Kalte Winter in Europa

Aus Klimawandel
Abb. 1: Abweichung der Märztemperaturen 2013 vom Mittel der Märztemperaturen 1951-1980

Kalte Wintermonate

Die Winter der letzten Jahre seit dem Winter 2009/10 erschienen vielen Menschen als außergewöhnlich kalt. Tatsächlich lagen z.B. die Januartemperaturen 2010 in Deutschland um 3,2 °C unter dem langjährigen Mittelwert.[1] Und die Durchschnittstemperatur des Winters 2009/10 lag um 1,5 Grad unter dem Mittelwert. Lange Zeit befanden sich zudem große Teile Deutschlands unter einer Schneedecke, die in Berlin z.B. vom 30. Dezember bis zum 26. Februar, also 59 Tage, ununterbrochen anhielt.[2] Auch der Winter 2010/11 verlief insgesamt zu kalt. Vor allem begann er sehr früh, so dass schon der Dezember um 4,3 Grad unter dem langjährigen Mittel lag, so dass es überall in Deutschland erstmals seit 1981 ein weißes Weihnachtsfest gab.[3] Anfang 2013 verwandelte sich sogar der Frühlingsmonat März in einen bitterkalten und schneereichen Wintermonat, mit Kälterekorden um -20 °C und einer Abweichung gegenüber der Vergleichsperiode 1981 bis 2010 um 4,1 °C.[4]

Abb. 1a: Landtemperaturen auf der Nordhalbkugel im Jahresmittel und im Winter (Dez.-Febr.)

Nicht nur in Deutschland und Europa hat es in den letzten Jahren überraschend kalte Winter gegeben; auch der Osten der USA und das nördliche Sibirien sind betroffen. Dabei sollte es nach Modell-Projektionen gerade auf der außertropischen Nordhalbkugel im Winter zu der stärksten Erwärmung durch Treibhausgase kommen. Doch obwohl sich der Planet ständig erwärmt hat, sind die Winter der Nordhemisphäre in letzter Zeit kälter und schneereicher geworden, insbesondere in den östlichen USA und großen Teilen des nördlichen Eurasien. Der Trend zu kälteren Wintern in diesen Regionen begann sogar vor etwa zwei Jahrzehnten, um 1988. Die gesamte Nordhalbkugel zeigt anders als im Jahresmittel bei den Wintertemperaturen auf dem Land keinen ausgeprägten Trend(Abb. 1a).[5] Und das ist überraschend angesichts der Projektion von Klimamodellen.

Die gegenwärtigen Winterverhältnisse müssen zunächst einmal zeitlich relativiert werden. So lagen die Januartemperaturen in Deutschland in den 1980er Jahren zwei Mal um etwa 6 °C, 1963 um 8 °C und 1941 um 9 °C unter dem Mittel von 1961-1990.[1]. Ein Trend zu immer kälteren Wintern lässt sich jedenfalls nicht feststellen, eher lässt sich beobachten, dass die kalten Winter wärmer werden.

Abb. 2: Abweichung der Wintertemperaturen 2010/2011 (Dez.-Febr.) vom Mittel der Jahre 1951-1980

Außerdem muss der kalte Winter in Europa in räumlicher Hinsicht relativiert werden. Die kalten Winter 2009/10 und 2010/11 haben nichts mit dem globalen Trend zu tun, sondern sind ein regional begrenztes Phänomen, das sich auf Teile von Europa, Russland und der USA beschränkt.[6] Hier lagen die Temperaturen um einige Grad Celsius unter den Wintertemperaturen der Periode 1951-1980. Global gehörten die Wintermonate Dezember bis Februar 2009/10 und 2010/11 dagegen zu den wärmsten je gemessenen Wintermonaten. In den höheren Breiten Kanadas, auf Grönland und in der Arktis wurden warme Rekordtemperaturen gemessen. Dennoch stellt sich die Frage nach den Ursachen der kalten Winter 2009/10 und 2010/11 und möglicherweise weiterer kalter Winter.

Nordatlantische Oszillation (NAO)

Abb. 3: Täglicher NAO-Index (vom 31.10.2010 bis 27.2.2011): schwache NAO Ende Nov. 2010 bis Anfang Januar 2011
Abb. 4: Täglicher NAO-Index vom 25.12.2012 bis 22.4.2013

Als unmittelbare Ursache für die Kältewellen in Europa, Sibirien und den USA wird eine sehr schwach ausgebildete Nordatlantische Oszillation (NAO) angenommen.[6] Als NAO versteht man die Schwankungen des Luftdruck-Gegensatzes zwischen dem Azorenhoch im Süden und dem Islandtief im Norden des Nordatlantiks, der besonders im Winter das Wetter in Europa bestimmt. Ist dieser Gegensatz stark, d.h. ist der NAO-Index positiv, gibt es über dem Nordatlantik zwischen 40° und 60° nördlicher Breite eine starke Westwindzirkulation, die warme und feuchte Luft nach Europa bis nach Sibirien transportiert, aber auch an der amerikanischen Ostküste für milde Temperaturen sorgt. Bei einem schwachen NAO-Index sind auch die Westwinde vom Atlantik her schwach und vermögen sich nicht gegen die Ausbreitung des winterlichen sibirischen Kältehochs nach Westen durchzusetzen.

Der Gegensatz der Druckverhältnisse zwischen dem Azorenhoch und dem Islantief war in den kalten Wintern der letzten Jahre niedriger als gewöhnlich. Das führte zu stabilen Luftdruck-Mustern, die arktische Luft in die östliche USA und in das nördliche Eurasien lenkten. Für Europa ist entscheidend, dass bei einer schwachen NAO die warmen und feuchten Luftströmungen vom Atlantik her nur wenig entwickelt sind und das Kältehoch über Nordosteuropa sich weit nach Westen ausbreiten kann. Die Wetterverhältnisse in den kalten Wintern 2009/10, 2010/11, aber auch im März 2013 entsprachen ziemlich genau den Wetterlagen bei einer negativen NAO-Phase, mit relativ niedrigen Temperaturen und Trockenheit über Nord- und Mitteleuropa und warmen und feuchten Verhältnissen über dem Mittelmeerraum (Abb. 1 und 2). Die NAO selbst unterliegt starken natürlichen Schwankungen von Jahr zu Jahr sowie einer Dekadenschwankung. So zeigte der NAO-Index im Winter 2009/10 einen negativen Rekordwert. Auch der frühe Winter 2010/11 mit einer anfänglich sehr kalten und ab Januar dann eher milden Hälfte kann als Folge der Schwankungen des NAO-Index gedeutet werden (abb. 3). Der Winter 2011/12 war dagegen auf dem Hintergrund einer relativ starken NAO lange Zeit sehr mild. Erst die Abschwächung der NAO Ende Januar/Anfang Februar machte die Ausbreitung des osteuropäischen Kältehochs bis weit nach Mittleuropa möglich. Ähnlich verlief auch der Winter 2012/13. Hier hat erst eine sehr schwache NAO im März den Kälteeinbruch aus dem Nordosten Europas ermöglicht (Abb. 4). Die schwache NAO allein hätte in den kalten Wintern allerdings noch kältere Bedingungen erwarten lassen. Daran gemessen war der Winter 2009/10 sogar verhältnismäßig warm, was vor allem durch die fortschreitende Erwärmung des Hintergrundklimas durch die zunehmende Treibhausgaskonzentration bedingt ist. [7]

Das arktische Meereis

Worin bestand aber der Grund für die ungewöhnlich schwache NAO in den beiden Wintern 2009/10 und 2010/11? Als Ursachen für die NAO-Dynamik werden sowohl Wechselwirkungen mit dem Ozean wie mit der Stratosphäre angenommen. Für die Winter 2009/10 und 2010/11 wurde von einigen Forschern auch ein Einfluss des Abschmelzen des arktischen Meereises auf die NAO verantwortlich gemacht.[8][9][10] Normalerweise isoliert der Polarwirbel rund um das arktische Höhentief die Arktis von Stürmen aus den mittleren Breiten und begrenzt zugleich die Bewegung kalter arktischer Luftmassen nach Süden. Um die Arktis herum gibt es starke Westwinde und eine starke Nordatlantische Oszillation, die warme und feuchte Luftmassen vom Nordatlantik nach Europa transportieren und das sibirische Kältehoch zurückdrängen. Seit dem Jahr 2005 hat sich der sommerliche Eisrückgang jedoch deutlich beschleunigt. Dadurch könnten sich die atmosphärischen Zirkulationsverhältnisse so geändert werden, dass kalte Luft aus den Polarregionen in Richtung Eurasien strömt. Die frei werdende Wasserfläche hat über große Teile des Nordpolarmeeres bis zu 5 °C höhere Temperaturen entstehen lassen. Diese Erwärmung führte möglicherweise zur Destabilisierung des Polarwirbels und ließ kalte und feuchte Luft aus der Arktis bis nach Nordamerika, Nordeuropa und Nordostasien vordringen. Im Winter 2009 war dieses Muster eines Höhentiefs über dem Polgebiet, das von umliegenden Höhenhochdruckgebieten umgeben ist, nahezu umgedreht. In der Höhe von 1300 bis 1500 m war der Luftdruck über der Arktis höher als über den angrenzenden Kontinenten. Als Folge brach der Polarwirbel nahezu zusammen. Eine extrem schwache NAO mit den niedrigsten Wert seit Beginn der Messungen 1865 war die Folge. Dadurch konnten sich kalte Luftmassen über ganz Europa ausbreiten.[8] Modelluntersuchungen zum Abschmelzen des Meereises in der Barents-Kara-See nördlich von Norwegen und Russland kommen zu ähnlichen Ergebnissen.[11]

Andere Forscher sehen einen direkten Einfluss der wärmeren Arktis auf den Polarjet und damit auch auf die Arktische Oszillation, von der die NAO der nordatlantische Teil ist.[12] Durch die höheren Temperaturen in der Arktis nimmt der Temperatur- und damit auch der Luftdruckgegensatz an der Polarfront ab. Die Folge ist eine Schwächung des Jetstreams, der sich in ca. 10 km Höhe in Wellen (sog. Rosby-Wellen) von West nach Ost um den Globus bewegt. Die Wellen im Jetstream kontrollieren unser Wetter. Sie erzeugen und steuern sowohl Tiefdruckgebiete wie Hochdruckzonen. Bei einem schwachen Jet verlangsamen sich die West-Ost-Strömungen und die Wellen dehnen sich stärker in meridionaler Richtung, insbesondere nach Norden, aus. Seit 1979 hat der Polarjet im Herbst um etwa 14 % an Geschwindigkeit abgenommen. Die schwächeren Windsysteme und nach Norden ausgedehnten Amplituden des Polarjets führen zu einer langsameren Bewegung des Zirkulationssystems und damit zu länger anhaltenden bzw. blockierenden Wetterlagen. Diese erhöhen die Wahrscheinlichkeit von Kältewellen im Winter, können aber in anderen Jahreszeiten auch zu Extremereignissen wie Dürren, Hochwasser und Hitzewellen führen. Vieles spricht dafür, dass die kalten und schneereichen Winter 2009/10 und 2010/11 in den östlichen USA und Europa, die historische Dürre und Hitzewelle in Texas im Sommer 2011 und die Rekordniederschläge in den nordöstlichen USA im Sommer 2011 dadurch beeinflusst wurden.[13]

Aufgrund des zu erwartenden weiteren Rückgangs der arktischen Eisbedeckung könnte das als "Warme Arktis - Kalte Kontinente" bezeichnete Klimamuster[8] in Zukunft häufiger vorkommen. Allerdings haben andere Modellrechnungen gezeigt, dass sich eine eisfreie Arktis aufgrund von Rückkopplungsmechanismen nur über wenige Jahre halten wird (vgl. Meereis/Projektionen).[14]

Die Solarstrahlung

Auch die Sonne hat wahrscheinlich einen Einfluss auf kalte Winter in Europa und den USA. Das Verhalten der Sonne unterliegt wiederkehrenden zyklischen Schwankungen. Ein besonders prägnanter Sonnenzyklus, also der Zeitraum zwischen zwei Maxima der Strahlungsleistung, dauert etwa 11 Jahre (der sog. Schwabe-Zyklus). Das letzte Maximum lag zwischen 2000 und 2002, das letzte Minimum zwischen 2008 und 2010. Nach einer Modellberechnung beeinflusst eine geringe UV-Strahlung die Wetterverhältnisse in der unteren Troposphäre über die Stratosphäre. [15] Dabei entstehen ähnliche Muster wie bei einer schwachen Nordatlantischen Oszillation (NAO). Die Dekadenschwankung der NAO wird hiernach bis zu 50 % durch die Variabilität der Solarstrahlung auf diesem Wege angetrieben. Der Einfluss der NAO und der Sonne würden hiernach keine sich ausschließenden Erklärungen für die Winterverhältnisse in Europa sein, sondern zusammenwirken.

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Deutscher Wetterdienst: Deutschlandwetter im Januar 2010
  2. DWD: Deutschlandwetter im Winter 2009/2010, Presse-Info vom 26.2.2010
  3. DWD: Deutschlandwetter im Winter 2010/2011, Presse-Info vom 25.02.2011
  4. DWD: Klimatologische Einordnung des Winters 2012/13, Presse-Mitteilung vom 12.4.2013
  5. Cohen, J.L., et al. (2012): Arctic warming, increasing snow cover and widespread boreal winter cooling, Environmental Research Letters 7, doi:10.1088/1748-9326/7/1/014007
  6. 6,0 6,1 Guirguis,K., A. Gershunov, R. Schwartz, and S. Bennett (2011): Recent warm and cold daily winter temperature extremes in the Northern Hemisphere, Geophysical Research Letters 38, doi:10.1029/2011GL048762, 2011
  7. Cattiaux, J., et al. (2010): Winter 2010 in Europe: A cold extreme in a warming climate, Geophysical Research Letters 37, doi:10.1029/2010GL044613
  8. 8,0 8,1 8,2 J.E. Overland, K.R. Wood & M. Wang (2011): Warm Arctic - cold continents: climate impacts of the newly open Arctic Sea, Polar Research, 30, 15787, DOI: 10.3402/polar.v30i0.15787
  9. Overland, J., et al. (2010):Atmosphere
  10. Overland, J., et al. (2011):Temperature and Clouds
  11. Petoukhov, V., and V. A. Semenov (2010), A link between reduced Barents-Kara sea ice and cold winter extremes over northern continents, J. Geophys. Res., 115, D21111 doi:10.1029/2009JD013568
  12. Cohen, J.L., et al. (2012): Arctic warming, increasing snow cover and widespread boreal winter cooling, Environmental Research Letters 7, doi:10.1088/1748-9326/7/1/014007
  13. Francis, J.A., and S.J. Vavrus (2012): Evidence linking Arctic amplification to extreme weather in mid-latitudes, Geophysical Research Letters 39, doi:10.1029/2012GL051000
  14. Tietzsche, S., et al. (2011): Recovery mechanisms of Arctic summer sea ice, Geophysical research letters 38, doi: 10.1029/2010GL045698
  15. Ineson, S. (2011): Solar forcing of winter climate variability in the Northern Hemisphere, Nature Geoscience 4, 753–757

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