Strahlungsantrieb von Aerosolen

Aus Klimawandel
Abb. 1: Die direkte Klimawirkung der Aerosole

Überblick

Die Wirkung der anthropogenen Treibhausgase wie Kohlendioxid, Methan oder Lachgas auf den Strahlungshaushalt der Atmosphäre ist seit langem bekannt und seit Jahrzehnten Gegenstand intensiver Forschung. Dass auch die durch menschliche Aktivitäten erzeugten Aerosole das Klima beeinflussen, hat erst seit den 1990er Jahren genügend Beachtung gefunden. Die Kenntnis über die klimatische Rolle der Aerosole ist vor allem wegen der komplizierten Materie auch heute noch mit zahlreichen Unsicherheiten behaftet. Die meisten Treibhausgase haben eine lange atmosphärische Verweilzeit, die bis zu 100 Jahre und mehr betragen kann, und sind daher in der Atmosphäre gut durchmischt. Aerosole sind dagegen wegen ihrer kurzen Lebensdauer regional sehr unterschiedlich verteilt. Das lokale und regionale Wetter kann die horizontale und vertikale Verteilung wie auch die Mischungsverhältnisse der Aerosole rasch wandeln. Chemische Prozesse sorgen zudem dafür, dass die einzelnen Aerosole in kürzester Zeit auch ihre Eigenschaften stark verändern können. Die klimatische Wirkung der Aerosole ist entsprechend komplex und quantitativ äußerst schwierig zu erfassen.

Abb. 2: Die indirekte Klimawirkung der Aerosole besteht in ihrem Einfluss auf die Wolkenbildung. Aerosole dienen im allgemeinen als Kondensationskerne und fördern die Wolkenbildung, wodurch Sonnenstrahlen stärker reflektiert werden (1. indirekte Wirkung). Bei einer höheren Anzahl von Kondensationskernen verringert sich die Tröpfchengröße, was eine Verringerung der Niederschläge und Verlängerung der Lebensdauer der Wolken zur Folge hat (2. indirekter Effekt). Die absorbierenden Ruß-Aerosole bewirken dagegen Erwärmung und Wolkenauflösung, wodurch mehr Sonnenstrahlen den Boden erreichen (semidirekter Effekt).

Grundsätzlich werden ein direkter und ein indirekter Einfluss von Aerosolen auf den Strahlungshaushalt und das Klima unterschieden. Die direkte Wirkung (Abb. 1) der Aerosole auf den Strahlungshaushalt (der direkte Strahlungsantrieb der Aerosole) besteht erstens darin, dass einige Aerosole wie vor allem die Sulfat-Aerosole, die solare Strahlung teilweise zurück in den Weltraum reflektieren und klimatisch daher eine abkühlende Wirkung besitzen. Zum direkten Einfluss gehört zweitens aber auch, dass einige andere Aerosole, vor allem Rußpartikel, solare Strahlung absorbieren, wodurch die umgebende Atmosphäre erwärmt, die bodennahen Luftschichten aber abgekühlt werden. Die indirekte Wirkung (Abb. 2) resultiert aus dem Einfluss der Aerosole auf die Wolkenbildung und den Niederschlag. Dieser Einfluss besteht darin, dass Aerosole die für die Bildung von Tröpfchen und Eiskristallen nötigen Kondensations- bzw. Eiskerne stellen. Man unterscheidet zwei indirekte Effekte.

  1. Aufgrund zusätzlicher Aerosole können sich mehr Wassertröpfchen bilden als sonst. Der Wasserdampf in der Atmosphäre kondensiert daher zu mehr Tröpfchen, die daher kleiner sind als bei einer geringeren Anzahl an Kondensationskernen. Zahlreichere Tröpfchen streuen jedoch mehr Sonnenlicht in den Weltraum zurück, denn ihre geringere Größe wird durch die Anzahl der Tröpfchen überkompensiert.
  2. Der zweite indirekte Effekt ist die verlängerte Lebensdauer von Wolken. Aufgrund der geringeren Größe brauchen Tropfen länger, um zu Regentropfen anzuwachsen und auszufällen.

Die klimatische Wirkung der indirekten Strahlungsantriebe ist ebenfalls negativ bzw. abkühlend, wobei die Unsicherheiten des Kenntnisstandes hier noch größer als bei der direkten Wirkung sind.

Name

unmittelbare Wirkung

Wirkung an der Obergrenze der Atmosphäre

Wirkung in der bodennahen Luftschicht

Direkter Effekt

Reflexion z.T. Absorption

Abkühlung z.T. Erwärmung

Abkühlung

Indirekte Effekte

Wasser-Wolkenbildung
Eis- oder Mischwolken

Abkühlung z.T. Erwärmung

Abkühlung z.T. Erwärmung

Semidirekter Effekt

Absorption und Wolkenauflösung

Erwärmung

Erwärmung

Globaler Strahlungsantrieb

Der Strahlungsantrieb von Aerosolen wird im allgemeinen durch den Unterschied zwischen dem vorindustriellen Zustand und dem gegenwärtigen bestimmt und in der Regel auf die Strahlung an der Obergrenze der Atmosphäre bezogen. Schätzungen der direkten Wirkung von Aerosolen auf den Strahlungshaushalt zeigen eine relativ große Bandbreite und beruhen weitgehend auf Modellstudien.

Nach dem 6. Bericht des Weltklimarates IPCC von 2021 betrug der Strahlungseffekt durch die zunehmende, vom Menschen verursachte Belastung der Atmosphäre mit Aerosolen zwischen 1750 und 2019 -1,06 W/m2, wobei -0,22 W/m2 der direkten Strahlungswirkung von Aerosolen zugeschrieben wird und -0,84 W/m2 der Wechselwirkung zwischen Aerosolen und Wolken. Der Strahlungsantrieb durch langlebige anthropogene Treibhausgase und Ozon wird dagegen auf 3,8 W/m2 geschätzt.[1] Die Unsicherheitsspanne für den Strahlungseffekt von Aerosolen ist dabei relativ groß, weil die Strahlungswirkung von Aerosolen wegen ihrer geringen Größe, ihrer Vielfalt, ihrer kurzen Lebensdauer und heterogenen geographischen Verbreitung sowie der komplexen Reaktionen mit Wolken und anderen Bestandteilen der Atmosphäre quantitativ sehr schwer abzuschätzen sind. Vor allem ist der Einfluss von Aerosolen auf die Wolken noch wenig verstanden. Jüngere Untersuchungen liegen bei etwa derselben Größenordnung.[2] Das übersetzt sich in eine Temperaturveränderung von -0,13 °C für die direkte Wirkung und -0,38 °C für die indirekte Wirkung von Aerosolen.[3] Dem steht eine Erwärmung durch langlebige Treibhausgase und Ozon von 1,81 °C gegenüber. Zheng et al. (2020) kommen zu der Einschätzung, dass Aerosole den Klimawandel bisher um etwa 40 Jahre verzögert haben.[4] Ohne den Aerosol-Effekt wäre die 1,5 °C Grenze zu einem „gefährlichen“ Klimawandel bereits überschritten.[2]

Regionale Unterschiede

Da Aerosole räumlich sehr heterogen verbreitet sind, kann sich ihre regionale Wirkung erheblich von den globalen Durchschnittswerten unterscheiden. Die globalen Mittelwerte sind daher wenig aussagekräftig. Den stärksten Strahlungseffekt gibt es in den und in der Nähe der Emissionsregionen, die zugleich – wie z.B. Süd- und Ostasien – zu den am dichtesten bevölkerten Regionen der Erde gehören.[5] In der jeweiligen Region stoßen verschiedene Aerosole auf unterschiedliche klimatische Bedingungen, durch die ihre Wirkung beeinflusst wird. So unterscheidet sich ihre Wirkung in tropischen Monsungebieten von der in der Westwindzone der mittleren Breiten. Durch die Abkühlung der Temperaturen über dem Land im Sommer schwächen Aerosole z.B. den Land-Meer-Gegensatz und damit die Monsunzirkulation ab, wie etwa den Monsun im östlichen China.[6] Auch über Südasien hat die Verbrennung von Biomasse und fossiler Energieträger zu einer starken Aerosolverbreitung geführt und die Bedeckung mit Wolken in der unteren Atmosphäre verstärkt, wodurch ebenfalls eine Abkühlung über Land stattgefunden hat.[7] Aerosoleinflüsse werden ebenso bei ENSO, der Verschiebung der Innertropischen Konvergenz und den Zugbahnen der Tiefdruckgebiete in den mittleren Breiten angenommen.[6] Auch wenn Aerosole hauptsächlich in ihren lokal begrenzten Entstehungsgebieten vorkommen und dort ihre Wirkung entfalten, können sie aber auch durch atmosphärische Strömungen in entfernte Gebiete transportiert werden (Abb. 3),[8] so im Lee der Entstehungsgebiete oder in Regionen wie der Arktis, in der geringe Antriebe durch die Eis- und Schnee-Albedo-Rückkopplung verstärkt werden. Änderungen der europäischen Emissionen von Schwefeldioxid (SO2) etwa haben außerhalb des Entstehungsgebietes ihre stärkste Wirkung auf die Temperaturen in der Arktis.[9]

Abb. 3: Fernwirkungen von Aerosolen. Die lila Pfeile zeigen die Fernwirkungen europäischer Aerosole, die grünen Pfeile die von Ostasien. Außerdem ist die Walkerzirkulation als zentraler Transportweg in den Tropen eingezeichnet.

Nach dem 2. Weltkrieg gab es zunächst einige Jahrzehnte lang einen starken Anstieg der Aerosolbelastung (vor allem von Sulfat-Aerosolen) in Europa und Nordamerika infolge der auf die Nutzung fossiler Energien basierenden Industrie- und Verkehrsentwicklung. Die zunehmende Aerosolbelastung erwies sich jedoch bald als ein Problem für die Gesundheit der Bevölkerung und wurde zudem für sauren Regen und Waldsterben verantwortlich gemacht. Die schlechte Luftqualität durch Aerosole verkürzte nach Berechnungen das Leben der Menschen im globalen Mittel um 20 Monate. In Europa und den USA wurden seit den 1970er/1980er Jahren daher Maßnahmen ergriffen, die zu einer deutlichen Reduzierung der Schwefeldioxid-Emissionen führten. Der Klimawandel spielte in den 1970er Jahren, als die amerikanischen und europäischen Staaten Gesetze für eine sauberer Luft beschlossen, noch keine Rolle.[8]

Abb. 4: Änderung der globalen SO2-Emissionen 1990 bis 2015 in TgS. Der grün gestreifte Bereich zeigt aufgrund der unsicheren Datenlage eine mögliche Überschätzung der chinesischen Emissionen.

Als Ergebnis haben in Europa die Aerosol-Emissionen seit den 1980er Jahren stark abgenommen, ähnlich in den USA, wo sie 1989 bis 2010 jährlich um 1-3% zurückgegangen sind. Der Rückgang ist vor allem auf die Abnahme der Emissionen von Sulfataerosolen (SO2) zurückzuführen, die primär ein Resultat aus der Verbrennung fossiler Energien sind. In Europa und Nordamerika haben die SO2-Emissionen um 70-80% abgenommen.[10] Im Gegensatz dazu haben Aerosol-Emissionen in China bis 2010 deutlich zu- und erst danach leicht abgenommen, während sich in Indien der Anstieg weiter fortgesetzt hat.[2] Abb. 4 zeigt daher einen deutlichen Rückgang der Emissionen in Nordamerika und Europa, aber ab 2010 auch in China (Ostasien), eine weitere Zunahme jedoch über Südasien. Seit 2010 haben sich die beiden Hauptquellen der Emissionen von Aerosolen und ihrer Vorläuferstoffe, Indien und China, gegensätzlich entwickelt. In Indien hat die Aerosol-Belastung weiter zugenommen, in China haben die Emissionskontrollen einen Rückgang bewirkt. In Südasien hat daher die Sonneneinstrahlung um -0,91 W/m2 seit 2003 abgenommen, in Ostasien um 1,23 W/m2 zugenommen.[11]

Global war das Ergebnis eine Abnahme der SO2-Emissionen zwischen 1990 und 2015 um 55 Tg Schwefel bzw. 31%. Da Aerosole einen Abkühlungseffekt auf die Atmosphäre haben, bedeutet dieser Rückgang eine Zunahme des Strahlungsantriebs und damit eine Erwärmung. Eine geringere Aerosolbelastung der Atmosphäre bedeutet, dass weniger Sonnenstrahlung reflektiert und stattdessen die Erdoberfläche erwärmt wird. In Europa haben Modellsimulationen sogar eine Zunahme des Strahlungsantriebs von 3-4 W/m2 ergeben[10] (Abb. 5) und damit allein durch die Schwefeldioxidabnahme eine Erwärmung von 0,17 °C. Noch stärker hat sich der Rückgang der europäischen SO2-Emissionen mit 1 °C über der Arktis ausgewirkt, verursacht durch die Eis-Albedo-Rückkopplung und andere Verstärkungsfaktoren.[9] Über Indien, Südostasien und Brasilien hat die Reflexion durch Aerosole dagegen weiter zugenommen, so dass die untere Atmosphäre durch die Veränderung der Aerosolkonzentration sich weiter abkühlte. Der globale Netto-Effekt wird auf +0,29 W/m2 für die zwei Jahrzehnte von 2000 bis 2019 geschätzt.[2]

Abb. 5: Änderung der Sulfat-Belastung 1970-2010 (links) und die resultierende Änderung der Strahlung (rechts)

Einzelnachweise

  1. IPCC (2021): Climate Change 2021, WG I: The Science of Climate Change, Figure 7.6
  2. 2,0 2,1 2,2 2,3 Quaas, J., H. Jia, C. Smith, A.L. Albright et al. (2022): Robust evidence for reversal of the trend in aerosol effective climate forcing, Atmos. Chem. Phys., 22, 12221–12239, https://doi.org/10.5194/acp-22-12221-2022
  3. IPCC (2021): Climate Change 2021, WG I: The Science of Climate Change, Figure 7.7
  4. Zheng, Y., Davis, S.J., Persad, G.G. et al. (2020): Climate effects of aerosols reduce economic inequality. Nat. Clim. Chang. 10, 220–224
  5. Samset, B. H., Sand, M., Smith, C. J., Bauer, S. E., Forster, P. M., Fuglestvedt, J. S., Osprey, S., & Schleussner, C.-F. (2018): Climate impacts from a removal of anthropogenic aerosol emissions. Geophysical Research Letters, 45, 1020–1029
  6. 6,0 6,1 Wang, Z., Xue, L., Liu, J. et al. (2022): Roles of Atmospheric Aerosols in Extreme Meteorological Events: a Systematic Review. Curr Pollution Rep 8, 177–188
  7. Ding, K., Huang, X., Ding, A. et al. (2021): Aerosol-boundary-layer-monsoon interactions amplify semi-direct effect of biomass smoke on low cloud formation in Southeast Asia. Nat Commun 12, 6416
  8. 8,0 8,1 Persad, G., B.H. Samset and L.J. Wilcox et al. (2023): Rapidly evolving aerosol emissions are a dangerous omission from near-term climate risk assessments, Environmental Research: Climate 2, 3
  9. 9,0 9,1 Westervelt, D.M., N.R. Mascioli, A.M. Fiore et al. (2020): Local and remote mean and extreme temperature response to regional aerosol emissions reductions, Atmos. Chem. Phys., 20, 3009–3027
  10. 10,0 10,1 Aas, W., A. Mortier, V. Bowersox et al. (2019): Global and regional trends of atmospheric sulfur. Sci Rep 9, 953. https://doi.org/10.1038/s41598-018-37304-0
  11. Xiang, B., Xie, SP., Kang, S.M. et al. (2023): An emerging Asian aerosol dipole pattern reshapes the Asian summer monsoon and exacerbates northern hemisphere warming. npj Clim Atmos Sci 6, 77. https://doi.org/10.1038/s41612-023-00400-8

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