sommer in den meisten Gebieten um bis zu 50% abnehmen, im Winter und Frühling dagegen um bis zu 30% und mehr zunehmen werden.[8] Im Tien Shan zeigte sich schon in den letzten ca. 50 Jahren eine deutliche Zunahme im Winter, im westlichen Tien Shan sogar um 23%.[9]

Änderung der Schneebedeckung

Höhere Temperaturen haben für die Schnee- und Gletscherbedeckung negative Auswirkungen, höhere Niederschläge bewirken das Gegenteil. Die Folgen von Temperatursteigerungen auf Schneefall und Schneebedeckung sind vielfältig. Zum einen fällt bei einer Erwärmung der Niederschlag zunehmend als Regen und weniger als Schnee. Dadurch verkürzt sich in der Regel die Schneesaison, und die Schneefallgrenze wandert nach oben. Bereits in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts hat sich die Schneedicke im Tien Shan um 8-14 cm verringert (Abb. 4).[10] Auch die Dauer der Schneebedeckung hat sich im Mittel um neun Tage reduziert, und deren maximale Ausdehnung zeigt zwischen 2002 und 2013 einen abnehmenden Trend um 672 km2 pro Jahr.[9] Die frühere Schneeschmelze führt dazu, dass die dunklere Oberfläche von Felsuntergrund und Gletschern frei wird und die Albedo abnimmt. Die Folgen sind eine stärkere Absorption der Sonneneinstrahlung und weiter zunehmende Erwärmung.

Abb. 5: Zeitserien der kumulativen Änderung der Massenbilanz von einzelnen Gletschern in Zentralasien in m Wasseräquivalent (Abramov: Pamir; alle anderen Gletscher: Tien Shan)

Änderung der Vergletscherung

Außer von der Schneebedeckung ist die Wasserversorgung Zentralasiens in hohem Maße auch von der Vergletscherung in den beiden Hochgebirgen Tien Shan und Pamir abhängig. Im Tien Shan gibt es mindestens 15.000 Gletscher, die eine Fläche von 12.300 km2 bedecken (Abb. 3); die Anzahl der Gletscher im Pamir wird auf 13.000, die Fläche auf 12.800 km2 geschätzt.[2] Bei der großen Mehrheit handelt es sich um kleine Gletscher mit einer Fläche von weniger als 2 km2.

Fast alle Gletscher des Tien Shan zeigen seit den 1960er Jahren einen abnehmenden Trend. Regional sind mit 20% der Fläche am stärksten die Gletscher im westlichen Tien Shan zurückgegangen. Der Verlust war außerdem am größten in Gebieten mit kleineren Gletschern sowie bei Gletschern in tieferen Lagen. Der Massenverlust belief sich im westlichen Tien Shan zwischen 2000 und 2018 auf -0,3 m Wasseräquivalent (WE) im Jahr, im zentralen Tien Shan auf -0,13 m und im östlichen Tien Shan auf -0,5 m WE im Jahr.[2] Nach Modellsimulationen wird das heutige Eisvolumen des Tien Shan bis 2050 möglicherweise auf die Hälfte geschrumpft sein.[9]

Für den Pamir zeigen Berechnungen hohe Abnahmen der Eismasse von -0,5 m WE/Jahr im westlichen Pamir und geringe Zunahmen in dem für Zentralasien weniger relevanten östlichen Teil.[3] Quantitative Angaben liegen für den Pamir im Wesentlichen für einzelne Gletscher vor, so für den Abramov-Gletscher im nordwestlichen Pamir ein kumulativer Massenverlust von ca. 20 m WE zwischen 1960 und 2019 (Abb. 5). Die vergletscherten Flächen nehmen ebenfalls tendenziell ab, und zwar ähnlich wie im Tien Shan mehr in den unteren Lagen als in höheren Gletschergebieten. Für die meisten Flusseinzugsgebiete wurde eine Zunahme der Flächenabnahme im beginnenden 21. Jahrhundert berichtet, besonders in Gebieten mit kleineren Gletschern.[10]

Abb. 6: Änderung des vor allem in Eis und Schnee gespeicherten Wassers im Tien Shan zwischen 2003 bis 2014 in mm/Jahr.

Änderung der Abflussmengen

Änderungen der Schnee- und Gletscherbedeckung haben direkte Konsequenzen für die gespeicherten Wasserressourcen.[9] In den meisten Schneegebieten kommt es durch die höheren Temperaturen zu einem früheren Einsetzen der Schneeschmelze. Die Folge ist eine frühere und durch den oft höheren Schneefall stärkere Abflussspitze. So verschob sich das Hochwassermaximum im Syr Darya von Frühjahr und frühen Sommer auf den späten Winter und frühen Frühling. In einzelnen Zuflüssen erhöhte sich die Abflussmenge zwischen den Zeiträumen 1960-1997 und 1998-2015 um 50% und mehr. Die Konsequenzen für die Gebiete flussabwärts sind gravierend und stellen große Herausforderungen an das Wassermanagement. Zum einen erhöht sich die Gefahr von Hochwasserereignissen durch jahreszeitlich frühere Abflussspitzen. Zum anderen drohen hohe Wasserstände und die Wachstumszeit der Anbaufrüchte zeitlich zunehmend auseinanderzufallen.[11] In den nächsten Jahrzehnten wird sich dieser Trend fortsetzen. Eine Temperaturzunahme um 2 °C und ein Rückgang der Niederschläge um 30% würde in diesem Jahrhundert die Speicherung von Wasser in Schnee im Monat März um fast ein Drittel verringern.[10]

Das Abschmelzen der Gletscher führt zunächst zu einem höheren Abfluss besonders in den trockenen Sommermonaten, der teilweise schon zu beobachten ist und größtenteils bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts anhalten wird.[10] Da sich die verbleibende Masse der Gebirgsgletscher ab Mitte des 21. Jahrhunderts deutlich verringert haben wird, werden auch die Abflussmengen in den beiden großen Flusssystemen des Amu Darya und Syr Darya abnehmen, nach Modellberechnungen um bis zu 40%. Für die Sommermonate wird bei einem hohen Klimaszenario sogar mit einer Abnahme der Abflussmengen von bis zu 60% gerechnet. Außerdem wird sich durch die frühere Schnee- und Eisschmelze der Höhepunkt des Abflusses im Jahresverlauf im späteren 21. Jahrhundert noch weiter nach vorne verschieben.[8] Das für die Zukunft drohende Ausbleiben des Gletscherwassers gerade in den trockenen Sommermonaten wird für die landwirtschaftliche Bewässerung in der Hauptwachstumszeit wahrscheinlich ein noch größeres Problem darstellen als der Rückgang der Schneebedeckung. Tien Shan und Pamir sind damit in ihrer Funktion als Wassertürme für Zentralasien ernsthaft bedroht.

Perspektiven

In Zentralasien droht das Abschmelzen von Schneebedeckung und Gletschern die Wasserversorgung einer großen Bevölkerung und von Ökosystemen zu gefährden. Bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts ist allerdings zunächst mit einer Zunahme des Abflusses aus den vergletscherten und verschneiten Gebirgsregionen zu rechnen. Durch Bevölkerungszunahme und die Ausdehnung der Bewässerungslandwirtschaft wächst allerdings schon seit langem auch der Wasserbedarf. Dennoch bleibt eine Atempause, um sich auf die vor allem für die Landwirtschaft, aber auch für die Trinkwasserversorgung der Bevölkerung und die Energieerzeugung mit Wasserkraft nach der Jahrhundertmitte drohende katastrophische Situation einzustellen. In Zentralasien lassen sich kaum neue Wasserquellen erschließen. Hier bedarf es einerseits einer politischen Kooperation zwischen den wasserreichen und den von ihnen abhängigen wasserarmen Staaten, um die bereits vorhandenen zwischenstaatliche Konflikte[12] um Wasser zu begrenzen. Andererseits ist eine Verbesserung der Wassernutzung vor allem in der Landwirtschaft, die in den meisten Staaten 90% des Wassers verbraucht, unumgänglich. Sowohl effektivere Bewässerungsmethoden, die gegenwärtig weitgehend auf veralteten und defekten Anlagen basieren, wie die Auswahl von weniger bewässerungsintensiven Anbaufrüchten bieten Lösungsmöglichkeiten.

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Unger-Shayesteh, K., D. Düthmann, A. Gafurov, L. Gerlitz & S. Vorogushyn (2015): Die Bedeutung der Kryosphäre im Tien Shan als »Wasserturm« für Zentralasien. In: Lozán, J. L., H. Grassl, D. Kasang, D. Notz & H. Escher-Vetter (Hrsg.). Warnsignal Klima: Das Eis der Erde. pp.271-278. Online: www.klima-warnsignale.uni-hamburg.de. doi:10.2312/warnsignal.klima.eis-der-erde.41
  2. 2,0 2,1 2,2 Barandun, M., J. Fiddes, M. Scherler, T. Mathys, T. Saks, D. Petrakov, M. Hoelzle (2020): The state and future of the cryosphere in Central Asia, Water Secur., 11, Article 100072, 10.1016/j.wasec.2020.100072
  3. 3,0 3,1 Barandun, M., Pohl, E., Naegeli, K., McNabb, R., Huss, M., Berthier, E., et al. (2021): Hot spots of glacier mass balance variability in Central Asia. Geophysical Research Letters, 48, e2020GL092084.
  4. 4,0 4,1 Hamidov, A., Helming, K., Balla, D., (2016): Impact of agricultural land use in Central Asia: a review. Agron. Sustain. Dev. 36, 6.
  5. 5,0 5,1 Siegfried, T., et al. (2012): Will climate change exacerbate water stress in Central Asia?, Climatic Change 112, 881–899, DOI 10.1007/s10584-011-0253-z
  6. Chen, Y., Z. Li, G. Fang & W. Li (2018): Large hydrological processes changes in the transboundary rivers of Central Asia. Journal of Geophysical Research: Atmospheres, 123, 5059–5069. https://doi.org/10.1029/2017JD028184
  7. Unger-Shayesteh, K. et al. (2013): What do we know about past changes in the water cycle of Central Asian headwaters? A review, Global and Planetary Change 110, 4–25
  8. 8,0 8,1 8,2 Didovets, I., A. Lobanova, V. Krysanova et al. (2021): Central Asian rivers under climate change: Impacts assessment in eight representative catchments, Journal of Hydrology: Regional Studies 34
  9. 9,0 9,1 9,2 9,3 9,4 Chen, Y., L. Weihong, H. Deng et al. (2016): Changes in Central Asia’s Water Tower: Past, Present and Future. Scientific Reports 6, 35458; doi: 10.1038/srep35458; Lizenz: CC BY http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
  10. 10,0 10,1 10,2 10,3 Hoelzle, M., M. Barandun, T. Bolch et al. (2020): The status and role of the alpine cryosphere in Central Asia, Ch. 8, in: Xenarios, S., D. Schmidt-Vogt, M. Qadir et al.: The Aral Sea Basin. Water for Sustainable Development in Central Asia
  11. Yang, T.., Q. Li, S. Ahmad, H. Zhou, and L. Li (2019): Changes in Snow Phenology from 1979 to 2016 over the Tianshan Mountains, Central Asia, Remote Sensing 11, no. 5: 499. https://doi.org/10.3390/rs11050499
  12. Gajsina, L. (2017): Die fünf wichtigsten Wasserkonflikte in Zentralasien

Weblinks


Klimadaten zum Thema

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Schülerarbeiten zum Thema

Schülerarbeiten zum Thema des Artikels aus dem Schulprojekt Klimawandel:

  • Indischer Sommermonsum Führt die Klimaerwärmung zur Unbewohnbarkeit von Teilen des indischen Sommermonsumgebietes? (Johanneum zu Lübeck, Lübeck)
  • Klimawandel und Gletscherschmelze Welche Ursachen und Auswirkungen hat das Schmelzen der Gletscher im Himalaya und am Kilimandscharo? (Gymnasium Osterbek, Hamburg)
  • Eis und Klima: Gletscher Über die Ursachen des Abschmelzens von Gletschern und die Gefahren durch abschmelzende Gletscher (Anne-Frank-Schule Bargteheide, Bargteheide)

Lizenzhinweis

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