Was ist Weltliteratur?: Unterschied zwischen den Versionen

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== Schafft den Deutschunterricht ab! ==
== Einleitung ==
Der Bildungswiki "Weltliteratur" befasst sich mit Autoren und Werken der nicht-deutschsprachigen Literatur, soweit sie in deutscher Übersetzung vorliegen. Dieser pragmatische Ansatz ist in der Verwendung des Begriffs „Weltliteratur“ in den Bildungsplänen der Bundesländer begründet. Hier wird die Beschäftigung mit übersetzter fremdsprachiger Literatur als Ergänzung, zur literaturgeschichtlichen Einordnung oder zum motiv- und gattungsgeschichtlichen Verständnis deutschsprachiger Literatur im Deutschunterricht gefordert. Einige Bundesländer argumentieren auch mit dem Begriff des interkulturellen Kontextes.


===Provokante Überlegungen zur Einführung eines Faches Weltliteratur===
Bei der Frage nach der Auswahl stößt man unvermeidlich auf die Debatte um die Weltliteratur seit der Goethezeit. Die in den Bildungsplänen vorgeschlagenen Beispiele zeigen, dass die Verwendung des Begriffs "Weltliteratur" heute im Spannungsfeld zwischen der klassischen Forderung, herausragende Beispiele anderer, vor allem europäischer Nationalliteraturen zu berücksichtigen, und dem postmodernen Verlangen nach einer Verabschiedung vom europäischen Monopol für Weltliteratur und der Beschäftigung mit Weltliteratur als Beitrag zur Welt- und Völkerverständigung, das den Begriff in die Nähe des Begriffs "Weltmusik" rückt.


von '''Gerhard Weil''', Mitglied im Vorstand des Landesausschusses für multikulturelle Angelegenheiten ( LAMA) der GEW-Berlin
== Der klassische Begriff der Weltliteratur ==
Der Begriff "Weltliteratur" entstand parallel zum Begriff der Nationalliteratur und wurde zum ersten Mal von August Wilhelm Schlegel in seinen Berliner Vorlesungen über die schöne Kunst und Literatur (1802) verwendet. Bekannt und auch über die Grenzen des deutschen Sprachraums hinaus wirksam wurde der Begriff dann durch Goethe. In seinem berühmten Gespräch mit Eckermann vom 31. Januar 1827 erklärt Goethe: "National-Literatur will jetzt nicht viel sagen, die Epoche der Welt-Literatur ist an der Zeit". Goethe selbst hat sich intensiv mit den Literaturen der Klassischen Antike, des Mittelalters, der europäischen Nationalliteraturen seiner Zeit sowie des Nahen und Fernen Ostens beschäftigt. Er übersetzte nicht nur europäische Literatur aus dem Griechischen, Lateinischen, Italienischen, Französischen, Spanischen und Englischen, sondern arabische Poesie und aus der Edda. Beispielhaft ist seine Rezeption der persischen und chinesischen Lyrik im West-östlichen Divan (1819). Für Goethe bleibt die Literatur der Antike die Basis der höheren Bildung. Er sieht aber, darin höchst modern, in der Wahrnehmung der Literatur anderer Nationen die Möglichkeit zur völkerübergreifenden Vertändigung.


Abitur bestanden – aber im Unterricht nie ein Werk von Machfuss, Hikmet, Andric, Gordimer oder Camus gelesen! Angeblich leben wir in einer vernetzten Welt: Die Gesetze sind europäisch, die Wirtschaft versucht sich global zu orientieren, Kommunikation und Kultur sind schon lange international ausgerichtet. Selbst die Bildung wird über die OECD und PISA weltweit bewertet. Nur der Deutschunterricht folgt trotz kleinerer Modifikationen noch den Prinzipien aus der Nachkriegszeit!
Die Vorstellung einer Weltliteratur entwickelte sich im frühen 19. Jahrhundert in der Phase der Nationenbildung und ging davon aus, dass die Fähigkeit zur Schaffung von Poesie und Literatur ein allgemeinmenschliches Gut sei. Mit dem Fortschreiten des Jahrhunderts wurde in Abgrenzung gegenüber dem Fremden und Anderen zunehmend die eigene Nationalliteratur idealisiert und die kulturelle Überlegenheit gegenüber den anderen Nationen behauptet. Im Rahmen der Kolonisierung der Welt durch die europäischen Nationen gewann die europäische Literatur paradigmatischen Charakter, und zur Weltliteratur wurden fast ausschließlich die großen Autoren und Werke der europäischen Kultur gezählt. Diese Sicht auf die Literaturen der Welt wirkt bis heute nach. Der Kanon der Weltliteratur wird vom europäischen Zentrum aus festgelegt, was schon durch den Buchmarkt und die gängige Praxis des Übersetzens festgeschrieben wird: Was nicht in eine europäische Sprache übersetzt wird, hat keine Chance als Weltliteratur anerkannt zu werden.


Nachkriegszeit? Ja, nach dem deutschfranzösischen Krieg 1871 und der Gründung des Kaiserreiches kam dem Deutschunterricht die nationale Aufgabe zu, die Jugend aus allen deutschen Ländern und Mundarten einheitlich mit einem verbindlichen deutschen Literaturkanon zu erziehen. Deutsche Literaturgeschichte hatte deshalb ebenso ihre erzieherische Funktion wie der Sedantag.
== Weltliteratur und Globalisierung ==


Sicher, heutzutage werden in der Oberschule auch Brecht, Böll, Grass, Frisch und vielleicht sogar Jellinek gelesen, die erst kürzlich den Literaturnobelpreis erhielt. Aber wie steht es mit türkischen Autoren, sagen wir Nazim Hikmet, Fakir Baykurt oder dem neuen Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk? Im Deutschunterricht?
== Weltliteratur im Unterricht ==


Es liegen da doch „nur“ Übersetzungen der Originale vor, und beim Abitur kann in der Regel die Beschäftigung mit nichtdeutschen AutorInnen nicht prüfungsrelevant behandelt werden. So bleibt es bei der Beschäftigung mit Werken deutschsprachiger Herkunft und die „Internationalität“ bleibt auf die österreichischen und schweizer Autorinnen beschränkt. Die im Berliner Schulgesetz geforderten interkulturellen Erziehungsaspekte haben hier kaum Chancen.
* Debattenbeitrag: [[Schafft_den_Deutschunterricht_ab]]


Zwar werden im Fremdsprachenunterricht Shakespeare im englischen Original und Saint Exupery in Französisch gelesen, aber das kann eine Beschäftigung mit der Weltliteratur keineswegs ersetzen. Schon gar nicht in einem multikulturellem Land, in dem hunderttausende SchülerInnen mit Migrationshintergrund ihre Herkunftskultur und -sprache überwiegend ausgeblendet erleben.
== Literatur ==
 
* Hendrik Birus: Goethes Idee der Weltliteratur Eine historische Vergegenwärtigung, in: Weltliteratur heute. Konzepte und Perspektiven. Hg. v. Manfred Schmeling (Saarbrücker Beiträge zur Vergleichenden Literatur- u. Kulturwissenschaft, Bd. 1) Würzburg: Königshausen & Neumann 1995,S.5-28; online: [http://www.goethezeitportal.de/db/wiss/goethe/birus_weltliteratur.pdf Gothezeitportal]
===Ende des klassischen Deutschunterrichts===
* Doris Bachmann-Medick: Multikultur oder kulturelle Differenzen? Neue Konzepte von Weltliteratur und Übersetzung in postkolonialer Perspektive, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 68,4 (1994), 585-612
 
Wenn man davon ausgehen kann, dass am Ende der Klasse 9 in allen Schularten das Ringen mit der deutschen Sprache einen gewissen Abschluss gefunden haben sollte, alle Diktate und Aufsätze geschrieben sind, sollte auch der klassische Deutschunterricht enden. Bei SchülerInnen mit besonderen Sprachdefiziten könnte eine Förderschiene beibehalten werden. Ansonsten kann das Fach Weltliteratur ab Klasse 10 das Fach Deutsch ersetzen. Gegen kreative Spracharbeit, Sprachbetrachtung usw. spricht natürlich nichts, nur sollte das alles vor dem Hintergrund einer interkulturellen Horizonterweiterung und mit relevanten literarischen Beispielen aus Europa und aller Welt vollzogen werden. Eine Revolution für Gymnasien und Gesamtschulen? Nein, eigentlich nur die seit Jahrzehnten notwendige Anpassung der Schulrealität an die multikulturelle Lebenswirklichkeit.

Version vom 6. August 2007, 19:18 Uhr

Einleitung

Der Bildungswiki "Weltliteratur" befasst sich mit Autoren und Werken der nicht-deutschsprachigen Literatur, soweit sie in deutscher Übersetzung vorliegen. Dieser pragmatische Ansatz ist in der Verwendung des Begriffs „Weltliteratur“ in den Bildungsplänen der Bundesländer begründet. Hier wird die Beschäftigung mit übersetzter fremdsprachiger Literatur als Ergänzung, zur literaturgeschichtlichen Einordnung oder zum motiv- und gattungsgeschichtlichen Verständnis deutschsprachiger Literatur im Deutschunterricht gefordert. Einige Bundesländer argumentieren auch mit dem Begriff des interkulturellen Kontextes.

Bei der Frage nach der Auswahl stößt man unvermeidlich auf die Debatte um die Weltliteratur seit der Goethezeit. Die in den Bildungsplänen vorgeschlagenen Beispiele zeigen, dass die Verwendung des Begriffs "Weltliteratur" heute im Spannungsfeld zwischen der klassischen Forderung, herausragende Beispiele anderer, vor allem europäischer Nationalliteraturen zu berücksichtigen, und dem postmodernen Verlangen nach einer Verabschiedung vom europäischen Monopol für Weltliteratur und der Beschäftigung mit Weltliteratur als Beitrag zur Welt- und Völkerverständigung, das den Begriff in die Nähe des Begriffs "Weltmusik" rückt.

Der klassische Begriff der Weltliteratur

Der Begriff "Weltliteratur" entstand parallel zum Begriff der Nationalliteratur und wurde zum ersten Mal von August Wilhelm Schlegel in seinen Berliner Vorlesungen über die schöne Kunst und Literatur (1802) verwendet. Bekannt und auch über die Grenzen des deutschen Sprachraums hinaus wirksam wurde der Begriff dann durch Goethe. In seinem berühmten Gespräch mit Eckermann vom 31. Januar 1827 erklärt Goethe: "National-Literatur will jetzt nicht viel sagen, die Epoche der Welt-Literatur ist an der Zeit". Goethe selbst hat sich intensiv mit den Literaturen der Klassischen Antike, des Mittelalters, der europäischen Nationalliteraturen seiner Zeit sowie des Nahen und Fernen Ostens beschäftigt. Er übersetzte nicht nur europäische Literatur aus dem Griechischen, Lateinischen, Italienischen, Französischen, Spanischen und Englischen, sondern arabische Poesie und aus der Edda. Beispielhaft ist seine Rezeption der persischen und chinesischen Lyrik im West-östlichen Divan (1819). Für Goethe bleibt die Literatur der Antike die Basis der höheren Bildung. Er sieht aber, darin höchst modern, in der Wahrnehmung der Literatur anderer Nationen die Möglichkeit zur völkerübergreifenden Vertändigung.

Die Vorstellung einer Weltliteratur entwickelte sich im frühen 19. Jahrhundert in der Phase der Nationenbildung und ging davon aus, dass die Fähigkeit zur Schaffung von Poesie und Literatur ein allgemeinmenschliches Gut sei. Mit dem Fortschreiten des Jahrhunderts wurde in Abgrenzung gegenüber dem Fremden und Anderen zunehmend die eigene Nationalliteratur idealisiert und die kulturelle Überlegenheit gegenüber den anderen Nationen behauptet. Im Rahmen der Kolonisierung der Welt durch die europäischen Nationen gewann die europäische Literatur paradigmatischen Charakter, und zur Weltliteratur wurden fast ausschließlich die großen Autoren und Werke der europäischen Kultur gezählt. Diese Sicht auf die Literaturen der Welt wirkt bis heute nach. Der Kanon der Weltliteratur wird vom europäischen Zentrum aus festgelegt, was schon durch den Buchmarkt und die gängige Praxis des Übersetzens festgeschrieben wird: Was nicht in eine europäische Sprache übersetzt wird, hat keine Chance als Weltliteratur anerkannt zu werden.

Weltliteratur und Globalisierung

Weltliteratur im Unterricht

Literatur

  • Hendrik Birus: Goethes Idee der Weltliteratur Eine historische Vergegenwärtigung, in: Weltliteratur heute. Konzepte und Perspektiven. Hg. v. Manfred Schmeling (Saarbrücker Beiträge zur Vergleichenden Literatur- u. Kulturwissenschaft, Bd. 1) Würzburg: Königshausen & Neumann 1995,S.5-28; online: Gothezeitportal
  • Doris Bachmann-Medick: Multikultur oder kulturelle Differenzen? Neue Konzepte von Weltliteratur und Übersetzung in postkolonialer Perspektive, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 68,4 (1994), 585-612