Der Tod des Iwan Iljitsch

Aus Weltliteratur
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Der Tod des Iwan Iljitsch ist eine Erzählung von Lew Nikolajewitsch Tolstoi, geschrieben 1886.

Aufbau und Thematik

Der knappe (in der Insel-Edition) 136 Seiten lange Text ist in der Art einer Monografie gehalten. Tolstoi beschreibt das Leben und die darin zum Tragen kommenden Lebensansichten des Gerichtsangestellten Iwan Iljitsch Golowin und dessen vorzeitigen Tod im Alter von 45 Jahren. Dramatisch dicht dargestellt werden die Existenzangst, die Angst vor den Schmerzen im Tod sowie Machtlosigkeit und Ratlosigkeit des Menschen gegenüber dem sich im vorzeitigen Tod zeigenden Schicksal.

Inhalt

Die folgende Einteilung ist willkürlich gewählt, gibt aber recht gut die inhaltlichen Schwerpunkte der Erzählung wieder.

Exposition (Kapitel 1)

Die Erzählung hebt novellenartig mit der Trauerfeier des eben verstorbenen Iwan Iljitsch Golowin an, die aus der Perspektive seines ehemaligen Schulfreundes und Kollegen, des − nicht weiter betitelten − Peter Iwanowitsch, beschrieben wird. Die Perspektive, die dabei angestellt wird, ist durchweg sarkastisch, zwar fühlt sich Peter Iwanowitsch „Iwan Iljitsch gegenüber besonders verpflichtet“, (S. 13) da er mit ihm lange bekannt war, und geht pflichtbewusst zu dessen Trauerfeier. Gleichzeitig aber macht Tolstoi sehr pointiert durch die wiederkehrenden Reflexionen Peter Iwanowitschs bei der Trauerfeier, wie er sich zu benehmen habe, damit man meine, er sei betroffen, die Ereignislosigkeit bzw. die Unwichtigkeit des Todes seines Hauptcharakters für die Bekannten klar. Selbst seine Frau beklagt sich nur über die ihr auferlegten Mühen und die Mühen der um die Trauerfeier anfallenden Arbeit als über den Verlust ihres Mannes.

„Der Gedanke an die Leiden eines Menschen, den er so gut gekannt hatte, zuerst als munteren Schuljungen, dann als erwachsenen Kollegen, jagte plötzlich Peter Iwanowitsch, trotz des unangenehmen Bewußtseins seiner eigenen und dieses Weibes Heuchelei, einen maßlosen Schrecken ein.“ (S. 23)

Letztlich jedoch unbekümmert verlässt Peter Iwanowitsch die Trauerfeier, um im Anschluss den Abend mit einer Runde Kartenspiel ausklingen zu lassen.

Hauptteil (Kapitel 2 bis 10)

In den folgenden Kapiteln wird mit zunehmender Fokussierung auf das Innenleben des Iwan Iljitsch Golowin dessen Leben (und seine Ansichten darüber) bis kurz vor seinem Tod wiedergegeben. Das Tempo der Erzählung bremst sich dabei zunehmend ein. Während die ca. 34 Lebensjahre noch in einem Kapitel erzählt werden, werden in den Kapiteln 3 bis 5 nur noch die Jahre bis zu seinem Todesjahr umfasst und die restlichen 7 Kapitel nur noch die ca. 4 Monate seines zunehmend dramatischen Kampfes mit dem Tod.

Während die vorausgegangenen Kapitel eine eher didaktische Funktion haben und die Umstände der Erkrankung und des Auseinanderlebens zwischen Iwan Iljitsch und seiner Frau beinhalten (und somit das Außenleben beschreiben), widmet sich die zweite Hälfte der Erzählung der Charakterisierung der existenziell anmutenden Fragen des Todkranken. So heißt es bspw. zu einem der vielen konsultierten Ärzte über die Unfähigkeit der Medizin gegenüber dem Tod und damit dem menschlichen Schicksal,

„Sie wissen doch selber, daß Sie mir nicht helfen können. Lassen Sie mich also in Ruhe! Wir können die Leiden wenigstens erleichtern, sagte der Doktor. Auch das können sie nicht. Lassen sie mich in Ruhe!“ (S. 128)

Über die Frage nach dem rechten Leben, bzw. der Frage nach der Selbstverschuldung seines Dahinscheidens durch ein verwirktes Leben (Existenzangst), heißt es charakteristisch für das Grundthema der Erzählung,

„Und wenn wirklich mein Leben nicht das richtige gewesen ist? Ihm kam der Gedanke, dass das, was ihm bisher noch als vollkommen unmöglich erschienen war: Er hätte so gelebt, wie er nicht hätte leben sollen – dass das die Wahrheit sei. Ihm kam der Gedanke, dass die von ihm kaum bemerkten Neigungen, sich gegen das zu wehren, was von den Hochgestellten des Lebens hochgehalten wurde, jene kaum merkbaren Neigungen, die er stets sofort unterdrückt hatte, wirklich berechtigt waren und dass alles andere nichts war: sein Dienst, seine Lebensgestaltung, seine Familie, die Interessen der Gesellschaft und des Dienstes – alles das war vielleicht nichts, nichts.“ (S. 129f)

Schluss (Kapitel 11 bis 12)

Iwan Iljitsch Golowin stirbt schließlich unter höchsten Qualen in dreitägiger Agonie. Tolstoi beschreibt diesen Todeskampf eindringlich und mit ungewöhnlichen Metaphern und Einsichten über die Begleiterscheinungen des nahenden Todes. Zeitstillstand

„In diesen drei Tagen, in deren Verlauf die Zeit für ihn aufgehört hatte, warf er sich in jenem schwarzen Sack herum, in den ihn eine unsichtbare, unüberwindliche Kraft hineinstieß.“ (S. 133)

oder das Phänomen des „Lichts am Ende des Tunnels“, mit dem häufig Nahtod-Erfahrungen beschrieben werden,

„Plötzlich stieß ihn irgendeine geheimnisvolle Kraft in die Brust, in die Seite, benahm ihm noch mehr den Atem. Er drang in das Loch hinein und dort am Ende des Loches leuchtete etwas auf.“ (S. 134)

Mit der finalen Introspektion der Gedankenwelt Iwan Iljitsch Golowins deutet Tolstoi eine kausale Beziehung zwischen Iwan Iljitschs Einsicht, dass er sein Leben verwirkt hat, und dessen letztlichem Tod. Seine Einwilligung, es noch gut zu machen, indem er durch seinen Tod, den zu seinem Todesbett inzwischen hinzugetretenen Angehörigen, das Leid erspart, seine Agonie weiter zu betrachten, schließt die Erzählung. Wo ihn zuvor noch der „Gedanke, dass sein Leben gut war“ daran hinderte und diese "Rechtfertigung seines Lebens" ihn noch „festhält“ (S. 134), siegt später die Einsicht über die Selbstverursachung seines Leides durch die Verwirkung seines Lebens und die damit verbundene Schuld am Leid anderer:

„Und plötzlich war ihm klar, dass das, was ihn quälte und nicht aus ihm heraus wollte, auf einmal herausging von zwei Seiten, von zehn Seiten, von allen Seiten. Sie taten ihm leid, er musste etwas tun, dass sie nicht mehr zu leiden brauchten; er musste sie retten und sich selber von den Leiden retten.“ (S. 135)

Interpretation

Tolstois Erzählung behandelt im Kern die menschliche Angst vor dem Tod, die damit verbundene Bloßstellung der Ohnmächtigkeit gegenüber dem Schicksal und nicht zuletzt die in diesem Kontext provozierten existentiellen Fragen des (guten) Lebens.

Tolstoi suggeriert an mehreren Stellen mittels Iwan Iljitschs Überlegungen eine kausale Verbindung zwischen dessen auf Gewöhnung, Behaglichkeit und Ruhe ausgelegtem Leben und dem frühen Tod. Das entspricht einer impliziten Kritik der geordneten, bürgerlichen Existenz und insbesondere deren Klassifizierung als gut.

Darüber hinaus zeigt Tolstoi die Machtlosigkeit der Rationalität (und damit der Wissenschaft) gegenüber dem Tod, indem er einerseits die herbeigerufenen Mediziner als Heuchler und letztlich genauso ohnmächtig wie Iwan Iljitsch beschreibt. Des Weiteren lässt T. seinen Hauptcharakter vergeblich den Versuch antreten über Rationalisierungen seiner verzweifelten Situation Herr zu werden. Die inhärent aber vorhandene Kluft zwischen der rational gültigen Überlegung und ihrer praktischen Bedeutungslosigkeit (vgl. Rölli [1]) zeigt T. dabei am Zitat des folgenden (für Iwan Iljitsch völlig unzufriedenstellenden) Syllogismus den er Kiesewetter zuschreibt,

  1. Cajus ist ein Mensch.
  2. Alle Menschen sind sterblich.
  3. Cajus ist sterblich.

und lässt I.I. in verzweifelter Stimmung fragen, warum er denn mit diesem Cajus ("der der Mensch war, der Mensch im Allgemeinen", S.87)) gleich sein müsse, warum er also auch dessen Schicksal teilen müsse. Die Frage also, warum das Spezielle seiner Existenz, die damit verbundenen individuellen Charakteristika hinter das Diktat des Allgemeinen zurücktreten müssen, dass alle Menschen sterben:

„Cajus ist sterblich, und es ist ganz in Ordnung, daß Cajus stirbt; aber ich, Wanja Iwan Iljitsch, mit all meinen Gedanken und Gefühlen - das ist eine ganz andere Sache, es kann nicht sein, daß auch ich sterben muß. Das wäre zu schrecklich. - So fühlte er." (S. 88)

An dieser Stelle zeigt sich besonders deutlich, wie wenig Macht laut T. die Rationalität (hier in Form der Logik) in einer Extremsituation noch hat und wie wenig Trost sie spenden kann. Insofern ist diese Passage als Rationalitätskritik deutbar.

Auf dieser Basis ist die Bewältigung der Furcht des Todes argumentativ für I.I. unmöglich. Durch zwei Elemente aber lockert T. diese durch die Situation herbeigeführte, düstere Perspektive auf Existenz und menschliche Erkenntnis auf: Zum einen bezieht I.I. unreflektierten Trost aus der einfachen, freundlichen und ehrlichen Art seines bäuerlichen Dieners Gerasim. Zum anderen lässt T. Iwan Iljitsch in der Art eines Märtyrers sterben, da dieser explizit durch seinen Tod die Leiden seiner Angehörigen beenden möchte. Außerdem deutet T. an, dass I.I. seinen Tod über die Einsicht in die Verwirktheit seiner Existenz selbst wählt und rechnet ihm damit eine letzte Würde zu.

Weblinks

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