Manhattan Transfer

Aus Weltliteratur

Manhattan Transfer ist ein Roman von John Dos Passos, der im Jahre 1925 erschien. Der Titel bezieht sich auf den Namen einer Fährverbindung.

Inhalt

In Manhattan Transfer wird das urbane Leben New Yorks insbesondere in Manhattan erzählt. Der etwa 320 Seiten umfassende Roman entwickelt keine stringente Handlungsstruktur. Dos Passos orientiert sich stattdessen an einzelnen Lebensläufen, um so den 'Großstadtdschungel' zu beschreiben.

Aufbau

Dem Roman Manhattan Transfer wird eine Dreigliedrigkeit bzw. Dreidimensionalität zugesprochen. Es gibt drei Abteilungen oder 'Sections'. Die erste Abteilung und die letzte umfassen jeweils fünf Kapitel. Der zweiten Abteilung sind acht Kapitel gewidmet. Dieses Schema ist auch auf die Zeitstruktur zu übertragen: Die Handlung spielt vor, während und nach dem ersten Weltkrieg. Bezeichnenderweise umfasst der mittlere Teil mit seinen acht Kapiteln in der erzählten Zeit gerade mal fünf Jahre, während der gesamte Roman ungefähr 25-30 Jahre erzählt. Es ist zu vermuten, dass der mittlere Teil deshalb länger ist, weil Dos Passos in jener Zeit die meisten Veränderungen in der Großstadt New York feststellte.

Die Kapitelüberschrift kann symbolisch wie konkret verstanden werden. Jedem Kapitel ist eine Art Einleitung vorangestellt, die sich vom übrigen Text auch auf typographische Weise unterscheidet. Durch die Überschrift wird das Thema mit einem Wort bekannt gegeben, sodann wird die Einleitung dazu genutzt, um das Thema vorzustellen. Auf der dritten Ebene, das eigentliche Kapitel, wird die Thematik variantenreich durchgespielt. Auch hier ist die Dreigliedrigkeit oder Dreidimensionalität das Schlagwort.

Volker Klotz verweist auf eine weitere Dreigliedrigkeit oder Dreidimensionalität, die das Sujet der Großstadt betrifft:

  • Manhattan Transfer spiegelt das Panorama der Stadt New York wider, weil die Figuren Armut, Reichtum, Vergnügen, Missgunst, Rechtsprechung, Architektur usf. verkörpern. Durch die losen Lebensläufe erlangt der Leser mehrere und divergente Einblicke in die Stadt.
  • Dem Leser werden aber nicht nur einzelne Lebensläufe dargeboten, sondern er teilt auch die Erfahrung der entsprechenden Figur. Die Nähe zwischen Figur und Leser wird dadurch erzeugt, dass beide Voyeure sind: Sie beobachten 'gemeinsam' Brände, Massenaufläufe, Alkoholschmugglerkämpfe, Straßen, Zimmer, Plakate, Hotelhallen usf. Es erfolgen keine detailgenauen Erläuterungen über das Interieur oder dergleichen, sondern der Leser sieht das, was die Romanfigur wahrnimmt. Das Erleben der Stadt schließt auch das Verhältnis zwischen Romanfigur und Großstadt ein. Ständig führen die einzelnen Personen die Stadt im Munde, indem sie die Stadt verfluchen oder sie machen die Stadt für alle Geschehnisse verantwortlich, die ihnen widerfahren sind.
  • Dos Passos sah in der Stadt eine immense Macht. Diese Ansicht spiegelt sich auch in seinem Roman wider. Manhattan bestimmt das Leben jedes Einzelnen und sucht sich aus, wem es zu Glück oder Leid verhilft, wer auserwählt ist und wer nicht benötigt wird und wer sozusagen aus dem großen Schlund der Großstadt ausgespien wird.

Figuren

Innerhalb eines jeden Kapitels werden Figuren eingeführt, die oftmals nur ein einziges Mal auftauchen und dann wieder verschwinden. Andere Figuren werden häufiger erwähnt, aber immer bleibt es eine lose Ansammlung von Augenblickssplittern aus dem Leben der verschiedensten Personen. Es wird keine zusammenhängende Geschichte erzählt, die auf einen Helden ausgerichtet ist. Die Figuren bieten sich dar, als seinen sie aus einer unbestimmbar großen Massen für einen Moment herausgerissen, um dann wieder im Großstadtgewühl unterzugehen. Im Roman werden etwa hundert Figuren eingeführt. Allen Personen kommt eine gleiche Gewichtung zu. In der Quantität unterscheiden sich die folgenden Figuren allerdings von den anderen.

Gus McNiel ist ein Milchmann, der durch einen Unfall zu einer hohen Summe Geld gelangt und so auf der sozialen Leiter einige Stufen empor klettern kann. Dieser plötzliche Aufstieg weckt seinen Ehrgeiz und er wird ein durchtriebener Gewerkschaftsführer, der es versteht politische Gegner gegeneinander auszuspielen.

George Baldwin startet seine Karriere mit der Übernahme des Falles Gus McNiel. Er verkörpert den amerikanischen Erfolgsmythos vom Tellerwäscher zum Millionär. George Baldwin mag beruflichen Erfolg für sich verzeichnen können, gleichzeitig aber findet ein Verfallsprozess seiner selbst statt. Im Vergleich zu Ellen Thatcher, die sich für ihre Karriere gewissermaßen 'verkauft', fehlt George Baldwin die nötige Distanz, um sein Handeln zu reflektieren, während Ellen sich ihres Handelns vollkommen bewusst ist und sich dafür verachtet. George Baldwin hingegen bemitleidet sich und versucht, durch Affären seine innere Substanz wieder herzustellen. Am Ende des Romans heiraten Ellen Thatcher und George Baldwin, wobei dem Leser schnell klar wird, dass diese Beziehung keine glückliche sein wird.

Jimmy Herf kam als kleiner Junge mit seiner Mutter nach Amerika. Einige Zeit später stirbt diese, und Jimmy wächst bei Verwandten auf. Er irrt durch New York und versucht sich einige Zeit als Journalist. Durch sein 'Nicht-Funktionieren' scheidet Jimmy Herf aus der Großstadt aus. Genau wie seine berufliche Laufbahn ist auch seine Ehe mit Ellen Thatcher zum Scheitern verurteilt. Diese Figur versucht sich selbst nichts vorzumachen, weshalb Jimmy Herf der Einzige ist, der New York lebend verlassen kann.

Ellen Thatcher kommt zu Beginn des Romans zur Welt. Sie sucht ihre Erfüllung in zwischenmenschlichen Beziehungen. Doch um ihrer Karriere willen stellt sie ihre Persönlichkeit und ihre Ansprüche ans Leben zurück. Insgesamt heiratet sie dreimal. Ein einziges Mal ist sie emotional berührt. Stan Emery weckt diese Gefühle in ihr, doch da er während eines Besäufnisses eine andere Frau heiratet und sich schließlich umbringt, kann sie ihre Gefühle nicht ausleben.

Stan Emery stammt aus einer wohlhabenden Familie. Jedoch wird er mit seiner Rolle nicht fertig und verliert sich im Alkohol. Seine Hilflosigkeit resultiert aus dem Großstadtleben. Er scheint diesem Leben nicht gewachsen, weil er zu sensibel ist. Letztendlich lebt er seinen verzweifelten Protest aus, indem er sich und seine Wohnung in Flammen aufgehen lässt.

Bud Korpenning ist vom Land in die Stadt geflohen, weil er seinen Vater erschlagen hat. Er ist auf Arbeitssuche und versucht sich in die Stadt hinein zu finden, indem er auf der ständigen Suche nach dem "center of things" ist. Bud Korpenning wird von der Stadt überrollt, weil er nicht weiß, wie sie funktioniert, so dass er letztlich Selbstmord begeht.

Poetik

Dos Passos Schreibweise erinnert stark an den Film. Die Innenperspektive der Figuren wird nicht mit Worten wie 'Verzweiflung', 'Angst' oder dergleichen beschrieben, sondern diese Attribute müssen vom Leser selbst herausgefiltert werden. Dos Passos liefert dem Leser das Material, indem er 'Angst' gestaltet. Die Konklusion muss vom Leser selbst gezogen werden. Ein weiteres 'cineastisches Erzählelement' ist die Verwendung des 'Camera Eye'. Die Perspektive des Lesers wird vom Erzähler so gesteuert, dass sie einem 'Kamerablick' gleichkommt. Der Leser nimmt Nebensächlichkeiten wahr, die von ihm selbst zu einer neuen Geschichte summiert werden können, weil sie vom Autor lediglich angedeutet werden. Somit nimmt der Erzähler keine Führungsposition ein. Die Pressetexte spielen bei Dos Passos ebenfalls eine wichtige Rolle. Der Autor verwendet ausschließlich authentisches Nachrichtenmaterial und schafft so eine Verschmelzung von 'tatsächlicher' Realität und Romanrealität. Ähnlich 'unbedeutsam' wie Pressetexte erscheint das Leben der einzelnen Figuren. Sie tauchen auf, sind für kurze Dauer von Wichtigkeit und tauchen dann wieder ab in die Vergessenheit. Damit wird die Anonymität der Metropole deutlich. Zudem wird durch den Einsatz von Schlagzeilen etc. die eigentliche Erzählung durchbrochen. Die ohnehin schon lose Struktur wird durch das Einfügen von Zeitungsfetzen noch weiter aufgelöst. Indem er seinen eigenen Text immer weiter in seine eigenen Bestandteile auflöst, erreicht er ein hohes Tempo. Der Rhythmus und die Schnellebigkeit New Yorks dienen Dos Passos dazu, darauf aufmerksam zu machen, dass eine großstädtische Reizüberflutung vorliegt. Letztendlich führt diese inhärente Kritik zu einer Dämonisierung der Großstadt.

Literatur

  • Volker Klotz: Die erzählte Stadt. Ein Sujet als Herausforderung an den Roman von Lesage bis Döblin, München 1969


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