2-Grad-Ziel: Unterschied zwischen den Versionen

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In der Klimapolitik besteht ein weitreichender Konsens darüber, dass bei einer Begrenzung der [[Klimaprojektionen|globalen Erwärmung]] auf 2° C bzw. neuerdings auf 1,5 °C über dem vorindustriellen Wert eine gefährliche Störung des [[Klimasystem]]s durch den Menschen gerade noch vermieden werden kann. Bei einer Überschreitung der 2(1,5)-Grad-Grenze würden die Folgen des Klimawandels nicht mehr kontrolliert werden können. [[Wetterextreme und Klimawandel|Wetterextreme]] und andere Klimafolgen würden ein gefährliches und kaum zu bewältigendes Maß annehmen und die [[Kosten des Klimawandels|ökonomischen Kosten]] unvertretbar hoch ansteigen lassen.  
In der Klimapolitik besteht ein weitreichender Konsens darüber, dass bei einer Begrenzung der [[Klimaprojektionen|globalen Erwärmung]] auf 2° C bzw. neuerdings auf 1,5 °C über dem vorindustriellen Wert eine gefährliche Störung des [[Klimasystem]]s durch den Menschen gerade noch vermieden werden kann. Bei einer Überschreitung der 2(1,5)-Grad-Grenze würden die Folgen des Klimawandels nicht mehr kontrolliert werden können. [[Wetterextreme und Klimawandel|Wetterextreme]] und andere Klimafolgen würden ein gefährliches und kaum zu bewältigendes Maß annehmen und die [[Kosten des Klimawandels|ökonomischen Kosten]] unvertretbar hoch ansteigen lassen.  


Das sog. 2-Grad-Ziel geht als politische Zielformulierung auf einen Vorschlag der EU aus dem Jahre 1996 zurück, der 2005 wiederholt und später von zahlreichen internationalen Organisationen aufgegriffen wurde.<ref>Randalls, S. (2010): History of the 2◦C climate target, WIREs Climate Change1, 598-605</ref>  Eine wichtige Rolle bei der Begründung und Ausgestaltung des 2-Grad-Ziels spielte der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU).<ref name="WBGU 2009">WBGU (2009): [http://www.wbgu.de/sondergutachten/sg-2009-budgetansatz/ Kassensturz für den Weltklimavertrag – Der Budgetansatz], Sondergutachten 2009, Berlin, 2009</ref> 2009 wurde das Ziel im Abschlussdokument der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen aufgegriffen, blieb aber unverbindlich. Auf der Weltklimakonferenz der Vereinten Nationen vom 30. November bis 12. Dezember 2015 in Paris wurde ein Nachfolgevertrag für das Kyoto-Protokoll von 1997 mit verbindlichen Klimazielen für alle 195 Mitgliedsstaaten der UN-Klimarahmenkonvention vereinbart. Als Ziel wurde festgeschrieben, die globale Erwärmung auf deutlich unter 2 °C, idealerweise sogar auf 1,5 °C über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Auf diese Weise sollen gefährliche Folgen für die menschliche Gesellschaft und natürliche Ökosysteme abgewendet werden.<ref> [http://unfccc.int/resource/docs/2015/cop21/eng/l09r01.pdf Text des Vertrages der Pariser Klimakonferenz] (engl.)</ref>
Das sog. 2-Grad-Ziel geht als politische Zielformulierung auf einen Vorschlag der EU aus dem Jahre 1996 zurück, der 2005 wiederholt und später von zahlreichen internationalen Organisationen aufgegriffen wurde.<ref>Randalls, S. (2010): History of the 2°C climate target, WIREs Climate Change1, 598-605</ref>  Eine wichtige Rolle bei der Begründung und Ausgestaltung des 2-Grad-Ziels spielte der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU).<ref name="WBGU 2009">WBGU (2009): [https://www.wbgu.de/de/publikationen/publikation/kassensturz-fuer-den-weltklimavertrag-der-budgetansatz Kassensturz für den Weltklimavertrag – Der Budgetansatz], Sondergutachten 2009, Berlin, 2009</ref> 2009 wurde das Ziel im Abschlussdokument der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen aufgegriffen, blieb aber unverbindlich. Auf der Weltklimakonferenz der Vereinten Nationen vom 30. November bis 12. Dezember 2015 in Paris wurde ein Nachfolgevertrag für das Kyoto-Protokoll von 1997 mit verbindlichen Klimazielen für alle 195 Mitgliedsstaaten der UN-Klimarahmenkonvention vereinbart (The Paris Agreement).<ref name="UN">United Nations: [https://unfccc.int/process-and-meetings/the-paris-agreement/the-paris-agreement The Paris Agreement]</ref> Als Ziel wurde festgeschrieben, die globale Erwärmung auf deutlich unter 2 °C, idealerweise sogar auf 1,5 °C über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Auf diese Weise sollen gefährliche Folgen für die menschliche Gesellschaft und natürliche Ökosysteme abgewendet werden.<ref> [http://unfccc.int/resource/docs/2015/cop21/eng/l09r01.pdf Text des Vertrages der Pariser Klimakonferenz] (engl.)</ref>


Das Pariser Abkommen gilt für alle Staaten, nicht nur wie das Kyoto-Protokoll für nur einige Industriestaaten. Fast alle Staaten der Erde haben im Rahmen des Abkommens nationale Klimaschutzziele definiert, die sie allerdings selbst bestimmt haben. Ärmeren Staaten soll durch Wissens- und Tehnologietransfer bei der Umsetzung geholfen werden. Alle fünf Jahre sollen neue, jeweils anspruchsvollere Ziele vorgelegt werden. Damit wurde auf die veränderte Situation seit dem Kyoto-Protokoll reagiert, das heute nur noch 15 % der weltweiten Emissionen abdeckt. Verursachten damals die Industrieländer noch über die Hälfte der Emissionen, sind es heute nur noch ein Drittel.<ref name="BMU 2017">Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (2017): [https://www.bmu.de/themen/klima-energie/klimaschutz/internationale-klimapolitik/pariser-abkommen/ Die Klimakonferenz von Paris]</ref>
Das Pariser Abkommen gilt für alle Staaten, nicht nur wie das Kyoto-Protokoll für nur einige Industriestaaten. Fast alle Staaten der Erde haben im Rahmen des Abkommens nationale Klimaschutzziele definiert, die sie allerdings selbst bestimmt haben. Ärmeren Staaten soll durch Wissens- und Tehnologietransfer bei der Umsetzung geholfen werden. Alle fünf Jahre sollen neue, jeweils anspruchsvollere Ziele vorgelegt werden. Damit wurde auf die veränderte Situation seit dem Kyoto-Protokoll reagiert, das heute nur noch 15 % der weltweiten Emissionen abdeckt. Verursachten damals die Industrieländer noch über die Hälfte der Emissionen, sind es heute nur noch ein Drittel.<ref name="BMU 2017">Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (2017): [https://www.bmuv.de/themen/klimaschutz-anpassung/klimaschutz/internationale-klimapolitik/pariser-abkommen Die Klimakonferenz von Paris]</ref>


[[Bild:2° limit skepticalscience.png|thumb|520px|Abb. 2: Nach Daten der NASA liegt die aktuelle Temperatur 1 °C über dem vorindustriellen (hier 1880-1909) Wert.]]
[[Bild:2° limit skepticalscience.png|thumb|520px|Abb. 2: Nach Daten der NASA liegt die aktuelle Temperatur 1 °C über dem vorindustriellen (hier 1880-1909) Wert.]]
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== Was bedeutet das 2-Grad-Ziel? ==
== Was bedeutet das 2-Grad-Ziel? ==


Mit dem 2-Grad-Ziel ist eine Erwärmung der [[Globale Mitteltemperatur|globalen Mitteltemperatur]] über den vorindustriellen Wert hinaus gemeint. Es geht also nicht darum, um wie viele Grad Celsius die Temperatur gegenüber heute noch zunehmen darf. Gegenwärtig liegt die globale Mitteltemperatur bereits um 1 °C über dem vorindustriellen Niveau. Die Trägheit des Klimasystems, d.h. vor allem die langsame [[Erwärmung des Ozeans|Reaktionszeit des Ozeans]], hat den Temperaturanstieg über 1 °C hinaus bisher verzögert. Bei Fortsetzung des gegenwärtigen Trends von 0,2 °C pro Jahrzehnt werden 1,5 °C im Zeitraum 2030-2052 erreicht. Auch bei einem totalen Stopp der aktuellen Emissionen wird die bisherige Erwärmung Jahrhunderte bis Jahrtausende bestehen bleiben. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die bis heute erfolgten Emissionen in den nächsten zwei bis drei Jahrzehnten eine weitere Erwärmung von bis zu 0,5 °C verursachen könnten.<ref name="IPCC 2018">IPCC (2018): [http://report.ipcc.ch/sr15/pdf/sr15_spm_final.pdf Global Warming of 1.5°C: Summary for Policymakers]</ref>
Mit dem 2-Grad-Ziel ist eine Erwärmung der [[Globale Mitteltemperatur|globalen Mitteltemperatur]] über den vorindustriellen Wert hinaus gemeint (Abb. 1). Es geht also nicht darum, um wie viele Grad Celsius die Temperatur gegenüber heute noch zunehmen darf. Gegenwärtig liegt die globale Mitteltemperatur bereits um etwa 1 °C über dem vorindustriellen Niveau. Bezogen auf das Jahrzehnt 2011-2020 sind es 1,1 °C<ref name="IPCC SPM 2021">IPCC, 2021: Climate Change 2021: The Physical Science Basis, Summary for Policymakers</ref> und auf das einzelne Jahr 2020 laut WMO 1,2 °C,<ref name="WMO 2021">World Meteorological Organization (2021): State of the Global Climate 2020</ref> im Vergleich jeweils zu der vorindustriellen Basis 1850-1900. Es verbleiben also nur noch 0,4 °C bis zur Erreichung der 1,5-Grad-Grenze und 0,8 °C bis zu einer Erwärmung um 2 °C. Die Differenz bis 1,5 °C entspricht etwa dem Unterschied zwischen den 1990er und den 2010er Jahren. Tatsächlich geht der neueste Bericht des Weltklimarates IPCC davon aus, dass die 1,5-Grad-Grenze bereits in den 2030er Jahren bei den mittleren und hohen Szenarien überschritten wird und die 2-Grad-Erwärmung um die Mitte des Jahrhunderts.<ref name="IPCC SPM 2021" /> Auch die niedrigen Szenarien werden die Pariser Ziele bis zum Ende des Jahrhunderts wahrscheinlich nur über sog. "negative Emissionen" (s.u.) erreichen.
[[Bild:CO2 emissions 1.5-2.0°C.png|thumb|520px|Abb. 3: CO<sub>2</sub>-Emissionen zur Einhaltung der 1.5- bzw. 2.0-Grad-Grenze bis 2100. Links sind die jährlichen CO<sub>2</sub>-Emissionen angegeben. Die dünnen Linien zeigen unterschiedliche Modellberechnungen, die dicken Linien Mittelwerte. Zur Einhaltung der Ziele von Paris sind in fast allen Fällen negative Emissionen notwendig.]]


== Kann die 2- bzw. 1,5-Grad-Grenze eingehalten werden? ==
== Kann die 2- bzw. 1,5-Grad-Grenze eingehalten werden? ==
Um die 2 °C Grenze nicht zu überschreiten, müssten die CO<sub>2</sub>-Emissionen bis 2030 um 25 % gegenüber 2010 abnehmen und um 2070 auf null sinken. Bei einer Begrenzung der Erwärmung bis 2100 auf 1,5 °C wäre eine Abnahme bis 2030 um 45 % erforderlich und Null-Emissionen um 2050.<ref name="IPCC dt 2019">IPCC, dt. Koordinierungsstelle (2019): [https://www.ipcc.ch/site/assets/uploads/2019/03/SR1.5-SPM_de_barrierefrei-2.pdf 1,5 °C Globale Erwärmung. Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger], dt. Übersetzung</ref> In beiden Fällen ist außerdem auch eine deutliche Minderung der Nicht-CO<sub>2</sub>-Emissionen (Methan, Lachgas, FCKW u.a.) nötig, deren Wirkung bis zum Ende des Jahrhunderts auf 0,15 °C geschätzt wird.<ref name="IPCC 2018" />  
* S. auch [[Verbleibendes CO2-Budget]]
[[Bild:CO2 emissions 1.5-2.0°C.png|thumb|520px|Abb. 3: CO2-Emissionen zur Einhaltung der 1.5- bzw. 2.0-Grad-Grenze bis 2100. Links sind die jährlichen CO2-Emissionen angegeben. Die dünnen Linien zeigen unterschiedliche Modellberechnungen, die dicken Linien Mittelwerte. Zur Einhaltung der Ziele von Paris sind in fast allen Fällen negative Emissionen notwendig.]]
Um die 2 °C Grenze nicht zu überschreiten, müssten die [[Kohlendioxidemissionen|CO<sub>2</sub>-Emissionen]] bis 2030 um 25 % gegenüber 2010 abnehmen und um 2070 auf null sinken. Bei einer Begrenzung der Erwärmung bis 2100 auf 1,5 °C wäre eine Abnahme bis 2030 um 45 % erforderlich und Null-Emissionen um 2050.<ref name="IPCC dt 2019">IPCC, dt. Koordinierungsstelle (2019): [https://www.ipcc.ch/site/assets/uploads/2019/03/SR1.5-SPM_de_barrierefrei-2.pdf 1,5 °C Globale Erwärmung. Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger], dt. Übersetzung</ref> In beiden Fällen ist außerdem auch eine deutliche Minderung der Nicht-CO<sub>2</sub>-Emissionen (Methan, Lachgas, FCKW u.a.) nötig, deren Wirkung bis zum Ende des Jahrhunderts auf 0,15 °C geschätzt wird.<ref name="IPCC 2018" />  
[[Bild:CAT-Thermometer-2022.11.png|thumb|520px|Abb. 4: Pariser Klimaziele und die aktuelle Klimapolitik:<br /> Die Erwärmung gegenüber der vorindustriellen Zeit liegt gegenwärtig bei +1,2 °C. Die Beschlüsse der Klimakonferenz von Paris 2015 streben eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 °C, höchstens 2 °C bis 2100 an. Die aktuelle Klimapolitik steuert jedoch auf eine Erwärmung von ca. 2,7 °C zu. Die seit der Pariser Konferenz übernommenen Verpflichtungen der einzelnen Staaten bis 2030 laufen auf eine Erwärmung von ca. 2,4 °C, die langfristigen Zusagen und Ziele auf 2,0 °C hinaus. Bei einem sehr optimistischen Szenario könnte die globale Erwärmung auf 1,8 °C begrenzt werden. 1,5 °C scheinen nicht mehr erreichbar zu sein. ]]


Eine wichtige Frage in diesem Zusammenhang ist das Gesamtbudget an CO<sub>2</sub>-Emissionen, das zur Erreichung des 2,0/1,5 °C Ziels von heute an nicht überschritten werden darf. Also die Frage: Wie viele Milliarden Tonnen (Gt=Gigatonnen) Kohlendioxid kann durch menschliche Aktivitäten bis zu einem bestimmten Zeitpunkt noch emittiert werden, ohne die Grenze von 2,0 bzw. 1,5 °C bis zum Ende des 21. Jahrhunderts zu überschreiten.  Im Mittelpunkt stehen dabei die Emissionen durch Verbrennung fossiler Energieträger, weil sie mit Abstand den größten Anteil an allen Treibhausgasen besitzen und die stärkste Steigerung aufweisen. CO<sub>2</sub>-Emissionen durch Änderung der Bodenbedeckung (Abholzung von Wäldern etc.) und weitere Treibhausgase wie Methan und Distickstoffoxid spielen für die Temperatursteigerung in den nächsten Jahrzehnten jedoch ebenfalls eine Rolle und sollten deshalb nicht vernachlässigt werden.  Wegen der langen Verweilzeit von Kohlendioxid in der Atmosphäre müssen dabei auch die bisherigen kumulativen Emissionen seit Beginn der Industrialisierung berücksichtigt werden, die sich bereits auf 2200 Gt CO<sub>2</sub> belaufen.<ref name="IPCC dt 2019" />  
Eine wichtige Frage in diesem Zusammenhang ist das Gesamtbudget an CO<sub>2</sub>-Emissionen, das zur Erreichung des 2,0/1,5 °C Ziels von heute an nicht überschritten werden darf. Also die Frage: Wie viele Milliarden Tonnen (Abkürzung häufig: Gt = Gigatonnen) Kohlendioxid können durch menschliche Aktivitäten bis zu einem bestimmten Zeitpunkt noch emittiert werden, ohne die Grenze von 2,0 bzw. 1,5 °C bis zum Ende des 21. Jahrhunderts zu überschreiten.  Im Mittelpunkt stehen dabei die Emissionen durch Verbrennung fossiler Energieträger, weil sie mit Abstand den größten Anteil an allen Treibhausgasen besitzen und die stärkste Steigerung aufweisen. CO<sub>2</sub>-Emissionen durch Änderung der Bodenbedeckung (Abholzung von Wäldern etc.) und weitere Treibhausgase wie [[Methan]] und [[Lachgas|Distickstoffoxid]] spielen für die Temperatursteigerung in den nächsten Jahrzehnten jedoch ebenfalls eine Rolle und sollten deshalb nicht vernachlässigt werden.  Wegen der langen [[Treibhausgase#Anthropogene_Treibhausgase_.28Tabelle.29|Verweilzeit von Kohlendioxid]] in der Atmosphäre müssen dabei auch die bisherigen kumulativen Emissionen seit Beginn der Industrialisierung berücksichtigt werden, die sich bereits auf 2200 Gt CO<sub>2</sub> belaufen.<ref name="IPCC dt 2019" /> Es besteht eine [https://www.de-ipcc.de/media/content/AR6-WGI-SPM_deutsch_barrierefrei.pdf#page=37 nahezu lineare Beziehung zwischen den kumulativen CO2-Emissionen und dem Anstieg der globalen Oberflächentemperatur.] 


Bei einer 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit, die 1,5 °C Grenze nicht zu überschreiten, beläuft sich das noch verbleibende Budget nach dem IPCC-Bericht zur Einhaltung der 1,5-°C-Grenze<ref name="IPCC 2018" />  auf 580 Gt CO<sub>2</sub>, bei einer 66-prozentigen Wahrscheinlichkeit auf 420 Gt CO<sub>2</sub>. Diese Werte sind allerdings mit großen Unsicherheiten behaftet, die u.a. die Wirkung von nicht-CO<sub>2</sub>-Gasen wie vor allem Methan betreffen.  
Bei einer 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit, die 1,5 °C Grenze nicht zu überschreiten, beläuft sich das noch verbleibende Budget nach dem IPCC-Bericht zur Einhaltung der 1,5-°C-Grenze<ref name="IPCC 2018">IPCC (2018): [http://report.ipcc.ch/sr15/pdf/sr15_spm_final.pdf Global Warming of 1.5°C: Summary for Policymakers]</ref>  auf 580 Gt CO<sub>2</sub>, bei einer 66-prozentigen Wahrscheinlichkeit auf 420 Gt CO<sub>2</sub>. Diese Werte sind allerdings mit großen Unsicherheiten behaftet, die u.a. die Wirkung von nicht-CO<sub>2</sub>-Gasen wie vor allem Methan betreffen.  


Gegenwärtig steigen die CO<sub>2</sub>-Emissionen um ca. 42 Gt CO<sub>2</sub> jährlich.  Ändert sich daran nichts, wäre das verbleibende Budget bis 2030 aufgebraucht. Die Menschheit müsste schlagartig alle CO<sub>2</sub>-Emissionen stoppen, um eine Erwärmung von 1,5 °C nicht zu überschreiten. Da das undenkbar ist, müsste sofort mit einer radikalen Reduzierung der Emissionen auf nahezu die Hälfte in 10 Jahren begonnen werden. Nach Einschätzung des Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderungen (WBGU) kann die Erderwärmung nur dann deutlich unter 2 °C begrenzt werden, wenn die globalen CO<sub>2</sub>-Emissionen „etwa im Jahr 2020 ihren Scheitelpunkt erreichen“.<ref name="WBGU 2018">WBGU (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung) (2018): [https://www.wbgu.de/de/publikationen/publikation/zeit-gerechte-klimapolitik-vier-initiativen-fuer-fairness Zeitgerechte Klimapolitik: Vier Initiativen für Fairness], Politikpapier Nr. 9</ref>  Falls das nicht gelingt, und davon ist auszugehen, helfen nur noch sogenannte „negative Emissionen“. Darunter wird der nachträgliche Entzug  von Kohlendioxid  aus der Atmosphäre durch Maßnahmen wie Aufforstung, Kohlenstoffabscheidung und -speicherung oder Ozeandüngung verstanden. Diese Maßnahmen des Climate Engineering sind bis auf die Aufforstung technisch nicht ausgereift, und ihre Wirkung ist höchst umstritten.<ref name="Rickels 2019">Rickels, W., u.a. (2019): Welche Rolle spielen negative Emissionen für die zukünftige Klimapolitik?, in: Perspektiven der Wirtschaftspolitik, https://doi.org/10.1515/pwp-2018-0034</ref>  Klimamodellberechnungen kommen jedenfalls zu dem Ergebnis, dass anders die angestrebte Begrenzung der globalen Erwärmung nicht eingehalten werden kann (Abb. ). Auch der IPCC geht in seinem Bericht von der Notwendigkeit aus, in der zweiten Jahrhunderthälfte negative Emissionen einzusetzen.
Gegenwärtig betragen die CO<sub>2</sub>-Emissionen ca. 42 Gt CO<sub>2</sub> jährlich.  Ändert sich daran nichts, wäre das verbleibende Budget bis 2030 aufgebraucht. Die Menschheit müsste schlagartig alle CO<sub>2</sub>-Emissionen stoppen, um eine Erwärmung von 1,5 °C nicht zu überschreiten. Da das undenkbar ist, müsste sofort mit einer radikalen Reduzierung der Emissionen auf nahezu die Hälfte in 10 Jahren begonnen werden. Nach Einschätzung des Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderungen (WBGU) aus dem Jahre 2018 kann die Erderwärmung nur dann deutlich unter 2 °C begrenzt werden, wenn die globalen CO<sub>2</sub>-Emissionen „etwa im Jahr 2020 ihren Scheitelpunkt erreichen“.<ref name="WBGU 2018">WBGU (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung) (2018): [https://www.wbgu.de/de/publikationen/publikation/zeit-gerechte-klimapolitik-vier-initiativen-fuer-fairness Zeitgerechte Klimapolitik: Vier Initiativen für Fairness], Politikpapier Nr. 9</ref>  Das ist allerdings nicht gelungen, und so helfen nur noch sogenannte „negative Emissionen“. Darunter wird der nachträgliche Entzug  von Kohlendioxid  aus der Atmosphäre durch Maßnahmen wie Aufforstung, Kohlenstoffabscheidung und -speicherung oder [[Ozeandüngung]] verstanden. Diese Maßnahmen des [[Climate Engineering]] sind bis auf die [[Kohlendioxidentzug durch Aufforstung|Aufforstung]] technisch nicht ausgereift, und ihre Wirkung ist höchst umstritten.<ref name="Rickels 2019">Rickels, W., u.a. (2019): [https://oceanrep.geomar.de/46818/ Welche Rolle spielen negative Emissionen für die zukünftige Klimapolitik?], in: Perspektiven der Wirtschaftspolitik</ref>  [[Klimamodelle|Klimamodellberechnungen]] kommen jedenfalls zu dem Ergebnis, dass anders die angestrebte Begrenzung der globalen Erwärmung nicht eingehalten werden kann (Abb. 3). Auch der Weltklimarat geht in seinem Bericht von der Notwendigkeit aus, in der zweiten Jahrhunderthälfte negative Emissionen einzusetzen.


Das Pariser Klimaschutzabkommen strebt zwar eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 °C an. Die Verpflichtungen, die die einzelnen Staaten auf freiwilliger Basis bisher eingegangen sind, laufen jedoch auf eine Erwärmung von 3,0 °C bis zum Ende der 21. Jahrhunderts hinaus. Geht man davon aus, dass nicht alle Staaten ihre eingegangenen Verpflichtungen auch einhalten und die USA aus dem Abkommen bereits ausgestiegen sind, dürfte der Wert noch höher liegen.  
Das Pariser Klimaschutzabkommen strebt zwar eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 °C an. Die Verpflichtungen, die die einzelnen Staaten auf freiwilliger Basis bisher eingegangen sind, laufen jedoch auf eine Erwärmung von 2,0-2,4 °C bis zum Ende der 21. Jahrhunderts hinaus, mit einem Unsicherheitsbreich zwischen 1,6 und 2,9 °C. Setzt sich die gegenwärtige reale Klimapolitik weiter fort, sind 2,7 (2,2-3,4) °C wahrscheinlich. (Abb. 4).


== Welche Klimaentwicklung ist zu erwarten? ==
== Welche Klimaverhältnisse sind zu erwarten? ==
[[Bild:Drought duration 1.5-2.0°C.jpg|thumb|520px|Abb. 5:Änderung der Dürre-Dauer in Monaten bei 1,5 °C und 2 °C globaler Erwärmung (Einteilung der Erde nach Regionen in der Quelle)]]
Ob ein gefährlicher Klimawandel tatsächlich bei einer globalen Erwärmung von 1,5 °C oder 2 °C vermieden werden kann, ist schwer vorherzusagen. Eine globale Erwärmung um 1,5 oder 2 Grad bedeutet ja nicht, dass diese Grenze überall auf der Erde eingehalten wird. Die Temperaturen über den Ozeanen, wo so gut wie keine Menschen leben, werden sich wahrscheinlich deutlich weniger erhöhen, die über den Kontinenten mit ihren dichten Siedlungsgebieten werden die Grenze in weiten Teilen z.T. kräftig überschreiten.<ref name="Joshi 2011">Joshi, M. et al. (2011): Projections of when temperature change will exceed 2 °C above pre-industrial levels, Nature Climate Change 1, 407-412</ref>  So fallen die Temperaturanstiege bei einem globalen Anstieg von 1,5 °C regional sehr verschieden aus: In den USA wären es 2 °C, in Zentralbrasilien 2,3 °C und in der Arktis sogar 4,2 °C.<ref name="Rickels 2019" />


Dass die globale Erwärmung in diesem Jahrhundert unter der 2-Grad-Marke bleibt, ist angesichts der gegenwärtigen globalen Klimapolitik höchst unwahrscheinlich. Es ist eher davon auszugehen, dass diese Grenze schon in nächster Zukunft überschritten wird. Hinzu kommt, dass niemand mit Sicherheit sagen kann, ob ein gefährlicher Klimawandel tatsächlich bei einer globalen Erwärmung von 2 °C vermieden werden kann. Das ist nicht zuletzt deswegen zu bezweifeln, weil eine globale Erwärmung um 2 Grad ja nicht bedeutet, dass diese Grenze überall auf der Erde eingehalten wird. Die Temperaturen über den Ozeanen, wo so gut wie keine Menschen leben, werden sich wahrscheinlich deutlich weniger erhöhen, die über den Kontinenten mit ihren dichten Siedlungsgebieten werden die 2-Grad-Grenze in weiten Teilen z.T. kräftig überschreiten.<ref name="Joshi 2011">Joshi, M. et al. (2011): Projections of when temperature change will exceed 2 °C above pre-industrial levels, Nature Climate Change 1, 407-412</ref>
Erst recht werden sich Extremereignisse, die schon heute frühere Ereignisse oft deutlich übertreffen, weiter verstärken. Auch bei einer Erwärmung von 1,5 °C ist damit zu rechnen, dass extrem heiße Tage in den mittleren Breiten um bis zu 3 °C wärmer und ihre Anzahl zunehmen werden. Bei einer Erwärmung um 2 °C würden extrem heiße Tage sogar um bis zu 4 °C wärmer werden. Auch Dürren und Niederschlagsdefizite werden zunehmen, ebenfalls mehr bei einer globalen Erwärmung um 2 °C als bei 1,5 °C. Das gilt auch für Starkniederschläge während tropischer Wirbelstürme. Der Meeresspiegel wird bei 1,5 °C bis 2100 um 26-77 cm ansteigen, bei 2 °C um 10 cm mehr. Bei einem zusätzlichen Anstieg von 10 cm würden immerhin 10 Millionen Menschen mehr betroffen sein. Auch nach 2100 könnte es noch über hunderte bis tausende von Jahren zu einem Anstieg des Meeresspiegels um mehrere Meter kommen, vor allem durch die Instabilität mariner Eisschilde in der Antarktis und Verluste des grönländischen Eisschildes. Dadurch sind besonders niedrig gelegene Küstengebiete und Deltas sowie niedrige Inseln gefährdet. Auch die Ozeantemperaturen und die Versauerung des Ozeans werden weiter zunehmen. Infolgedessen werden Korallenriffe bei 1,5 °C globalem Anstieg der Temperatur um weitere 70-90 % zurückgehen, bei 2 °C sogar um 99 %.<ref name="IPCC dt 2019" />


Legt man bisherige Modellrechnungen auf der Grundlage der IPCC-Szenarien zugrunde, wird die  2-Grad-Grenze bei den Szenarien A1B und A2 bereits um 2050 überschritten, bei dem niedrigen B1 Szenario erst danach. Regional werden bei dem Szenario A1B weite Teile Nordasiens und der Nordosten Europas die 2-Grad-Grenze bereits zwischen 2020 und 2030 überschreiten, das restliche Asien und fast ganz Europa etwa ein Jahrzehnt später. Wenn bei dem Szenario A1B eine Zunahme der globalen Mitteltemperatur von 2 °C erreicht wird, also um die Mitte des Jahrhunderts, wird die Durchschnittstemperatur der nördlichen Hälfte Eurasiens um fast 3 °C über dem vorindustriellen Wert liegen.<ref name="Joshi 2011" />
Ebenso werden die Risiken für die menschliche Ernährung, Wasserversorgung und Gesundheit bei einer globalen Erwärmung von 1,5 °C und mehr noch bei 2,0 °C weiter zunehmen. So werden Erträge bei Mais, Reis und Weizen vor allem in Afrika südlich der Sahara, in Südostasien und Lateinamerika zurückgehen. Die Probleme bei der Wasserversorgung werden vor allem in den Trockengebieten schon bei einer Erwärmung um 1,5 °C kritisch zunehmen, aber nur halb so stark wie bei 2,0 °C. Die schon heute vorhandenen Gesundheitsrisiken durch den Klimawandel werden sich bei einer weiteren, wenn auch mäßigen Erwärmung ebenfalls verstärken. Insbesondere gilt das für hitzebedingte Risiken in städtischen Wärmeinseln, aber auch für vektorbedingte Erkrankungen wie Malaria und Denguefieber, deren Verbreitungsgebiete sich erweitern werden.<ref name="IPCC dt 2019" />
 
* ''Siehe auch: [[Kipppunkte im Klimasystem]]''


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
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* IMPACT2C: [http://impact2c.hzg.de/ Quantifying projected impacts under 2°C warming] und [https://www.atlas.impact2c.eu/en/ IMPACT2C web-atlas Europe]
* IMPACT2C: [http://impact2c.hzg.de/ Quantifying projected impacts under 2°C warming] und [https://www.atlas.impact2c.eu/en/ IMPACT2C web-atlas Europe]
* Geden, O. (2010): [http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/arbeitspapiere/Arbeitspapier_2_Grad_Ziel_formatiert_final_KS.pdf Abkehr vom 2-Grad-Ziel.] Skizze einer klimapolitischen Akzentverschiebung. Arbeitspapier vom 2. Mai 2010, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin
* Geden, O. (2010): [http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/arbeitspapiere/Arbeitspapier_2_Grad_Ziel_formatiert_final_KS.pdf Abkehr vom 2-Grad-Ziel.] Skizze einer klimapolitischen Akzentverschiebung. Arbeitspapier vom 2. Mai 2010, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin
* WBGU (2009): [http://www.wbgu.de/sondergutachten/sg-2009-budgetansatz/ Kassensturz für den Weltklimavertrag – Der Budgetansatz], Sondergutachten 2009, Berlin, 2009
* WBGU (2009): [https://www.wbgu.de/de/publikationen/publikation/kassensturz-fuer-den-weltklimavertrag-der-budgetansatz Kassensturz für den Weltklimavertrag – Der Budgetansatz], Sondergutachten 2009, Berlin, 2009
* Erich Roeckner (2010): [http://www.mpimet.mpg.de/fileadmin/grafik/presse/Forschung_aktuell/PDFs/1007_Roeckner_erlaubte_Emissionen_fuer_2_C-Ziel_dt.pdf Welche Emissionen können wir uns noch erlauben, um die globale Erwärmung auf maximal 2 °C zu begrenzen?]
* Erich Roeckner (2010): [https://web.archive.org/web/20181015091139/http://www.mpimet.mpg.de/fileadmin/grafik/presse/Forschung_aktuell/PDFs/1007_Roeckner_erlaubte_Emissionen_fuer_2_C-Ziel_dt.pdf Welche Emissionen können wir uns noch erlauben, um die globale Erwärmung auf maximal 2 °C zu begrenzen?] (Memento vom 15.10.2018 im Internet Archiv.)
* [http://www.klimabuero-polarmeer.de/de/fragen_antworten/warum_2c_die_2_grad_leitplanke/ Warum 2°C? - Die 2-Grad-Leitplanke] Darstellung vom Klimabüro für Polargebiete und Meeresspiegelanstieg
* Ekardt, F.; Wieding, J.; Zorn, A.: [https://www.mdpi.com/2071-1050/10/8/2812/htm Paris Agreement, Precautionary Principle and Human Rights: Zero Emissions in Two Decades?] Sustainability 2018, 10, 2812. https://doi.org/10.3390/su10082812
* [http://www.wwf-jugend.de/durchstarten/2-grad-campus-2012/ergebnisse/ 2°Campus] Forschungsergebnisse der WWF-Schülerakademie 2°Campus 2012
 
== Unterricht ==
* Bundeszentrale für politische Bildung: [https://www.bpb.de/shop/lernen/themenblaetter/303236/klimaschutz-und-gesellschaftlicher-wandel Klimaschutz und gesellschaftlicher Wandel] - Themenblätter im Unterricht (Nr. 122)
* [https://www.de-ipcc.de/media/content/SR1.5-FAQs_de_barrierefrei.pdf 1,5 °C Globale Erwärmung - Häufig gestellte Fragen und Antworten (PDF;32 Seiten)] - Hrgb: [https://www.de-ipcc.de/256.php Deutsche IPCC-Koordinierungsstelle]
* Office for Climate Education (OCE): <br />[https://www.oce.global/sites/default/files/2019-03/1.5degree_SummaryforTeachers-de_1.pdf IPCC-Sonderbericht" 1, 5° C globale Erwärmung": Zusammenfassung für Lehrerinnen und Lehrer] (PDF; 24 Seiten)
*:''In dieser ersten Zusammenfassung für Lehrerinnen und Lehrer werden die wichtigsten Ergebnisse des im Oktober 2018 veröffentlichten IPCC-Sonderberichts "1,5°C globale Erwärmung" erläutert. Das Dokument enthält zudem Aufgaben für den Schulunterricht.''
 
* Nick Reimer (März/Apil 2021): Der Klimavertrag von Paris soll den Temperaturanstieg bis Ende des Jahrhunderts auf 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau begrenzen. Warum eigentlich? Eine Betrachtung in drei Teilen. - [https://www.heise.de/tp/features/Wehe-wenn-das-Klima-kippt-6002648.html Teil 1] / [https://www.heise.de/tp/features/Wehe-wenn-es-taut-6002650.html Teil 2] / [https://www.heise.de/tp/features/Wehe-wenn-es-nicht-mehr-richtig-stroemt-6002652.html Teil 3]


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Aktuelle Version vom 14. September 2023, 07:08 Uhr

Abb. 1: Temperaturveränderungen bis 2100 nach verschiedenen IPCC-Szenarien und das 2- bzw. 1,5-Grad-Ziel.

Das klimapolitische Ziel

In der Klimapolitik besteht ein weitreichender Konsens darüber, dass bei einer Begrenzung der globalen Erwärmung auf 2° C bzw. neuerdings auf 1,5 °C über dem vorindustriellen Wert eine gefährliche Störung des Klimasystems durch den Menschen gerade noch vermieden werden kann. Bei einer Überschreitung der 2(1,5)-Grad-Grenze würden die Folgen des Klimawandels nicht mehr kontrolliert werden können. Wetterextreme und andere Klimafolgen würden ein gefährliches und kaum zu bewältigendes Maß annehmen und die ökonomischen Kosten unvertretbar hoch ansteigen lassen.

Das sog. 2-Grad-Ziel geht als politische Zielformulierung auf einen Vorschlag der EU aus dem Jahre 1996 zurück, der 2005 wiederholt und später von zahlreichen internationalen Organisationen aufgegriffen wurde.[1] Eine wichtige Rolle bei der Begründung und Ausgestaltung des 2-Grad-Ziels spielte der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU).[2] 2009 wurde das Ziel im Abschlussdokument der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen aufgegriffen, blieb aber unverbindlich. Auf der Weltklimakonferenz der Vereinten Nationen vom 30. November bis 12. Dezember 2015 in Paris wurde ein Nachfolgevertrag für das Kyoto-Protokoll von 1997 mit verbindlichen Klimazielen für alle 195 Mitgliedsstaaten der UN-Klimarahmenkonvention vereinbart (The Paris Agreement).[3] Als Ziel wurde festgeschrieben, die globale Erwärmung auf deutlich unter 2 °C, idealerweise sogar auf 1,5 °C über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Auf diese Weise sollen gefährliche Folgen für die menschliche Gesellschaft und natürliche Ökosysteme abgewendet werden.[4]

Das Pariser Abkommen gilt für alle Staaten, nicht nur wie das Kyoto-Protokoll für nur einige Industriestaaten. Fast alle Staaten der Erde haben im Rahmen des Abkommens nationale Klimaschutzziele definiert, die sie allerdings selbst bestimmt haben. Ärmeren Staaten soll durch Wissens- und Tehnologietransfer bei der Umsetzung geholfen werden. Alle fünf Jahre sollen neue, jeweils anspruchsvollere Ziele vorgelegt werden. Damit wurde auf die veränderte Situation seit dem Kyoto-Protokoll reagiert, das heute nur noch 15 % der weltweiten Emissionen abdeckt. Verursachten damals die Industrieländer noch über die Hälfte der Emissionen, sind es heute nur noch ein Drittel.[5]

Abb. 2: Nach Daten der NASA liegt die aktuelle Temperatur 1 °C über dem vorindustriellen (hier 1880-1909) Wert.

Was bedeutet das 2-Grad-Ziel?

Mit dem 2-Grad-Ziel ist eine Erwärmung der globalen Mitteltemperatur über den vorindustriellen Wert hinaus gemeint (Abb. 1). Es geht also nicht darum, um wie viele Grad Celsius die Temperatur gegenüber heute noch zunehmen darf. Gegenwärtig liegt die globale Mitteltemperatur bereits um etwa 1 °C über dem vorindustriellen Niveau. Bezogen auf das Jahrzehnt 2011-2020 sind es 1,1 °C[6] und auf das einzelne Jahr 2020 laut WMO 1,2 °C,[7] im Vergleich jeweils zu der vorindustriellen Basis 1850-1900. Es verbleiben also nur noch 0,4 °C bis zur Erreichung der 1,5-Grad-Grenze und 0,8 °C bis zu einer Erwärmung um 2 °C. Die Differenz bis 1,5 °C entspricht etwa dem Unterschied zwischen den 1990er und den 2010er Jahren. Tatsächlich geht der neueste Bericht des Weltklimarates IPCC davon aus, dass die 1,5-Grad-Grenze bereits in den 2030er Jahren bei den mittleren und hohen Szenarien überschritten wird und die 2-Grad-Erwärmung um die Mitte des Jahrhunderts.[6] Auch die niedrigen Szenarien werden die Pariser Ziele bis zum Ende des Jahrhunderts wahrscheinlich nur über sog. "negative Emissionen" (s.u.) erreichen.

Abb. 3: CO2-Emissionen zur Einhaltung der 1.5- bzw. 2.0-Grad-Grenze bis 2100. Links sind die jährlichen CO2-Emissionen angegeben. Die dünnen Linien zeigen unterschiedliche Modellberechnungen, die dicken Linien Mittelwerte. Zur Einhaltung der Ziele von Paris sind in fast allen Fällen negative Emissionen notwendig.

Kann die 2- bzw. 1,5-Grad-Grenze eingehalten werden?

Um die 2 °C Grenze nicht zu überschreiten, müssten die CO2-Emissionen bis 2030 um 25 % gegenüber 2010 abnehmen und um 2070 auf null sinken. Bei einer Begrenzung der Erwärmung bis 2100 auf 1,5 °C wäre eine Abnahme bis 2030 um 45 % erforderlich und Null-Emissionen um 2050.[8] In beiden Fällen ist außerdem auch eine deutliche Minderung der Nicht-CO2-Emissionen (Methan, Lachgas, FCKW u.a.) nötig, deren Wirkung bis zum Ende des Jahrhunderts auf 0,15 °C geschätzt wird.[9]

Abb. 4: Pariser Klimaziele und die aktuelle Klimapolitik:
Die Erwärmung gegenüber der vorindustriellen Zeit liegt gegenwärtig bei +1,2 °C. Die Beschlüsse der Klimakonferenz von Paris 2015 streben eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 °C, höchstens 2 °C bis 2100 an. Die aktuelle Klimapolitik steuert jedoch auf eine Erwärmung von ca. 2,7 °C zu. Die seit der Pariser Konferenz übernommenen Verpflichtungen der einzelnen Staaten bis 2030 laufen auf eine Erwärmung von ca. 2,4 °C, die langfristigen Zusagen und Ziele auf 2,0 °C hinaus. Bei einem sehr optimistischen Szenario könnte die globale Erwärmung auf 1,8 °C begrenzt werden. 1,5 °C scheinen nicht mehr erreichbar zu sein.

Eine wichtige Frage in diesem Zusammenhang ist das Gesamtbudget an CO2-Emissionen, das zur Erreichung des 2,0/1,5 °C Ziels von heute an nicht überschritten werden darf. Also die Frage: Wie viele Milliarden Tonnen (Abkürzung häufig: Gt = Gigatonnen) Kohlendioxid können durch menschliche Aktivitäten bis zu einem bestimmten Zeitpunkt noch emittiert werden, ohne die Grenze von 2,0 bzw. 1,5 °C bis zum Ende des 21. Jahrhunderts zu überschreiten. Im Mittelpunkt stehen dabei die Emissionen durch Verbrennung fossiler Energieträger, weil sie mit Abstand den größten Anteil an allen Treibhausgasen besitzen und die stärkste Steigerung aufweisen. CO2-Emissionen durch Änderung der Bodenbedeckung (Abholzung von Wäldern etc.) und weitere Treibhausgase wie Methan und Distickstoffoxid spielen für die Temperatursteigerung in den nächsten Jahrzehnten jedoch ebenfalls eine Rolle und sollten deshalb nicht vernachlässigt werden. Wegen der langen Verweilzeit von Kohlendioxid in der Atmosphäre müssen dabei auch die bisherigen kumulativen Emissionen seit Beginn der Industrialisierung berücksichtigt werden, die sich bereits auf 2200 Gt CO2 belaufen.[8] Es besteht eine nahezu lineare Beziehung zwischen den kumulativen CO2-Emissionen und dem Anstieg der globalen Oberflächentemperatur.

Bei einer 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit, die 1,5 °C Grenze nicht zu überschreiten, beläuft sich das noch verbleibende Budget nach dem IPCC-Bericht zur Einhaltung der 1,5-°C-Grenze[9] auf 580 Gt CO2, bei einer 66-prozentigen Wahrscheinlichkeit auf 420 Gt CO2. Diese Werte sind allerdings mit großen Unsicherheiten behaftet, die u.a. die Wirkung von nicht-CO2-Gasen wie vor allem Methan betreffen.

Gegenwärtig betragen die CO2-Emissionen ca. 42 Gt CO2 jährlich. Ändert sich daran nichts, wäre das verbleibende Budget bis 2030 aufgebraucht. Die Menschheit müsste schlagartig alle CO2-Emissionen stoppen, um eine Erwärmung von 1,5 °C nicht zu überschreiten. Da das undenkbar ist, müsste sofort mit einer radikalen Reduzierung der Emissionen auf nahezu die Hälfte in 10 Jahren begonnen werden. Nach Einschätzung des Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderungen (WBGU) aus dem Jahre 2018 kann die Erderwärmung nur dann deutlich unter 2 °C begrenzt werden, wenn die globalen CO2-Emissionen „etwa im Jahr 2020 ihren Scheitelpunkt erreichen“.[10] Das ist allerdings nicht gelungen, und so helfen nur noch sogenannte „negative Emissionen“. Darunter wird der nachträgliche Entzug von Kohlendioxid aus der Atmosphäre durch Maßnahmen wie Aufforstung, Kohlenstoffabscheidung und -speicherung oder Ozeandüngung verstanden. Diese Maßnahmen des Climate Engineering sind bis auf die Aufforstung technisch nicht ausgereift, und ihre Wirkung ist höchst umstritten.[11] Klimamodellberechnungen kommen jedenfalls zu dem Ergebnis, dass anders die angestrebte Begrenzung der globalen Erwärmung nicht eingehalten werden kann (Abb. 3). Auch der Weltklimarat geht in seinem Bericht von der Notwendigkeit aus, in der zweiten Jahrhunderthälfte negative Emissionen einzusetzen.

Das Pariser Klimaschutzabkommen strebt zwar eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 °C an. Die Verpflichtungen, die die einzelnen Staaten auf freiwilliger Basis bisher eingegangen sind, laufen jedoch auf eine Erwärmung von 2,0-2,4 °C bis zum Ende der 21. Jahrhunderts hinaus, mit einem Unsicherheitsbreich zwischen 1,6 und 2,9 °C. Setzt sich die gegenwärtige reale Klimapolitik weiter fort, sind 2,7 (2,2-3,4) °C wahrscheinlich. (Abb. 4).

Welche Klimaverhältnisse sind zu erwarten?

Abb. 5:Änderung der Dürre-Dauer in Monaten bei 1,5 °C und 2 °C globaler Erwärmung (Einteilung der Erde nach Regionen in der Quelle)

Ob ein gefährlicher Klimawandel tatsächlich bei einer globalen Erwärmung von 1,5 °C oder 2 °C vermieden werden kann, ist schwer vorherzusagen. Eine globale Erwärmung um 1,5 oder 2 Grad bedeutet ja nicht, dass diese Grenze überall auf der Erde eingehalten wird. Die Temperaturen über den Ozeanen, wo so gut wie keine Menschen leben, werden sich wahrscheinlich deutlich weniger erhöhen, die über den Kontinenten mit ihren dichten Siedlungsgebieten werden die Grenze in weiten Teilen z.T. kräftig überschreiten.[12] So fallen die Temperaturanstiege bei einem globalen Anstieg von 1,5 °C regional sehr verschieden aus: In den USA wären es 2 °C, in Zentralbrasilien 2,3 °C und in der Arktis sogar 4,2 °C.[11]

Erst recht werden sich Extremereignisse, die schon heute frühere Ereignisse oft deutlich übertreffen, weiter verstärken. Auch bei einer Erwärmung von 1,5 °C ist damit zu rechnen, dass extrem heiße Tage in den mittleren Breiten um bis zu 3 °C wärmer und ihre Anzahl zunehmen werden. Bei einer Erwärmung um 2 °C würden extrem heiße Tage sogar um bis zu 4 °C wärmer werden. Auch Dürren und Niederschlagsdefizite werden zunehmen, ebenfalls mehr bei einer globalen Erwärmung um 2 °C als bei 1,5 °C. Das gilt auch für Starkniederschläge während tropischer Wirbelstürme. Der Meeresspiegel wird bei 1,5 °C bis 2100 um 26-77 cm ansteigen, bei 2 °C um 10 cm mehr. Bei einem zusätzlichen Anstieg von 10 cm würden immerhin 10 Millionen Menschen mehr betroffen sein. Auch nach 2100 könnte es noch über hunderte bis tausende von Jahren zu einem Anstieg des Meeresspiegels um mehrere Meter kommen, vor allem durch die Instabilität mariner Eisschilde in der Antarktis und Verluste des grönländischen Eisschildes. Dadurch sind besonders niedrig gelegene Küstengebiete und Deltas sowie niedrige Inseln gefährdet. Auch die Ozeantemperaturen und die Versauerung des Ozeans werden weiter zunehmen. Infolgedessen werden Korallenriffe bei 1,5 °C globalem Anstieg der Temperatur um weitere 70-90 % zurückgehen, bei 2 °C sogar um 99 %.[8]

Ebenso werden die Risiken für die menschliche Ernährung, Wasserversorgung und Gesundheit bei einer globalen Erwärmung von 1,5 °C und mehr noch bei 2,0 °C weiter zunehmen. So werden Erträge bei Mais, Reis und Weizen vor allem in Afrika südlich der Sahara, in Südostasien und Lateinamerika zurückgehen. Die Probleme bei der Wasserversorgung werden vor allem in den Trockengebieten schon bei einer Erwärmung um 1,5 °C kritisch zunehmen, aber nur halb so stark wie bei 2,0 °C. Die schon heute vorhandenen Gesundheitsrisiken durch den Klimawandel werden sich bei einer weiteren, wenn auch mäßigen Erwärmung ebenfalls verstärken. Insbesondere gilt das für hitzebedingte Risiken in städtischen Wärmeinseln, aber auch für vektorbedingte Erkrankungen wie Malaria und Denguefieber, deren Verbreitungsgebiete sich erweitern werden.[8]

Einzelnachweise

  1. Randalls, S. (2010): History of the 2°C climate target, WIREs Climate Change1, 598-605
  2. WBGU (2009): Kassensturz für den Weltklimavertrag – Der Budgetansatz, Sondergutachten 2009, Berlin, 2009
  3. United Nations: The Paris Agreement
  4. Text des Vertrages der Pariser Klimakonferenz (engl.)
  5. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (2017): Die Klimakonferenz von Paris
  6. 6,0 6,1 IPCC, 2021: Climate Change 2021: The Physical Science Basis, Summary for Policymakers
  7. World Meteorological Organization (2021): State of the Global Climate 2020
  8. 8,0 8,1 8,2 8,3 IPCC, dt. Koordinierungsstelle (2019): 1,5 °C Globale Erwärmung. Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger, dt. Übersetzung
  9. 9,0 9,1 IPCC (2018): Global Warming of 1.5°C: Summary for Policymakers
  10. WBGU (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung) (2018): Zeitgerechte Klimapolitik: Vier Initiativen für Fairness, Politikpapier Nr. 9
  11. 11,0 11,1 Rickels, W., u.a. (2019): Welche Rolle spielen negative Emissionen für die zukünftige Klimapolitik?, in: Perspektiven der Wirtschaftspolitik
  12. Joshi, M. et al. (2011): Projections of when temperature change will exceed 2 °C above pre-industrial levels, Nature Climate Change 1, 407-412

Weblinks

Unterricht

  • Nick Reimer (März/Apil 2021): Der Klimavertrag von Paris soll den Temperaturanstieg bis Ende des Jahrhunderts auf 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau begrenzen. Warum eigentlich? Eine Betrachtung in drei Teilen. - Teil 1 / Teil 2 / Teil 3

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